Die Andere

Prolog
Auf der Welt gibt es viele Merkwürdigkeiten. Die Muggel erklären sie sich mit Wissenschaft. Doch wirklich fasziniert sind sie von der Magie, zumindest so lange, bis ihnen der nächste, gut ausgebildete Vergissmich einen freundlichen Besuch abstattet. So etwas kommt vor. Und eigentlich war das ja alles ganz anders. 
Die Magie ist ein schwieriges Feld. Sie weg zu ignorieren ist für jene, die Zugang zu ihr haben, eine Sache der Unmöglichkeit, denn sie sucht sich immer einen Weg. Oft mit unerwarteten, teils fatalen Folgen, wenn sie plötzlich hervorbricht. Doch auch sie auszuüben kann so einfach sein, wie einen Knallrümpfigen Kröter spazieren zu führen. Sie kann erstaunlich widerspenstig sein. Das Zaubereiministerium kann sich durchaus damit rühmen, viele dieser kleinen Unfälle halbwegs komplikationslos beseitigen zu können. Auch wenn viele Zauberer zur Exzentrik oder auch zur Pyromanie neigen, so kann man doch mit ihnen reden. Meistens jedenfalls. 
Schwieriger wird es bei den nicht menschlichen, magischen Kreaturen. Viele von ihnen mussten sich dem Wandel der Welt ergeben und entwickelten eine starke Scheu gegenüber den Menschen. Zwar verschwindet ab und an einmal ein Wanderer in den hohen Bergen oder völlig aufgelöste Naturbewunderer schildern nach ihrer Rückkehr in die Sicherheit ihrer Städte, wie sie von einem Maulwurf angegriffen wurden, der versucht hatte, ihnen die glänzenden Uhren oder schimmernden Ringe von Handgelenken und Fingern zu nagen, aber... so etwas kommt vor. Und eigentlich war das ja alles ganz anders. 
Doch es gibt auch Fälle, auf die das Zaubereiministerium nicht vorbereitet sein kann. Denn es existieren auch Geschöpfe, die früher auf ihren schwer zugänglichen Lebensraum vertrauten und die nun völlig ohne Tarnung verbleiben. Ein Paradebeispiel für eine solche Gattung, höchst missverstandene Geschöpfe, sind die Drachen. Sie sind zu groß, um sich heute noch gut verstecken zu können, doch ein Aussterben ihrer Art gilt als dringend zu verhindern. Zusammen mit Einhörnern und Phönixen gehören sie zu den reinsten magischen Geschöpfen der Erde. Und obwohl ihre Zucht und Pflege Unsummen verschlingt, macht sich das Zaubereiministerium wenig Sorgen um den Profit. Alles, was ein Drache so hergibt, ist von seiner Macht erfüllt und dementsprechend wertvoll. Die Zucht der Drachen hat einen entscheidenden Vorteil. Zwar mag nicht jeder Drache seinen ihm ausgewählten Partner sofort gut leiden (diesbezüglich sind einige hässliche Missgeschicke dokumentiert worden), doch jeder Drache, der frisch aus dem Ei schlüpft, ist gesund und sofort von reizend aggressiver Natur. Sie werden kaum krank. Genauer gesagt ist es gut möglich, dass ein einziger Drache drei oder vier Generationen an Wärtern überlebt. 
Es ist nur ein einziger Fall beschrieben, aus einer Zeit vor den Auflagen der Abteilung für Pflege und Aufsicht magischer Geschöpfe und sogar noch vor dem Zaubereiministerium selbst, der vom Schlüpfen eines kranken Drachen berichtet. Der unbekannte Autor beschreibt das frisch geschlüpfte Drachenjunge als vollkommen gesund, bis auf den Makel, dass es kein Schuppenkleid besäße. Dort, wo eigentlich eine stahlharte Panzerung sein sollte, besitzt dieser Jungdrache eine Haut, seidig weich, rosarot und glatt, wie die eines Säuglings. Auch weist es eine starke Unselbstständigkeit auf, für Drachen absolut untypisch. 
An diesem Punkt beendet der geschätzte Drachenwärter von heute seine Lektüre. Er muss nicht weiterlesen, verwirft den Bericht als Humbug und wendet sich stattdessen wichtigeren Dingen zu, zum Beispiel seinem brennenden Umhangsaum. Denn ein solches Wesen kann es unmöglich gegeben haben. Vergessen wird er den Bericht jedoch nicht. Denn er ist schon ziemlich merkwürdig. 
Damit beginnt meine Geschichte. 
Mit einer Merkwürdigkeit.

Mit mir.
1. Kapitel
Bericht // 1963
- Bericht vom 01.05.1963 - 

Es schreibt hier Kristóf Zoltán, der sechste seines Namens. Ich habe zu berichten... 
Zum Teufel damit. In hundert Jahren wird es niemanden interessieren, wer einst diesen Namen getragen hat. Vor allem nicht, nachdem er dies hier gelesen hat. Denn ich habe von Erstaunlichem zu berichten! Nie zuvor ist mir etwas Derartiges untergekommen, genauso wenig meinen Kollegen, die sich gerade alle mit einer Flasche Feuerwhiskey zu beruhigen versuchen. Während der Arbeitszeit! Wenn sie später zu ihren Schützlingen zurückkehren, wird ein Funken aus deren Nüstern ausreichen, um ihren Atem zu entzünden. Gleichsam kann ich es ihnen nicht verdenken. 
Doch ich muss von vorn beginnen. Unerklärlicherweise brachte die letzte Brut eines unserer Zuchtdrachen einen verunstalteten Drachen hervor. Unter vier Jungtieren war eines dabei, das kein Schuppenkleid besaß und äußerst hilfsbedürftig war. Aus vorherigen Berichten dürfte zu entnehmen sein, welchen Ärger uns dies mit der Abteilung zur Pflege und Aufsicht magischer Geschöpfe eingebracht hat. Es kam sogar der Vorwurf auf, wir würden unsere Schützlinge misshandeln, der Beweis dafür sei jene bedauernswerte Kreatur. Es wurden sogar einige Stimmen laut, die verlangten, das Leiden jenes Jungdrachen zu beenden, doch meine geschätzten Kollegen, Doktor Imre und ich stellten uns diesem Drängen entgegen. Als Reaktion verbat uns das Zaubereiministerium den Umgang mit diesem Gelege. 
Auch wenn ich dies eigentlich nicht niederschreiben dürfte, so kann ich doch nicht verhehlen, dass es uns allen hier eine rechte Freude war, zuzusehen, wie sich diese Dilettanten abmühten uns zu zeigen, wie man unsere Arbeit richtig macht. Allein schon bei dem Versuch sich dem Gehege zu nähern, bekamen sie den Zorn der Mutter zu spüren. Nicht nur, dass brütende Drachenmütter grundsätzlich aggressiver sind als ihre ledigen Artgenossen, bei diesem speziellen Gelege handelt es sich um Peruanische Vipernzähne. Durchaus schön anzusehen, sind es die giftigsten Biester, die ich kenne. Zwar hat sich in dieser Zucht ein Antipodisches Opalauge mit der Mutter gekreuzt, was die Jungen ein wenig sanftmütiger macht und ihnen allen, selbst unserem Sonderling, eine wunderschöne Augenfärbung geschenkt hat, doch die Mutter ist eine reine Viper und lässt nur uns Wärter auf ein paar Meter an ihren Gehegezaun heran. 
Aus Beobachtungen konnten Dr. Imre und ich schließen, dass unser besonderer Neuzugang keineswegs leidet oder hilflos ist. Tatsächlich ist jener Jungdrache sehr an uns Wächtern interessiert. So manches Mal dachten wir schon, er versucht unsere Sprechlaute nachzuahmen. Hätten wir damals etwas geahnt... 
Zwar wurde uns nach einiger Zeit die Verantwortung für unser Gelege zurücküberantwortet, doch wir standen auch noch die letzten Wochen unter scharfer Beobachtung des Ministeriums. Jeden Morgen apparierte ein Angestellter der Abteilung für Pflege und Aufsicht magischer Geschöpfe vor unsere Tore, verlangte nach Einlass, riskierte einen flüchtigen Blick und verschwand wieder. Am heutigen Morgen jedoch tönte plötzlich ein Geschrei über die Gehege, als ließe man einen Chinesischen Feuerball auf eine Schar Hühner los. 
Im Nachhinein erfuhr ich Folgendes: Genau in dem Moment, wo unser Freund vom Ministerium seinen täglichen Blick auf die Rasselbande werfen wollte, wurde ihm gewahr, dass dort ein Menschenkind im Gehege stand und vergnügt mit drei Jungdrachen spielte, alles unter dem wohlwollenden Blick unserer Zuchtdrachenmutter. Obwohl sie erst diesen Frühling aus ihren Ei geschlüpft ist, kann das Mädchen gehen und ist sogar dazu in der Lage einige Wörter zu sprechen. Nur kurze Zeit nachdem unser verzweifeltes Rettungsteam das Kind aus dem Gehe geborgen hatte, durfte ich miterleben, wie sie dank Dr. Imre gleich ein Dutzend neue Wörter erlernte. Im Erscheinungsbild ähnelt sie den Peruanischen Vipern: ihre Haut ist von einem weichen Kupferton und weist eine gezackte Markierung auf, wie die Schuppenmusterung jener Drachen. Ihr Haar jedoch ist von mondgleichem Weiß, dem Opalaugen ähnlich, so besitzt sie ebenfalls deren pupillenlose, regenbogenfarbene, weiße Augen. Auch zeichnen sich an Oberarmen und Schenkeln die Umrisse von Schuppen ab. Dr. Imre hegt die Vermutung, dass dem Mädchen gerade ihr Schuppenkleid wächst, da sie sich häufig kratzt. Er meint, es wäre ein bisschen wie mit den Milchzähnen von Kindern, auch wenn es mir schwer fällt diesen Vergleich zu akzeptieren. 
Wie nicht anders zu erwarten, ist das Zaubereiministerium in Aufruhr. Ich befürchte, das Mädchen fällt bei all ihren Auflagen in eine bisher unbekannte Grauzone. Vorerst jedoch habe ich das Mädchen unter meine Obhut genommen. Wir nennen sie May." 


- Ende des Berichts -


Nachtrag: "Dr. Imre ist kaum zu bändigen."
2. Kapitel
Hexenkind
Es ist schon erstaunlich, wie eindrucksvoll jemand wirken kann, wenn er dich in einem maßgeschneiderten Anzug begrüßt, anstatt in einem Schutzumhang voller Brandflecken, die Stiefel und Hosenbeine überzogen von einer stetig dicker werdenden Kruste aus Drachenmist. 
"Das ist also der kleine Sonderfall" 
Kristóf verzog bei diesen Worten das Gesicht, doch wir hatten uns geeinigt, nicht mehr auf solche Sticheleien von Zauberern einzugehen. Früher hatte es Stunden dauern können, bis eine darauf folgende Diskussion zu einem für ihn akzeptablen Ergebnis gekommen war. 
Mit strenger Miene und Stiefeln, von denen er versucht hatte den Mist abzukratzen, stand er hinter dem Anzugträger und starrte finster geradeaus. 
"Guten Morgen, Sir" 
Ich versuchte zu lächeln, ohne dabei meine Zähne zu zeigen; kein leichtes Unterfangen. 
"Na sieh einer an!", rief der Anzugträger aus und wandte sich halb belustigt, halb staunend zu Kristóf, "Ihr habt ihr schon einiges beigebracht, nicht wahr, Zoltán?" 
Sie konnte bereits sprechen, als sie ein Jahr alt war", erwiderte Kristóf grimmig, doch nicht ohne einen gewissen unterschwelligen Stolz in der Stimme. 
"Auch Magie?"
Die Frage erklang freundlich, doch Kristóf versteifte sich sofort. 
"Nein", sagte er mit fester Stimme, "keine Magie. Doch wir haben an ihr dieselben Auffälligkeiten bemerkt, wie sie auch bei jungen Hexen vorkommen" 
"Das ist ja alles schön und gut, Zoltán, aber was habt ihr mit dem Mädchen gemacht, frage ich euch! Sie ist doch nicht so geboren worden, es muss doch eine Art... Vorfall oder dergleichen gegeben haben" 
Während er sprach musterte ich aufmerksam den Faltenwurf seiner Jacke. Am rechten Ärmel hatte der Schneider ein wenig gepatzt, denn am Ärmelsaum lugte eine Naht hervor. Sofort begann ich damit, die Namen und Daten aller Direktoren des Reservates rückwärts aufzuzählen, angefangen bei Kristóf Zoltán. 
"In den Berichten, die wir ihnen geschickt haben...", setzte Kristóf an, doch Anzugjacke winkte ab. 
"Ich bin hier, um mir selbst ein Bild der Lage zu verschaffen, nicht, um mich durch ihre Berichte im Vorhinein beeinflussen zu lassen" 
"Es wäre jedoch keine uninteressante Lektüre gewesen", ertönte da eine neue Stimme vom Eingangstor des Geheges. 
Ich beendete meine innere Litanei bei Ingmar, dem Brennenden, und lugte um den Mann vor mir herum, obwohl ich längst wusste, wer dort stand. Zwar konnte ich unter all dem Drachendung an seinen Stiefeln und seiner Hose seinen eigentlichen Geruch nicht mehr ausmachen, doch seine Stimme und den Klang seiner Schritte würde ich wohl überall wieder erkennen. 
Dr. Imre baute sich auf der anderen Seite hinter dem Anzugträger auf und stützte sich entspannt auf den langen Stiel seines Spatens. 
"Immerhin erklärt es, warum Sie so nah an sie herantreten. Die Mutter der Kleinen ist ein Vipernzahn, wissen Sie?" 
Es dauerte einen Moment, bis diese Information bis zu Anzugjacke durchdrang, dann machte er einen gewaltigen Satz zurück. Kristóf warf Dr. Imre einen wütenden Blick zu, doch dieser zwinkerte mir nur fröhlich zu und wandte sich dann wieder an den Beauftragten aus dem internationalen Büro für magische Zusammenarbeit. 
"Keine Angst. Sie beisst nicht" 
"Das werde ich wohl selbst beurteilen!", fauchte der Mann und zupfte dabei nervös den Saum seiner Anzugjacke glatt. 
Sein rechter Ärmel war es, ich konnte die Naht ganz genau sehen. Sofort setzte ich bei Ingmar wieder ein. 
"Dafür müsste sie vielleicht etwas näher herantreten", witzelte Dr. Imre und fing sich damit gleich zwei wütende Blicke ein. 
"Daniel!", zischte Kristóf, doch Dr. Imre ließ sich nicht beirren.
Stattdessen verschwand sein Lächeln und er blickte Kristóf ernst ins Gesicht. 
"Warum verheimlichen was sie ist, Kristóf? Der Bericht liegt bei ihm im Ministerium und wenn er ihn nicht gelesen hat, nun, irgendwer wird es tun! Ist es nicht viel beeindruckender zu sehen, dass sie, mit ihrer Abstammung, eine derart gute Erziehung aufweist?" 
"Diese Unterhaltung werde ich nicht ein weiteres Mal führen", knurrte Kristóf warnend, doch der Anzugträger war es nun endlich leid ignoriert zu werden. 
"Drachen wurden als gefährlich und unzähmbar eingestuft! Zwar besitzen sie große, magische Kräfte, doch ich habe noch nie davon gehört, dass sich einer von ihnen in eine Hexe oder einen Zauberer verwandelt hat, um sie auszuüben. Also: was ist das?" 
Er richtete einen anklagenden Finger auf mich und ich geriet in meiner Aufzählung kurz ins Stocken. Anzugjacke deutete meinen verwirrten Gesichtsausdruck völlig falsch und zog schnell die Hand zurück. 
"Das ist die große Frage, nicht wahr?", antwortete Dr. Imre und richtete sich von seinem Spaten auf, "Wir vermuten, dass sie eine Nachfahrin Echidnas ist. Sie ist in ihrer Art einmalig und besitzt außergewöhnliche Fähigkeiten" 
"Aber...", setzte Anzugjacke an, doch er wurde von einem weiteren Neuankömmling unterbrochen. 
"Aber darum geht es hier ja gar nicht" 
Ich spürte, wie meine Ohren automatisch nach vorn zuckten, eine nicht sehr menschliche Reaktion, und ich sah das Entsetzen im Gesicht des Ministeriumzauberers, bevor er sich erneut dem Eingangstor zuwandte. 
Einen Zauberer wie jenen, der nun am Tor des Geheges stand, hatte ich noch nie gesehen. Sein langes, braunes Haupt- und Barthaar war von silbernen Strähnen durchzogen und sein Gesicht wies die ersten, feinen Falten des Alters auf. Auf seiner Nase, die mich sehr an den scharfen Schnabel eines Greifvogels erinnerte, ruhte eine dünne Brille mit halbmondförmigen Gläsern. Dahinter blitzten, mit einem Ausdruck verhaltenen Amüsements darin, Augen von einem strahlenden Blau, das mich an die Augen meines Vaters erinnerte, die Augen meiner Geschwister und mir. 
Ich entspannte mich sofort, meine verkrampften Schultern sanken herab und der Fremde belohnte mich dafür mit einem Lächeln. 
"Dumbledore!", rief der Ministeriumszauberer aus, doch es war nicht wirklich zu erkennen, ob er sich über das Erscheinen des fremden Zauberers freute. 
Das wunderte mich, denn ab dem Moment, wo ich ihn gesehen hatte, fühlte ich... ja, irgendwie... zu Hause. 
Der Neuankömmling roch nach Pergament und Tinte, nach dem Laub von Herbstbäumen, den sprühenden Funken von Drachenfeuer und warmen Steinen. 
"Wie ich sehe haben Sie nicht mehr mit meinem Erscheinen gerechnet" 
Der Mann namens Dumbledore schmunzelte, warf dann einen Blick auf den dicht mit Gras und Blumen bewachsenen Boden und überraschte alle Anwesenden, als er begann seine Schuhe aufzuschnüren. 
"Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Sie, Mr. Fleetwell, nicht allzu erfreut sind mich zu sehen, was eine Schande ist, woran ich jedoch nichts ändern kann" 
"Aber wie kommen Sie denn darauf?", rief die Anzugsjacke, die nun endlich einen Namen bekommen hatte, "Es ist mir eine Freude, Sie als Vertreter des Allgemeinwohls bei diesem Konflikt begrüßen zu dürfen" 
Das war so eine faustdicke Lüge, dass all seine Stresshormone wolkengleich aus seinem Körper stoben und meine Nase zu kitzeln begann, als wohnten Ameisen darin. Schnell riss ich die Hände nach oben, um das Niesen abzufangen, und Mr. Fleetwell und seine Anzugsjacke machten vor Schreck einen weiteren Satz nach hinten. Kristóf musterte mich, als ich mir mit einer leisen Entschuldigung die Nase an meinem Ärmel rieb, und warf Fleetwell dann einen finsteren Blick zu. Er kannte mich sehr gut. 
"Mein guter Mr. Fleetwell", mit nackten Füßen betrat Dumbledore die Wiese, sein purpurner Umhang passte erstaunlich gut hierher, "Sie werden mir doch sicher zustimmen, dass einem Konflikt ein Problem zu Grunde liegt. Und ein solches kann ich hier nicht erkennen" 
Mr. Fleetwell wollte anscheinend widersprechen, doch Dumbledore lief zielstrebig an ihm vorbei und streckte mir völlig unerwartet die Hand entgegen. 
Ich warf Kristóf und Dr. Imre einen kurzen Blick zu, dann ergriff ich die mir dargebotene Hand und schüttelte sie vorsichtig. 
"Es freut mich endlich deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Professor Dumbledore und ich bin das tattrige, alte Oberhaupt einer Schule für junge Hexen und Zauberer" 
"May", brachte ich hervor.

Seine Augen funkelten.

"Professor", ergriff Dr. Imre da das Wort, "heißt das, es ist schon alles entschieden?" 
Seine Stimme klang hoffnungsvoll, doch Mr. Fleetwell fuhr ärgerlich dazwischen. 
"Nichts ist hier entschieden, sie kann nicht nach Hogwarts gehen!“
"Und warum nicht?"
Kristóf trat einen Schritt auf Mr. Fleetwell zu und zog drohend die Schultern hoch. 
"Sie ist keine Hexe!", platzte Mr. Fleetwell heraus, "Sie ist noch nicht einmal ein Mensch!" 
"Zwei Arme, zwei Beine, ein Kopf, alle lebenswichtigen Organe", hielt Dr. Imre dagegen, "Sie hat nicht einmal einen Zeh zu viel!" 
"Dafür Giftzähne und Augen wie Edelsteine", zischte Mr. Fleetwell, der langsam die Nerven verlor, "Wirklich Dumbledore, sie erwägen doch nicht ernsthaft, dieses Wesen auf Ihre Schüler loszulassen?" 
"Wenn das einzige Problem darin besteht, dass dieses Mädchen kein ganzer Mensch ist, kann ich leider kein Verständnis aufbringen", erwiderte Dumbledore ruhig und legte mir vollkommen selbstverständlich eine Hand auf die Schulter, "Sofern ich mich richtig erinnere, wurde vor ein paar Jahren an der Beauxbatons-Akademie eine Schülerin aufgenommen, deren Mutter eine Veela war. Eine ganz außergewöhnliche junge Dame", fügte er ein wenig schwärmerisch hinzu. 
Mr. Fleetwell wollte etwas sagen, doch erneut ließ Dumbledore ihn nicht sprechen, sondern hob die freie Hand, seine Andere immer noch auf meiner Schulter. 
"Dieses Mädchen mag Eltern haben, wie sonst kein Mensch auf dieser Welt, und sie mag Fähigkeiten besitzen, die keiner von uns je erlangen wird. Doch sie ist ein Mensch, und vor allem eine Hexe. Die Magie in ihr darf von uns nicht ignoriert werden, wenn wir nicht riskieren wollen, dass sie unkontrolliert hervorbricht und ihr vielleicht sogar Schaden zufügt. Und da ich in diesem Fall, als Direktor von Hogwarts und laut Ihrer eigenen Aussage, als Vertreter des Allgemeinwohls diene, kann ich Miss May nur herzlich an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei begrüßen" 
Einen Moment lang blieb alles still, während Dumbledores Worte in unser aller Köpfe widerhallten. 
"Na schön", blaffte Mr. Fleetwell, "na schön!", er wandte sich Kristóf zu, "Da haben Sie Ihren Willen, Zoltán! Hoffen wir, dass die junge Miss May dieser Verantwortung gewachsen ist" 
In einer eleganten Geste hob er die Hand, um sie Kristóf zu reichen, musste dann jedoch feststellen, dass der Saum seines Ärmels sich zusammengezogen hatte und die Nähte wie Stahlbänder um seine Finger lagen. Während er noch verwirrt blinzelte, warfen mir sowohl Kristóf als auch Dr. Imre warnende Blicke zu. Ertappt senkte ich den Kopf.
"Dann wollen wir die Herren nicht weiter von der Arbeit abhalten", tönte Professor Dumbledore fröhlich und beugte sich dann zu mir herunter. In seinen Fingern hielt er einen Umschlag aus dickem, lavendelfarbenem Papier, der eine Sekunde zuvor ganz sicher noch nicht da gewesen war, "Wir hören voneinander." 
Er lächelte wieder, während ich mit zitternden Fingern den Brief entgegennahm. "Dein Garten ist übrigens ganz bemerkenswert" 
Und dann schüttelte Professor Dumbledore Kristóf und Dr. Imre die Hand, dirigierte den immer noch leicht verwirrten Mr. Fleetwell zur Tür und begann ganz selbstverständlich mit ihm zu plaudern, während er sich seine Schuhe wieder anzog. 
Dr. Imre, Kristóf und ich blickten ihm solange nach, bis er aus unserem Blickfeld verschwand.
3. Kapitel
Kis sárkány
An diesem Tag wurde ich zu einem Menschen. Und nicht nur das. Ich wurde eine Hexe. 
Mit Brief und Siegel. 

Während Dumbledore Mr. Fleetwell freundlich aus dem Reservat geleitete, standen Dr. Imre, Direktor Zoltán und ich immer noch in meinem Gehege und starrten zur Eingangspforte hinaus. Dann legte Kristóf mir eine Hand auf die Schulter, drückte einmal zu und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus. 
"Dieser Mann..." 
Verwirrt blickte ich zu Dr. Imre, auf dessen Gesicht langsam ein strahlend breites Lächeln erschien. 
"Unglaublich, oder? Das also kann es bedeuten Albus Dumbledore seinen Freund nennen zu dürfen" 
Ich schwieg, doch Dr. Imre kannte mich zu gut, als dass er sich davon hätte verunsichern lassen. Mit einer gespielt dramatischen Geste ließ er sich plötzlich rücklings zu Boden fallen und streckte seine langen Beine auf dem weichen Grün aus, die Schaufel neben sich im Gras. In diesem Moment wirkte er unglaublich jung und ich erinnerte mich wieder daran, dass er nur zwanzig Jahre älter war als ich. Für einen Menschen mochte das viel sein, doch in meinem Kopf bewegte sich alles in der Schärfe und Schnelligkeit, die nur uns Drachen gegeben war. Zwanzig Jahre konnten für mich ebenso schnell vorbei sein, wie ein Wimpernschlag. Es waren die Menschen gewesen, die mir beigebracht hatten die Zeit zu schätzen. 
"Komm her, kis sárkány" 
Auffordernd und immer noch lächelnd klopfte Dr. Imre neben sich auf den Boden. Es war dieser Moment, in dem ich mich endlich wieder bewegen konnte. In dem ich wieder richtig denken konnte. In dem mir all meine Sinne plötzlich wieder Informationen lieferten. 
Mit einem tiefen Ausatmen, das mehr wie ein Stöhnen klang, ließ ich mich neben Dr. Imre zu Boden plumpsen und er lachte, als er meinen Gesichtsausdruck sah. Den Umschlag von Dumbledore gegen die Brust gepresst, als wäre es der größte Schatz der Welt, ließ ich mich dicht neben ihm auf den Rücken fallen und atmete tief und gierig den Geruch von feuchter Erde, Grassamen und Drachenmist ein. 
"Was denkst du, kis sárkány?" 
Ich liebte es, dass er mich so nannte. Kis sárkány bedeutete kleiner Drache und war schon kürzeste Zeit nach meiner ersten Verwandlung Dr. Imres Spitzname für mich geworden. Alle im Reservat nannten mich May und ich mochte den Namen, doch kis sárkány war ich nur für Dr. Imre. Der Name half mir, mich daran zu erinnern, wer ich war. 
"Sein Ärmel..." setzte ich an, brach jedoch ab.

Einen Moment wirkte Dr. Imre verdutzt, dann brach er in schallendes Gelächter aus. 
"Du hast Kristóf wahrscheinlich einen Gefallen getan", sagte er und strich sich über das kurze, sandfarbene Haar, "Ich bin mir nicht sicher, ob Mr. Fleetwell seine Hand hätte behalten dürfen, nach dem, was er alles gesagt hat" 
"Er war schon ziemlich unhöflich", bestätigte ich. 
Wieder musste Dr. Imre lachen. Ich hatte mit der trotzigen Bestimmtheit eines Kindes gesprochen, einer menschlichen Geste, die, wie er mir schon mehrmals versichert hatte, mir wunderbar zu Gesicht stand. 
"War Kristóf wütend?", fragte ich und hob kurz den Kopf, um noch einmal einen Blick zur Pforte zu werfen. 
Mir fiel auf, dass niemand sie hinter sich geschlossen hatte. Diese Maßnahmen würden nun nicht mehr nötig sein. Die Tür war da gewesen, um den Drachen gefangen zu halten. Der Mensch hatte sich im Reservat frei bewegen dürfen. Die Hexe jedoch durfte gehen wohin sie wollte. Mir wurde schwindelig. 
"Natürlich ist er wütend", bestätigte Dr. Imre, doch er klang nicht allzu ernst dabei, "Du weißt, wie sehr er Zauberer hasst, die magischen Kreaturen nicht denselben Wert zuschreiben wie sich selbst. Außerdem war ich ihm wahrscheinlich zu ehrlich" 
"Kann man zu ehrlich sein?", fragte ich erstaunt und ließ den Kopf wieder ins Gras sinken. 
Über mir zogen dicke, wattig weiche Wolken über einen strahlend blauen Himmel. Eine davon, befand ich, sah einem Feuer speienden Drachen sehr ähnlich. 
"Manchmal", gab Dr. Imre zu, "Ehrlichkeit ist wichtig, aber manchmal kann man es übertreiben. Viele Menschen sind nicht immer besonders erfreut über die Wahrheit, es ist leichter mit Lügen zu leben oder sich in Unwissenheit zu hüllen. Und bei Kristóf ist es noch ein bisschen schwieriger. Es fällt ihm schwer den Leuten ins Gesicht zu sagen, wie sehr er sie mag und wie stolz er auf sie ist" 
Ich beobachtete, wie sich die Wolkenflammen von ihrem Drachen lösten und davon faserten. 
"Ich werde es mir merken", sagte ich dann. 
Ich spürte Dr. Imres Blick auf mir ruhen und als ich ihm meinen Kopf zuwandte, erkannte ich in seinen Augen eine Mischung aus Triumph und Stolz, aber auch Milde und eine tiefe Ruhe und Zuversicht, die auch mich bestärkte. Ich setzte mich auf und nahm die Hände mit dem Brief von meiner Brust. Andächtig musterte ich den lavendelfarbenen Umschlag und das glänzend rote Wachssiegel. Neben mir erhob sich Dr. Imre und griff nach seinem Spaten. 
"Ich gehe die Anderen holen", meinte er freundlich. 
"Wozu?", fragte ich erstaunt und riss meinen Blick für einen Moment von meinem papiernen Kleinod los. 
"Das wirst du schon sehen", grinste er und verließ mein Gehege. 
Allein inmitten meines kleinen Gartens, den wir hier angelegt hatten und in dem ich seit dem Alter von fünf Jahren jede Pflanze hegte und pflegte, hob ich mir das hellviolette Papier vorsichtig an die Nase. Ich konnte immer noch Dumbledores Geruch an ihm erahnen, doch auch noch einige andere Gerüche, darunter natürlich Feuer und Wachs, die Substanzen, die dem Pergament bei seiner Verarbeitung zugefügt worden waren, die Mineralien in der Tinte und... Ingwerplätzchen? Zusammen mit einer schwachen Note von Katzenhaar und frischem Quellwasser. 
Ich wusste nicht, ob ich erwartet hatte diesen Brief wirklich jemals in Händen zu halten. Eigentlich hatten wir nicht einmal geglaubt so weit zu kommen, dass sich das Ministerium tatsächlich mit unserem Antrag auseinander setzte. Seit meiner Geburt war das Zaubereiministerium nicht mehr sonderlich gut auf unser Reservat zu sprechen und wir hatten teilweise wöchentlich Besuch von verschiedenen Ministeriumszauberern erhalten. Doch zusammen mit den anderen Drachenwärtern hatten Direktor Zoltán und Dr. Imre alles daran gesetzt mein Leben und das meiner Familie zu verteidigen und waren für unsere Rechte in die Bresche gesprungen. Erst als ich mit sieben Jahren jenen Brief fand, wurde mir klar, welches Ausmaß die Attacken des Zaubereiministeriums gegen das Reservat angenommen hatten. An diesem Tag, vor knapp vier Jahren, hatte ich einen Beschluss gefasst. 
Als Mensch fühlte sich das Zaubereiministerium von mir nicht so bedroht wie als Drache. Zwar sah ich immer noch anders aus als andere Menschen, doch bei Hexen und Zauberern kam das durchaus vor. Ich lernte in einem Bett zu schlafen, statt in einem Glutnest auf dem kahlen Boden, mit Besteck zu essen, anstatt mit Zähnen und Krallen und lief häufiger auf zwei Beinen herum, denn auf vier. 
Doch ein Mensch zu sein bedeutete viel mehr. Nach meiner ersten Verwandlung hatte ich in einer Art Zwischenwelt gelebt. Tagsüber war ich als Menschenskind durch die Gegend gelaufen und Dr. Imre und Kristóf auf Schritt und Tritt überall hin gefolgt, wenn man es mir denn erlaubte, doch ich hatte meine Kerzen zum Lesen mit meinem Atem entzündet und Menschen, die mir Angst machten, hatte ich angefaucht. Nachts hatte ich mich dann in das Gehege meiner Familie geschlichen und bei ihnen geschlafen und hatte mich danach teilweise tagelang nicht zurück verwandelt. 
Das Sprechen fiel mir leicht. Und so fiel es auch Dr. Imre leicht mein Verhalten zu verstehen. Ich konnte es ihm einfach erklären. Mit dem Körper des Drachens nahmen auch dessen Instinkte in mir überhand. Ich wurde ganz Drache, eine Kreatur mit Flügeln, Klauen, Gift und Feuer, todbringend und unzähmbar, und es brauchte einen Moment der Stille, damit auch der Mensch in mir sprechen konnte und mich daran erinnerte, dass ich noch ein anderes Leben hatte. Ein Leben, bei dem ich mich außerhalb der Gitterstäbe des Geheges bewegen dufte und keine Angst vor den Drachenwärtern hatte, die mit mir auch als Drache so vertraut umgingen, wie mit dem kleinen Mädchen, das sie so gern bei ihren Aufgaben beobachtete und sich an ihren gerade wachsenden, dünnen Schuppen kratzte. Zusammen mit Dr. Imre hatte ich meine Stärken und Schwächen erforscht, hatte dem Mensch im Körper des Drachens einen Platz eingeräumt und hatte schließlich sogar meine Gestalten neu sortieren können. Die ungewöhnliche Mischung aus Mensch und Drache hatte viel durcheinander gebracht, sodass ich als Drache nie ein Schuppenkleid trug. Ein fataler Nachteil, da ich so bei Kabbeleien mit meinen Geschwistern immer den Kürzeren zog. Als Mensch jedoch war ich nach einigen Jahren so schwer gepanzert, dass ich mich kaum bewegen konnte. 
Es war Dr. Imre, dem auffiel, dass ich bei jeder Verwandlung ein wenig anders aussah. Mal hatte ich kupferfarbenes Haar und schwarze Schuppen als Mensch, hingegen weiße Haut als Drache, die jedoch mit der gezackten Musterung der Vipern überzogen war. Und bei der nächsten Verwandlung sah ich dann schon wieder ganz anders aus. Und so begann er mir Aufgaben zu stellen. Ob ich kontrollieren konnte, welche Farbe meine Haare als Mensch hatten? Ob ich verhindern konnte, dass sich das gezackte Muster der Vipern auf meinen Schuppen abzeichnete? Und schließlich, nach einem Jahr des Trainings, fühlte ich bei einer Verwandlung, vom Mensch hin zum Drachen, wie ich etwas von meiner menschlichen Gestalt mitnahm und es sich plötzlich an den richtigen Platz setzte. Ich war ein Drache mit den weißen Schuppen eines Opalauges und der gezackten Musterung eines Vipernzahns geworden. Und ein Mensch mit warmer, kupferfarbener Haut. Und strahlend weißem Haar. 
Zwar trug ich als Mensch manchmal das Muster der Vipern, doch das eher aus Spaß. Nur einige wenige Merkmale konnte ich nicht verändern. Egal ob als Mensch oder als Drache, meine Augen schimmerten stets in den sanften Regenbogenfarben eines Opals, ohne Iris oder Pupille, und meine Eckzähne waren lang, spitz und voller tödlichem Gift. 
Mit dem Daumen strich ich über das rote Siegel. Als ich dazu ansetzte es zu brechen, hörte ich plötzlich den Lärm vieler Menschen und spürte das Knistern von Magie über meine Haut tanzen. Mein Kopf ruckte nach oben, als ich das Wort hörte, das dutzende Hexen und Zauberer gleichzeitig sprachen, die Zauberstäbe vor den Mauern meines Geheges erhoben. 
"Finite!" 
Über mir begann der Stahl der Gitterkuppel erst rot, dann orange zu glühen und mit einem leisen Plopp zerplatzte die Decke meines Käfigs und ein Regenschauer aus Funken ging auf den Garten, mein kleines Haus und auch auf mich selbst nieder. 
Fast schon leuchtend vor Freude erschien Dr. Imre im Durchbruch der Pforte, dem nun die Gittertür fehlte. 
"Komm schon, raus mit dir, kis sárkány!"
4. Kapitel
Metamorphose
"Du weißt, dass du das nicht tun musst?" 
Dr. Imre klang beiläufig besorgt, seine typische Art zu verbergen wie sehr es ihm missfiel, die Kontrolle über die Situation verloren zu haben. 
"Sie haben lediglich eine freundliche Bitte geäußert, nichts weiter. Wir-... müssen dem nicht nachkommen..." 
Es war keine Bitte gewesen, das wusste er genauso gut wie ich, und so baumelte ich weiter bemüht fröhlich mit den Beinen und beobachtete mit gewissem Interesse, dass sogar nur zu Hälfte gespielt war, die anderen Patienten im Foyer, ganz so, als hätte ich ihn gar nicht gehört. 
Da war eine Hexe mit einem Teekessel, mitten in ihrer grauen Steckfrisur, den sie erst offenbart hatte, als sie an der Rezeption für kurze Zeit den übergroßen Hut, den sie trug, gelüftet hatte, um der Heilerin dort ihr Leiden zu schildern. Sie saß mir nun gegenüber, die Finger fest um ihre kleine Handtasche gekrallt, und immer, wenn sie das Gefühl zu erfassen schien, jemand könnte sie beobachten, liefen ihre Wangen rot an und der Kessel unter ihrem Hut gab ein fröhliches Pfeifen von sich, was sie heftig zusammen zucken ließ. 
Direkt neben der pfeifenden Hexe saß ein Zauberer mit hängenden Schultern und deprimiertem Gesichtsausdruck. Zuerst hatte ich seinen prächtigen Bartwuchs bewundert, nicht einmal Kristóf hatte einen so dichten Vollbart, obwohl er ihn hegte und pflegte. Eine Bemühung, die ich nicht verstand, da er ja sowieso jede zweite Woche in Brand geriet und er ihn deshalb abrasieren musste. Doch mit der Farbe des Bartes von dem Zauberer gegenüber hatte etwas nicht gestimmt, nein, ganz und gar nicht. Bis ich irgendwann begriff, dass dem Zauberer statt Haaren Tannennadeln aus Wangen und Kinn sprossen! Er nadelte sogar wie ein welker Weihnachtsbaum, als ihn ein freundlicher Heiler kurz darauf aufrief, und hinterließ eine kleine, traurige Spur, die alsbald von einem schwebenden Kehrblech und einem Besen beseitigt wurde. 
Jedoch der spannendste aller Patienten, befand ich, war ein Zauberer, der mit erstaunlicher Präzision immer dann einen lauten, fiependen Ton ausstieß, wenn jemand ein Wort mit dem Buchstaben E darin benutzte, so als wollte er den Klang des Wortes zensieren. Der Laut brach immer auf die Sekunde genau aus ihm hervor, egal wie fest er sich beide Hände auf den Mund presste, und seine Exaktheit hatte schon fast einen hellseherischen Schlag. 
Sie gehörten zu den wenigen, die nach unserer Ankunft im Foyer verblieben waren und irgendwie konnte ich sogar verstehen warum. Nichts konnte so schlimm sein, wie die Leiden, die sie bereits ertrugen. 
Mit einem leisen Seufzen lehnte sich Dr. Imre zurück und blickte die verbliebenden Hexen und Zauberer so böse an, als wäre all dies ihre Schuld. 
"Ich hätte es auch machen können", setzte er grummelnd nach. 
"Nein", schnappte ich, die Hände in den Taschen meines Parkas zu Fäusten geballt, "Du hättest gemogelt" 
Diese Aussage brachte Dr. Imre zum schmunzeln und als ich ihn daraufhin bösen anfunkelte, lachte er sogar. Zwar hatte ich damit mein eigentliches Ziel verfehlt, dass er sein Vorhaben eingestand und sich hoffentlich entsprechend schämte, doch wenigstens sorgte es dafür, dass sich meine verkrampften Finger etwas lockerten. 
"Lass sie zufrieden, Daniel", grunzte Kristóf ein wenig zu spät, "Wenn sie es so will, dann machen wir es so" 
Kristóf saß auf meiner anderen Seite, heute mein griesgrämiger Wächter in schwarz, anstatt dem leicht mürrischer Drachenwärter mit dem kokelnden Umhangsaum. Die Fäuste deutlich sichtbar auf seinen Knien und den Rücken so gerade durchgedrückt, als hätte man ihn mit einem Ganzkörper-Klammerfluch belegt, saß er da, mit einem Blick, der sagte Kommt her, wenn ich euch traut, ich nehme es mit jedem von euch auf, gleichzeitig, wenn es sein muss. Ich hätte ihn gern beruhigt, doch mein eigener Magen lag, zu einem kleinen, eiskalten Stein zusammen gezogen, auf dem Grund meines Bauches und kullerte dort mit kläglich klingenden Lauten hin und her. 
"Miss Roselynn May?" 
Ich hörte den Namen und wusste sofort, dass es meiner war. Im Reservat hatte May vollkommen ausgereicht, der Drache May brauchte nicht mehr als diesen Namen. Doch eine Miss May brauchte einen Vornamen, wenn sie in der Welt der Hexen und Zauberer bestehen wollte. Kristóf und Dr. Imre hatte ihn mich selbst aussuchen lassen. Ich hatte nicht lange gebraucht. Der Zauberer, der mir Tür und Tor in diese Welt geöffnet hatte, hatte meinen Garten gemocht, dass hatte er selbst gesagt. Und auch ich liebte meine Rosen. 
Als ich den Kopf hob, fanden mich die Augen der Heilerin, die mich aufgerufen hatte, sofort. Ihr Blick wirkte sehr viel mehr interessiert denn eingeschüchtert, als sie unsere kleine Gruppe musterte, und irgendwie war ich ihr dankbar dafür. Keiner von uns dreien hatte es wirklich geschafft sich ein irgendwie unauffälliges Äußeres zuzulegen. Nicht einmal für die Verhältnisse von Zauberern, wie ich hatte feststellen müssen. 
Kristóf trug seine einzigen Kleidungsstücke, die weder mit Drachen, noch besonders häufig mit Motten in Kontakt gekommen waren. Ein kohlenschwarzer Anzug mit weißem Hemd und dazu passendem Mantel. Normalerweise trug er diese Kombination nur zu Beerdigungen oder, wenn er das Reservat aus offiziellen Gründen des Ministeriums verlassen musste. Für ihn, hatte er mir einmal erklärt, gab es da kaum große Unterschiede. Mit der finsteren Miene, die er dazu heute zur Schau trug, hatte er die Hälfte der bis dahin anwesenden Patienten im Foyer schon bei seinem Eintreten an einige sehr wichtige Angelegenheiten erinnert, die sie eindeutig anderswo zu erledigen hatten. 
Auch Dr. Imre war keine Hilfe gewesen. Zwar schien sein Kleiderschrank mehr Muggelkleidung zu enthalten als der von Kristóf, doch hatte er es ein wenig zu gut gemeint. Das lässige, anthrazitgraue Hemd mit den hochgerollten Ärmeln, die seine kräftigen Unterarmmuskeln sichtbar ließen, der engen, verwaschenen Jeans und seinen zerschrammten Boots hatte er schon in der Tube die Blicke vieler Damen auf sich gezogen. Und auch, wenn sie hinter vorgehaltener Hand oder mit gesenkter Stimme gesprochen hatten, mein feines Gehör hatte jedes einzelne Wort aufgeschnappt. 
Ich hatte großen Spaß daran gehabt, Dr. Imre zuzuflüstern, wer was über ihn gesagt hatte, bis Kristóf das Spiel angespannt unterbrochen hatte, weil wir angeblich zu auffällig gewesen waren. Und vielleicht stimmte das auch, denn sobald Dr. Imre sich wegen etwas, dass ich ihm ins Ohr geraunt hatte geschmeichelt durch die Haare gefahren war oder gelächelt hatte, war das Getuschel nur noch schlimmer geworden. 
Nun jedoch saß ich, eingeklemmt zwischen meinen beiden reichlich nervösen Wärtern, auf meinem etwas zu hohen Stuhl und blickte den Heilerin besorgt entgegen. Zwar war ich die Einzige gewesen, die es geschafft hatte sich für die Muggelwelt unauffällig genug zu kleiden, doch... nicht einmal meine zerschlissene Jeans, das ausgeleierte T-Shirt und der viel zu große Parka, der für Ende Juli auch viel zu warm war, hatten die Muggel davon abhalten können, dass ihre Blicke immer wieder von Kristóf oder Dr. Imre zu mir wanderten. Ich konnte nicht die ganze Zeit mit gesenktem Kopf und tief ins Gesicht gezogener Kapuze durch die Gegend laufen, ohne irgendwann nähere Bekanntschaft mit einer Straßenlaterne zu machen. Und so hatte Kristóf jedes Mal, wenn mir jemand zu Nahe gekommen war, mit den Zähnen geknirscht, dass es sich angehört hatte, als zöge in meinen Ohren ein Gewitter auf. 
Als die Heilerin an uns heran trat, zog rechts neben mir schon wieder ein Sturm herauf. 
"Mr. Zoltán, ich glaube, ich habe das Foyer noch nie so leer gesehen", flötete sie, ein Klemmbrett in die Hüfte gestemmt, unter dessen Klammer, neben ihren Notizen, auch ihr Zauberstab klemmte, "Und ich vermute, dass dieser Umstand nichts mit ihrem jungen Schützling zu tun hat" 
"Ach ja?", knurrte Kristóf und blickte finster in ihr Gesicht, im Sitzen war er fast genauso groß, wie sie im Stehen, "Und was verlangen sie von mir dagegen zu tun?" 
"Nun, lächeln könnte sich als akzeptable Lösung erweisen", witzelte die Hexe, "Oder müssen bei ihnen auch ein paar Zähne gezogen werden?" 
Für einen Moment gefror die Luft um Kristóf herum, schneller als beim Atemstoß eines Ukrainischen Eisbauches, doch die Heilerin ließ Kristóf keine Zeit, um zu explodieren, sondern wandte sich direkt, mit ausgestreckter Hand, an mich. 
"Ich bin Heilerin Mary" 
Ich ergriff ihre klemmbrettlose Hand und schüttelte sie mit Bedacht. Für eine Mary, fand ich, war sie viel zu jung. Die einzige andere Mary, die ich kannte, war klein, ein wenig rundlich und hatte Pausbacken. Was jedoch für sie sprach war, dass ihre Namensvetterin mit ihrer Brut Schwedischer Kurzschnäuzler umspringen konnte, wie eine stolze Labradorhündin mit ihrem Rudel junger Welpen. 
„Dann zeig mir mal das Problem“, lächelte die Heilerin und ging vor mir in die Hocke. Ich zuckte zusammen. Sollte ich wirklich vor all diesen Leuten meine Zähne zeigen? 
„Komm schon“, lachte Heilerin Mary versöhnlich und zwinkerte dann, „Ich beiß dich schon nicht“ 
Ich spürte meine Lippen zucken und presste sie automatisch gegen die scharfe Länge meiner Eckzähne. Hinter Heilerin Mary pfiff die nervöse Hexe mir gegenüber wieder durch ihren Teekessel. 
Und da begriff ich. Niemand würde mich hier erkennen. Lange Fangzähne zu haben war hier genauso normal wie einen Teekessel als Frisur. 
Langsam zog ich die Oberlippe zurück und fletschte meine Zähne. 
„Hui...“, murmelte Heilerin Mary und beugte sich näher an mich heran, „Die sind wirklich beeindruckend. Und du hast sie wirklich schon dein ganzes Leben?“ 
Schnell schloss ich den Mund wieder und nickte. „Und sie sind-... funktionstüchtig?“

Diesmal blickte Heilerin Mary zu Dr. Imre auf. 
„Sie besitzt Giftbeutel neben den Speicheldrüsen im Kiefer. Sie sind etwas kleiner als bei den normalen Vipern, aber da dieses Gift nur eine sehr geringe Dosis benötigt.... ja. Sie sind ganz eindeutig funktionsfähig“ 
Ich presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, in der Erwartung, dass Heilerin Mary nun zurück weichen würde. Doch das tat sie nicht. Stattdessen zog sie eine düstere Miene. 
„Ich werde die Giftbeutel ganz sicher nicht entfernen“, murmelte sie, „Das Zaubereiministerium besteht ja ohnehin nur darauf, dass ihre Fangzähne verschwinden. Wenn wir die entstehenden Zahnlücken mit guten Zahnprothesen auffüllen und damit die Giftkanälchen verschließen, sollte eigentlich nichts mehr passieren können. Allerdings muss ich dich wahrscheinlich stärker betäuben als gedacht“, wandte sie sich nun wieder an mich, „Natürlich werde ich dafür sorgen, dass du keine Schmerzen hast, aber ich werde die Muskeln um die Giftbeutel herum betäuben müssen, damit sie während der Behandlung nicht aus einem plötzlichen Nervenimpuls kontrahieren“ 
Ich war mir nur halb sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte, doch da weder Kristóf noch Dr. Imre Einwand erhoben nickte ich zustimmend. 
„Du bist ein tapferes Mädchen“, nickte Heilerin Mary und strich mir kurz übers Haar, bevor sie sich neben Kristóf auf einen Stuhl setzte und ihm das Klemmbrett reichte. 
Die beiden diskutierten über etwas, doch ich hörte nicht ganz zu. 
Meine Zähne. Das Zaubereiministerium hatte eine freundliche Bitte geäußert. Der Umstand, dass ich hoch giftig sein konnte und ein Tropfen aus meinen Fangzähnen reichte, um einen Ochsen umfallen zu lassen, hatte sie nervös gemacht. Peruanische Vipern waren dafür bekannt Menschen zu jagen, obwohl sie so klein waren. Sie waren aggressiv und sehr Instinkt gesteuert. Natürlich besaß ich diese Eigenschaften, wenn auch lang nicht so ausgeprägt und immerhin hatte ich nicht den Impuls plötzlich meine Mitmenschen anzufallen. Doch es blieb dabei. Das Ministerium war beunruhigt. Und da ich meine einzige Chance jemals eine Zaubererschule besuchen zu dürfen nicht gefährden wollte, hatte ich sofort zugestimmt und keine Stunde später eine Eule mit einer Überweisung zum St. Mungo Hospital für magische Erkrankungen erhalten. 
Das Britische Ministerium hatte den Heilern unter dem Siegel größter Verschwiegenheit meine Lage geschildert und man hatte sich einen Plan überlegt mich unauffälliger zu machen. Ich sollte die Haare gefärbt und die Zähne gezogen bekommen und außerdem Kontaktlinsen tragen, die so verzaubert worden war, dass sie den Blick des Betrachters von meinen Augen ablenkte. 
Doch natürlich war der wundervolle Plan des Ministeriums nicht ganz aufgegangen. Es hatte sich heraus gestellt, dass mein Haar sich nicht färben ließ. Die Farbe tropfte einfach in klebrigen Klümpchen und dünnen Rinnsalen wieder heraus, egal welche Tinkturen oder Farbstoffe die Heiler untergemischt hatten. Kristóf und Dr. Imre hatten schon den halben morgen in der Cafeteria verbracht, nur um mich dann von den Heilern wieder genau so zurück überreicht zu bekommen, wie sie mich vorher hatten abgeben müssen. Mein strahlend weißes Haar hatte natürlich alle Gäste auf mich aufmerksam gemacht und Kristóf hatte sich beeilt uns aus dem Raum zu scheuchen. 
Als nächstes hätte ich eigentlich meine Kontaktlinsen abholen sollen, doch auch da gab es gewisse Probleme. Die dünnen Glaslinsen konnten den Zauber anscheinend nicht halten oder wenn, dann nur mit erheblichen, medizinisch nicht zu vertretenden Nebenwirkungen. Alle Linsen hatten bei Verzauberungen und Einlegen in verschiedene Tränkeentweder die Farbe gewechselt oder brachten kein akzeptables Ergebnis. Das letzte Experiment brachte dann zwei Linsen hervor, die tatsächlich den gewünschten Effekt erzielten, jedoch von einem leichten, elektrischen Feld umgeben waren, das bei direktem Kontakt mit meinen Augäpfeln und über eine gewisse Zeit sicherlich Schäden hervorrufe würde. 
Als die Heiler Dr. Imre davon berichtet hatten, hatte ich so deutlich hörbar geschluckt, dass man mich mit Kristóf aus dem Raum gebeten hatte. Dr. Imre hatte sich uns kurze Zeit später wieder angeschlossen und wir waren erneut erfolglos von Dannen gezogen. Zwischenzeitlich war natürlich ein Beamter des Ministeriums erschienen, der mit der Heilern zu diskutieren versuchte, doch mit jedem Wort der magischen Mediziner wuchs mir ihr Berufsstand weiter ans Herz. Diese Hexen und Zauberer achteten auf ihre Patienten und ließen sich nicht auf die seltsamen Kompromissvorschläge des Ministeriumszauberers ein. 
Jeder Vorschlag einer weiteren, plastischen Veränderung, die über meine Zähne hinaus ging, lehnten sie ab. Was die Kontaktlinsen betraf, so musste man sich eben etwas anderes einfallen lassen, doch in dieser Form würde man sie mir nicht aushändigen, geschweige denn mir dazu raten sie zu tragen. Und ganz sicher würde man mir nicht die Haare schneiden. 
„Wird das denn so funktionieren?“, hörte ich Kristóf mit rauer Stimme fragen. Als ich zu ihm hinüber sah, rieb er sich die müden Augen. 
„Ich kann es nur hoffen“, gab Heilerin Mary zurück und erhob sich, „Was ich ihnen jedoch versprechen kann ist, dass ich Miss May keinen Schaden zufügen werde“ 
Sie blickte zu mir herab und ich nickte.
„Na dann komm mal mit“, sie streckte mir eine Hand entgegen.
5. Kapitel
Intermezzo in der Sonne
„Nicht so schnell, kis sárkány!“ 
Ich hörte Dr. Imre hinter mir rufen, doch ich war nicht zu bremsen. Es war schon später Nachmittag, unser Tag im St. Mungo hatte um sieben Uhr begonnen und nun war es bereits zwei! 
Gestern erst waren wir aus Ungarn angereist und hatten die Nacht in einem Muggelhotel verbracht, um uns erst einmal bedeckt zu halten. Doch jetzt gab es für mich kein Halten mehr. 
Die Winkelgasse! 
Kristóf und Dr. Imre hatten mir während der langen Wartezeiten davon erzählt. Beide waren schon einmal dort gewesen und nachdem wir das St. Mungo endlich verlassen hatten, hatte Kristóf einen Umschlag aus seinem Mantel gezogen, den ich sofort erkannte. Er musste ihn aus der Tasche meines Parkas stibitzt haben, denn ich ging nirgendwo mehr hin ohne diesen Brief. 
„Mal sehen, ob sich die Liste überhaupt noch lesen lässt“, hatte er gewitzelt. 
Sein Lächeln war noch ein wenig verkrampft gewesen, jedoch ehrlich. Ich hatte überhaupt nicht verstanden, wieso wir erst unsere Koffer hatten holen müssen. Warum konnten wir nicht gleich in die Winkelgasse? Doch Kristóf und Dr. Imre weigerten sich beide mir das zu erklären und von Sekunde zu Sekunde wurden beide entspannter und fröhlicher. Nicht nur ich schäumte über vor Glück. Während ich durch die Menge huschte wie ein kleiner Schatten und von niemandem weiter beachtet wurde, rauschten Zeit, Schatten und Farben tanzend an mir vorbei. Ich spürte die Hitze unter meinem Parka, doch dieses Mal machte sie mir kaum etwas aus. Die Kapuze musste ich nur noch tragen, bis wir unser Ziel erreicht hatten. 
An meinen Haaren hatten sie nichts ändern können und sie schließlich als geringstes Übel akzeptiert. 
Ich sprang auf eine niedrige Mauer und tanzte über die warmen Steine. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so lebendig gefühlt. Ich war frei! Ich durfte gehen wohin ich wollte! 
„Langsam, kis sárkány!“, lachte Dr. Imre, packte mich von hinten und hob mich schwungvoll von der Mauer. 
Ich musste lachen, laut lachen, und einige Muggel drehten sich zu uns um. Manche lächelten. Keiner sah uns ein zweites Mal an. Was für ein Bild wir wohl abgeben mussten? Für einen Moment konnte ich uns sehen. Kristóf mit Dr. Imres und seiner Jacke über dem Arm, in Hemd und Anzugshose, viel zu schick für einen so normalen Tag, neben sich die zwei Koffer von ihm und Dr. Imre. 
Dr. Imre selbst, der mich hochhob und durch die Gegend wirbelte, so wie er es getan hatte, als ich ein kleines Kind gewesen war, lachend und mit in der Sonne schimmerndem
Haar. 
Und ich sah mich. Die Kapuze fiel mir über die Augen und auf die neue Brille, doch sie saß gut. Die Heiler hatten sie mir auf den Millimeter genau angepasst. Ich lachte. Lachte laut und mit offenem Mund und offenbarte dabei strahlend weiße, gerade Zähne. 
Zuerst hatte ich den Verlust meiner Zähne bedauert. Sie waren ein Teil von mir gewesen. Sie hatten meine Herkunft bezeugt. Waren ein für mich immer spürbares Merkmal gewesen, dass mich anders machte, eine Erinnerung an meine Herkunft und meine Familie. 
„Hier“ 
Mir war immer noch ein wenig schummrig gewesen, als ich mich in dem großen Behandlungsstuhl aufgesetzt hatte, doch das, was Heilerin Mary mir hinhielt hatte ich sofort erkannt. 
„Trag sie“, hatte die Heilerin mich angelächelt und mir das schwarze Lederband über den Kopf gestreift und war dann erneut vor mir in die Hocke gegangen. 
Sie hatte mir die Hände auf die zitternden Knie gelegt, als ich mit bebenden Fingern die Anhänger der Kette angehoben hatte, um sie mir ganz genau anzusehen. 
„Nur weil du sie nicht mehr im Mund hast, heißt das nicht, dass du kein Drache mehr bist“, hatte Heilerin Mary mir erklärt, „Auch Menschen haben Zähne und wenn sie wollten könnten sie damit zubeißen. Du hast jetzt lediglich deine Zähne gegen einen Zauberstab eingetauscht. Das macht dich aber noch lange nicht zu einer anderen Person“ 
Und da war ich ihr um den Hals gefallen und sie hatte gelacht. 
Dr. Imre und Kristóf waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen, als ich kurze Zeit später mit Heilerin Mary aus dem Behandlungsraum gekommen war, um den Hals eine Kette mit vier beeindruckend langen Giftzähnen daran. Und dann hatte ich sie angelächelt und irgendwie war da die Anspannung von uns allen abgefallen. Ich war immer noch kis sárkány. Und ich würde es auch immer bleiben. Ganz egal was das Zaubereiministerium auch versuchte. 
Vorsichtig stellte Dr. Imre mich wieder auf meine eigenen Füße und ich wartete geduldig, bis er Kristóf dankend seinen Mantel abgenommen hatte und nach seinem Koffer griff. 
Mit einem plötzlichen Aufwallen von Nervosität schob ich die Riemen meines Rucksacks um meine Schultern wieder zu Recht und schob vorsichtig meine Brille wieder nach oben. 
„Miss May“ 
Galant reichte Kristóf mir die Hand, die ich ergriff. Als wir zwei Straßen weiter um eine Ecke bogen, in eine Straße, die nicht mehr zu bieten hatte als eilig vorbei eilende Muggel, einen antiquarischen Buchladen mit reichlich seltsamen Sortiment und dem schmuddeligsten Pub, den ich je gesehen hatte, blieben wir kurz stehen und Dr. Imre und Kristóf warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. 
„Na, dann los“, murmelte Dr. Imre und Kristóf und ich folgten ihm durch die Tür mit der abblätternden Farbe in das düstere Gebäude. 
Sofort stürmten tausend neue Empfindungen auf mich ein. Geräusche und Gerüche ordneten sich zu einem Bild, dass ich hinter dieser unheimlichen Fassade nicht erwartet hatte. Der Schankraum war tief verwinkelt und es herrschte gedämpftes Licht, nur wenige Sonnenstrahlen brachen durch die schmutzigen Fensterscheiben und goldener Staub tanzte über den zerschrammten, hölzernen Tischen. Die Luft war voller Pfeifenqualm, dem Dampf von heißem Eintopf in Holzschalen und dem Geruch nach gutem Ale, Holzrauch aus dem Kamin, Kaffee und warmen Steinen. Hinter dem alten Tresen, dessen Holz glänzte wie frisch poliert, auch wenn es von dutzenden Kratzern und Brandflecken bedeckt war, stand ein dünner, hoch gewachsener Mann mit leicht schütterem Backenbart und dünnem, braunem Haar. Er lehnte mit den Ellenbogen auf dem Tresen und unterhielt sich angeregt mit einem übergroßen Mann, der ein Bär hätte sein können, riesengroß und das Gesicht und der Kopf voller krauser, dunkler Haare. Hinter ihm tanzte eine Parade aus Krügen durch ein Becken voller Seife und einige regenbogenfarbene Blasen dümpelten über seine Schultern hinweg in den Schankraum, in dem ein bunter Haufen aus Hexen, Zauberern und anderen Kreaturen beisammen saß, wie ich sie teilweise noch nie gesehen hatten. Sie lasen Zeitung oder saßen tratschend bei einer Schüssel Eintopf und einem starken Feuerwhiskey beisammen, während andere den Raum über schmale Treppen in den ersten Stock oder durch eine Tür in den Hinterhof des Pubs verließen oder betraten. 
Ich konnte mich nicht satt sehen daran, während Dr. Imre an den Tresen trat. Der Wirt stemmte sich hoch und begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln. 
Ich nahm all das nur halb wahr, bis ich plötzlich spürte, wie mir jemand die Kapuze vom Kopf zog. 
„Komm, kis sárkány“, brummelte Kristóf liebevoll, während sich einige Hexen und Zauberer kurz zu uns umdrehten und sich dann völlig unbeeindruckt wieder abwandten.
6. Kapitel
Viper im Blut
Der Wirt hieß Tom und wirkte aus der Nähe viel jünger als ich gedacht hatte. Sein Gast an der Bar stellte sich uns mit großer Begeisterung als Rubeus Hagrid vor und legte gleich nochmal so viel Enthusiasmus nach, als er die Zähne an meiner Halskette erspähte. Er erkannte sie sofort als Drachenzähne und machte mich damit ein wenig kribbelig, doch Dr. Imre schalteten sich fröhlich dazwischen und berichtete ihm von unserer Heimat. Ganz im Gegenteil zu all den anderen Zauberern, die ich bis jetzt so kennen gelernt hatte, die Heiler aus dem St. Mungo einmal ausgenommen, fühlte der Riese sich von meiner Verwandtschaft keineswegs abgestoßen. Ganz im Gegenteil spürte ich sofort ein fast magisches Aufwallen in ihm, jedes seiner Haare schien sich aufzurichten in euphorischer Freude. 
Drachen. Er liebte sie, jede Schuppe an ihnen, jede Kralle, jede Flamme. 
Zuerst war auch Kristóf misstrauisch, doch Hagrid wusste derartig viel über die Drachenpflege, dass er schnell sein Interesse weckte. Denn der junge Zauberer schien genau die richtige Meinung von Drachen zu haben, so wie Kristóf sie jedem Menschen abverlangte und das ganz ohne dass er ihn vorher mit bösen Blicken und scharfen Worten hatte bearbeiten müssen. Auch von mir war Hagrid begeistert, doch Dr. Imre brachte mich schnell in Sicherheit und bezog mit mir zusammen unsere drei reservierten Zimmer, während Kristóf bei Hagrid an der Bar verblieb und sogar seinen obersten Hemdenknopf öffnete. 
„Mal sehn“, murmelte Dr. Imre, als er sich neben mich auf mein Bett fallen ließ und studierte aufmerksam die Liste aus meinem Brief, „Du brauchst natürlich eine Eule“, lächelte er und blickte kurz zu mir auf, „Ich erwarte jede Woche mindestens zwei Briefe“ 
Ich kicherte. 
"Ich wette Kristóf hätte lieber drei Eulen am Tag“, scherzte ich. 
„Oh ja, und das solltest du nicht so auf die leichte Schulter nehmen. Ich bin schon ehrlich erstaunt, dass die Reise nach London so glatt gelaufen ist“, meinte Dr. Imre mit belustigt hoch gezogenen Augenbrauen. 
„Warum?“, fragte ich erstaunt. 
Außer Kristófs üblicher Nervosität, die immer auftrat, wenn er das Reservat verlassen musste, hatte ich an dem grauen Drachenwärter nichts bemerkt. 
„Glaubst du, er gibt dich gern her?“, fragte Dr. Imre verblüfft, „Du hast ja keine Ahnung wie viel Schokoladenkuchen ich ihm kaufen musste, damit er dich in St. Mungo den Heilern überlassen hat“ 
Wieder musste ich leise Lachen. Schokolade war Kristófs heimliche Leidenschaft, auch wenn er es niemals zugeben würde. 
„Wir müssen ihm welche für übermorgen kaufen“, schlug ich vor. 
„Oh ja, das müssen wir“, grummelte Dr. Imre fröhlich, „Mal sehen wie viele Wagenladungen wir brauchen werden“, da ließ er die Liste sinken, blickte von der Seite her zu mir herüber und seufzte, „Wann bist du nur so groß geworden, kis sárkány?“, fragte er, legte mir einen Arm um die Schultern und zog mich an sich. 
„Weiß nich“, nuschelte ich, während ich mein Gesicht in seinem Hemd vergrub, „Irgendwann zwischendrin“ 
„Das war aber ein sehr langes und volles Zwischendrin“, erwiderte Dr. Imre. 
Darauf konnte ich nicht antworten. Der Abschied von meiner Familie war mir schwer gefallen. Und nicht nur das. Ich wusste, ich würde zurück kommen, doch das Reservat zu verlassen... Natürlich war ich auch schon vorher außerhalb seiner schützenden Mauern gewesen. Doch nicht oft. Man hatte mich nicht gelassen. Es hatte große Streitigkeiten mit dem Ungarischen Ministerium und den internationalen Vereinigungen gegeben und natürlich waren sie nicht unbemerkt an mir vorbei gezogen. 
Und mit sieben Jahren hatte ich mich plötzlich der Frage stellen müssen, wie es wäre, nicht am Leben zu sein. Ich konnte gut lesen und schreiben und Kristóf und Dr. Imre förderten mich, wo sie nur konnten. Im Reservat, das freilich von beachtlicher Größe war, hatte ich Zutritt zu allen Räumlichkeiten. So auch zu Kristófs Büro, wo ich an seinem übergroßen Schreibtisch mit Tinte und Federkiel das Schreiben übte. 
Damals hatte es mein kleines Haus in meinem Gehege noch nicht gegeben. Das Ministerium hatte streng darauf geachtet, wie ich mein Leben zu führen hatte. Sie hatten versucht mich von meiner Familie zu trennen, doch Kristóf hatte ihnen Unmenschlichkeit vorgeworfen und so hatte man mir lediglich ein eigenes Gehege errichtet, dass ich unter Aufsicht verlassen durfte. Bis zu dem Tag, an dem Kristóf der Kragen geplatzt war. Dies war sein Reservat, der Grund und Boden gehörte seiner Familie, die Drachenwärter, die hier arbeiteten waren bei ihm angestellt und standen alle hinter ihm und das hier waren seine Drachen. Ihm zu drohen, ihm die Erlaubnis zur Drachenzucht zu verweigern konnte sich das Ministerium nicht leisten, er brachte ihnen zu viel Geld ein und wohin mit all den Drachen, wenn es ihn nicht mehr gäbe? 
Danach waren die Gitter und Mauern nur noch eine Art greifbare Metapher gewesen, in der ich mich aufhielt, wenn ich die Gestalt eines Drachen annahm. Das Halsband jedoch war geblieben. 
Ich hatte den Brief gefunden, weil er so eindeutig nach Angstschweiß roch. Das kam häufiger vor, Zauberer die an Kristóf schrieben taten dies häufiger auf Grund großer Probleme, bei denen sie seine Hilfe benötigten. Doch bei diesem Brief war es anders. Ich roch keine fremde Angst daran, sondern die von Kristóf. Tagelang hatte ich versucht den Brief zu ignorieren. Kristóf hatte ihn jeden Tag an einem anderen Ort versteckt, er schien ihn die ganze Zeit mit sich herum zu schleppen, doch ich fragte ihn nicht danach. Doch dann blieb der Brief plötzlich immer am selben Ort und der Geruch wurde langsam schwächer. Nicht jedoch das mulmige Gefühl, dass sofort stärker wurde, wenn mich Kristóf dieser Tage ansah. Aus dem ganzen Reservat schien die Freude gewichen zu sein, hektarweise Land verströmten plötzlich kaum noch etwas einladendes und die Drachen wurden deshalb unruhig. Es kam zu Unfällen, bis ich Kristóf schließlich eines Tages in seinem kleinen Haus vorfand, wo er vornüber gebeugt auf der Kante seines Bettes saß und lautlos weinte. 
Dieser Anblick hatte mich bis ins Mark getroffen. Ich floh, in der Gestalt eines Drachens, doch das Reservat, vorher so endlos, wirkte plötzlich unglaublich klein auf mich. Als ich mitten in der Nacht voller Matsch und Blättern wieder zu Kristófs Hütte zurück kehrte, warteten er und Dr. Imre dort auf mich. Auf dem Tisch stand eine Flasche Goldlackwasser mit zwei Gläsern und eine Flasche Butterbier für mich. Butterbier gab es sonst nur, wenn meine Geschwister und ich Geburtstag hatten. 
Was darauf folgte war nichts, was ein siebenjähriges Mädchen hätte hören sollen. Doch es betraf mich. 
Peruanische Vipern wurden von den Zauberern gejagt und getötet. Sie vermehrten sich zu schnell und waren für Muggel wie für Zauberer gleichermaßen gefährlich. Zwar handhabte Kristóf seine Zucht in seinem Reservat so, dass er von ihrem Dung und ihrer Haut profitierte, wenn sie diese im Leben abwarfen, und sie bei ihm eines natürlichen Todes starben, doch leider war er, was das anging, der Einzige. Das gefiel dem Ministerium gar nicht. Kurzum: man hatte beschlossen ihm seine Peruanischen Vipern abzunehmen. Der Betrag, den sie abwarfen, war entbehrlich. 
Natürlich war all das nur eine Farce. Denn nicht nur meine Mutter war eine Peruanische Viper, sondern auch zwei meiner Geschwister waren als solche eingetragen worden, da sie schwarze Schuppen besaßen. Mein dritter Bruder war als Antipodisches Opalauge eingetragen, da er weiße Schuppen trug. Doch in unserer aller Adern floss das Vipernblut. Und ich war ein Drache, wie sie. Es hatte lange gedauert, bis 
Dr. Imre und Kristóf es geschafft hatten, mir die Auswirkungen dieses Beschlusses zu erklären. Als die Worte bis zu mir durchgedrungen waren, hatte ich angefangen zu schreien, dann zu weinen. 
Zuerst wegen meiner Mutter. Dann wegen meiner Geschwister. Bis ich schließlich erfasste, dass all dies auch mich betraf. 
Den Tag vor unserer Abreise hatte ich größtenteils als Drache verbracht. Es war meine letzte Möglichkeit gewesen. Außerhalb des Reservates war mir meine Verwandlung untersagt worden, was mich schmerzte. Ich sollte den Drachen in mir begraben und ganz Hexe werden. 
Mein Rucksack mit meinen wenigen Habseligkeiten war längst gepackt. Ich wusste das Kristóf und 
Dr. Imre mir gern mehr gegeben hätten, doch das Geld dafür stammte vom Ministerium und überschritt kaum das Mindestmaß, dass eine junge Hexe zum Leben brauchte. Ich überflog das ganze Gelände in einem Tag, bis mir am Abend die Flügel schmerzten. Dann aß ich mit Kristóf zu Abend und traf mich, als die Sonne schon längt unter gegangen war, mit Dr. Imre vor dem Gehege meiner Brüder. 
Er wünschte mir eine gute Nacht, ließ mich ein und zog sich dann zurück. Als Drache schlich ich lautlos in die Mitte des Geheges. Unter einem Felsvorsprung, nah am Ufer eines nachtschwarzen, kleinen Sees, auf dessen Oberfläche sich das kalte Licht der Sterne spiegelte, nahm ich das schwache Glimmen von Feuer wahr. Ich schlich unter das Felsdach und schob meinen weiß geschuppten Körper über den glühenden Boden, ein Glutnest, aufgeheizt vom Atem dreier Drachen. Ich ließ meinen eigenen Atem über die Erde gleiten und kleine, bunte Funken stoben auf, zwei schwarze und ein weißer Leib regten sich schläfrig, doch sie hatten mich längst erkannt. Allgemeine Bewegung geriet in das Knäul aus Leibern und machte mir Platz, bis ich mich mit dem Kopf an drei weitere, heiße Schnauzen schmiegte. Ihr Atem strich über meine wärmer werdenden Schuppen und ich breitete meine schmerzenden Schwingen gleichermaßen über ihnen allen aus, so wie auch sie es taten. Ich sog ihren Duft ein, den Duft nach Heimat und Familie, den ich so schmerzlich vermissen würde. 
Ganz egal, was die Zauberer und Hexen dieser Welt auch aus mich machten, in meinem Blut schlängelte sich doch immer der schuppigen, giftige Leib einer Viper. Und irgendwie machte mich das... stolz.
7. Kapitel
Der Schöne und das Biest
Wir hörten fast gar nicht, wie sich die Tür öffnete und leise wieder schloss. Natürlich hätte ich es bemerken können, doch Dr. Imre war schon immer der Einzige gewesen, der es geschafft hatte, mich meine Instinkte vergessen zu lassen. 
„Hey ihr beiden“ 
Was eine eiskalte Lüge war. Er war nicht ganz der Einzige. Kristof setzte sich auf meiner anderen Seite auf das alte Himmelbett, dessen Matratze unter seinem Gewicht gefährlich absank. Staub wirbelte von der Bettdecke auf. 
Ohne mich aus Dr. Imres Umarmung zu lösen tastete ich mit einer Hand nach ihm und er ergriff sie, ohne zu zögern. 

Eine halbe Stunde später stand ich wieder auf dem Flur. Ich hatte versucht mich heraus zu putzen, doch ich wusste nicht so genau, worauf ich mich hier einließ. Lieber besonders schick? Also das Kleid, dass ich immer zu Verhandlungen im Ministerium getragen hatte? Nein, das Ding ganz sicher nicht. Wenn möglich würde ich es überhaupt nicht mehr anziehen. Allerdings erschienen mir die Kleider, die ich heute morgen und auch sonst im Reservat trug nicht allzu passend. Zwar hatten wir sie gewaschen, doch die Jahre hatten den Stoff von Jeans und Shirt an mehreren Stellen verfärbt und trotz der vielen Flicken klaffte am rechten Knie der Jeans schon wieder ein neuer Riss. Doch es half alles nichts. 
Ich nahm sogar den Parka mit, den Kristóf mir heute morgen zur Tarnung aufgezwungen hatte, denn er war zwar viel zu warm für dieses Wetter, doch wenigstens halbwegs neu. Nun, im fahlen Licht des Flures, sah ich mich verunsichert nach Kristóf oder Dr. Imre um. Sie hatten ihre eigenen Zimmer beziehen wollen, mir aber nicht gesagt, wie lange sie dafür brauchen würden. Und ihre Gerüche unter all den Anderen in diesem staubigen Flur ausfindig zu machen war schwierig...
Zurück ins Zimmer wollte ich eigentlich nicht, also schloss ich die Tür ab und ließ den Schlüssel in eine meiner Jackentaschen gleiten. Zwar wirkte es nicht so steril wie die kleine, weiße Abstellkammer, die ich in dem Muggelhotel bezogen hatte, doch man sah dem Raum trotzdem an, wie selten er bewohnt wurde. Mit all seinen zusammen gewürfelten Möbeln, dem Staub und dem Fenster zur Straße wirkte er sehr leer. Doch sollte ich einfach hier stehen bleiben? 
In diesem Moment öffnete sich am Ende des Ganges eine der Zimmertüren und ein Mann trat heraus. Er war dünn und hatte graues, wild abstehendes Haar und trug einen Umhang voller Flicken und Beulen, der sehr seltsame Geräusche von sich gab. Er warf mir einen scheelen Blick zu und lächelte dann, wobei er gelbliche, runde Zähne entblößte. 
Es war mein Instinkt, der mich zwang die Flucht zu ergreifen. Doch wo waren die Zimmer von Kristóf und Dr. Imre? In welcher Tasche hatte ich den verdammten Zimmerschlüssel? Meiner Angst dauerte die ganze Fragenstellerei in meinem Kopf viel zu lange und sendete fast sofort ein Signal an meine Beine, die mich herum wirbelten und fast rennend Richtung Treppe trugen. Eilig huschte ich die knarrenden Stufen hinab und stand wenige Sekunden später im großen Schankraum, wo ich sofort wie angewurzelt stehen blieb. 
Mehr Menschen versprachen Sicherheit, doch von Dr. Imre oder Kristóf war weit und breit nichts zu sehen. Überall sah ich bloß unbekannte Gesichter. Wieder nach oben? Auf keinen Fall! 
„Da ist ja unsere kleine Drachenlady“, rief eine dröhnende Stimme fröhlich und ich zuckte zusammen. 
Es war der Mann, der wie ein Bär aussah, Rubeus Hagrid, mit dem sich Kristóf so gut verstanden hatte. Der Name, mit dem er mich angesprochen hatte, bezog sich wahrscheinlich auf unser Zuhause. Kristóf hatte ihm davon erzählt. Er konnte es nicht wissen. 
Vorsichtig trat ich aus dem Schatten einen Schritt näher an den Tresen heran. 
„Hallo, Sir“, murmelte ich höflich. 
„Sir?“, dröhnte der Bär und lachte dann, ein warmes, grollendes Lachen, „Haste das gehört, Tom? Die kleine Lady nennt mich Sir“ 
„Gute Manieren nennt man das“, frohlockte der Wirt, schwang seinen Zauberstab und ein Tablett mit drei Gläsern Sherry segelte über die Köpfe der Besucher hinweg zu einem Tisch, an dem drei ältere Hexen saßen. 
Das Strickzeug vor ihnen strickte fröhlich von allein, während sie tratschten und das Tablett mit einiger Begeisterung in Empfang nahmen. 
„Sehr Gute“, bestätigte Rubeus Hagrid und an der Art, wie sich sein Bart hob, konnte ich erahnen, dass er zu mir herab lächelte, „Aber das musste bei mir nich machen. Nenn mich Hagrid“ 
Er streckte mir eine Hand entgegen, vier Mal so groß wie Meine. Kein normaler Mensch konnte so groß sein! Auch nicht, wenn er ein Zauberer war. Ich ergriff zwei seiner Finger und schüttelte sie vorsichtig, während ich versuchte, möglichst unauffällig tief einzuatmen. 
Er roch nach Erde und kalter Luft, nach frisch gespaltenem Holz und nassem Hundefell. An seinem schweren Mantel hafteten noch gefühlt hundert andere Gerüche, von denen ich erstaunlicherweise nur wenige identifizieren konnte. Ich roch etwas wie lebendiges Holz, außerdem Pferde, doch das was ich noch roch passte irgendwie nicht zusammen. Alles knisterte nur so vor Magie. Und unter all dem Wirrwarr nahm ich Hagrids tatsächlichen Duft wahr. 
Er war ein Mensch, ja. Aber ganz sicher nicht nur das. Erstaunt stellte ich fest, dass er ein Halbblut sein musste, auch wenn ich nicht wusste, was da in seinem Blut schlummerte. Es roch roh und wild, nach Moschus und Felsen, doch auch hier konnte ich nicht sagen, was es war. 
Meine Augen wurden groß, doch glücklicherweise hatte mir Hagrid gerade eine Frage gestellt, die er mir meinem Gesichtsausdruck bestätigt sah. Schnell versuchte ich mich daran zu erinnern, was er gesagt hatte. 
„Was ist Kürbissaft?“ 
Bei diesen Worten schwieg Hagrid verblüfft und hinter ihm sah ich, wie Tom eine Augenbraue hochzog. 
„Ich glaube nicht, dass es das auch bei uns zu Hause gibt“, beeilte ich mich zu sagen und am Ende des Satzes bröckelte vor Aufregung meine englische Aussprache ein wenig, was Tom schmunzeln ließ. 
„Na dann komm ma ́ her“, lachte Hagrid und plötzlich spürte ich seine riesigen Pranken unter meinen Armen. 
Er hob mich hoch, als wöge ich nicht mehr als ein Knuddelmuff und setzte mich neben sich an die Bar auf einen hohen Hocker. 
„Hier“, Tom stellte einen Krug vor mir ab. 
Ich roch Kürbis, natürlich, doch auch Orangen und Gewürze. 
„Wir passen mal auf dich auf, bis deine Herrn Hüter wieder da sind“, zwinkerte er mir zu.
Ich fand es schön, wie er Dr. Imre und Kristóf nannte und ich brauchte meine Drachensinne nicht zu bemühen um zu wissen, dass es die beiden gut mit mir meinten. Sie waren ein bisschen wie die anderen Drachenwärter im Reservat. Auch sie hatten immer auf mich aufgepasst, wenn Direktor Zoltán oder der Drachenarzt des Reservats, Dr. Imre, gerade mal nicht da gewesen waren. 
Ich griff mit beiden Händen nach dem Krug und spähte neugierig über den tönernen Rand. Das Getränk war von leuchtend orangener Farbe und es schwammen ein paar Stücke Eis darin. Kurz zuckte mein Blick zu Tom, der mir ermutigend zunickte, bevor ich den Krug vorsichtig an die Lippen setzte und einen kleinen Schluck trank. Es war vielleicht nicht ganz so gut wie Butterbier, doch ich liebte es sofort. Als Tom und Hagrid meinen begeisterten Gesichtsausdruck sahen, schmunzelten beiden, Tom wandte sich wieder seinen anderen Gästen zu und Hagrid nahm zufrieden einen Schluck aus seinem übergroßen Krug. 
Gerade wollte ich verstohlen einen Blick zur Treppe werfen, weil mich innerlich das schlechte Gewissen plagte, ob Dr. Imre oder Kristóf sich Sorgen machen würden, wenn sie bemerkten, dass ich nicht in meinem Zimmer war, da spürte ich, wie meine Ohren automatisch nach hinten zuckte. Erschrocken wandte ich mich der Tür zu, einige Sekunden, bevor sie aufgestoßen wurde und schwungvoll gegen die Wand dahinter krachte. 
Ein Schwall aus Hitze wirbelte Straßenstaub und eine Gruppe Menschen herein. Die Frau keifte immer noch vor sich hin, ich hatte sie sogar schon auf der Straße gehört. Obwohl sie wirklich schönes Haar hatte, so dunkel, dass es fast schwarz wirkte, war sie wohl die hässlichste Hexe, die ich je gesehen hatte. Ihr Gesicht war voller Warzen und Falten, sie schielte und ihre Nase ragte wie eine Felsklippe zwischen ihren Augen hervor. Sie schielte sogar! Die eine Klauenhand hatte sie fest um die Schulter eines Jungen gelegt, der ungefähr in meinem Alter sein musste und der ihr komplettes Gegenteil darstellte. 
Groß gewachsen mit einem Ansatz von breiten Schultern. Er hatte ihre Haarfarbe, doch wellte sich sein Haar leicht, bis hinab zu seinen Schultern und seine stahlgrauen Augen blickten wachsam in den Raum. Den beiden folgten, als sie den Raum durchquerten, ein hagerer, kränklich aussehender Zauberer und ein Junge, der praktisch das exakte Ebenbild seines älteren Bruders war. Doch auch er wirkte kränklich, blass und ein wenig zu dünn. 
Alle liefen sie am Tresen vorbei, ohne mir Beachtung zu schenken. Nur der kleine Junge, der neben seinem Vater her hastete, um mit seiner Mutter Schritt zu halten, warf mir einen verstohlenen Blick zu und blieb dann stehen, mit offenem Mund und großen Augen. 
Ich starrte zurück. Was blieb mir auch anderes übrig? 
„Regulus!“ 
Die Stimme der keifenden Hexe knallte wie eine Peitsche in den Raum und selbst ich zuckte zusammen. Sie hatte auf dem Absatz kehrt gemacht und ihren älteren Sohn endlich losgelassen. Stattdessen nahm sie sich nun ihres Jüngsten an und schleifte ihn schimpfend an der Bar vorbei durch die Tür zum Hinterhof. 
Der Ältere jedoch blieb noch einen Moment stehen und musterte mich. Für einen Moment glaubte ich, in der glatten Fassade seines hübschen Gesichtes ein Lächeln gesehen zu haben, dann jedoch wandte er sich ab und folgte seiner Familie hinaus in den Hof.
8. Kapitel
Das Bouquet
Zum Glück war es Dr. Imre, der mich durch Zufall unten im Schankraum fand. Er hatte geduscht, in seinen Haarspitze sah ich immer noch einige Wassertropfen glitzern, und war nur herunter gekommen, um Tom darüber zu informieren, dass einer der vorherigen Gäste ein paar Würgender Umhänge in seinem Kleiderschrank zurück gelassen hatte. 
Es war wohl diskussionswürdig wer von uns beiden geschockter dreinblickte. Ich, weil sich jetzt schon deutlich sichtbare Male an seinem Hals abzeichneten, er, weil er mich hier unten vorfand. Allein. Kristóf hätte in einer plötzlichen Panikattacke über meine Abwesenheit wahrscheinlich völlig den Kopf verloren. 
"May!", rief er aus und stürzte fast die letzten Treppenstufen nach unten, wo er auf mich zu hastete und mich an den Schultern packte, "Mit csinálsz te itt?" 
Vor Schreck konnte ich ihm nicht wirklich antworten, sondern starrte nur voller Entsetzen auf die anmutigen, stark verfärbten Linien an seinem Hals. Meine Nasenflügel blähten sich automatisch und ich sog seinen Duft ein. Nach Blut roch er nicht, doch unter der Seife, dem Wasser und seinem eigenen, natürlichen Geruch nach Fuchsfell, Kaffee, frisch geschnittenes Gras und geflochtenem Binsen nahm ich noch etwas Anderes wahr. Bitter wie Galle und genauso stechend im Geruch. 
Dr. Imre bemerkte meinen Blick, der wie gebannt an seinem Hals klebte, und hob die Hände vorsichtig an mein Gesicht, um mich dazu zu zwingen ihn anzusehen. 
"Kis sárkány?" 
Stotternd berichtete ich ihm von der Leere des Zimmers, dem unheimlichen Zauberer im Flur und wie ich mich praktisch hierher verirrt hatte. Dabei wechselte ich ständig zwischen Englisch und Ungarisch. Am Ende klang die kurze Geschichte meiner Abwesenheit im ersten Stock zwar selbst für mich verwirrend, doch es reichte aus, dass Hagrid und Tom zu lachen anfingen und Dr. Imre mir liebevoll durchs Haar wuschelte. Er überließ mich erneut Hagrids Fürsorge, als er, gefolgt von Tom, noch einmal in den ersten Stock zurück kehrte. Zwar hatte er dem Wirt beteuert, sich bereits selbst um das Problem gekümmert zu haben, doch mit einem finsteren Blick auf Dr. Imres Hals folgte Tom ihm trotzdem nach oben. 
Später erzählte mir Dr. Imre, dass sie im ersten Stock einen reichlich aufgelösten Kristóf vorgefunden hatten, der kurz davor stand den Pub auseinander zu nehmen. 
"Du siehst grauenvoll aus", knurrte Kristóf zehn Minuten später und musterte ebenfalls kritisch die Striemen an Dr. Imres Hals. 
Der seufzte, holte seinen Zauberstab aus seinem Umhang hervor und mit einem eleganten Schlenkern erschien ein dünner, dunkelblauer Schal vor ihm in der Luft, der sich von allein um seinen Hals wickelte und damit das Schlimmste verbarg. 
Die beiden Drachenwärter standen, nun wieder gekleidet wie Zauberer, vor der Tür zum Innenhof des tropfenden Kessels und beugten sich diskutierend über meine Einkaufsliste, als ich es einfach nicht mehr aushielt. Leise schlüpfte ich an ihnen vorbei, durch die Tür und fand... nichts. 
Jedenfalls nichts, was der Rede wert gewesen wäre. Denn ich stand tatsächlich in einem langweiligen, kleinen Innenhof Er war nicht einmal besonders groß, gemauert aus schlichten Ziegelsteinen, ohne ein Fenster oder irgend eine Tür. Zwischen den Steinplatten des Bodens wuchs platt getretenes Unkraut und in einer Ecke stand sogar eine große Mülltonne aus Blech. 
Ich war enttäuscht. Sehr enttäuscht. Wohin waren all die Hexen und Zauberer verschwunden? Es waren dutzende von ihnen durch die kleine Tür in den Innenhof verschwunden! Sie konnten sich ja schlecht in Luft aufgelöst haben. Kurz erschien ein Bild vor meinem inneren Auge. Dunkle Haare und stahlgraue Augen in einem blassen Gesicht. Wo war er hin? 
Automatisch sah ich nach oben. Ein Drache schaut immer auch nach oben, wenn er seine Umgebung in Augenschein nimmt. Doch alles, was ich sah, war ein winziges Stückchen blauer Himmel, eingerahmt vom Viereck der Mauern. 
„Seit wann wären wir denn so gemein, dich derartig auf den Arm zu nehmen?“, fragte Kristóf da hinter mir, beugte sich mit einem Lächeln über mich hinweg und zückte seinen Zauberstab. 
Konzentriert musterte er die gegenüber liegende Wand aus Ziegelsteinen, dann tippe er mit der Spitze seines Stabes auf einen Ziegel in seiner Augenhöhe, dann auf einen schräg rechts darunter, dann auf den nächsten Ziegel und auf den nächsten, bis er inne hielt. Für einen Moment geschah überhaupt nichts und nun war ich wirklich überzeugt, dass mich die beiden verulken wollten, doch da drang das raue Kratzen von Stein auf Stein an mein Ohr. Vor mir schob sich einer der Ziegel in seiner Mauer zur Seite, dann noch einer. Die ganze Wand geriet in hektische Bewegung und Stein um Stein wanderte zur Seite, um einen großen Torbogen zu bilden. 
„Willkommen in der Winkelgasse“, sagte Kristóf. 

An diesem Nachmittag wäre ich wirklich gern der Drache Ladon aus den Legenden gewesen. Hundert Köpfe hätte ich wirklich gut gebrauchen können. Denn egal was ich auch tat, ich konnte nie alles gleichzeitig betrachten und das wollte ich mehr als alles Andere. Wenn schon der Tropfende Kessel einen Sturm aus neuen Eindrücken auf mich hatte niederprasseln lassen, war das nichts dagegen, was die Winkelgasse in mir auslöste. 
Hektisch schob ich mir immer wieder die Brille zurecht, obwohl sie gar nicht verrutscht war, und stürzte von einem Schaufenster zum nächsten, wobei ich permanent mit den Gläsern gegen die Scheiben klatschte. Ich spürte das Trommeln der Schritte aller Passanten wie ein Erdbeben in meinen Körper, die viele Bewegung um mich herum schlug Wellen in meinem Innern, die schnell zu einem Tsunami heran wuchsen. Er toste über meine Küsten und Strände und riss meine inneren Städte nieder. 
Dem Drachen in mir, dem Drachen May, hätte das Angst gemacht. Doch Roselynn, die Hexe-... ich liebte es. Der Sturm in mir fegte endlich den Staub von mir fort und darunter war ich praktisch nackt, nur ausgestattet mit meinem Wissen, meinem Charakter und meinen Fähigkeiten, die ich hier neu justieren musste, bereit, mir eine neue Haut wachsen zu lassen. 
„Langsam, kis sárkány!“, rief Dr. Imre mir nach, doch ich hörte ihn gar nicht. 
Gebannt von etwas, das ich gerade erst erspäht hatte, verschwand ich in einer Gruppe von Hexen und war aus seinem Blickfeld verschwunden. 
„May!“ 
„Ruhig, Daniel“, Kristóf fasste seinen jüngeren Kollegen an der Schulter, der kurz davor stand die langsam schlendernde Gruppe Hexen mit einem Schulterwurf zu zerstreuen, um wieder einen Blick auf seinen Schützling erhaschen zu können, „Sie kommt schon klar“ 
Und tatsächlich, als die Hexen endlich weiter gezogen waren, sahen die beiden, wie die kleine Drachin gebannt das Sortiment der Apotheke in Augenschein nahm. Große Fässer voller glitschigem Froschlaich standen neben einer Auslage auf Tischen und kleinen Regalen vor dem Laden, gefüllt mit allem, von Binsenkraut bis hin zu verschiedenen Rinden und Borkenstücken, einer Sammlung schillernder Schlangenhäute und einem verglasten Setzkasten voller unterschiedlichster Drachenschuppen, die in der Sonne schimmerten. Nur eine Sekunde später jedoch, war sie schon wieder verschwunden. 
„Átkozott!“, schimpfte Dr. Imre und wollte losstürmen, doch Kristófs Hand lag immer noch auf seiner Schulter. 
„Du machst dir zu große Sorgen, Daniel“, schmunzelte er und schlenderte langsam durch die Menge, die Hand immer noch auf Dr. Imres Schulter. 
„Und dazu habe ich allen Grund, denke ich“, beharrte Dr. Imre, doch er versuchte nicht erneut, sich los zu reißen. 
„Und was glaubst du, soll ihr passieren?“, fragte Kristóf mit einem ganz bestimmten Unterton, der 
Dr. Imre zögern ließ. 
Dieser nahm endlich die Hand von seiner Schulter, setzte ein Lächeln auf und hielt das Gesicht in das schwache Londoner Sonnenlicht. 
„Sie kennt doch schon alle Abgründe der menschlichen Natur. Und mal ehrlich, wenn es zu einem Angriff käme, egal wie du ihn dir jetzt vorstellst, wer wäre da wohl in größerer Gefahr? Sie oder wir?“ 
Dr. Imre blieb stumm, doch Kristóf sah ihn immer noch nervös durch die Menge zucken, wie eine verängstigte Kobra. 
„Roselynn!“ 
Der Ausruf Kristófs erschreckte Dr. Imre so sehr, dass er zusammen fuhr, doch schon tauchte der mondhell leuchtende Schopf in der Menschenmenge auf und blickte fragend zu ihnen hinüber. 
Natürlich hatte sie ihn gehört. Kristóf lächelte nur.

Es war dieser Moment, als ich ihn zum ersten Mal wahrnahm. Diesen Duft. 
Jemand ging, nein, schlich vielmehr, an Dr. Imre vorbei, schob sich möglichst unbemerkt durch die Menge und wäre da nicht sein Geruch gewesen, ich wäre nicht darauf gekommen, welcher der Passanten es gewesen war. Doch sein Duft war wie ein ganz besonderes Bouquet aus meinem Garten, voll von meinen Lieblingsblumen und mir mit jeder Note auf den Leib geschneidert. 
Ich sah ihn. Ein Junge in meinem Alter. Er hielt die Hand einer verhärmt aussehenden, aber liebevoll wirkenden Hexe. Hinter ihnen schritt ein hoch gewachsener, ausgemergelter Zauberer einher. Er sah kränklich aus, doch seine Brust war so geschwollen vor Stolz, dass ich eigentlich erwartet hätte er würde zu leuchten beginnen. Die Hexe und der Zauberer hatten einen ähnlichen Duft wie der Junge, sie mussten seine Eltern sein. Sie alle trugen zerschlissene, alte Umhänge und wirkten müde. Doch sie waren von dieser besonderen Aura umgeben. Genau wie Dr. Imre, Kristóf und ich. Als hätten sie nie erwartet hier zu sein und versuchten nun es vor allen anderen zu verbergen. Genauso wie wir es taten. 
Die Welt wurde leer. Der Junge und seine Eltern waren längst an mir vorbei gegangen. Doch ich konnte ihn riechen. 
Er roch nach Mensch, ja, eine schwache Note von Lavendel in seinen abgetragenen Kleidern, er hatte sich das Gesicht mit einer Seife aus grobem Salz und Thymian gewaschen, genauso sein Haar. Darunter fand ich mehrere Schichten, er roch nach Süßholz und Kalkstein, nach Bienenwachs und Frühlingssonne. Doch da war noch etwas Anderes. Etwas, das nicht die Hexe Roselynn ansprach, sondern den Drachen May schnurren ließ wie eine kleine Katze. Nicht nur den Drachen May. Sondern die Viper May. Die Jägerin. 
Gut verborgen sang es ein grausames Lied in seinen Adern. Es roch nach gesplittertem Holz, Staub, nach dem Wind einer kalten Nacht, Kiefernnadeln, nach Regen und nassem Fell. Nach der Hitze eines lebenden Körpers und Eisen...
9. Kapitel
Herbststurm und Gold
Erst als ich bei Qualität für Quidditch vorbei kam und mein Blick an dem wunderschönen Besen im Schaufenster hängen blieb, schnappte ich etwas auf, das mir Sorgen bereitete und sich bald als dunkler Schatten auf mein Gemüt legte. 
Natürlich klebten mehrere Kinder meines Alters an der Scheibe und quengelten an ihren Eltern herum, dass sie einen Besen wollten, woraufhin diese meinten, sie sollten doch erst einmal das Fliegen lernen. Die Älteren hielten sich auf eine typisch coole Art zurück und bewunderten die Auslage aus der Ferne. 
Kurz musste ich schmunzeln. Nachdem mir das Zaubereiministerium untersagt hatte, mich außerhalb des Reservates zu verwandeln, waren Dr. Imre und Kristóf schnell darauf gekommen, was mir am meisten fehlen würde. Das Fliegen. Daraufhin hatten die beiden mir ab und zu ihre Besen geliehen und ich lächelte bei der Erinnerung daran nur noch breiter. Es hatte ein wenig gedauert, keine Flügel zu besitzen und trotzdem zu fliegen war seltsam gewesen, doch bald hatte ich erkannt, dass ich dem Wind so viel weniger Angriffsfläche bot und mich nicht auf die Thermik verlassen musste, um mich in der Luft zu halten. Es war großartig! 
„...- viel zu teuer“ 
Mein Kopf fuhr herum, als ich die drei Worte einer entnervten Mutter aufschnappte, die ihren Sohn kurzerhand an der Schulter vom Schaufenster weg in Richtung von Madame Malkins schob. 
Viel zu teuer... 
Gerade verließ ein gut aussehender Junge mit seinen Eltern den Laden. Er das Ebenbild seines Vaters mit kunstvoll zerwühlten, schwarzen Haaren, warmen, braunen Augen und Brille, ein Packet auf die Schulter gebettet. Er genoss die Aufmerksamkeit der Anwesenden sichtlich und schob seinen brandneuen Besen auf der Schulter noch ein wenig höher. 
Viel zu teuer... 
„Entschuldige“, drang eine weiche Stimme an mein Ohr, „Darf ich?“ 
Jetzt stand der Junge mit dem Besen direkt vor mir, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. Ich musste ihn die ganze Zeit angestarrt haben und spürte sofort, wie mir die Hitze in die Wangen schoss. Eilig trat ich einen Schritt zur Seite und bemerkte dabei, dass er sehr wohl an mir hätte vorbei gehen können, ohne mich anzusprechen und aus dem Weg zu bitten. Stattdessen blieb er nun auch noch stehen und musterte mich von Kopf bis Fuß, meine Haare, mein Gesicht, die Zähne an meiner Halskette. Als er plötzlich die Hand ausstreckte, zuckte ich unwillkürlich zurück. 
„James Potter“, stellte er sich vor und lächelte nur noch breiter, als er meine geröteten Wangen bemerkte. 
Roselynn die Hexe hätte sich am liebsten sofort unter dem nächsten Stein verkrochen, May der Drache jedoch rebellierte in meinem Innern über die Schmach und seine Aufdringlichkeit und wollte ihn zähnefletschend in die Flucht schlagen. Ich entschied mich für keins von beidem und ergriff stattdessen die mir dargebotene Hand. 
„Roselynn May“, antwortete ich und klang dabei erstaunlich selbstbewusst. 
„Hogwarts?“ 
Ich nickte bloß. Am Ende verließ mich meine unerwartete Selbstsicherheit noch genau im falschen Moment. 
„Dann bis dann, Roselynn“ 
Seine Eltern lächelten mir freundlich zu, als James sich von mir ab wandte und sich durch die Menge die Winkelgasse nach unten schob. Ihm folgte sein Geruch, eine Mischung aus warmer Wolle, Walnusschalen, glänzenden Eicheln, dem Wind eines Herbstumes und der Hitze von geschmolzenem Gold. Ich sah Kristóf und Dr. Imre, die sich langsam aus der Menschenmasse schälten und auf mich zu hielten, doch mein Blick wurde von etwas Anderem aufgefangen. 
Der Junge aus dem tropfenden Kessel stand nicht weit von mir entfernt, lehnte entspannt an einer Hauswand, während seine Mutter auf ihn einschrie, dass es Spuketröpfchen auf seinen Umhang regnete. Er beachtete sie gar nicht, sondern verfolgte, wie James Potter außer Sicht stolzierte. Dann warf er mir einen kurzen Blick zu, mit einem Lächeln, dass man nur als hinreißend bezeichnen konnte. Dann zwinkerte er mir zu, stieß sich in einer geschmeidigen Bewegung von der Wand ab und lief in die entgegengesetzte Richtung, seine Familie dicht auf den Fersen. 
Und ich stand immer noch vor Qualität für Quidditch und eine leise Stimme in meinem Hinterkopf flüsterte viel zu teuer...
Ich wartete ab, bis Kristóf und Dr. Imre mich erreicht hatten, um den restlichen Weg mit ihnen gemeinsam zurück zu legen. Dr. Imre war erleichtert, mich besser im Auge behalten zu können und seine Laune besserte sich mit jeder Minute, die verstrich, Kristóf jedoch bemerkte meinen plötzlichen Mangel an Enthusiasmus, hakte jedoch nicht weiter nach. 
Wie viel mochte all das kosten, was ich brauchte, um ich Hogwarts zu Recht zu kommen? Ich begann nach den Preisschildern zu schielen, doch wirklich Ahnung von Geld hatte ich keine. Ich hatte nie welches besessen und da ich bis vor wenigen Wochen noch in das Register der Drachen eingetragen gewesen war, hatten Dr. Imre und Kristóf einfach alle durch mich anfallenden Kosten durch ihr Zuchtkontingent gedeckt. Das hatte mir so lange ein schlechtes Gewissen beschert, bis Kristóf mir gezeigt hatte, was ich als Drache, mit meinen jährlichen Blutspenden, den abgeschnittenen Krallen oder selbst meinem Speichel an Gold abwarf. Da ich bisher keinen Schuppenwechsel oder eine Häutung durchlaufen hatte, was es etwas weniger als bei meinen Brüdern, doch danach war ich tatsächlich beruhigt gewesen. 
Doch jetzt? Wie sollte Roselynn die Hexe all das bezahlen? Als das riesige, weiße Gebäude in Sicht kam, von dem mir Kristóf bereits erzählt hatte, schluckte ich schwer und mit jedem Schritt die breiten Stufen empor wurden meine Beine wabbeliger. Das Glänzen der bronzenen Doppeltür schmerzte in meinen empfindlichen Augen, selbst mit der Brille. Dahinter öffnete sich eine weitere Doppeltür, diese jedoch aus reinem, weiß schimmerndem Silber. Ich erkannte Worte in dem edlen Metall. 
Dieb, du wurdest gewarnt... 
Dann lenkte May der Drache meine Aufmerksamkeit auf etwas Anderes. Meine Nase schnappte einen Geruch auf, der mir unbekannt und auch ein wenig unangenehm war. Mein Blick folgte meiner Geruchssinn und er entdeckte eine kleine, faltige Kreatur mit spitzen Ohren und Nase, langen Fingern und krallenartigen Fingernägeln an der Tür, die fast kein Haupthaar besaß. 
„Ein Kobold“, flüsterte Dr. Imre mir zu, der wusste, das meine Nase versuchte dem neuen Geruch etwas zu zuordnen. 
Ein Kobold also. Dafür, dass er nicht einmal so groß war wie ich, roch er ganz schön schwer. Ich entdeckte alle Gerüche jedes Minerals an ihm, das mir jemals unter die Nase gekommen war, und auch praktisch jedes Metall. Auffällig war, dass die wertvollsten von ihnen überwogen. Edelmetalle hatten, im Gegensatz zu Dingen, die aus Eisen bestanden, nur einen außerordentlich schwachen Geruch, doch meine Drachensinne behinderte das nicht. Der Kobold warf mir einen scharfen Blick aus seinen glänzenden, dunklen Augen zu, während ich den Duft von Gold, Platin und Silber an ihm einatmete, nach Edelsteinen, trockenem Pergament und dicker Tinte, aber auch nach vertrocknetem Laub und Ammoniak. 
Ich spürte eine vorsichtige Hand an der Schulter, als Dr. Imre mich geduldig weiter schob. Ich war schon wieder stehen geblieben. 
Kurz kam mir der Gedanke Kristóf aufzuhalten, doch da war es bereits zu spät. Er war uns voraus gelaufen und direkt zu einem der Kobold an einen freien Schalter getreten, der sich nur sichtlich wiederwillig von dem Edelstein verzierten Amulett abwandte, dass er gerade mit einer Lupe betrachtet hatte. 
„Ja bitte?“

Seine Stimme klang rau und ächzend wie eine ungeölte Tür mit verrosteten Angeln. 
„Wir möchten zu Verließ 306“, verlangte Kristóf mit eisernem Blick und reichte dem Kobold einen Brief mit dem Siegel des Ministeriums, „Diese Summe“
Der Kobold musterte ihn mit gelangweiltem Blick, brach das Siegel und laß den Brief. 
„Ich kann dies nur der Schülerin aushändigen, für die es beantragt wurde“, erklärte er Kristóf gleichmütig und schob den Brief zurück in seine Richtung. 
Dr. Imre trat vor und schob mich mit sich. 
„Sie ist hier“ 
Mit einem misstrauischen Zusammenkneifen der Augen ließ der Kobold die Goldglieder des Amuletts durch seine Finger auf den Tisch gleiten und beugte sich über den Rand des erhöhten Tresens. Sein Blick schien mir das Fleisch von den Knochen schälen zu wollen und ich unterdrückte ein Schaudern. 
„Ich verstehe“, sagte der Kobold in einem Tonfall, der plötzliches Interesse bezeugte. 
Und anstatt den Kobold, der geduldig hinter ihm wartete, den Auftrag zu geben uns zu den Verließen zu geleiten, schob er sich selbst von seinem Stuhl herunter und kam hinter seinem Pult hervor, während der Kobold hinter ihm seinen Platz einnahm und ein Messingschild auf den Tresen stellte, das ihn als gesperrt ausschilderte. 
„Folgen sie mir“, knurrte der Kobold. 
Er durchschritt mit uns die riesige Marmorhalle. Selbst im staubigen Licht, das durch die hohen Fenster fiel, warfen die dutzenden Kristalllüster an der Decke funkelnde Lichtreflexe auf die Wände und Säulen. Es gab hier mehr Türen, als ich zählen konnte, doch der Kobold führte uns zielstrebig auf Eine zu, die klein, schwarz und sehr massiv aussah. Außerdem, so bemerkte ich, besaß sie keine Klinke. 
„Müssen wir nicht zu den Loren?“, fragte Dr. Imre ungeduldig. 
„Sie vielleicht“, knurrte der Kobold. 
Das Geschöpf blieb nur einen kurzen Moment vor der Tür stehen und ich hörte, wie er mit seinem langen Fingernagel über das raue Metall strich. Das kratzende Geräusch ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen und es wurde auch nicht besser, als sich die Tür zu völliger Finsternis öffnete. 
„Hier drinnen keine Zauberstäbe“, blaffte der Kobold und trat völlig unbescholten in die Dunkelheit, die ihn sofort verschluckte, als wäre er in Wasser eingetaucht. 
Sofort bekam Roselynn die Hexe es mit der Angst zu tun und ich roch, dass all dies weder Kristóf noch Dr. Imre behagte. Doch May der Drache spreizte in meinem Innern entzückt die Flügel. Die Dunkelheit erinnerte das Drachenherz in meiner Brust an Neumondnächte, lange Flüge durch die Finsternis, nur erhellt von den Funken, die aus seinen eigenen Nüstern stoben. 
Plötzlich wurde der Drang mich zu verwandeln so stark, dass ich abrupt in der Hüfte einknickte und mit dem Oberkörper nach vorne kippte. Entsetzt versuchte Dr. Imre sich hinter mir aufzubauen, um mich vor dem Blick der bereits neugierig herüber schauenden Hexen und Zauberer zu verbergen, doch bevor einer von ihnen etwas sehen konnte, langte eine Hand mit langen, knotigen Fingern aus der Dunkelheit, packte meine Schulter und zog mich in die Schatten. 
Die Schwärze legte sich wie ein eiskalter Mantel um mich. Es war ein Schock, der das letzte bisschen Konzentration aus meinem Kopf vertrieb und damit jeglichen Widerstand gegen die Verwandlung unter sich begrub. Ich spürte, wie sich die Knochen meiner Flügel unter meinen Rippen hervor schoben und riss mir eilig den Parka und das Shirt vom Leib. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich es, aus meiner Hose zu schlüpfen, bevor ich den Stoff durch meine wachsenden Krallen zerriss. Dann ließ ich mich endlich nach vorne fallen und ergab mich dem Formwandel. 

Es war nicht leicht im Körper des Drachen den Geist der Hexe sprechen zu lassen. Doch dieser Ort hatte etwas vertrauetes an sich. Wo ich sonst eine scharfe Linie zog, bildeten Hexe und Drache hier eine Einheit. Der Zauber, der dies verursachte, musste uralte sein.
„Roselynn?“
Ich hörte das leise Schaben, als Kristóf seinen Zauberstab aus seinem Gürtel zog und ein leise gemurmeltes Wort, doch es geschah nichts. Belustigt stieß der Drache ein kleines Schnauben aus und ein regenbogenfarbener Schauer aus Funken durchbrach die Dunkelheit wie eine Stichflamme, bevor er zu Boden rieselte und erlosch. Doch der kurze Moment an Helligkeit offenbarte mir deutlich die Situation. 
Dr. Imre und Kristóf standen kurz hinter dem schwachen Umriss einer kupfernen Tür, die von dieser Seite mit einer außergewöhnlich detailgetreuen Darstellung einer Frau geschmückt war, deren Glieder sich gerade zum Körper eines Drachen streckten. Obwohl der Vorgang an sich bizarr war und mir 
Dr. Imre irgendwann sogar eingestanden hatte, dass er mir nicht gern dabei zusah, da ihm allein der Anblick körperliche Schmerzen bereiten wollte, hatte die Kupferdarstellung in der Tür eine eigenartige Schönheit inne. Und der Drache sah den Kobold, der ihn in die schützende Dunkelheit gezogen hatte. 
Er stand kaum zehn Zentimeter von einem reißenden Abgrund entfernt und selbst als das Licht der Funken längst wieder erloschen war, sah er aus dem Abgrund das Schimmern des Goldes zu sich herauf leuchten. 
„Das Erbe Echidnas“, hörte der Drache den Kobold sprechen und das Lächeln in seiner Stimme war kaum zu überhören, auch wenn die Hexe im Körper des Drachen sich nicht sicher war, wie freundlich es gemeint war, „In diesem Verließ gibt es keine Magie außer jener, die man in seinem Inneren trägt. Hunderte Meter unter der Erde wurde hier die erste Münze für einen wachsenden Schatz aufbewahrt, der nun euch gehört“ 
Irgendetwas an seinen Worten verwirrte die Hexe, also sammelte der Drache Hitze in seinem Bauch, hielt die Flammen jedoch zurück. Der Feuerschein brach durch die Haut zwischen seinen Schuppen, die sich wohlig aufrichteten und seinen Brustkorb erglühen ließen. 
Mit vors Gesicht gehobenen Händen traten Kristóf und Dr. Imre vorsichtig ein paar Schritte näher. 
„Mehrere hundert Meter?“, fragte Dr. Imre fassungslos. 
„So war es früher“, lenkte der Kobold ein, „Doch eines haben Drachen und Kobolde wohl gemeinsam. Sie lieben das Gold"
10. Kapitel
Das Erbe Echidnas
Es fiel mir nicht besonders schwer, mich zwischen den felsigen Wänden der Schlucht hinab gleiten zu lassen. Mit einem deutlichen Klingen landete ich auf einem Haufen Goldmünzen, geriet ins Rutschen und konnte das Gleichgewicht schließlich nicht mehr halten, woraufhin ich den Münzberg hinab kullerte und dabei noch einige andere, unfassbar wertvolle Schätze mit mir riss. 
Ich landete in einer Mulde aus Gold, während es Edelsteine auf meinen Kopf regnete. 
„Bist du in Ordnung, kis sárkány?“ 
Dr. Imres besorgte Stimme hallte zu mir herab, während sich der Kobold, der von meinen Rücken gerutscht war, ächzend aufrappelte. 
„Man mag es kaum glauben, aber allmählich fühlte ich mir für derlei Abendteuer zu alt“, krächzte er und rieb sich den Rücken, während er mit den Füßen unsicher Halt auf dem rutschigen Edelmetall suchte. 
Hier unten wurde der Glanz des Goldes unter meinem Feuer nur noch stärker, ein See aus Sonnenlicht flutete über die Klippenwände und wusch den Fels in strahlendem Licht. Mit riesigen Augen sah ich mich um und obwohl meine Sicht als Drache doch so deutlich besser war, denn als Mensch, konnte ich den Glanz, der mich umgab, nicht ganz erfassen. Es blendete. 
„Gib gut Acht, die Wände nicht zu berühren, Echidna“, warnte der Kobold und blickte sich mit zusammen gekniffenen Augen um, „Unsere Vorfahren haben jeden Zentimeter des Felsens verflucht. Niemand sollte diesen Schatz anrühren können, außer dir und deinesgleichen“ 
Ich nickte, woraufhin das Licht zwischen meine Schuppen das Strahlen des Goldes an den Wänden tanzen ließ. Es funkelte durch die Arkaden und offenen Treppenhäuser aus Stein, die Statuen und Fresken, die über die Jahrhunderte langsam vom Gold verschluckt worden waren.
Dr. Imre und Kristóf hatten beide mit hinab kommen wollen, doch sie waren zu groß für mich und zu schwer. Ich hätte es vielleicht noch geschafft sie heil nach unten zu bringen, aber niemals wieder hinauf. Noch dazu schien der Kobold sich hier auszukennen. 
„Du hast bestimmt viele Fragen“ 
Mein Kopf ruckte in seine Richtung. Konnte er Gedanken lesen? Konnten Kobolde das zweite Gesicht haben? Ich wusste erbärmlich wenig über sie... doch der Kobold vor mir lachte bloß, ein raues, kehliges Geräusch, mit einem Quietschen wie Fingernägel auf einer Kreidetafel. 
„Du warst zu lange Mensch, Echidna. Man sieht dir alles am Gesicht an. Aber viel kann ich dir auch nicht sagen. Deine Vorfahrin war, laut unserer Geschichte, das erste Wesen, das den Kobolden Geld anvertraute, damit es sich vermehrte und wir Geschäfte machen konnten. Zusammen legten sie Gringotts Grundstein, irgendwo unter diesem Gold würdest du ihn finden. Seitdem bewahren wir ihr Erbe, mehren es und jeder Erbe Echidnas darf sich davon nehmen, was er will“, er bedachte mich mit einem eigenartigen Blick, „Wobei diese Geschichte nur eine Legende ist. Es heißt, vor vielen hundert Jahren kam einmal ein Erbe Echidnas hierher, doch über mehr schweigen unsere Aufzeichnungen. Trotzdem bekommt jeder Kobold sie überliefert, der hier arbeitet. Den Menschen erzählen wir natürlich nichts davon“ 
Ich war enttäuscht. Ich hatte keine Ahnung wer Echidna war, auch wenn mir der Name nun schon einige Male untergekommen war. Dr. Imre hatte ihn gegenüber Mr. Fleetwell erwähnt, doch die Aufregung über meinen Brief und alles, was kommen würde, hatten ihn wieder aus meinem Gedächtnis gelöscht. 
Bis jetzt. Und nun sehnte ich mich mehr denn je nach einer gut sortierten Bibliothek. Die im Reservat war zwar recht einseitig gewesen, die Bücher in dem kleinen, mit einem Löschzauber geschützten Raum, hatten alle bloß von Drachen gehandelt. Doch sie waren mir nun lieber als diese nagende Ungewissheit. 
Wer war sie gewesen, diese Frau, deren Erbin ich sein sollte? Und was war mit dem, der vor mir gekommen war? Hätte es dazu nicht auch Berichte beim Ministerium geben müssen? War er eine Art Ur-Urgroßvater von mir gewesen? Aber wie hatte seine Familie fortbestehen können?
„Komm“, die Stimme des Kobolds riss mich aus meinen Gedanken, „Wir suchen einige Galeonen, mit dem restlichen Gold wirst du dort oben nicht viel anfangen können“ 
Mein Blick fiel auf das Schimmern unter meinen Krallen hinab und tatsächlich entdeckte ich kaum eine Galeone darunter, doch Münzen mit verschiedensten Prägungen und Formen, teilweise sogar verzieht mit Edelsteinen, die zwischen all dem Edelmetall herum lagen wie gewöhnliche Kiesel. Vorsichtig hob ich eine meiner Pranken, um sie von dem Schimmern zu entfernen. Der Kobold schien sich sicher zu sein, doch dies hier war nicht mein Gold. 
„Falls du Bedenken hast“, warf der Kobold mir an den Kopf und bewies dabei mal wieder außerordentliche Menschenkenntnis, während er die Münzberge nach Galeonen absuchte und sie in einen kleinen Beutel steckte, „Dies hat dir deine Nachfahrin hinterlassen, in dem Wissen, dass die Zauberer sich nie ändern werden. Wenn du ihnen beweisen willst, dass du nicht bloß eine übergroße Eidechse bist, die den lieben langen Tag auf ihrem Schwanz herum kaut, dann musst du lernen. Überbiete sie. So haben wir Kobolde es gemacht. Echidna hat dir eine bessere Startposition geschaffen. Also nimm das Gold. Du wärst selten dämlich, wenn du ́s nicht tätest“ 
Dagegen konnte ich tatsächlich nichts einwenden. Und beim erneuten Erwähnen ihres Namens ging mir etwas auf. Es wurde die Geschichte der Zauberei an Hogwarts gelehrt. Und es gab eine Bibliothek, das wusste ich. Wie groß sie war, konnte ich natürlich nicht sagen, doch dort gab es Leute, die solche Sachen lehrten! Und es ging dabei nicht bloß um Drachen. Eilig huschte ich auf allen Vieren zu dem Kobold, der bei meiner plötzlichen Bewegung zusammen zuckte, doch ich beachtete ihn gar nicht, sondern suchte in dem Glänzen unter meinen Krallen nach den mir bekannten Münzen und klaubte sie mit einigem Geschick heraus. 
„Ich denke, das reicht“, meinte der Kobold fröhlich und offenbarte beim Lächeln seine spitzen Zähne, während er den schweren Beutel voller Gold in die Höhe wuchtete, „Meine Güte, damit könntest du innerhalb eines Jahres ein Vermögen machen!“ 
Ich stockte. Zwar roch er komisch und war auch ein bisschen unheimlich, doch er hatte mir geholfen. Zumindest hatte ich von ihm mehr über mich erfahren, als von irgendjemandem zuvor. Kristóf und 
Dr. Imre konnte ich nicht mit Gold danken, allein der Gedanke löste Scham in mir aus, doch einem Kobold konnte ich wohl keine größere Freude machen. Wahllos glitt mein Blick über die Schätze, bis ich einen besonders großen, rein blauen Edelstein erblickte, der in seinem Glanz so rein war, dass er fast durchsichtig schien. Die Augen des Drachen May sahen ein erstaunliches Prisma in seinem Schliff. 
Ich packte den Stein vorsichtig mit meinem Maul und wandte mich wieder dem Kobold zu. Dieser grinste. 
„Du hast also ebenfalls ein Auge für die schönen Dinge“ 
Wieder mochte ich sein Lächeln nicht unbedingt leiden, doch seine seltsame Art schien nicht persönlich gegen mich gerichtet zu sein. Ich reckte ihm den Edelstein entgegen. 
„Was soll ich damit, Echidna?“, fragte der Kobold, plötzlich misstrauisch. 
Als ich mich nicht rührte, sah ich plötzlich, obwohl sich in seinem Gesicht kein Muskel rührte, wie sich etwas in seinen Augen bewegte. 
„Ist dies-...“, er räusperte sich und zeigte dann mit dem Finger nach oben, „Für die Bank?“, er richtete den Finger auf sich selbst, „Oder-...“ 
Wieder stockte er, doch ich stupste seinen immer noch erhobenen Finger mit den Nüstern an, wohlweislich den Atem anhaltend. Einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich hier gerade das Richtige tat. Andererseits, er roch nach Gier, doch er hatte keinen der Schätze, die angeblich mir gehörten, angerührt, ohne ihn danach für mich in den Beutel zu legen. 
Der Kobold streckte langsam die Hand aus und ergriff den Edelstein mit einer Fürsorge, die ich bei Kristóf beobachtet hatte, wenn er ein Drachenei hochhob. 
„Meine Familie wird ihn in Ehren halten“, kratzte die Stimme des Kobold, während er den Edelstein vor das Licht meiner Schuppen hielt und ihn seinen Glanz in seinen Augen gespiegelt sah, „Ich werde ihn an meinen Sohn geben und dieser wird ihn an seinen Sohn geben. Kein Hooksail wird es jemals vergessen. Und wenn du wiedergeboren wirst, Echidna, wird mein Nachfahre hier auf dich warten und ihm von dem berichten was war. Und von heute“ 
Ich nickte, als mir Hooksail fest in die Augen sah. Dann nahm er einen Lederbeutel vom Gürtel, kippte sich die enthaltenen Münzen in die Hand, um sie in der Tasche seiner Weste zu verstauen, und ließ den Stein vorsichtig hinein gleiten. Sein Licht verlosch, als er den Saum seiner Weste darüber strich. „So“, räusperte er sich und sah zum ersten Mal unbeholfen aus mit dem großen Sack meines Goldes in der Hand, „Ich denke, wir sollten die da oben nicht länger warten lassen“ 
Ich stieß einen zustimmenden Schauer aus Funken aus. Einen Moment betrachtete mich Hooksail noch, musterte jede meiner Schuppen und meine glänzenden Augen, bevor er sich ohne ein weiteres Wort auf meinen Rücken zog und sich hektisch festklammerte, als ich schwungvoll die Flügel streckte. 

Hooksail war so umsichtig als Erster hinaus zu gehen und einen Paravent zu organisieren, hinter dem ich mich, geschützt vor den Blicken der anderen Zauberer und bewacht von Kristóf und Dr. Imre, wieder in die Hexe Roselynn verwandeln und mich anziehen konnte. Kristóf hatte ein wenig gemurrt, wie lange wir fort gewesen waren, doch Hooksail hatte sich eine spitze Bemerkung verkniffen. Er lief, wie mir auffiel, als stünde er plötzlich auf Wolken. 
„Was hast du mit ihm angestellt, kis sárkány?“, fragte Dr. Imre leise, während Kristóf Hooksail für eine letzte Amtshandlung zurück an sein Pult folgte. 
„Ich glaube, ich habe einen sehr guten Freund gewonnen“, sagte ich leise. 
„Einen Kobold?“, murmelte Dr. Imre erstaunt und betrachtete Hooksails stoisch missmutige Miene, „Naja... das kann dir bestimmt noch einmal nützlich werden... irgendwann...“ 
Ja, dachte ich mir. Irgendwann, in hunderten Jahren, wenn ein Drache ohne Schuppen geboren wird und ihm jemand eine Chance gibt, wird dieser Drache hierher kommen. Und ein Hooksail wird auf ihn warten. 
Die Vorstellung gefiel mir. 
Etwas rempelte hart gegen meine Schulter und ich wurde gegen Dr. Imre gestoßen. Ein plötzlicher Hauch aus dem Geruch von kleinen Sprosspilzen in feuchtem Herbstlaub, staubigem Weizenkorn und Eisenhut zog mir in die Nase, untermalt vom deutlichen Geruch der Angst. Sowohl Dr. Imre als auch ich blickten verwirrt auf den Jungen hinab, der von mir zurück taumelte und sich fahrig durch das dünne, braune Haar strich. 
„Verzeihung!“, rief er aus und machte sich vor mir plötzlich ganz klein, die Hände vor Schreck zum Gesicht erhoben, „Verzeihung! Es war-... keine Absicht!“, stieß er hervor. 
So wie er sich zusammen kauerte, mit den großen Augen und außerdem diesen leicht vorstehenden Schneidezähnen, erinnerte er mich sehr an eine verschreckte Maus. 
„Schon okay...“, brachte ich gerade noch heraus, bevor eine kleine Hexe, die sich in mehr Strick- und Häckeljäckchen gehüllt hatte, als gut für sie sein konnte, aus der Menge schob. 
„Peter?“ 
Der Junge zuckte zu ihr herum, warf mir noch einen scheuen Blick zu, eilte dann jedoch hastig davon. 
„Ich komme, Mum“ 
Sogar Dr. Imre blickte ihm noch eine Weile nach, als er mit seiner Mutter die Bank verlassen hatte, bis Kristóf neben uns auftauchte und, unseren verwirrten Blicken folgend, ebenfalls das offene Portal musterte. 
„Ja, sehr schön dieses Sonnenlicht, nicht wahr?“, witzelte er erstaunlich entspannt, „Also ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich brauche so schnell nicht mehr so viel Dunkelheit“, und mit einem Blick auf mich und einem Schmunzeln fügte er hinzu, „Ich denke, ein Eis wäre jetzt angebracht. Vielleicht kann uns Roselynn ja einladen?“ 
Und trotz heftigster Proteste, dass dies doch nur ein Scherz gewesen war, tat ich dies auch.
11. Kapitel
Neu eingekleidet
„Kis sárkány?“ 
Dr. Imres Stimme riss mich aus meiner Trance. Ich blinzelte einige Male und sah den Torbogen, der uns wieder in den tropfenden Kessel führen würde, vor mir. Doch vor meinem inneren Auge tanzten die Farben und Formen tausender Gegenstände, Bücher, Teleskope, Federkiele, Tintenfässer, Besen, Zauberstäbe, Umhänge... 
Ich blickte hinab auf meine Hände und stellte fest, dass sie leer waren. Als ich mich zu Dr. Imre und Kristóf umwandte, sah ich zwei Männer mit leeren Armen. Der Himmel zeigte ein schimmerndes apricot. 
Ich erinnerte mich an die Läden in der Winkelgasse. In wenigen Stunden musste ich praktisch jeden einzelnen davon besucht haben, doch es sah nicht so aus, als hätte ich seit dem Eis auch nur einen weiteren Knut ausgegeben. Ich hatte die Sortimente durchstöbert, hatte das zarte Zupfen von Verlangen bei dutzenden Gegenständen in mir gespürt und mich aus reiner Gewohnheit von ihnen abgewandt. 
„May“, langsam sank Dr. Imre vor mir auf ein Knie hinab und legte mir eine Hand auf die Schulter, „Sag mir, wie viel Gold war in diesem Verließ?“ 
Doch ich konnte ihm nicht antworten. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Also zuckte ich nur hilflos mit den Achseln. 
„Weniger, als du in hundert Leben ausgeben könntest?“, fragte Dr. Imre. 
Ganz automatisch schüttelte ich den Kopf. Keine tausend Leben würden reichen, um all dieses Gold ausgeben zu können, es sei denn ich ließ es einschmelzen und mir ein Schloss daraus bauen. 
„Dann nimm es an“, lächelte Dr. Imre mir ermutigend zu, „Echidna hat ihre Reichtümer sicher nicht hinterlassen, damit ihre Nachfahren in Armut leben“ 
„Es gehört nicht mir“, brachte ich mit dünner Stimme heraus. 
So ermutigt ich zuvor durch die Worte Hooksails gewesen war, so verloren fühlte ich mich nun. Konnte ich denn die Zauberer überhaupt übertreffen? Schaffte ich es, mehr als eine große Eidechse zu sein, die auf ihren Schwanz herum kaute? 
„Aber das hat es einmal“, brummte da Kristóf, „Wie auch immer diese Verwandtschaft entstanden ist, in euren Adern fließt das selbe Blut. Du bist so geboren worden. Und wenn dir das schon dein ganzes Leben ordentliche Scherereien besorgt hat, und wahrscheinlich noch einiges auf uns zu kommen wird, dann mach es dir und uns wenigstens einmal einfach und nimm das Gold“ 
Wir standen noch zehn Minuten so da, Dr. Imre immer noch auf einem Knie, während Hexen und Zauberer an uns vorbei drängten und ihre Gerüche sich immer wieder aufdringlich in meine Nase schoben. Dann nickte ich, Dr. Imre erhob sich und ich wandte mich das zweite Mal in meinem Leben der Winkelgasse zu. 

Im Nachhinein war mir das Ganze ziemlich peinlich. Dafür, dass ich mich zu Anfang geweigert hatte auch nur ein Kupferstück auszugeben, warf ich danach mit Galeonen um mich, wie ein neureicher Idiot. Was ich im Grunde ja auch war. Das Problem war schlicht, dass mein Geldbeutel nie leer zu werden schien! Und es gab so viele Dinge in der Winkelgasse! Natürlich war viel von den Standarddingen auf meiner Liste leicht zu besorgen, meine Ausrüstung für Zaubertränke zum Beispiel, wobei ich ziemlich enttäuscht war, dass ich mir trotz meiner Reichtümer nur einen Kessel aus Zinn kaufen durfte. Zum Trotz ließ ich mir von dem schrulligen Zauberer meine Initialen in die Seite des Kessels gravieren, was er zwar mit nur einem Schwung seines Zauberstabes fertig brachte, jedoch trotzdem extra kostete. Drachenhauthandschuhe musste ich mir, zu meiner großen Erleichterung, keine kaufen, da mir Kristóf erst letztes Jahr welche aus den abgeworfenen Häuten meiner Brüder angefertigt hatte, in einem lustigen Schachbrettmuster aus schwarzen und weißen Flicken. 
Wirklich kniffelig wurde es erst, als wir Flourish and Blott ́s erreichten. Ich konnte den Laden, nachdem ich ihn nun mit der Aussicht, einige dieser Bücher auch noch kaufen zu können, gar nicht mehr verlassen. Das dauerte so lange, bis Dr. Imre mich einfach hochhob, über die Schulter warf und mir im hinaus gehen versprach, dass wir am nächsten Tag wieder kommen und ich all den Platz, der in meinem Koffer noch übrig sein würde, mit Büchern füllen durfte. Ich war zu überwältigt um mich zu fragen, welchen Koffer er denn meinte, schließlich besaß ich nur einen Rucksack, was ich jedoch bis zu einem späteren Zeitpunkt völlig übersehen würde. 
„Im Grunde haben wir alles“, grummelte Kristóf durch die Brotkrumen eines verfrühten Abendimbisses hindurch, den er aus seiner Tasche gefischt hatte, während er meine Liste musterte, „Fehlen nur noch ein paar Kleinigkeiten. Und natürlich eine Eule, aber dafür ist es heute wohl schon zu spät“ 
Und ein Zauberstab, dachte ich, Oh bitte, bitte einen Zauberstab! 
„Deine Umhänge“ 
Ich sackte ein klein wenig in mich zusammen. 
„Bei der Gelegenheit können wir auch gleich sehen, ob sie auch Alltagskleidung verkaufen“, fügte 
Dr. Imre hinzu, „Ich glaube kaum, dass May mit nur den paar Hosen und Hemden auskommen wird, die sie von uns übernommen hat“ 
Aber diese Hemden und Hosen machten mich so schön unauffällig! Einmal hatte Mary mir einen abgelegten Rock ihrer jüngsten Tochter mitgebracht. Ich war vor Scham völlig rot angelaufen, als ich mich darin im Spiegel gemustert hatte. Ich hatte Bilder von jungen Hexen in Magazinen gesehen, die Dr. Imre auf mein Ansinnen hin einmal mitgebracht hatte und ich fand, dass ich in dem Rock viel zu sehr aussah wie diese Hexen. Viel zu adrett, viel zu auffällig. 
„Ist das wirklich eine gute Idee?“, nuschelte ich sehr leise, fast in der Hoffnung, niemand würde mich hören. 
„Es wird nicht funktionieren sich auf diese Weise zu verstecken, kis sárkány“, versuchte Dr. Imre mich zu beschwichtigen, nahm meine Hand und zog mich zu einem Laden namens Madame Malkin ́s Schneiderei. 
Auf das Läuten der Eingangsglocke an der Tür trat eine aufgeregte, junge Hexe in einem auffälligen Umhang hinter einem Ankleidespiegel hervor. 
„Ja bitte?“, fragte sie aufgewühlt. 
„Wir bräuchten Umhänge“, begann Kristóf ohne Umschweife, „Außerdem Wintermäntel, einige Blusen und Röcke und ich denke sie könnten uns noch ein wenig weiter beraten, was eine junge Hexe heute noch so trägt“ 
„Wie-...“, stotterte die junge Hexe, während sie mich mit großen Augen ansah, „Das alles?“ 
„Ist das ein Problem?“, fragte Kristóf und ich hörte neben mir bereits wieder einen Sturm aufziehen. Doch da lächelte die junge Hexe ein derartig warmes Lächeln, wie es nur Leute zu Stande bringen, die den Geruch von Gold in der Nase haben. 
„Aber nein, nicht doch! Sue!“ Eine weitere Hexe, deutlich jünger, fahrig und in einem weniger auffälligen Umhang, kam aus dem hinteren Teil des Ladens hervor geschossen. Ihre kastanienbraunen Locken hatte sie sich auf dem Kopf zu einem wirren Knoten zusammen gebunden, in ihren Armen trug sie mehrere Rollen Stoff und ihre übergroße, runde Brille rutschte ihr so weit auf die Nasenspitze, dass es mich wunderte, dass sie nicht herunter fiel. 
„Mum?“ 
„Bring das weg und nimm die Maße dieser jungen Dame, solang ich noch mit den anderen Kunden beschäftigt bin“, sie warf dem Mädchen einen bedeutungsvollen Blick zu. 
Er vermittelte ein Vermassel das bloß nicht, das hier ist der Fang des Tages! 
Die junge Hexe nickte eilig und verschwand wieder in den hinteren Teil des Ladens, wo ich sie deutlich stolpern hörte, dann lautes Poltern, als die Stoffrollen auf dem Boden aufschlugen. 
„Dieses Kind“, hörte ich die Hexe vor mir verärgert nuscheln, bevor sie sich wieder uns zu wandte, „Die Herren können gerne hier ablegen und sich ausruhen“ 
Schwungvoll deutete sie auf drei Stühle nahe des Schaufensters, bevor sie mich mit spitzen Fingern am Ärmel meines Hemdes berührte. 
„Komm mein Kind. Holen wir dich aus diesen schrecklichen Sachen raus“
12. Kapitel
Die Drachenzeichnerin
Sue Malkins, das konnte ich von Anfang an behaupten, war wohl der schusseligste Mensch, den ich jemals treffen würde. 
Umgeben vom Duft nach Lungenkraut, Taubnesseln, Walnüssen und Herbstregen, nach Gummistiefeln in einer kalten Pfütze und heißen Maronen über dem Feuer, kam hinzu, dass sie, als ich sie genauer betrachtete, zwar deutlich größer war als ich, doch trotzdem mein Alter hatte und deshalb nicht zaubern durfte. Während sie also jede einzelne Schublade hinter dem Paravent nach einem Maßband durchwühlte, sah ich ihre Mutter elegant mit ihrem Zauberstab schnippen und vor ihr erschien ein Maßband, dass ihre Kunden von ganz alleine ausmaß. 
„Ich hab ́s gleich!“, nuschelte sie außer Atem, während ihre Brille schon wieder bedenklich auf ihrer Nasenspitze kippelte, „Einen Moment!“ 
Ich hätte ihr gern gesagt, dass sie sich nicht zu beeilen brauchte, doch im nächsten Moment rannte sie schon vorwärts und stolperte dabei über eine offene Schublade, die auf Kniehöhe aus dem Schrank heraus ragte. Gerade noch rechtzeitig machte ich einen Ausfallschritt nach vorne und bekam sie am Kragen ihres Umhangs zu fassen. 
Einen Moment verharrten wir so. Ihre Nase war nur noch zehn Zentimeter von den gebohnerten Bodendielen entfernt, ihre Brille war nun endlich herunter gefallen und lag genau dort, unschuldig glänzend, wo ihr Gesicht gelandet wäre. Ihre Arme hingen, erstarrt in einem wilden Rudern, in der Luft, bevor sie zitternd die Hände zum Boden nahm und ihre Brille hochhob. 
Langsam zog ich sie an ihrem Kragen nach oben, bis sie wieder auf ihren Füßen stand. 
„Danke“, hauchte sie, während sie sich ihre Brille wieder aufsetzte. 
„Kein Problem“, erwiderte ich. 
So standen wir da, bis Sues Wangen plötzlich wieder rot wurden und sie sich mit einem grimmigen Gesichtsausdruck ihren Umhang grade zog. 
„Ja...“, murmelte sie und ohne mich anzusehen kickte sie die Schublade zu ihren Füßen schwungvoll zu, bevor sie ins Lager des Ladens verschwand. 
Als sie wieder zurück kehrte, hatte sie ein Klemmbrett in der Hand und ein Maßband über der Schulter. 
„Äh... würdest du bitte das Hemd ausziehen. Ich weiß, die Frage ist unschicklich, aber so kann ich keine genauen Maße nehmen...“ 
„Muss das sein?“, fragte ich und in meiner Magengrube begann es zu rumoren. 
Konnte ich das dreieckige Muster auf meiner Haut schnell genug verschwinden lassen? Wohl eher nicht, dafür war ich viel zu nervös. Hatte ich bei meiner Rückverwandlung in Gringotts darauf geachtet, dass mein gesamtes Schuppenkleid verschwunden war? 
„Ja bitte“, antwortete die junge Hexe vor mir, lief jedoch wieder rot an.

Dann beugte sie sich zu mir herunter und ihr Gesicht bekam einen flehenden Ausdruck. 
„Bitte“, flüsterte sie, „Meine Mutter denkt sowieso schon, dass ich kaum zu etwas tauge und sie hat auch schon bedenken, ob ich es in Hogwarts zu etwas bringen werde...“ 
„Du gehst nach Hogwarts?“, fragte ich und schluckte, „In welchem Jahr?“ 
„Noch in keinem, um ehrlich zu sein“, nuschelte sie verlegen und trat von einem Fuß auf den Anderen, „Es ist mein erstes Jahr“ 
„Ist bei mir auch so“ 
Es war seltsam dieser jungen Hexe gegenüber zu stehen. Eine normale Hexe, in meinem Alter, mit normalen Eltern, die wahrscheinlich ihr halbes Leben im Laden ihrer Mutter ausgeholfen hatte. Konnte ich gegen all die Reinblüter in Hogwarts bestehen? Oder würden sie mich sofort als das erkennen, was ich war? Ein Mischblut, eine Abnormität? 
„Wirklich?“, Sues Augen begannen zu leuchten, „Dann sehen wir uns ja vielleicht! Vielleicht sind wir sogar im selben Haus!“, quietschte sie. 
„Sue?“
Die scharfe Stimme ihrer Mutter unterbrach sie und ließ sie sofort zusammen zucken. „Komme Mum!“ 
Sie machte eine kurze Geste in meine Richtung, dann verschwand sie in den Laden. In einer Eile, dass ich das es fast zerriss, zerrte ich mir das Hemd über den Kopf und starrte in den Spiegel vor mir. Keine Schuppen. Mein dreieckiges Muster war noch da, aber keine Schuppen, keine Flügelansätze und Merlin sei Dank auch keine Rückenstacheln. 
„So...“ 
Fast schon trällernd kam Sue um den Paravent herum gesaust und blieb wie angewurzelt stehen, als sie meinen Rücken sah. 
„Wow!“, rief sie aus und rückte neugierig ihre Brille zu Recht, während ich unter ihrem Blick zusammen zuckte, als hätte sie mich mit einer Rute geschlagen, 
„Du bist tätowiert?“ 
„Äh... ja!“, ich konnte die Zahnräder in meinem Kopf beinahe durchdrehen hören, bevor ich endlich etwas hervor brachte, „Meine Familie arbeitet mit Drachen und auf einer Expedition hat eine weise Zauberin mir dieses Muster geschenkt“ 
„Cool!“, Sue machte große Augen, ihre Stimme wurde fast ehrfürchtig, „Drachen sind so faszinierend! Mit welchen Drachenarten arbeitet ihr? In welchem Reservat leben sie? Wohnst du etwa dort?“ 
„Äh...“, machte ich, doch Sue war bereits an meiner Seite, „Oh bitte, erzähl mir davon, ja? Ich bin noch nie aus London raus gekommen!“ 
„Klar... gerne“, stotterte ich. 
Und während Sue um mich herum wirbelte, mal hier, mal dort Maße nahm, manchmal auch doppelt, weil sie die Zahlen auf Grund ihrer Begeisterung vergaß, erzählte ich ihr von den Drachenwärtern in Ungarn, die ich meine Familie nannte. 
Als ihre Mutter schließlich hinter den Paravent trat, hatte ich mein Hemd längst wieder an und Sue saß, die langen, staksigen Beine halb unters Kinn geklemmt, ihr Klemmbrett auf den Knien und zeichnete meinen ältesten Bruder. Ich war fasziniert, wie gut sie ihn traf, nur anhand der Beschreibungen, die ich ihr über den Mischdrachen unseres Reservates lieferte. Natürlich wusste sie nicht wer dieser Drache war, mir jedoch trieb sein Anblick Tränen in die Augen. 
Madame Malkins ließ uns noch einen Moment Ruhe, bevor sie, mit ihrem Zauberstab durch die Luft schwenkend, auf uns zu kam und mich auf den Hocker vor die drei Spiegel scheuchte. Sue verzog sich wieder ins Lager und ich war traurig, dass sie nicht wieder heraus kam, bis all meine Umhänge, meine pelzgefütterten Wintermäntel und all die anderen Kleidungsstücke fertig waren. 
Ich verließ den Laden, ohne mich von ihr verabschieden zu können. 
Mittlerweile hatten die meisten Läden der Winkelgasse geschlossen und der Himmel war von einem sanften, dunklen taubenblau. 
„Dann muss dein Zauberstab wohl bis morgen warten...“, seufzte Dr. Imre und warf mir einen prüfenden Blick zu, ob ich sehr enttäuscht sein würde. 
Dann bemerkte er meinen verträumten Blick. 
„Kis sárkány?“ 
„Es war so leicht“, flüsterte ich und blickte dann mit funkelnden Augen auf, „Sie heißt Sue“ 
Noch beim Abendessen lächelten Dr. Imre und Kristóf in sich hinein, während ich ihnen beschrieb, wie leicht es gewesen war Sue mein Leben zu schildern, ohne zu viel Preis zu geben und was für eine tolle Zeichnerin sie war. Tom, der Wirt, blickte immer wieder zu unserem Tisch hinüber, sah mich begeistert mit meinem Löffel in der Luft herum wedeln und stellte mir mit einem Augenzwinkern einen eisgekühlten Krug Kürbissaft vor die Nase. 
In meinem Zimmer präsentierten mir meine beiden Fast-Väter dann Dr. Imres alten Reisekoffer, mit seinen Initialen auf der Seite. Ein Stück zu Hause. Liebevoll räumte ich meinen Kessel, meine Schulbücher und meine Umhänge hinein. Es war ein großer Koffer. Es war noch genügend Platz für einen Haufen weitere Bücher und morgen... ja. Morgen war auch noch ein Tag. 
Völlig erschöpft krabbelte ich unter die kalte Bettdecke. Kurz flammte in mir das Verlangen auf, mich in das Gehege meiner Brüder zu schleichen und mich auf dem Drachenfeuer warmen Boden zu einer Kugel zusammen zu rollen, umgeben von atmenden, grollenden Leibern, doch dann war ich bereits eingeschlafen. 
Geweckt wurde ich mitten in der Nacht, als etwas leise an mein Fenster klopfte, fast so, als hätte jemand eine Hand voll Steine an mein Fenster geworfen. Sofort war ich wach, meine Drachensinne erfüllten die Dunkelheit mit Bildern. Auf meinem Fenstersims saß ein Fleckenuhu. Hatte er sich verflogen? 
Die Holzrahmen schwangen knarrend nach innen und der Uhu hüpfte ein wenig nach vorne. In seinem Schnabel klemmte ein Stück Papier. Vorsichtig nahm ich es entgegen und der Uhu erhob sich wie ein kleiner Geist in die Nacht. Als ich das Papier entrollte, blickten mir meine drei Brüder entgegen, einer wie der andere perfekt getroffen, der Älteste strahlend weiß, die beiden Jüngeren dunkel wie die Nacht. Zu ihren Füßen sah ich ein winziges Kürzel, dass nur aus drei Buchstaben bestand. 

Sue
13. Kapitel
Die Schatten ihrer Zeit
Am nächsten Morgen fühlte ich mich noch kribbeliger als am Tag zuvor. Die Reise vom Reservat nach London schien weit entfernt, ein Katzensprung im Gegensatz zu dem Weg zurück in die Winkelgasse. 
Gestern hatte meine Begeisterung über mein fast schon freundschaftliches Gespräch mit Sue die Enttäuschung, noch keinen Zauberstab zu besitzen, fast völlig verschluckt, heute Morgen jedoch war sie stärker denn je. Ich war eine Hexe. Ich durfte in die Winkelgasse, hatte einen Koffer voller Zauberutensilien und erntete von den Besuchern der Winkelgasse nun nicht mehr als neugierige Blicke. Meine gezogenen Zähne und die Brille taten wahre Wunder und überspielten sogar meine Haar- und Hautfarbe. 
Doch ich fühlte mich nicht wie eine Hexe. Nicht ohne einen Zauberstab! 
Mit einem etwas mulmigen Gefühl öffnete ich den Deckel meines neuen Koffers und warf einen Blick auf die feinsäuberlich aufgestapelten Kleiderberge. Jedes einzelne dieser Kleidungsstücke hatte ich am Tag zuvor angehabt und Dr. Imre und Kristóf um ihre Meinung gefragt. Sie hatten praktisch alles kommentarlos gut geheißen. Also pflückte ich ein dunkelblaues Sommerkleid mit kurzen Ärmeln und Faltenrock aus einem der Stapel. Ich hatte es am Vortag schon im dem Moment geliebt, an dem Madame Malkins es mir auf den Leib gezaubert hatte. Dazu Strumpfhosen und schwarze Lackschuhe, die, noch völlig unberührt vom Straßenstaub, im schwachen Licht des anbrechenden Tages glänzten. Bevor ich jedoch den Koffer wieder schloss nahm ich vorsichtig das Blatt Papier von meinem Nachttisch und legte es mit aller Sorgfalt zwischen die zarten Stoffschichten. Es kostete mich ein wenig Mühe, mich in die Strumpfhose zu zwängen, es würde auf jeden Fall nicht mein liebstes Kleidungsstück werden, und irgendwann kullerte ich mit einem lauten Rumpfs von meinem Himmelbett. 
Verärgert, im Unterhemd und mit beiden Füßen in dem störrischen Kleidungsstück, saß ich auf dem alten Holzfußboden, als sich schwungvoll die Tür öffnete. 
„Himmel, hast du dir etwas getan?“ 
In der Tür stand eine Hexe mit Schürze und einem seltsamen Stock in der Hand, an dessen Ende große Federn staubig in alle Richtungen abstanden. Hinter ihr, im Gang, sah ich einen Zugwagen voller seltsamer Gegenstände, einem Besen und mehreren Lappen. 
Eilig senkte ich den Kopf, ich trug meine Brille nicht! Dafür aber sehr wohl die Kette mit meinen Zähnen und meine Tätowierungen, wie Sue sie genannt hatte, waren überall auf meinem Körper zu sehen! Doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, lachte die Hexe, durchmaß das Zimmer mit wenigen Schritten, griff mir unter die Arme, zog mich schwungvoll hoch und setzte mich auf mein Bett. 
„Dich kenn ich doch!“, rief sie aus, strich mir freundlich das zerwühlte Haar aus der Stirn, angelte nach meinem Nachttisch und drückte mir dann meine Brille in die Hand, die ich eilig aufsetzte, „Das Mädchen, das noch nie Kürbissaft getrunken hat“ 
Sie warf einen Blick auf meine alten Kleider über dem Hocker am Waschtisch und auf mein neues Kleid über dem Koffer. 
„Strumpfhosen sind mörderische Kleidungsstücke musst du wissen“, sie gluckste leise und legte dann ihren Staubwedel neben mich auf die zerknitterte Bettdecke, „Komm, lass mich dir helfen“ 
Und schon griff sie nach den langen Strümpfen und zog. Für einen Moment zog sie mich mit nach oben und ich gab einen leisen Qutietschlaut von mir, doch im nächsten Moment saß ich schon wieder auf dem Bett, während die Hexe die Tür schloss und dann mein Kleid von meinem Koffer klaubte. 
„Sehr hübsch“, befand sie mit einem prüfenden Blick, „Hatte mich schon gewundert, warum so ein hübsches Kind wie du solche Kleider trägt, aber Tom meinte, du kommst aus einem Drachenreservat, da sind Kleider bestimmt nicht sonderlich praktisch“ 
In meinem Kopf erschienen mehrere Bilder, wie ich versuchte mit meinen Brüdern zu spielen oder Mary bei der Arbeit zu helfen, im Kleid und mit diesen Schuhen. 
„Stimmt“, kicherte ich. 
„So ist ́s Recht“, meinte die Hexe vor mir und lächelte zurück, „Nur immer den Kopf oben behalten“ 
Als Kristóf und Dr. Imre in den Schankraum kamen, saß ich schon seit einer Stunde unter Toms Obhut an der Theke, natürlich mit einem Krug Kürbissaft in den Händen, und Tom stellte mir alle möglichen Leute vor, die er vom Sehen her kannte und erzählte mir allerhand über London und die vorbei eilenden Hexen und Zauberer. 
„Komm, kis sárkány, wir haben doch noch was vor, oder etwa nicht?“ 
„Wohin heute, kleine Lady?“, fragte Tom fröhlich, während Kristóf ihm ein einen Knut für den Kürbissaft gab. 
„Ich gehe meinen Zauberstab kaufen!“, verkündete ich stolz. 
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich einige Gäste im Raum zu mir umdrehten und in ihren Augen funkelte etwas, dass ich nur schwer einordnen konnte. 
„Oh“, machte Tom schwärmerisch, „Ein großer Tag! Na dann, husch, husch, ab mit dir!“ 
Hinter ihm sah ich die Hexe vom Morgen aus der Küche treten. Sie trocknete sich die Hände an einem Handtuch, den Zauberstab hatte sie sich elegant hinters Ohr geklemmt. Ich nickte den beiden zu, dann überkam mich ein seltsamer Gedanke und ich machte einen kurzen Knicks, bevor ich Kristóf hinterher in den Hinterhof flitzte. 

„So ein nettes Kind…“ 
„Hogwarts ist sicher“ 
Tom blickte dem Mädchen mit dem silbrig weißen Haar hinterher, während er ihren Krug nervös zwischen den Fingern drehte. 
„Aber wie lange noch?“ 
„Amanda!“, er warf der Hexe neben sich einen strengen Blick zu, „Dumbledore ist der einzige, vor dem er sich je gefürchtet hat“ 
„Hoffen wir, dass dem auch so bleibt“, erwiderte Amanda und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen, „Ich kann ́s spüren Tom. Was wir hier erleben ist gerade erst der Anfang. Man hört Gerüchte. Menschen sollen gestorben sein!“, zischte sie. 
Darauf schwieg Tom bloß und nach einigen stillen Sekunden wandte Amanda sich wieder ab und kehrte in die Küche zurück. 
14. Kapitel
Ein Zauberstab für den Mai
Der Laden war staubig und alt. Durch die Fenster konnte man gar nichts erkennen, so schmutzig waren sie und in der Auslage sah ich nur einen einzelnen kleinen Karton, offen, mit Seide ausgeschlagen, doch ohne Inhalt. Trotzdem war Olivanders Zauberstabladen von einer seltsamen Aura umgeben. Sie hielt die Leute davon ab alle gleichzeitig hinein zu stürmen, fast sah es so aus, als stünden sie wartend davor, zögernd, unsicher. 
Obwohl es noch so früh am Morgen war, war es in der Winkelgasse heute brechend voll, überall war Stimmengewirr, verschiedene Gerüche und Geräusche und kein Zentimeter des Pflasters blieb für mehr als zwei Sekunden ohne einen darauf tretenden Schuh. 
„Also...“, murmelte ich. 
„Also“, bestätigte Kristóf. 
„Geh schon“, Dr. Imre schob mich vorsichtig einen Schritt nach vorn, „Wir warten hier auf dich“ 
„Ich soll allein rein?“, fragte ich erschrocken und fuhr zu den beiden herum. 
„Seinen Zauberstab zu kaufen ist eine ziemlich private Sache“, Dr. Imre lächelte, „Außerdem kommst du doch erstaunlich gut zu Recht. Und in Hogwarts können wir auch nicht auf dich aufpassen“ 
„Wir warten direkt vor der Tür“, setzte Kristóf nach.

Mit großen Augen blickte ich zu den beiden empor und schluckte dann schwer. 
„Okay...“ 
Fast fühlte es sich so an, als bestünde der Boden plötzlich aus Sirup, klebrig und schwer ab zu schütteln. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis ich endlich die zwei Stufen vor dem Laden erklommen hatte und die Tür vorsichtig aufschob. 
Ein lautes Klingeln erfüllte meine Ohren und ließ mich zusammen fahren, doch es war nur die Klingel über der Ladentür. Ich fühlte die Hitze von Scham in meine Wangen steigen und in meinen kalten Füßen kribbelte es, fast so, als wollten sie mich gleich hintergehen und ohne mich wieder aus dem Laden stürmen. 
Drinnen war es genau so dunkel, wie ich es von draußen erahnt hatte und auch wenn mir das keine Probleme bereitete, machte es den staubigen Raum ein wenig gruselig. Und Staub gab es hier eine Menge! Er lag auf dem Tresen, stapelte sich mit den hunderten Kästen verschiedener Größen im Regal und bedeckte jede Sprosse der Leitern, die an den Regalbrettern empor reichten. Eine einzelne Lampe hing über meinem Kopf und erfüllte den Raum gerade mit genug Licht um die Dunkelheit, die sich im hinteren Teil des Ladens auftat, noch deutlicher hervor zu heben. Ein Hocker stand neben der Tür und eine kristalline Vase auf dem Tresen, ansonsten gab es nicht viel zu sehen. 
Doch etwas ganz Anderes teilte mir meine Nase mit! Es dauerte einen Moment, denn der Raum war erfüllt von den vielen schwachen Gerüchen vorheriger Kunden und einem besonders starken, vermutlich Mr. Olivander selbst, doch da war noch etwas anderes. 
Da niemand auftauchte trat ich näher an den Tresen heran. 
„Hallo?“ 
Ich erhielt keine Antwort. Und irgendwie war ich froh darüber, denn es veranlasste mich, noch ein Stückchen näher zu rücken, weiter, um den Tresen herum. Es waren tatsächlich die Kisten! Jede einzelne von ihnen verströmte einen außergewöhnlichen Duft, fast so, als stünde ein Mensch vor mir. In den Schatten des Ladens regte sich nichts, ich hörte niemanden, doch ich wäre mir nicht einmal sicher gewesen, ob ich in diesem Moment auf etwas Anderes als auf meine Nase hätte hören können. 
Meine letzten Zweifel verschwanden, als mir ein ganz besonderer Duft in die Nase stieg, ein Duft, den ich kannte. Es roch nach gesplittertem Holz, Staub, nach dem Wind einer kalten Nacht, Kiefernnadeln, nach Regen und nassem Fell. Nach Hitze und Eisen... 
Blitzschnell schob ich mich um den Tresen herum, vorbei an zwei Regalen und war enttäuscht, als ich den Gang dahinter leer vorfand. Es war der Geruch des Jungen aus der Winkelgasse, der in schäbigen Kleidern mit seinen stolzen Eltern an mir vorbei geeilt war. Warum bloß konnte ich ihn hier riechen? Ich folgte dem Duft, er war sehr schwach, doch nicht so, wie es die alte Fährte eines Menschen war. Die schmalen, langen Kästen in den Regalen begannen zu wispern, sie flüsterten fast schon zu mir, jeder roch anders. Dort war ein besonders langes Kästchen, roter Karton, ein Zipfel hellgelbe Seide lugte hervor. Dieses Kästchen roch nach frisch gemähtem Gras, nach Pergament und Zahnpasta mit Minzgeschmack. Zwei Regalbretter höher war eines, olivfarbener Karton, das nach der Rinde einer alten Eiche roch, nach Eukalyptusbonbons und einem starkem Ale, so wie Ale nur am Abend riecht, nach einem harten Tag. 
Und dann fand ich die Lücke zwischen den Kästchen, dort, wo es nach Eisen roch, nach nassem Fell und kaltem Wind. Wie versteinert starrte ich auf die Stelle, an der eindeutig etwas fehlte. Fast war es, als könnte ich nicht begreifen, dass er fort war. Doch natürlich, ich hatte den Jungen gestern in der Winkelgasse gesehen. Er musste seinen Zauberstab also schon am Vortag gekauft haben. 
Irgendwie war ich ein wenig enttäuscht, dann jedoch auch neugierig. Ich hatte keine Ahnung wie ich selber roch, meine Brüder konnten es mir ebenfalls nicht beschreiben, da Drachen sich ganz anders verständigten als Menschen, sie nutzten keine Vergleiche, das war für sie viel zu umständlich. Wenn also die Zauberstäbe rochen wie ihre zukünftigen Besitzen, wie roch dann mein Zauberstab? Konnte ich ihn, unter all den Kisten und Kästen, hier finden? 
Tief atmete ich die staubige Luft ein. So viele Gerüche, so viele flüsternde Stimmen. Ich konnte ihnen zuhören, ihren Geschichten lauschen. Sie munkelten über Ereignisse, die noch gar nicht geschehen waren, die vielleicht nie geschehen würden. Wie Farben erfüllten sie den Raum, waberten in sanften oder grellen Nebelschwaden durch die Gänge der Regale. Ich ließ mich auf ihnen treiben, ein kleines Boot auf einem sanften Fluss, nahm jeden einzelnen von ihnen wahr. Wären mir die Menschen begegnet, ich hätte jedem von ihnen seinen Zauberstab geben können. Es war fast so, als suchte sich nicht der Zauberer seinen Zauberstab aus, sondern der Zauberstab seine Hexe oder seinen Zauberer. 
Als ich die Augen aufschlug merkte ich, dass ich schon eine ganze Weil still vor einem Regal stand. Hier fehlte kein Kästchen. Hatte ich mich bewegt? Wie tief war ich in den Laden eingedrungen? Hatte der Besitzer mich, Merlin bewahre, gesehen? 
„Das wäre auch meine erste Wahl gewesen“ 
Mit einem Aufschrei des Entsetzens, und auch der Schuld, fuhr ich zu dem Schatten herum, der sich nun mit einem spröden Lächeln im Gesicht aus der Dunkelheit schälte. 
Die Haare des Mannes ergrauten bereits, die Hände mit den langen Fingern sahen stumpf und rau aus, doch in den Augen lag ein Glanz, fast schon ein Feuer, das all diese Zeichen des Alters fort nahm. Ich erkannte seinen Geruch sofort, er roch scharf nach Geißblatt, frisch geschnittenen Weidenruten, nach Öl und ganz besonders nach Staub. 
„Aus dem Holz eines Mandelbaums“, murmelte der alte Mann verträumt, bevor er sich wieder mir zuwandte, „Wissen sie, wofür dieser Baum steht?“ 
Ich brachte kein Wort heraus, doch er sprach weiter ohne meine Antwort abzuwarten. 
„Man sagt der Lebensbaum sei ein Mandelbaum, er steht für ein langes Leben und für die Wiedergeburt nach dem Tod“ 
Jetzt nahm auch ich ihn wahr, den süßen Geruch, dem ich ganz unwillkürlich gefolgt war. Zusammen mit... 
„Der Kern... daran erinnere ich mich noch besonders gut... sie war eine der letzten Banshees. Hab mir fast in die Hosen gemacht, als ich sie um eines ihrer Haare bat. Schwer missverstandene Kreaturen, nur wegen dieser Sache mit dem Tod. Kaum einer weiß noch, dass sie sich immer um die Familien gekümmert haben, denen sie dienten. Natürlich ändert das trotzdem nichts daran....“ 
Völlig selbstverständlich griff er an mir vorbei und zog ein cremefarbenes Kästchen aus dem staubigen Regal. Als er den Deckel abhob, raschelte die dunkelgrüne Seide, die er bei Seite schlug. 
„Vierzehn einhalb Zoll, ziemlich unbiegsam“ 
Er lächelte. Der Zauberstab war recht schlicht in seiner Schönheit, die mir fast den Atem raubte. Das helle Holz schimmerte weich und elegant in der dunklen Seide, bevor es am Ende des Griffes in ein dunkles Inlay aus Mahagoni überging. Den Knauf bildete ein schimmerndes Stück rosafarbenen Perlmutts und obwohl meine Nase es mir schon zuvor verraten hatte, erkannte ich die eingearbeitete Blüte auf der abgeschrägten Fläche des Aragonit sofort. 
Es war eine Mairose. Eine jener Rosen, die ich in meinem Garten gezüchtet hatte. Jene Rose, die Albus Dumbledore so gut gefallen hatte. 
Vorsichtig griff ich in das Kästchen und kaum, dass meine Finger das zarte Holz berührten, spürte ich eine angenehme Wärme durch meine Finger meinen Arm empor klettern, fast so, als hätte ich ihn in Drachenfeuer gestreckt. 
„Ah, ja, das ist er“ 
Mr. Olivander lächelte mich an, bevor er sich von mir abwandte und bis zum Ende der Regalreihe schritt, die Schachtel meines Zauberstabes immer noch in der Hand. Ich stand dort in den Schatten wie fest gewachsen, den Zauberstab erhoben, als wollte ich gleich eine fürchterlich komplizierte Formel aufsagen, als er sich wieder zu mir umwandte. 
„Kommen sie!“, rief er mir zu und verschwand im Staub seines Ladens.
15. Kapitel
Intermezzo in Gedanken
Ich fühlte mich noch ein wenig durchgerüttelt, als ich Mr. Olivanders Laden wieder verließ, was auch nicht dadurch besser wurde, dass mich vor der Tür in der wogenden Menge der Besucher der Winkelgasse nur noch Dr. Imre erwartete. Kristóf war nirgendwo zu sehen, dafür jedoch ein deutlich besorgter und zerknirschter Ausdruck auf Dr. Imres Gesicht. 
„Er musste zurück“, beantwortete er meine Frage, ohne dass ich überhaupt den Mund geöffnet hatte, „Spontane Ministeriumskontrolle des Reservates. Das haben sie mit Absicht gemacht, diese Hunde, aber was soll man da schon groß tun?“, er seufzte schwer, bevor er nachsetzte, „Er musste apparieren“ 
Kristóf hasste es zu apparieren. Ihm wurde schlecht davon. Er würde bestialische Laune haben und das Ministerium ihren kecken Schachzug bald bereuen lassen... 
„Na gut, dann...“, ich zögerte, plötzlich unsicher, was ich tun sollte. 
„Komm“, Dr. Imres Gesicht erstrahlte plötzlich in einem breiten Lächeln, während er mich ein wenig vom Mr. Olivanders Zauberstabladen fort zog, „Zeig ihn her. Ich hab nicht so lange gewartet, um meine kleine Hexe nach Hogwarts zu schicken, ohne ihren Zauberstab gesehen zu haben“ 
Es fühlte sich völlig natürlich an, die Hand mit dem Zauberstab zu heben. Ich hatte ihn hinter meinem Rücken verborgen, um ihn Kristóf und Dr. Imre stolz zu präsentieren und auch ohne Kristófs Anwesenheit sprühten heitere Funken aus seiner Spitze, als ich ihn vor mir in die Luft streckte. 
„Oi!“, machte Dr. Imre und wedelte die Funken schnell mit der Hand fort, dann ließ er sich von mir den Stab überreichen und musterte ihn eingehend, „Ja, es könnte wirklich keinen besseren Zauberstab für dich geben“, seufzte er glücklich, „Wie war es? Wie habt ihr euch erkannt?“ 
Und da erzählte ich ihm von den Zauberstäben. Stäben die flüsterten und dufteten und Bilder in meinen Geist malten. 
„Das ist unglaublich!“, stieß Dr. Imre hervor und senkte dann eilig wieder die Stimme, als einige Passanten uns neugierig musterten, „Das solltest du im Hinterkopf behalten“, er zwinkerte mir zu, „Vielleicht machst du Mr. Olivander nach deinem Abschluss mit einem eigenen Geschäft Konkurrenz“ 
„Dafür muss ich den Abschluss erst mal kriegen“, schluckte ich plötzlich, doch Dr. Imre ließ nicht zu, dass mich die Angst übermannte. „Ich kenne niemanden, kleiner Drache“, und es klang lustig, wie er meinen Kosenamen in Englisch aussprach, und ich lachte, denn da waren so viele Menschen um uns, doch sie schenkten uns kaum Beachtung, „der so viel Wissen hortet wie du. Und weißt du, was wir deshalb jetzt tun werden?“ 
Erst da bemerkte ich, dass er mich an der Schulter durch die Menge geführt hatte, zu einem Laden, der mir nur allzu bekannt war. 

Am Abend taten mir die Arme so weh, als hätten meine Brüder sie als Spielzeug zum Seilziehen benutzt. Zwar hatte Dr. Imre die meisten meiner neuen Bücher mit einem Schwebezauber für mich zum Tropfenden Kessel transportiert, doch einige wenige hatte ich ganz dringend selbst tragen wollen. Es gab ganze Chroniken über Drachen und Zauberergeschichte und noch so viele Zauberbücher! Dieses Mal hatten uns die Menschen in der Winkelgasse ihre Aufmerksamkeit geschenkt, doch eindeutig nicht wegen meinem Äußeren. Enttäuschend war nur, dass ich kein einzig Buch lesen durfte. 
„Nein“, Dr. Imre schloss den Deckel meines Koffers, aus dem ich mir gerade eines der Bücher heraus nehmen wollte, „Du gehst schlafen“ 
„Ich bin kein Kind mehr!“, protestierte ich, doch da hatte er schon mit seinem Zauberstab gegen den Kofferdeckel getippt und ich hörte, wie die Schlösser zu schnappten. 
„Bist du sehr wohl, kis sárkány. Und wie ich dich kenne würdest du die ganze Nach lesen. Aber das hier war kein Ferienausflug, May. Du steigst morgen in den Hogwartsexpress! Du wirst Freunde fürs Leben, einem Haus angehören, das für dich wie eine Familie sein wird! Und deshalb wirst du jetzt schlafen“ 
Und damit war das letzte Wort gesprochen. Eine Weile saß ich noch vor meinem Koffer und popelte mit einer Kralle im Schlüsselloch herum, doch das brachte gar nichts, außer, dass ich das Messing der Beschläge zerkratzte. Ich hätte es gern auch mit meinem Zauberstab versucht, auch wenn ich noch gar keinen Spruch kannte, doch Dr. Imre hatte ihn zusammen mit den Büchern im Koffer eingeschlossen. 
Danach saß ich einfach nur da, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in den Handflächen. Ich wusste bereits einiges über die vier Häuser von Hogwarts. 
Die Gryffindors waren wohl die coolsten, sie galten als besonders mutig, doch ich fand, dass viele ihrer Geschichten eher eine ungesunde Portion Wagemut enthielten. Und meistens mehr Glück als Verstand. 
Was den Verstand anging, so waren natürlich die Ravenclaws ganz vorne. Sie verbrachten ihre Zeit damit unfassbar intelligente Dinge zu tun, doch für so clever hielt ich mich nicht und außerdem mochte ich es auch mal nichts zu tun, was so gar nicht nach einem Ravenclaw klang. 
Zu den Slytherins hatte ich mich zu Anfang sehr hingezogen gefühlt, eine Schlange war immerhin auch nur ein Drache ohne Flügel. Doch es hieß, dass sie sehr trickreich und listig waren. Gute Eigenschaften, fand ich, doch ich war weder trickreich noch listig. Wie alle Drachen regelte ich meine Angelegenheiten zur Not, indem ich den Kopf so lange vor die Wand schlug, bis ein Loch entstand, wo ich eine Tür wollte. 
Von den Hufflepuffs wusste ich tatsächlich am wenigsten. Sie waren wohl die guten Geister, mit einem ehrlichen Charakter und immer hilfsbereit. Die Vorstellung gefiel mir erst, machte mir dann jedoch Angst. All diese Eigenschaften sprachen von menschlicher Nähe und ich würde mich zusammen reißen und mich von meinen Mitschülern fern halten müssen. 
Schließlich musste ich an Sue denken. Sie war bestimmt die geborene Gryffindor. Die Art und Weise, wie sie sich immer wieder ihren eigenen Ängsten zu stellen schien, hatte mich sehr beeindruckt. Und ich stellte fest, dass ich mir vorstellte, mit ihr in ein Haus eingeteilt zu werden, egal in welches. Ja. Diese Vorstellung gefiel mir. 
Als mir schließlich die Augen zu fielen, krabbelte ich unter die Bettdecke. Sie war kalt, doch tatsächlich wünschte ich mich in diesem Moment nicht zu meinen Brüdern. Im Traum stand ich wieder in meinem kleinen Garten, umgeben von meinen Mairosen, und sah das lächelnde Gesicht von Albus Dumbledore, der mich nach Hogwarts einlud. 
16. Kapitel
Außer Kontrolle
Ich schlief gut, doch meine Aufregung trieb mich schon zum Morgengrauen aus dem Bett. Verschlafen trat ich an meinen Koffer, um den Deckel zu heben und fand ihn verschlossen. 
Natürlich. 
Zuerst versuchte ich mich noch einmal unter die warme Decke zu schieben, doch nach kurzer Zeit sprang ich wieder auf. Meine Finger kribbelten und meine Füße zuckten sogar. Der Zustand des Wachseins machte die Aufregung schlimm. Sehr schlimm. Meine innere Uhr sagte mir, dass es erst irgendwo um sechs Uhr morgens war. Ich konnte zu Dr. Imre gehen, doch was würde das bringen? Nicht einmal, wenn ich meine Kleider anziehen und mich zu Tom an den Tresen hätte setzen können, damit er mir wieder Geschichten erzählte, wäre ich dazu in der Lage gewesen das Kommende zu verdrängen. Außerdem spürte ich die tiefe Ruhe im tropfenden Kessel. All seine Gäste und Bewohner schliefen noch. Alle außer mir. Ich versuchte es mit allem Möglichen. Ich rannte im Zimmer umher, schnappte mir einen Block aus meinem alten Rucksack, den Dr. Imre wieder mit ins Reservat nehmen würde, da er alt und zerschlissen war und nur zerknickte Blätter enthielt. Ich versuchte meine Aufregung in Worte zu fassen, in Bilder, um mich abzulenken oder sie los zu werden, schließlich faltete ich Papierflieger und ließ sie durchs Zimmer schwirren, bis ich sie zerriss. 
Hogwarts! Wie oft hatte ich davon geträumt und welche Angst hatte ich jetzt davor... 
Dr. Imre und Kristóf waren selbst nie dort gewesen, doch ich hatte einige Bücher über das Schloss gelesen und Kristóf hatte mir zu meinem achten Geburtstag ein Abonnement des Tagespropheten geschenkt. Die Ausgaben kamen bei uns im Reservat immer einen Tag später an, die Eulen hatten einen weiten Weg hinter sich, manchmal kamen sogar zwei Ausgaben auf einmal, die des Vortages und die des Vor-vortages. Doch ich verschlang die Artikel. Jeden einzelnen. Zu Anfang war es schwierig gewesen die Wörter zu lesen, die wenigen Brocken Englisch, die ich beherrschte, brachten mich kaum weiter. Doch als hätte ich gewusst, dass ich es einmal brauchen würde, hatte ich mich in diese neue Sprache gekämpft und ihr Raum in meinem Kopf gegeben. 
Die Erinnerung gab mir den Rest. Angst und Freude schnürten mir die Kehle zu. Ich gab ein würgendes Geräusch von mir, griff mir an den Hals, doch die Welt schien mich nieder zu drücken, machte mich schwer. Das atmen war so schwer, meine Lungen schienen mit Blei gefüllt zu sein, mein Herz geriet ins stolpern. Langsam aber sicher spürte ich, wie mein Licht ausging. 
Und dann kamen die Hühner. 
Ich denke heute, dass es die Erinnerung war, die sie zurück rief. Ein ganzes Dutzend von ihnen ploppte unter der Decke auf wie fedrige Luftballons, bunte Federn regneten mit ihnen herab. Sie landeten gleich ein paar Gummibällen und hüpften noch einige Meter weiter, jedes in eine andere Richtung, wobei sie laut kreischten und mit den Flügeln flatterten. 
Sofort schlug ich mir die Hände auf die Ohren, der Lärm war immens in meinem kleinen Zimmer. Ich stolperte über eines der panischen Tiere und fiel der Länge nach hin. So blieb ich liegen und spähte entsetzt in den Raum. Jedes von ihnen hatte eine andere Farbe, ich sah sogar eines, das weiß war, bis auf ein Muster aus hell türkisen Punkten! Eines von ihnen, ein besonders kleines, aber sehr auffälliges, mit Federn wie aus purem Gold, schlug mit den Flügeln und hob tatsächlich ab! Seine Flügel waren im Vergleich zu dem winzigen Körper wahrscheinlich ein bisschen zu groß geraten. Völlig entspannt flatterte es auf mein Himmelbett und beobachtete neugierig seine panisch über den Fußboden rennenden Kollegen. 
Hitze stieg in meinen Augen auf, meine Sicht trübte sich. So lange, bis mir heiße Tränen übers Gesicht liefen und ich mich mit einigen robbenden Bewegungen unters Bett verkrochen hatte. 

Sie hatten Hunger gehabt. Doch Vipern waren keine Aasfresser. Sie fraßen nur, was sie selbst erlegt hatten. Ein grauenhaftes Schauspiel, es sei denn, man war einer von ihnen. Auch ich hatte früher Hühner gejagt. Bis das Reservat, natürlich auf Anraten des ungarischen Ministeriums, ein Experiment gestartet hatte. Man hatte meinen Brüdern rohes Fleisch in ihr Gehege geworfen, anstatt den täglichen Hühnern. Natürlich rührten sie es nicht an. Doch die Drachenwärter hatten strickte Anweisungen. 
Zwei Tage gammelte das Fleisch in der Sonne, morgens und abends ausgetauscht, jedes Mal verschmäht. Zu Anfang hatten meine Brüder sich noch lautstark beschwert, sie hatten praktisch das Reservat in Grund und Boden gebrüllt und alle anderen Drachen wahnsinnig gemacht. Doch dann hatten sie sich hingelegt. Und während ich, als Mensch, auf der anderen Seite des Zauns stand, doch immer noch mit meinem Halsband und meiner Kette gesichert, waren sie immer lethargischer geworden. 
Es war Kristóf gewesen, der meinen Anblick und den des Halsbandes nicht mehr ertragen und mir vorgeschlagen hatte, meine Brüder als Drache zum Essen zu überreden. Doch schon als ich den Käfig betrat, merkte ich, dass dies nicht funktionieren würde. Sie rührten sich kein Stück, nicht mal bei meinem Anblick. Es hatte mich traurig gemacht. Und wütend. Ich hatte Angst bekommen. Was, wenn sie starben? Die Verwirrung hatte schließlich alles durcheinander geworfen und die Emotionen gaben mir den Rest. Ohne es zu wollen schmolz die Gestalt des Drachen dahin, was meine Brüder sofort hoch fahren ließ.
Ich war einer von ihnen, ich roch wie sie, sie kannten mich. Doch Vipern hatten eine Schwäche dafür Menschen zu jagen. Und in diesem Moment war ich nun mal einer. 
„May!“, brüllte Dr. Imre, der mich, ein zehnjähriges Mädchen, plötzlich zwischen den Jungdrachen sah, die sich bedrohlich vor mir aufrichteten. 
Er zog seinen Zauberstab. 
Und plötzlich regnete es Federn. 
Hühner. Hunderte davon, in allen Farben des Regenbogens, fielen um mich herum vom Himmel wie flauschige Hagelkörner. Sie stoben in alle Himmelsrichtungen davon und der Hunger meiner Brüder rettete mich vor ernsthaften Verletzungen. Jeder von ihnen hatte innerhalb weniger Sekunden ein totes Huhn im Maul und jagte fünf weiteren hinterher. Denn der Hühnerregen hatte noch nicht ausgesetzt. Sie landeten zwischen den Käfigen und im Nachbargehege und richteten das totale Chaos an, als der Jagdinstinkt jedes Drachen des ganzen Reservates sofort von null auf hundert schoss. 
Inmitten dieses Durcheinanders hörte es erst dann auf Hühner zu regnen, als Dr. Imre mich in die Arme schloss, mich hochhob und mit mir aus dem Gehege rannte. Er hatte es ohne den Schutz seiner Kollegen betreten, doch meine Brüder waren hungrig und auf der Jagd und hatten ihn nicht einmal bemerkt. 
Vor dem Gehege fiel er auf die Knie und weinte. Und ich weinte ebenfalls. 
„Alles wird gut“, schluchzte er zwischen zwei Atemzügen, „Alles wird gut, kleiner Drache... Kleine Hexe, alles wird gut“ 

Im nächsten Moment spürte ich diese Arme wieder.
Dr. Imre zog mich unter dem Bett hervor an seine Schulter und ich vergrub mein Gesicht im Hemd seines Schlafanzuges, während er seinen Zauberstab schwang. 
„Silencio!“ 
Das Kreischen der Hühner verstummte sofort. Sie rannten immer noch wie kopflos durch die Gegend, doch immerhin lautlos. 
„Was ist denn hier los?“ 
In der Tür erschienen einige verschlafene Hexen und Zauberer in Pyjamas und Morgenmänteln und blickten verwirrt zu uns herüber. Es regnete immer noch ein paar Federn. Doch Dr. Imre lächelte die Fremden in der Tür nur fröhlich an und zuckte verlegen mit den Schultern. 
„Eine junge Hexe vor ihrer ersten Fahrt nach Hogwarts“
17. Kapitel
Intermezzo in der Bar
Tom lachte über die Hühner, wie über einen guten Scherz, als er sie sah. Er fand sie anscheinend sehr possierlich und fragte Dr. Imre, wie viel er ihm bieten müsse, um eines als Haustier zu behalten. 
Dr. Imre jedoch bot ihm an, dass er gleich alle behalten könne, woraufhin Tom noch mehr lachte und verkündete, eine hervorragende Idee zu haben. Er scheuchte die bunten Hühner mit seinem Zauberstab aus dem Zimmer in den Flur und Dr. Imre schloss hinter ihm die Tür. 
Mit einem leichten Tippen seines Zauberstabes sprangen die Riegel meines Koffers auf. Er setzte mich aufs Bett, suchte Strümpfe und ein knielanges Kleid in grauem Karomuster heraus und half mir dann beim Anziehen. Ich folgte ihm nach unten in den noch leeren Schankraum und Dr. Imre, immer noch im Schlafanzug, postierte mich auf einem Hocker am Tresen. Sanft strich er mir durchs Haar, dann verschwand er die Treppe nach oben. 
Mit müden Augen beobachtete ich das trübe Licht im Schankraum. Auf dem Boden sah ich einige bunte Federn liegen. Die Hühner waren das erste Zeichen meiner aufwallenden Kräfte als Hexe gewesen und gleichzeitig unsere Rettung. Über viele Jahre hinweg hatte es heftige Diskussionen über das Schicksal von mir und meinen Brüdern gegeben. Unsere Mutter hatte diese Zeit leider nicht überlebt. Und gerade, als der Konflikt wieder aufwallen wollte, als es darum ging meine Brüder und mich zu trennen und mir heftigere Sanktionen aufzulegen, hatte es Hühner geregnet. Danach hatte ich das Reservat zum ersten Mal in meinem Leben verlassen dürfen. Sie hatten mich ins Ministerium beordert, wo sie mir einen Zauberstab in die Hand drückten und mir befahlen ihn zu schwingen. Ich hatte gespürt, dass das Holz sich gegen meinen Griff sträubte, es war nicht mein Zauberstab, und die Reaktionen der Ministeriumsangestellten, die meinem Verfahren beiwohnten, hätten nicht unterschiedlicher sein können, als ein grell weiß leuchtender Funkenregen aus seiner Spitze schoss und wie ein Feuerwerkskörper Richtung Decke schoss, wo er zerplatzte uns in einem kleinen Schauer auf alle Anwesenden niederging. 
In vielen Gesichtern sah ich Abscheu, Angst, Wut. Doch bei ein paar wenigen zuckten die Mundwinkel und leuchteten die Augen schelmisch, verräterisch, fast so als ob sie sagen wollten Ha! Jetzt könnt ihr nichts mehr tun. Sie ist eine Hexe 
„Komm, du kleine Hexe, jetzt gibt es erstmal Frühstück!“ 
Ich zuckte zusammen, als Toms Stimme mich aus meinen Erinnerungen riss. Doch schon stand eine etwas staubige, braune Flasche vor mir auf der Theke. 
„Ein Butterbier. Gegen das Flattern im Bauch“ 
Tom zwinkerte mir zu, bevor er in die dunkle Küche verschwand. Ich bemerkte, dass er immer noch seinen hellblau-weiß gestreiften Pyjama trug. Mit beiden Händen griff ich nach der Flasche und nippte vorsichtig an dem mir bereits vertrauten Getränk. Seine Wärme breitete sich sofort in mir aus und lockerte den Knoten in meinem Magen etwas. 

„Das war meine Schuld“ 
Ich antwortete Dr. Imre nicht, denn immerhin hatte er Recht. Was hätte ich also groß sagen sollen? In der vergangenen Stunde hatte er immer weiter versucht mich wieder zum Sprechen zu animieren, auch mit der Aussicht darauf, mir vor der Abfahrt in der Winkelgasse noch eine Eule zu kaufen. Doch mir war gerade überhaupt nicht danach, mich auch nur einen Millimeter vom Fleck zu rühren. 
„Ich bin kein Vater, vielleicht könnte ich dir besser helfen, wenn ich einer wäre. Ich wünsche mir oft, dass dein Schicksal ein anderes wäre. In dieser Zeit bist du nicht die einzige junge Hexe ohne Eltern, aber...“ 
Er verstummte. 
Mit der Zeit füllte sich der Schankraum, gegen acht kehrte Tom aus der Winkelgasse zurück, den letzten leeren Käfig über der Schulter. Er hatte die Hühner an die magische Menagerie verkauft und teilte den betrag nun großzügig mit Dr. Imre, da er für die außergewöhnlichen Tiere eine ganze Stange Galeonen kassiert hatte. Ich wollte das Geld nicht und so blieb es in Dr. Imres Händen. Einige bunte Feder lagen noch immer auf den Treppenstufen und dem Steinboden des Schankraumes, die Geschichte hatte bereits die Runde gemacht, und viele Gäste hatte einige davon aufgesammelt, sodass sie jetzt Hüte, Taschen und Sakkos schmückten. 
„Ich hab da was für dich, kleine Hexe“, sagte Tom, der an unseren Tisch in der Ecke trat und Dr. Imre ein üppiges Frühstück servierte. 
Ich bekam einen weitern Krug Kürbissaft, mehr als das brachte ich einfach nicht herunter. Tom griff vorsichtig in seine Schürze und holte etwas daraus hervor. Das kleine, goldene Huhn, dass sich am morgen so hoheitsvoll auf dem Baldachin meines Himmelbettes niedergelassen hatte, gluckste fröhlich in seinen rauen Fingern, bevor es aus seinen Handflächen schlüpfte und sich auf meinem Schoß niederließ. 
Tom sah Dr. Imre hoch gezogene Augenbraue und schmunzelte. Trotzig blickte ich zu Dr. Imre empor. Doch der zuckte nur die Achseln und griff nach seinem Krug. 
Da zerriss ein gellender Schrei die sanft dahin plätschernde Stimmung im tropfenden Kessel, jemand sprang auf und ein Stuhl fiel laut scheppernd zu Boden. 
Mit einem einzigen Satz war ich unterm Tisch, das glänzende, kleine Huhn an meine Brust gepresst. In meinen Ohren hob ein Summen an, fast schon ein helles Singen, als eine silberne, strahlend schöne Kreatur zwischen den Tischen hindurch auf Dr. Imre zuschoss.
Ich erkannte den Geruch sofort, doch das war nicht möglich! Ich erkannte jedes Haar des Dachses, der sich nun vor Dr. Imre zusammen kauerte, jede Kralle, sogar die Musterung Fells, obwohl das Tier in so helles Licht gehüllt war, dass es in den Augen schmerzte. 
Imre. Das Reservat ist in Gefahr. Ich brauche dich!
Kristófs Stimme hallte wie ein Geist durch den Schankraum, bevor sie zusammen mit dem strahlenden Tier verschwand und alles Licht mit sich zu nehmen schien. 
„Átkozott“, hörte ich Dr. Imre in der Stille fluchen.
18. Kapitel
Allein
"May!“ 
Dr. Imres Umhangsaum rauschte an meiner Nase vorbei, als er vom Tisch aufsprang und sich vor mir auf die Knie fallen ließ. 
"Bitte Kleines, komm da raus!“ 
Er packte mich am Ärmel und zerrte mich unsanft aus meinem Versteck. Mein linkes Knie schrammte über den steinernen Boden des Schankraums und ich spürte das leise Brennen, dass ein Drache wohl niemals spürte. 
"Kann ich ihnen irgendwie helfen?“ 
Tom war an unserer Seite erschienen, das Gesicht aschfahl, doch mit entschlossen zusammen gepressten Lippen. 
"Nein“, erwiderte Dr. Imre ohne nachzudenken, „Sie haben schon genug getan, danke“ 
Ich für meinen Teil wäre mir nicht sicher gewesen, ob ich das als Kompliment oder Beleidigung aufgefasst hätte, doch das fiel mir erst später auf. Meine Beine waren Pudding, in meinem Hals steckte ein Stein, meinen Magen baumelte wie ein nasser Leinensack irgendwo auf der Höhe meiner Knie und mein Herz pochte so laut und heftig in meiner Brust, als wollte es mit jedem Schlag meine Rippen in tausend Splitter zertrümmern. 
"May!“, beschwor mich Dr. Imre eindringlich und zerrte an meinem Arm, sodass das kleine Huhn in meinen Händen ein empörtes Gackern von sich gab, "Bitte, wir haben keine Zeit!“ 
Aus seinem Umhang zog er seinen Zauberstab hervor und peitschte damit durch die Luft. Nur Sekunden später polterte mein Koffer wie ein betrunkener Seefahrer die Treppe hinunter und landete krachend und mit dem Decke nach unten auf dem Steinboden. Mein feines Gehör vernahm das scheppern und Krachen, das Splittern von Glas und das Brechen dünner Metallstreben. Jedes dieser Geräusche versetzte mir eine Wunde, tief wie der Biss eines wild gewordenen Hundes. 
Mit bleichen und entsetzten Mienen beobachteten die anderen Gäste des tropfenden Kessels, wie 
Dr. Imre meinen Koffer mit einem Schwung seines Zauberstabes herum drehte und ihn hinter uns her schweben ließ, als er, mich immer noch am Arm gepackt, nicht etwa die Ausgangstür des Pubs ansteuerte, sondern den Innenhof. Ich schaffte es nicht einmal Tom noch einmal zu zuwinken, da standen wir schon im Schatten der hohen Mauern und mit einem Mal drehte sich mir der Magen um. Die Welt löste sich aus ihren Fugen, machte mehrere Purzelbäume und nicht einmal Dr. Imres Hand an meinem Arm vermochte es, mir ein kleines bisschen Sicherheit zu geben. Und vom einen auf den anderen Moment war es auch schon wieder vorbei. Ich beugte mich nach vorne, das kleine, goldene Huhn an die Brust gepresst, und erbrach das Butterbier und den Kürbissaft. 
"Kis sárkány, es tut mir leid“ 
Ich spürte, wie Dr. Imre mir das kleine Tier entwand, hörte ihn etwas murmeln und das Huhn erschrocken gackern, dann zog er mich hoch und wischte mir mit einem Taschentuch über den Mund. Mit zitternden Händen schob ich meine Brille wieder gerade auf meine Nase und sah mich um. Wir standen eingezwängt in der Kabine einer Toilette und neben der Schüssel entdeckte ich eine bräunlich-orangene Lache. Knapp verfehlt, schoss es mir durch den Kopf, und wäre die Situation eine Andere gewesen, hätte ich vielleicht sogar hysterisch gelacht. 
Doch ich konnte es nicht. Die Angst in meiner Brust war eine Andere, als die vom Morgen. Keine aufwühlende, herumwirbelnde, verwirrende Angst, die es gleich Hühner regnen lassen würde. Es war eine lähmende, eine kalte und zitternde Angst, die alles in mir zusammen zog und mir jede Möglichkeit nahm auch nur irgend etwas zu tun. 
Dr. Imre erkannte meine Lage, packte mich um die Hüften und warf mich über seine Schulter. Betont gelassen verließ er mit mir die Herrentoilette und trat hinaus in die wogende Masse des überfüllten Bahnhof Kings Cross. Ich nahm die vielen Muggel nur undeutlich wahr, die uns teils mit neugierigen und irritierten Blicken bedachten, klammerte mich nur an Dr. Imres Umhang, bis er mich in einer Nische bei den Transportwägelchen für die Koffer wieder absetzte. Im Schutz seines Umhangs nuschelte er ein paar Worte, woraufhin ein Flirren durch die Luft schwebte und für einen Moment legte sich Taubheit über meine Ohren und mein Blick verschwamm. Als das Flirren sich auflöste, stand mein Koffer neben mir auf den Boden und Dr. Imre war schon längst dabei ihn auf einen der Karren zu wuchten. 
„Los“ 
So schnell er eben konnte, ohne wirklich zu rennen, schob Dr. Imre meinen Koffer vor sich her und achtete dabei darauf, dass ich nicht den Anschluss an ihn verlor. Für einen Moment machte mein Herz einen kleinen Hüpfer, doch dann erblickte ich das kleine Huhn, dass Tom mir geschenkt hatte, in einem kleinen Drahtkäfig auf meinem Koffer. Ich bemerkte gar nicht wirklich, wo wir uns befanden, bis 
Dr. Imre plötzlich stehen blieb und mich vor den Karren schob. 
"Siehst du diese Wand?“, fragte er mich und deutete auf eine Absperrung, gute fünf Meter vor meinem Karren, während er mir meinen vollkommen zerknitterten Hogwartsbrief in die Hand drückte, „Du musst rennen, verstehst du? Einfach hindurch!“ 
"Aber-!“, setzte ich keuchend an, doch Dr. Imre schüttelte bloß den Kopf. "Du musst! Vertrau mir! Alles wird gut“ 
Kurz beugte er sich nach vorne und drückte mir, fast so als wäre er mein Vater oder ein großer Bruder, eben mehr als nur mein Wärter und Arzt aus dem Reservat, einen Kuss auf das verschwitzte Haar. Und kaum einen Augenblick später war er einfach verschwunden und mein feines Gehör schnappte das leise Plopp auf, mit dem die Luft den Raum füllte, an dem er eben noch gestanden hatte. 
Ich konnte nicht atmen. Langsam wandte ich den Kopf und sah die massive Absperrung direkt vor mir. Der Bahnhof stank, nach Schweiß, Müll, nach fettigem Essen, rauem Stein und dem schmierigen Dampf der Dieselloks. Überall war Lärm, die Hektik der Menschen um mich herum prickelte auf meiner Haut wie die Bisse von Ameisen. 
Eine massive Absperrung. Wenn dies ein Zauber war, dann war es ein sehr guter. Keiner meiner verschärften Sinne bewies mir auch nur in irgend einer Form, dass diese Absperrung nicht aus Backsteinen und Mörtel bestand, die mich, meinen Koffer und mein kleines Huhn zertrümmern würden wie Zahnstocher, wenn ich mit voller Wucht dagegen prallte. 
Jemand rempelte mich an und ich zuckte so heftig zusammen, dass ich einen Aufschrei unterdrücken musste. Jetzt bemerkte ich auch wieder die Menschen um mich herum. Viele blickten bereits neugierig im Vorbeigehen zu mir herüber. Eine weißhaarige Elfjährige, mit einem riesigen Koffer, auf dem ein golden schimmerndes Huhn aufgeregt in einem kleinen Käfig gluckste. Eine Elfjährige, der man nicht richtig in die Augen sehen konnte, weil die Brille störte, mit blassem Gesicht und zerzaustem Haar, völlig allein mitten auf einem Bahnsteig in Kings Cross. 
Um mich abzulenken holte ich die einzelnen Seiten meines Briefes noch einmal aus dem lavendelfarbenen Umschlag. Gleis neun dreiviertel. Und als ich mir sicher war, dass niemand mich noch allzu genau beobachtete, packte ich plötzlich die Griffe meines Wagens, gab ihm einen heftigen Stoß, sodass mein kleines Huhn erschrocken gackerte, und rannte. 
Kurz bevor ich gegen die Backsteinmauer prallte, schloss ich die Augen. Und spürte sie über mich hinweg gleiten. 

Der Bahnsteig lag noch verlassen da. Dünn stahl sich die Sonne durch das filigrane Glasdach. Doch es reichte, um das Schwarz und Rot der Lokomotive vor mir zum leuchten zu bringen. 
Ein kurzer Blick zurück zeigte mir den Bahnsteig, auf dem ich eben noch gestanden hatte, darüber ein Schild mit goldenen Lettern: Gleis 9 3⁄4. 
Ich spürte etwas Heißes auf meiner Wange. Ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, dass das Schluchzen, dass ich hörte, von mir selbst kam. Und dann öffneten sich die Schleusen und aus meiner Kehle drang ein verängstigtes, gequältes Jaulen. Kurz darauf spürte ich Leute um mich herum, ein Mann in Uniform und eine junge Frau mit brauen Locken, die eine Schürzte trug und sich einen bunten Lolly wie einen Stift hinters Ohr geklemmt hatte. Doch so wirklich nahm ich sie gar nicht wahr.
19. Kapitel
Opal im Blut
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Da ich mich weigerte den Erwachsenen um mich herum den Grund für mein Unglück zu nennen, ließen sie mich bald in Ruhe und warfen mir bei ihrer Arbeit nur noch ab und an verstohlene Blicke zu. Jemand bot mir an, mir meinen Koffer in den hinteren Wagon zu bringen, doch auch dagegen wehrte ich mich mit all meiner verbliebenen Kraft. Also ließen sie mich allein. 
Das kleine, goldene Huhn gluckste immer noch aufgeregt in seinem Käfig und stellte seine goldenen Federn auf wie die Stacheln eines Igels. Ich versuchte es zu beruhigen, indem ich einen Finger zwischen die Gitterstäbe schob, um seinen Flügel zu streicheln, doch es pickte bloß missmutig mit seinem hellen Schnabel nach mir. 
Bedächtig hob ich den Käfig hoch und stellte ihn auf dem Pflaster ab, dann öffnete ich den Deckel meines Koffers. 
Das Chaos darin war noch viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich sah die Scherben der Kristallphiolen im Stoff meiner zerwühlten Kleider glitzern wie mörderische Diamanten. Ein Arm meiner Messingwaage ragte aus einem Umhang wie ein gebrochener Flügel. Mein Kleid vom Vortag war durchnässt vom glitzernden Schleim der Wellhornschnecken, da ihr Glas zersprungen war. Jedes zweite meiner Bücher lag offen und mit zerknickten und eingerissenen Seiten da. Und all das wurde dekoriert von einer Hand voll getrockneter Käferaugen und Schlangengiftzähne. Trotzdem langte ich panisch hinein, spürte kaum das Stechen und Brennen, als sich Kristallsplitter in meine Haut bohrten. 
Mein Zauberstab. Wo war bloß mein Zauberstab? 
"Roselynn!“ 
Ich fuhr so heftig zusammen, dass ich mir den Ellenbogen am Rand des Koffers stieß und schmerzerfüllt aufstöhnte. Im nächsten Moment schlangen sich schon zwei Arme um meinen Hals und meine Sicht wurde völlig von einem Meer kastanienbrauner Locken eingenommen. 
"Ich hatte so gehofft dich zu sehen!“, plapperte Sue sofort los, während sie sich mit einer fahrigen Handbewegung die Brille wieder auf die Nase, „Natürlich bist du schwer zu übersehen, also ich meine, klar-“ 
In diesem Moment bemerkte sie meinen Blick, meine roten, geschwollenen Augen, die Spuren der Tränen auf meinen Wangen und wurde blass. Ihre Augen wanderten zu meinen blutenden Fingern, meine aufgeschürften Knie, den Schmutz auf meinem Rocksaum, den ihre Mutter noch vor wenigen Tagen für mich abgesteckt hatte. Kurz wandte sie den Kopf zur Seite und sah in meinen Koffer, wobei ein Schatten über ihr Gesicht fiel. 
"Du lieber Himmel!“ 
Madame Malkins kam, gefolgt von einem großen, schlaksigen Mann, der einen Wagen mit einem schon leicht zerschrammten Koffer darauf vor sich her schob, über den leeren Bahnsteig auf uns zu. Kurz registrierte ich, dass der Mann genau die gleichen Locken hatte wie Sue, nur kurz geschnitten und, genau wie bei ihr, nach allen Seiten abstehend. Auf dem Koffer stand auch ein geflochtener Weidenkorb mit Gittertür, doch ich konnte nicht erkennen, was sich darin befand. 
Als Sues Duft nach Taubnesseln, Walnüssen und heißen Maronen über mir zusammen schlug, begann ich fast genauso schlimm zu weinen wie zuvor. Madame Malkins warf einen kritischen Blick in meinen Koffer, ihr Gesicht verdüsterte sich. Monsieur Malkins jedoch stellte in aller Ruhe Sues Koffer bei unserer kleinen Gruppe ab und ging dann neben mir und seiner Tochter in die Hocke. 
"Hallo“, sagte er mit einem freundlichen Lächeln und hielt mir seine große, raue Hand hin, „Ich bin Jean“ 
"Roselynn“, brachte ich zwischen meinen bebenden Lippen hervor und schaffte es trotz verschwommener Sicht die mir dargebotene Hand zu ergreifen. 
"Ich weiß“, Monsieur Malkins lächelte ein Lächeln, weich, warm und beständig, „Sue hat mir von dir erzählt. Das Drachenmädchen“ 
Zum Glück bekam ich in diesem Moment einen Schluckauf, deshalb bemerkte keiner von ihnen wie ich zusammen zuckte. 
Und dann begann die Zauberei. 
"Das kann ja keiner mit ansehen“ 
Madame Malkins holte ihren Zauberstab aus einer Innentasche ihres schmucken, muggelgerechten Blazers. Er bestand aus Dreiecken und jedes davon hatte eine andere Farbe. Sie schnippte damit über meinen Koffer, als wollte sie eine Prise Salz darauf streuen. 
Meine Kleider, Bücher und anderen Habseligkeiten erhoben sich in die Luft und begannen eine ganz eigene Choreographie zu tanzen. Die Bücher befreiten sich aus dem Stoff meiner Umhänge und Röcke, strichen, wie die Tauben ihre Federn, ihre Seiten glatt, stapelten sich vor Madame Malkins und blieben dort in der Schwebe. 
"Eine interessante Auswahl an Lektüre“, bemerkte sie, während sie ihren Zauberstab hin und her schwang, wie ein Dirigent, der sein Orchester einen flott, geschmeidigen Walzer spielen ließ, „Du solltest dir daran ein Beispiel nehmen, Sue“ 
"Ja, Maman“, antwortete sie brav, doch in ihren Augen sah ich das Leuchten von Sternen. 
Worüber freute sie sich so? 
Madame Malkins ließ meinen Koffer tanzen. Aus den Falten meiner schönsten Bluse entfernte sie mit einem Schwung ihres Zauberstabes die letzten Wellhornschnecken, mit einem Zweiten verschwand jede Spur des Schneckenschleims. Käferaugen und Kristallscherben kamen von allen Seiten herbei geflogen und bildeten vor ihr in der Luft schwebende Bälle, während meine Kleider sich von selbst falteten. Monsieur Malkins lachte über meine großen Augen. 
"Nun zu dir, kleine Hexe“, er holte seinen eigenen Zauberstab aus seiner bunt karierten Weste hervor und tippte sich mit der Spitze auf die Handfläche seiner Rechten, woraufhin ein Taschentuch darin erblühte wie eine Seerose, „Ich glaube da ist ein ganz hübsches Gesicht drunter“ 
Mit plötzlichem Schrecken spürte ich, wie sich meine Brille selbstständig machte. Schnell presste ich die Augen zu. 
"Keine Angst“, hörte ich Sues Stimme, während mir das Tuch, kühl und leicht wie eine Feder, übers Gesicht strich, „Es ist nur ein bisschen Wasser dran“ 
War ihr dieses Prozedere etwa bekannt? 
Ich spürte ein unangenehmes Ziehen in meinen Finger, doch ich wagte es erst hin zu sehen, als ich meine Brille wieder auf meiner Nase spürte. Die Splitter der Kristallphiolen waren aus meiner Haut verschwunden und bildeten nun kleine, rote Tupfer in dem glitzernden Ball über meinem Koffer. 
"Halt kurz still“, befahl mir Sue und während ich stocksteif da stand, strich Monsieur Malkins mir mit seinem Zauberstab über die Finger. 
Pflasterstreifen erschienen aus dem Nichts und wickelten sich blitzschnell um meine Hände. Dann schwenkte er seinem Zauberstab in Richtung meines Knies, wo sich im Nu ein Heftpflaster über die Schrammen legte. 
"So, fertig“, Monsieur Malkins nickte zufrieden und verströmte dabei einen Geruch von Taubnesseln, Walnüssen und heißen Maronen, „Sollte es zu sehr weh tun gehst du am besten in Hogwarts zu Madame Pomfrey. Sie leitet den Krankenflügel“ 
"Danke“, brachte ich hervor.

Monsieur Malkins lächelte nur und erhob sich. 
"Sue“, meldete sich da plötzlich Madame Malkins zu Wort, „Zeig mir, wie viel du geübt hast“ 
Ich konnte nur staunen. Meine gesamte Habe lag bereits wieder in meinem Koffer, die Kleider zusammen gelegt, die Bücher in ordentlichen Stapeln, alles, was heil geblieben war, mit Bedacht dazwischen verteilt. Ganz zu Oberst, auf meinem Schulumhang, konnte ich Sues Zeichnung erkennen und, Merlin sei Dank, meinen Zauberstab, glänzend, elegant und völlig unversehrt. Das einzig übrig gebliebene waren nun meine zerbrochene Waage, die Splitter der Kristallphiolen und meine Zaubertrankzutaten, die eigentlich darin hätten sein sollen. All das schwebte immer noch über meinem Koffer. Und auch wenn die Aufforderung von Madame Malkins an ihre Tochter etwas schroff geklungen hatte, sah ich, wie in Sues Gesicht eine zweite Sonne aufging. 
"Gern!“, rief sie aus und griff in ihre lindgrüne Jeansjacke. 
Daraus hervor holte sie ihren Zauberstab. Ich roch poliertes Eichenholz und etwas wie Pferdehaar, nur-... heller. 
"Du kannst schon zaubern?“, platzte ich heraus und kam mir im nächsten Moment ziemlich dämlich vor. 
Natürlich konnte Sue schon zaubern, sie war immerhin eine echte Hexe, in einer Zaubererfamilie aufgewachsen. Sie hatte ihren Zauberstab bestimmt nicht erst vor ein paar Tagen gekauft und er war danach garantiert nicht direkt in einem Koffer eingeschlossen worden. 
Doch Sue lächelte strahlend vor Stolz. 
"Ein bisschen“, gab sie zu, schon die Ärmel ihrer Jacke hoch und zielte dann mit konzentrierter Miene auf den Ball aus glitzernden Scherben. 
"Reparo!“ 
Ich hörte das Knistern, es klang wie fallender Schnee, und sah das Licht. Es strahlte nicht weit, war jedoch gleißend hell, sodass ich die Augen abwenden musste. 
"Das funktioniert doch ganz hervorragend!“, hörte ich Monsieur Malkins anerkennend rufen. 
Im ersten Moment, als ich hinsah, war ich mir nicht sicher. Erst später nahm ich mir eine der Phiolen und schnupperte daran. Die Kobolde hatten auch diesen Geruch an sich getragen. Ich beobachtete, wie Sue auch meine Messingwaage reparierte, doch dieses Mal fiel der Zauber viel weniger beeindruckend aus. Ein leichtes Schimmern, ein Klicken und schon war die Waage wieder ganz. Das Messing hatte sich kein Stück verändert. 
Mit einer Drehung ihrer Zauberstabhand ließ Madame Malkins mein Blut von den hauchdünnen, fast bis zu Durchsichtigkeit polierten Opalphiolen verschwinden. Meine Zaubertrankzutaten füllten sich von selbst hinein und die Gläser machten es sich in einem Wintermantel gemütlich, der sich dann in meinem Kessel niederließ. 
"Willst du nicht deinen Zauberstab nehmen?“, fragte mich Sue und schob ihren Eigenen wieder zurück in ihre Jackentasche. 
"Was?“, krächzte ich und dann, endlich wieder etwas beherrschter, „Oh, ja“ 
Ich nahm den Stab heraus, schob ihn behutsam in meine Rocktasche und schloss den Deckel meines Koffers.
20. Kapitel
Black Rose
"Das hat uns einige Zeit gekostet“ 
Mit gerunzelter Stirn blickte Madame Malkins auf ihre Armbanduhr und richtete ganz nebenbei noch einmal ihren Zauberstab auf mich, woraufhin der Schmutz von meinem Rock rieselte und sich meine Bluse von selbst glatt strich. 
"Das war es doch wert“, lächelte Monsieur Malkins. 
Er hatte meinen und Sues Koffer in den Zug geladen und trat nun mit seinem unverwechselbar freundlichen Ausdruck an seine Frau heran. Die betrachtete uns und fast glaubte ich, so etwas wie ein Schmunzeln auf ihren Lippen gesehen zu haben. Doch da war es auch schon wieder verschwunden. 
"Sei artig“, mahnte sie Sue und aus ihrer Miene war nichts mehr zu lesen, „Stell nichts Dummes an. Und reiß dich ein wenig zusammen, ja?“ 
"Ja, Maman“ 
Sue küsste ihre Mutter, die sich dann abwandte, ihr Vater verabschiedete sich herzlicher von ihr. 
"Und pass auf Roselynn auf“, meinte er fast nebenbei und stupste sie mit dem Zeigefinger auf die Nase, "Nichts ist dieser Tage wichtiger und teurer, als Freundschaft“ 
In Anbetracht der Tatsache, dass ich direkt neben ihnen stand, war mir das Mitanhören ihres vertrauten Gesprächs ein wenig peinlich. Sue jedoch eindeutig nicht. 
"Ich weiß, Papa“, antwortete sie mit fester Stimme und bekam dafür einen Kuss. 
"Alles Gute, Roselynn“ 
Monsieur Malkins schüttelte mir noch einmal vorsichtig die Hand, dann folgte er seiner Gattin durch die Absperrung und war verschwunden. Das Gleis war, bis auf Sue und mich, immer noch völlig verlassen, doch bevor ich sie fragen konnte, antwortete sie von selbst. 
"Maman hat Angst um den Laden“, ihr Ton verursachte mir eine Gänsehaut, auch wenn sich ihre Gesichtszüge nicht verändert hatten, 
"Und Papa arbeitet im Ministerium, du kannst dir ja vorstellen, wie ́s da grade zugeht. Deshalb haben sie mich so früh wie möglich her gebracht. Dieses Gleis ist praktisch schon Hogwarts. Hier ist es sicher“ 
Ich konnte es mir zwar nicht vorstellen, hatte jedoch so meine Vermutungen. Gerade jetzt purzelten immer noch scheußliche Bilder durch meinen Kopf, ungebetene Gäste, die ich nicht los wurde. Ich schauderte. Meine Augen brannten. 
"Wo ist dein Vater?“, fragte Sue vorsichtig. 
"Wer?“ 
Ich starrte Sue an. 
"Dein Vater“, wiederholte Sue und blickte nun genauso verwirrt, wie ich, „Der mit dem netten Lächeln und dem Schal. Sag nicht, dein Vater ist der Griesgrämige“ 
"Keiner von den beiden ist mein Vater“, gab ich wahrheitsgemäß zurück. 
Zuerst blickte Sue noch verwirrt, dann entsetzt. 
"Oh Roselynn, das wusste ich nicht, es tut mir so leid, ich dachte-... ihr habt so vertraut gewirkt und sie sind dir nicht von der Seite gewichen und-... oh Roselynn!“ 
Und in diesem Moment verstand ich wirklich, was Monsieur Malkins gesagt hatte. Meine Brüder waren weit weg und ich würde ihnen niemals von Hogwarts erzählen können. Nicht wirklich, denn sie würden es nicht verstehen. Kristóf und Dr. Imre würden sich sicher über einen Brief freuen, aber... Wie entwickelte man Gefühle für jemanden, wenn einem Gitterstäbe den Weg versperrten? Wie erzählte man jemandem von seinen Sorgen, wenn einem das schwere Lederhalsband, das man um den Hals trug, die Luft abschnürte? 
Monsieur Malkins arbeitete also im Ministerium? Einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich Sue fragen sollte, in welcher Abteilung er arbeitete, doch-... 
Ich räusperte mich. 
"Mach dir keine Sorgen, das ist schon lange-... also, was ich sagen will-...“, ich räusperte mich erneut, „Sollen wir uns ein Abteil suchen? Bevor alle Plätze am Fenster weg sind?“ 
Sue blickte nach links und rechts über den immer noch verlassenen Bahnsteig und lachte dann laut auf. 
"Ja, besser ist das wohl!“, rief sie aus, hob ihren Weidenkorb in ihre Arme und stapfte dann voran zur nächsten Wagontür. 
Ich nahm den Käfig mit meinem immer noch schmollenden Huhn und folgte ihr. An der Treppe sah ich gerade noch rechtzeitig, wie sie den einen Fuß nicht hoch genug hob und packte sie mit meiner freien Hand am Kragen ihrer Jeansjacke. 
"Das sollte wirklich nicht zur Gewohnheit werden“, hörte ich ihre schwache Stimme nur Zentimeter vor der Stufe, die ihr fast die Stirn gespalten hatte. 
Mit einem sanften Ruck stellte ich sie wieder auf ihre Füße. 

Es war faszinierend zu beobachten, wie sich der Bahnhof füllte. Kurz nachdem Sue und ich uns in einem der vorderen Abteile unsere Plätze gesucht hatten, strömten junge Hexen und Zauberer mit ihren Familien auf das Gleis. Die Älteren schlenderten fast schon durch die Absperrung, die Jüngeren rannten und das führte unweigerlich zu einigen kleinen Kollisionen. 
Im vorsichtigen Versuch ein normales Gespräch zu beginnen, hatte ich Sue nach ihren letzten Tagen gefragt. Meine Bewunderung und mein Dankeschön für das Bild, das sie mir geschickt hatte, quittierte sie mit einem scheuem Lächeln. 
"Maman meinte, es könnte dir gefallen. Du bist ja noch weiter weg von zu Hause, als wir anderen“ 
Plötzlich sprang sie auf, klopfte mehrmals laut gegen die Fensterscheibe und stürzte mit einem Gleich wieder da! aus dem Abteil. 
Langsam schraubte ich mich wieder aus meinem Sitz. Ich war fürchterlich nervös. Selbst mit Sue zu sprechen empfand ich noch als puren Nervenkitzel und während sich der Hogwarstexpress langsam füllte, spürte ich das Kitzeln unter meiner Haut immer stärker werden. Ich sah durchs Fenster, wie Sue einem schlaksigen, hochgewachsenen Jungen um den Hals fiel, worauf dieser fast umfiel und seine Begleitung, ein sehr hübsches Mädchen mit leuchtend rotem Haar, laut auflachte. Hinter dem Mädchen sah ich noch mehr Menschen, zwei Erwachsene, wohl ihre Eltern, sowie einen Jungen und ein Mädchen in unserem Alter. Der Junge, er trug eine Art Malerkittel als Jacke und seine langen, schwarzen Haare waren so fettig, als hätte er sie seit Monaten nicht gewaschen, hielt sich und seinen Wagen nah an der Rothaarigen. Im Gegensatz dazu versuchte das Mädchen, dass der Rothaarigen sehr ähnlich sah, anscheinend so viel Abstand wie möglich zwischen sie zu bringen. Mir fiel noch auf, dass sie keinen Koffer dabei hatte, da hörte ich, wie die Abteiltür aufging. 
"Es ist mir eine Freude, dich wieder zu sehen“ 
Ich fuhr herum und erkannte den Jungen, auch wenn ich seine Stimme zuvor nie gehört und seinen Geruch noch nie wahrgenommen hatte. Er sah meine erstaunte Miene und sein selbstsicheres, charmantes Lächeln geriet ein wenig ins Wanken. 
„Du wirst dich wahrscheinlich nicht erinnern, ich–...“ 
Ich erinnerte mich sehr wohl und die wahrscheinlich gewollte Pause gab mir gerade genug Zeit ihn mit einem krächzenden Doch! zu unterbrechen. Hoffentlich überdeckte meine menschliche Hautfarbe, dass sich gerade all mein Blut in meinem Kopf zu befinden schien. 
Ich räusperte mich und sah dabei, wie ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht erschien. 
„Doch, ich erinnere mich"
Es entstand ein kurzes Schweigen, in dem ich schließlich einen Blick durchs Fenster warf und dann auch etwas fand, um von mir abzulenken. 
„Wo sind deine Eltern?“ 
Sein Duft war betörend, dunkle Schokolade mischte sich mit Tannenharz, frischem Moos und einem Hauch Moschus. Genauso sein lautes Lachen. 
"Ja, meine Mutter ist schwer zu übersehen“, er setzte sich mir gegenüber, auf den Platz, an dem zuvor Sue gesessen hatte. 
Dabei wirkte er so entspannt, als würden wir uns schon seit Ewigkeiten kennen. 
"Meine alten Herren haben mich nur kurz abgesetzt. Sie halten zu viel von sich, um sich einen Bahnsteig mit normalsterblichen Zauberern zu teilen“, und fügte, als er meinen verwirrt zur Seite geneigten Kopf sah, hinzu, „Sie halten sehr viel von ihrem Reinblüterstatus“ 
Nun jedoch schien ihm an mir etwas aufgefallen zu sein. Er musterte mein Gesicht, beugte sich vor, kam näher und streckte dann die Hand aus. 
Zu nah. Ich packte seine Finger.

"Was wird das?“, fragte ich betont gelassen. 
Er wich keinen Zentimeter zurück. 
"Ich würde gern sehen, ob die Augen dieses außergewöhnlichen Mädchens vor mir, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, genauso schön sind, wie der Rest von ihr. Du musst nämlich wissen, seit ich sie im Tropfenden Kessel gesehen habe, geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf“ 
Bei. Merlins. Bart.
Ich wollte etwas erwidern, ihm irgendetwas an den Kopf werfen, doch da hörte ich ein lautes Räuspern von der Tür. Medusa und Echidna, wie peinlich sollte dashier noch werden? 
Schnell drehte ich die Finger des Jungen in meiner Hand und ergriff sie für einen festen Händedruck. 
"Roselynn May“, sagte ich und lehnte mich dabei weitest möglich zurück, „Und du sitzt auf dem Platz meiner Freundin“ 
Er sah auf und erblickte gut ein halbes Dutzend Personen, die neugierig zur Abteiltür herein spähten, allen voran Sue, die ihn missbilligend anfunkelte. Geschmeidig erhob er sich von Sues Sitzplatz, ließ dabei jedoch nicht meine Hand los. 
"Sirius Black“ 
Und bevor ich etwas tun konnte, zog er seinen Zauberstab und tippte mir, als er mich endlich losließ, damit auf die Finger. 
Beim Hinausgehen nickte er noch jemandem zu, dann schob er sich durch die kleine Menge und verschwand. Ich betrachtete kurz die schwarze Papierrose, die in meiner Hand Gestalt angenommen hatte, dann schob ich sie in meine Rocktasche. Eine kurze Bewegung verriet mir, dass Sue gerade ihren Zauberstab wieder in ihre Jacke schob. Sie guckte etwas grimmig, doch sofort wieder freundlich, als sie an meiner Seite trat. 
"Also Leute, das ist Roselynn!“ 
Alle Anwesenden strahlten mich an.
21. Kapitel
Neue Gesichter
Unter den jungen Hexen und Zauberer, die Sue mitgebracht hatte, erkannte ich die Gesichter vom Gehsteig. Das rothaarige Mädchen stellte sich mir als Lily Evans vor und sprach sofort ihre Bewunderung für mein Aussehen aus. Ihre Begleitung, der Junge mit den fettigen, schwarzen Haaren, sagte gar nichts, doch Lily meinte sein Name sei Severus Snape. Er sagte natürlich nichts dazu. 
Der große, schlaksige Junge, dem Sue so stürmisch um den Hals gefallen war, hieß Frank Longbottom und ließ sich auch sogleich neben seiner Freundin aus Kindertagen nieder. Neben mich auf den Sitz plumpsten zwei weitere Jungen, die sich unheimlich ähnlich sahen. 
"Was hast du mit diesem Black zu schaffen?“, fragte mich der Eine, ohne sich überhaupt vorzustellen. 
Er sah ein wenig älter aus als sein Bruder, doch beide hatten fuchsrotes Haar, Sommersprossen und eine hohe Statur. Bevor ich jedoch antworten konnte, fuhr Sue dazwischen. 
"Lass das doch, Gid. War doch klar, dass er sich für sie interessiert“ 
Sofort spürte ich alle Blicke auf mir. 
"Stimmt“, gab der Rotschopf zu und wirkte auch gleich sehr viel freundlicher, „Und wie eine Slytherin sieht sie auch nicht aus“ 
Lily hatte gerade entspannt neben Frank Platz genommen, Severus jedoch war an die Abteiltür gelehnt stehen geblieben und zuckte nun unmerklich zusammen. Wahrscheinlich wäre es niemandem aufgefallen, hätte nicht ich ihm sofort den Kopf zugewandt. Abrupt befand er sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und selbst Lily blickte mit leicht skeptischer Miene zu ihm empor. 
"Was?“, blaffte er zornig, seine Stimme klang ölig und leicht nasal, „Slytherin ist kein schlechtes Haus. Es verspricht einem wahre Größe“ 
"Du bist also einer von diesen Reinblüter, oder?“, fragte der ältere Bruder kalt. 
Severus zuckte erneut zusammen, diesmal merklich.

"Komm Lily, lass uns gehen“, schnarrte er und öffnete die Abteiltür.

Lily blickte verlegen in die Runde und zuckte dann mit den Schultern. 
"Bis später“, lächelte sie schwach und folgte Severus aus dem Abteil. 
So unauffällig wie möglich schnupperte ich ihnen nach und rümpfte dann so auffällig die Nase, dass Sue und Frank laut auflachten. Zwei unterschiedlichere Menschen hatte ich noch nie gerochen. Lily trug einen frischen Duft nach Schneeglöckchen, warmen Haferkeksen, Sonne und auch nach scharfen Chilischoten. Severus jedoch roch... staubig. Fast schon wie zu alte Walnüsse, dazu der unverkennbare Duft von Birkenrinde und Bittermandelöl. 
"Seltsamer Kerl“, schnaubte Gid, „Wahrscheinlich auch nicht besser, als die Blacks“ 
"Seid ihr nicht mit den Blacks verwandt?“, fragte Frank und zog die Mundwinkel frech nach oben. 
"Und du, Longbottom?“, gab Gid schlagfertig zurück.

"Das ist doch über die Generationen verwässert“, zuckte Frank mit den Achseln. 
"Tja, aber wir sind Prewetts“, meldete sich da zum ersten Mal Gids Bruder zu Wort, „Was die Reinblüter-Geschichte angeht, stehen wir ganz oben auf der Abschussliste“ 
Mit fragender Miene wandte sich Gid wieder zu mir. 
„Ist die Sache mit dem Blutstatus im Ausland eigentlich auch so wichtig geworden, wie bei uns?“ 
Ich überlegte einen Moment, entschied mich dann jedoch für die Wahrheit. Zumindest einen Teil davon. 
"Schon immer“, nickte ich, „Seit ich mich zurück erinnern kann“ 
Was den Blutstatus unter Zauberern betraf, konnte ich nur aus wenigen Erfahrungen schöpfen und die Unangenehmsten hatte ich mit Zauberern aus anderen Ländern gemacht. Die Leute im Reservat waren aus anderem Holz geschnitzt, für sie hatte Blut nur in einem Fall eine Bedeutung, dafür dann aber die Größte: bei ihren Drachen. Die Zucht war immer eine wohl überlegte Sache... 
"Na, dann mal die Hosen runter“, lachte Gid, „Gehörst du auch zu der raren Riege der Reinblüter?“ 
Obwohl ich längst verstanden hatte, dass ich mich in einem Abteil voller Reinblüter befand, fiel mir die Antwort leicht. 
"Halbblut“, grinste ich, nicht ohne einen gewissen, neckischen Unterton. 
Halb Opal, halb Viper. Aber das brauchten sie ja nicht zu wissen. 
Ein belustigtes Aufstöhnen ging durch die Reihen der Jungen, Sue grinste bloß. 
"Okay, wer von deinen Eltern war der böse Finger, der sich mit einem Muggel eingelassen hat?“, fragte Frank. 
Ja, wer eigentlich? Wer von beiden hatte mir mein Hexenblut vererbt? Und wer hatte das Erbe Echidnas an mich weiter gereicht?
Ich blickte zu Sue und sah, dass das Lächeln von ihrem Gesicht verschwunden war. Und nicht nur sie schien etwas bemerkt zu haben. 
"Fabian Prewett“, streckte mir plötzlich der jüngere Bruder die Hand entgegen und verpasste dem Älteren dabei fast eine Ohrfeige, „Und dieser Klotz ohne Manieren heißt Gideon“ 
Ich schüttelte erst Fabians, dann Gideons Hand und mit dieser tapferen Rettungsaktion war meine Fragestunde erst einmal beendet. 
"Wie geht ́s eigentlich Molly?“, wollte Frank von den Brüdern wissen. 
Beide grinsten. Dabei sahen sie sich so ähnlich, als hätte man zwischen ihnen einen Spiegel aufgestellt. 
"Sie und Arthur haben geheiratet“, Gideon verdrehte die Augen, „Und sie ist so froh, dass man sie jetzt nicht mehr durch ihren Nachnamen mit uns in Verbindung bringt“ 
"Wo wir doch jetzt in Hogwarts sind und alle erfahren werden, dass wir die schwarzen Schafe der Familie sind“, fügte Fabian in einem derart unglücklich gespielten Ton hinzu, als ginge es um die Beerdigung seiner Großmutter. 
Alle lachten. 

Es wurde eine ausgelassene Runde. Bis elf Uhr schauten noch mehrere Schüler bei unserem Abteil vorbei. Die Brüder Prewett schienen, obwohl es auch ihr erstes Jahr in Hogwarts war, jeden zu kennen und Gideon und Sue stellten mich mit Begeisterung jedem neuen Gesicht vor. Selbst James Potter lief einmal an unserem Abteil vorbei, dicht gefolgt von dem schmächtigen, verschüchterten Jungen, der in Gringotts in mich hinein gelaufen war, doch er bemerkte mich nicht, da ich mich tief in meinen Sitz hinter Gideon vergrub. Ich hatte keine Lust ihm zu begegnen. Denn trotz meines plötzlichen Reichtums hatte ich es mir verkniffen, mir einen Besen zu zulegen. 
Die Erinnerung ans Fliegen, ans richtige Fliegen, würde ein Besen nur zu schmerzhaft wach rufen und nicht einmal Kristóf oder Dr. Imre hatten mich von etwas Anderem überzeugen können. Und der Morgen hatte nicht mal ausgereicht, um mir eine Eule zu kaufen. 
Ich schluckte schwer. Sue sah es und legte mir kurz eine Hand aufs Knie, bevor ich von Gideon angerempelt wurde, der sich gerade spaßeshalber mit seinem Bruder prügelte. Fabian fluchte ausgelassen und schließlich warf er sich auf seinen Bruder, der jedoch geschickt auswich, sodass Fabian halb in meinem Schoß landete. Er wurde sofort so rot, als wäre sein Kopf ein kochender Teekessel und kraxelte unter Franks und Sues Lachen und mit vielen Entschuldigungen auf seinen Sitz zurück.
Der leere Platz neben Frank wurde bald von einem gut aussehenden Mädchen namens Marlene McKinnon eingenommen, die ihre goldenen Locken zu einem unordentlichen Zopf geflochten hatte und den Käfig mit ihrer Schleiereule Littlejohn gegen ihre Brust gepresst hielt, wie einen Schild. In den folgenden Gesprächen kristallisierte sich sehr schnell heraus, dass sie einen Wissensstand besaß, von dem ich nur träumen konnte.
„Was hast du da eigentlich für eine Eule?“, fragte sie mich etwas später. Ich stutzte und lockerte den Griff um den kleinen Käfig auf meinem Schoß. 
"Das ist keine Eule“, erklärte ich verdutzt und hielt ihr den Käfig hin.

"Ein Huhn?“, blökten Frank und die Brüder im Chor.

"Wie süß!“, quietschten Sue und Marlene.

"Wo hast du das denn her?“, fragte Frank und beugte sich interessiert vor. 
Ich spürte, wie ich rot anlief und öffnete gerade den Mund, als mir der Geruch staubiger Walnüsse um die Nase strich und ich durch die Glastüren des Abteils eine kurze Bewegung wahr nahm. 
„Silver, nein!“ 
Sue kreischte erschrocken auf und griff mit beiden Händen nach etwas, riesengroß und von geschmeidigem Silber, das aus der offenen Tür ihres Weidenkorbes schoss, verfehlte es jedoch. 
Die Gestalt an der Tür wirbelte davon, doch ich hatte eindeutig andere Sorgen. 
Sues riesige, silberweise Katze stieß sich von Franks Knien ab, der schmerzgepeinigt aufschrie, entwischte den Armen der Prewett Brüder und landete fauchend auf meinem Schoß. Ich versuchte noch, den Käfig mit dem kleinen, goldenen Huhn empor zu reißen, doch Sues Katze war schneller. Ich spürte noch, wie mir der Käfig entglitt, dann landeten Katze, Käfig und Huhn fauchend, krachend und gackernd auf dem Boden, während es um mich herum goldene Federn regnete. Dann war deutlich ein lautes Fwuap zu hören, so als zöge man der Korken aus einer sehr großen, leeren Flasche, es duftete plötzlich intensiv nach Bienenwachs, Kalkstein und Thymianseife, und nun war es Sues Katze, die in Bedrängnis geriet. Das kleine, goldene Huhn hatte sich völlig selbstständig in einen mächtigen Uhu mit schimmerndem Gefieder verwandelt und ging nun mit einem ohrenbetäubenden Kreischen und messerscharfen Krallen zum Gegenangriff über. 
"Immobilus!“

Der Lärm erstarb sofort. Menschen wie Tiere verharrten in völliger Stille. 
"Entschuldigt bitte“ 
Die Stimme an der Tür war sanft und ein wenig rau, so als würde sie nicht oft benutzt. Ihr Ton klang außerdem ehrlich flehentlich. Ich hätte mich gern umgedreht, um ihn anzusehen, doch ich konnte keinen Muskel rühren. 
"Tut mir wirklich leid“, wiederholte er und ich hörte, wie er in unser Abteil trat, „Mir fiel kein anderer Spruch ein, deshalb-...“ 
Ich hörte mehrmals ein gemurmeltes Finite und spürte, wie mein Körper mir wieder gehorchte. Es polterte laut und als ich zu Boden blickte, musste ich laut auflachen. Nach dem plötzlichen Stopp ihrer Bewegungen hatten die Anderen jede Muskelspannung verloren, doch während Sue, Frank und Marlene nur in ihre Sitze gesunken waren, hatten Gideon und Fabian das Gleichgewicht verloren und lagen nun, als großes Knäul aus Armen und Beinen, direkt neben dem immer noch erstarrten Haustierkampf. Ich selbst saß immer noch aufrecht, denn dieser Zauber war mir nur allzu bekannt. Ministeriumszauberer hatten ihn angewandt um sich mir und meinen Brüdern gefahrlos zu nähern. Natürlich bevor ich offiziell eine Hexe war. Danach vermutlich nur noch aus Gehässigkeit.
Gideon und Fabian rappelten sich fluchend wieder auf. 
"Keine schlechte Idee, Mann“, gab Gideon zu und rieb sich seine angestoßenen Gliedmaßen, „Nur an der Reichweite solltest du noch etwas arbeiten“ 
Ich hob den Kopf. Die Anderen waren noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt und bemerkten gar nicht, dass er ihnen nicht zuhörte. Sue jammerte über ihren Korb und das plötzlich offene Schloss, Marlene versuchte sie zu trösten und Frank begutachtete mit verzogenem Gesicht den Riss in seiner Jeans. 
Er jedoch sah mich direkt an, fast so, als könnte er durch die Brillengläser hindurch sehen. Seine Augen hatten die Farbe von Honig und Bernstein. 
"Hey, Held des Tages!“, ließ Gideon seine Hand auf seine Schulter nieder sausen, „Bei wem dürfen wir uns bedanken?“ 
Der Zauber brach und wir zuckten beiden zusammen. 
"Remus“, sagte er mit einem schwachen Lächeln, lief plötzlich rot an und setzte schnell nach, „Lupin“ 
"Na dann, Remus Lupin, setz dich doch“, bot Gideon ihm den Platz neben mir an, bevor er mit anklagendem Finger auf mich zeigte, „Und du, Roselynn-...! Du hast da echt ein verdammt schräges Huhn!“
22. Kapitel
Der Zauberlehrling
Leicht entsetzt stellte ich fest, dass ich es bedauerte, als Remus uns mitteilte, dass er noch eine Verabredung habe und deshalb nicht bleiben könnte. Und so sehr die Prewett Brüder auch bettelten und schließlich sogar mit Entführung drohten, es blieb dabei, Remus wollte nicht bleiben. Als die Tür hinter ihm zu ging hob Sue, immer noch jammernd, ihre erstarrte Katze vom Boden auf und stopfte sie in den Weidenkorb zurück. 
"Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte!“, schniefte sie und zupfte sich unglücklich eine goldene Feder vom Schoß. 
Dann zückte sie ihren Zauberstab und richtete ihn auf den Korb. 
"Finite“ 
Aus dem Korb drang der abgewürgte Rest eines Fauchens, dann polterte er zur Seite und Sue musste ihn fest halten, als ihre Katze im Innern zur Seite umkippte. 
"Ist doch alles glatt gegangen“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch irgendwo, tief in meinem Innern, spürte ich, wie May der Drache Gift und Galle spuckte. 
Und auch Roselynn die Hexe war alles andere als versöhnlich gestimmt. Es war vielleicht nichts passiert, doch das verdankten wir nur Remus und seinem schnellen Eingreifen. Severus kleiner Scherz, und ich hatte gar keinen Zweifel daran, dass er der Schemen an der Tür gewesen war, hätte Sues Katze oder meinem Huhn gut und gerne das Leben kosten können. In mir brodelte es. 
"Willst du dein Hühnchen nich auch langsam mal wieder los machen?“, fragte da Fabian. 
Ich zuckte zusammen.

"Äh... ja, klar!“

Ich griff in meine Rocktasche, holte meinen Zauberstab hervor und räusperte mich.
"Finite?“ 
Nichts geschah. 
Nichts, außer, dass mir mein ganzes Blut in die Wangen schoss und ich das Gefühl bekam, praktisch von innen heraus rot zu leuchten. Wie peinlich! 
"Du darfst es nicht so zögerlich machen“, warf Marlene ein und zog nun ebenfalls ihren Zauberstab, „Du musst-...“, begann sie, doch da öffnete sich erneut unsere Abteiltür. 
"Habt ihr Severus-...“ 
Lily stockte.

"Nein, der war nicht hier“, gab Frank trocken zurück. 
Von wegen..., knurrte der Drache in mir, doch ich hielt mich zurück.
Stille kehrte ein. Ich saß da, den Zauberstab immer noch erhoben, mit knirschenden Zähnen und hochrotem Kopf, während alle Anderen zur Lily blickten, die nervös auf ihrer Unterlippe herum kaute und immer noch in der halb offenen Tür stand. 
"Du zauberst?“, fragte sie mich, ihre Stimme ein bisschen zu hoch und die Worte etwas zu schnell. 
Konnte einem der Kopf vor Scham platzen? 
"Wir bringen ́s ihr grade bei“, grinste Marlene und rutschte noch ein Stück näher an Frank heran, um mit einer Hand neben sich auf den Sitz zu klopfen, „Willst du auch?“ 
"Gerne!“ 
Wir alle sahen sie Erleichterung in Lilys Gesicht, als sie die Tür schwungvoll hinter sich schloss. Sie schien regelrecht zu strahlen. 
"Also“, wandte sich Marlene wieder mir zu, „Es ist ganz einfach. Schau, du machst sooo“, und sie schwenkte ihren eigenen Stab in einem kleinen Schlenker nach vorne, „Und dann das ganze mit noch ein bisschen Überzeugung“ 
Ich räusperte mich erneut. 
"Finite!“ 
Mit einem lauten Kreischen segelte der erstarrte Uhu über den Boden des Abteils. Kurz, bevor er mit der Tür kollidierte, hörten wir wieder ein deutliches Fwuap und das kleine, goldene Huhn federte von der Tür ab und gackerte aufgeregt. 
"Irre...“, kam es Lily über die Lippen. 
Ein sanftes Ruckeln ging plötzlich durch den Boden, dann setzte der Hogwartsexpress sich in Bewegung. Wir hörten das laute Rufen vieler Stimmen vom Bahnsteig. Leute liefen neben den offenen Fenstern der Abteile her und winkten, ich sah, wie Taschentücher gezückt wurden und Hände, die sich aus den Fenstern reckten, um noch einmal die ihrer Liebsten zu berühren. 
Der Zug nahm Fahrt auf und mit einem plötzlichen Aufblitzen hellen Lichtes flutete die Sonne in unser Abteil. 
Der Hogwartsexpress ließ Kings Cross schnell hinter sich, Häuser rauschten an uns vorbei, wir überquerten eine Brücke, dann folgten Fabrikhallen, über denen dichter Qualm und Ruß den Himmel verdunkelten. Und schließlich war London hinter uns verschwunden und hinter dem Fenster rauschten Felder und Wiesen und Wälder vorbei, nur ab und zu von einem kleinen Bauernhof oder Dorf unterbrochen. 
Irgendwann fingen wir wieder an uns zu bewegen, anstatt wie gebannt aus dem Fenster zu starren. Die Anderen begannen sich zu unterhalten, mir jedoch war nicht mehr nach Reden zu Mute. Vorsichtig hob ich das kleine, goldene Huhn vom Fußboden auf und setzte es mir auf den Schoß. Die Sonne schien ihm zu gefallen und bald stellte es zufrieden seine Federn auf, kuschelte sich in meinen Rockfalten zusammen und schloss die Augen. Ich streichelte seine warmen Federn und nahm mit all meinen Sinnen meine Umgebung wahr. 
Unter meinen Füßen vibrierte der Boden, leichtes Ruckeln drang manchmal durch die Sitze und der Wagon schwankte, wenn der Hogwartsexpress sich in eine Kurve neigte. Ich hörte das Zischen des Kessels, vorne bei der Lock und das stetige, beruhigende Rattern des Dampfgetriebes. Darüber das Lachen und Reden und Atmen hunderter Menschen. Ich roch den Staub in dem abgewetzten Polsterbezug der Sitze, Leinen, Jeans- und Wollstoff verschiedener Kleidungsstücke in der Sonne, menschlichen Schweiß, Eulenfedern, Ratten- und Katzenfell, außerdem Schokolade und Gummibärchen. Ich hörte, wie ein Keks in der Mitte zerbrochen wurde, die Krümel regneten mit einem unhörbaren, leisen Poltern auf den Abteilboden und Sue reichte mir meine Hälfte, während Lily die Packung an Gideon und Fabian weiter reichte. Marlenes Schleiereule döste auf ihrem Schoß und aus Sues Weidenkorb hörte ich ein leises, gurrendes Schnurcheln. Das kleine, goldene Huhn gluckerte leise im Schlaf und zuckte mit dem Kopf. 
Ich nahm den halben Keks und biss vorsichtig hinein. Dann erst bemerkte ich, dass ich immer noch meinen Zauberstab in der Hand hielt. Vorsichtig schob ich ihn zurück in die Rocktasche.
23. Kapitel
Freunde
Ich hatte das Gefühl nur für einige Sekunden die Augen geschlossen zu haben, doch als ich sie wieder öffnete, schlief das goldene Huhn nicht mehr auf meinem Schoß, sondern in Marlenes Eulenkäfig, und meine Brille lag auf der Ablage vorm Fenster, während die Sonne dahinter schon hoch am Horizont hing. 
Erschrocken riss ich eine Hand vor ́s Gesicht und fischte mit der Anderen nach der Brille. 
"Guten Morgen, Schlafmütze!" 
Gideons Stimme klang ein wenig dumpf, was kein Wunder war bei dem großen Bissen Kürbispastete, den er sich gerade in die Wangen gestopft hatte. 
"Hier, nimm ein Stück, wir haben dir was aufgehoben!" 
"Gerettet meinst du wohl!" 
"Bist grade rechtzeitig aufgewacht!" 
Es herrschte eine noch viel ausgelassenere Stimmung in unserem Abteil als zuvor und ich erkannte auch fast sofort warum. 
Zucker. 
"Wo kommt das alles her?", fragte ich und blickte auf die Süßigkeiten in meinem Schoß und das Stück Kesselkuchen, in das ich gegriffen hatte, als ich nach meiner Brille geangelt hatte. Ich leckte mir die schokoladige Creme von den Fingern und musste seufzen. Ich liebte Schokolade. 
"Der Imbisswagen war hier", erklärte Sue mir, die gerade herzhaft in einen Lakritzzauberstab biss. 
"Aber das hat doch Geld gekostet!", rief ich aus und betrachtete die Packung Berty Bott ́s Bohnen, die dutzenden Schokofrösche und die zischenden Säuredrops in meinem Schoß. 
"Ach, das war doch nichts", lachte Fabian und grinste mich an, ein wenig Schokolade klebte noch an seiner Oberlippe und in seinem Schoß stapelten sich die Schokofrosch-Sammelkarten, die er gerade munter mit Marlene tauschte, "Sei froh, dass Lily dir was übrig gelassen hat!" 
Ich blickte in die Ecke, wo ich die Rothaarige zuletzt gesehen hatte und musste das erste Mal in diesen Tagen einen Lachanfall unterdrücken. Lily saß immer noch dort, praktisch begraben unter einem Stapel Süßigkeiten und auf dem Boden vor ihr lagen bunte Papiere wild verstreut. Auch bemerkte ich, dass jemand die Vorhänge unseres Abteils nun zugezogen hatte. 
Schmollend schob Lily die Unterlippe vor und hielt mir dann eine offene Packung Zuckermäuse hin. 
"Willst du Eine?", fragte sie kleinlaut. 
"Gib doch zu, dass du endlich satt bist!", blökte Frank und fiel dann lachend und sich den Bauch haltend in seinen Sitz zurück. 
"Sie sind wirklich lecker", ignorierte Lily schmollend ihren kichernden Nachbarn. 
Ich hätte gern etwas genommen und die Leckerbissen in meinem Schoß genossen, doch mein Magen machte fast sofort einen Purzelbaum. 
"Tut mir leid, ich-... ich hab noch keinen Hunger" 
Ein Schatten legte sich über die Gesichter aller Anwesenden und Frank hörte auf zu lachen. Als ich zu Sue blickte, sah ich, wie sie schuldbewusst das Gesicht verzog. 
Verdammt. So viel dazu mich bedeckt zu halten. 
"Wir haben sie gefragt, Roselynn", es war Gideon der sprach und dabei angemessen schuldbewusst aussah, "Wir haben doch alle gemerkt, dass du nicht ganz bei der Sache bist. Ich meine: Hogwarts! Und du blickst drein als wäre grade jemand-" 
"Gid!", fuhr ihm Sue zischend in den Satz, doch ich spürte bereits, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. 
"Ich hab dir meinen Käfig geliehen", beeilte sich Marlene das Thema zu wechseln, "Littlejohn freut sich, wenn er neben dem Zug her fliegen kann" 
"Danke dir", murmelte ich, sah jedoch noch, wie Sue Gideon einen bösen Blick zu warf. 
"Sammelst du eigentlich Schokofrösche?", fragte Fabian, eifrig dabei von dem unangenehmen Thema abzulenken und hielt mir die Karten in seiner Hand hin, "Die hier habe ich doppelt, möchtest du welche davon haben?" 
"Ich dachte ich bekomme Albrecht den Verrückten!", begehrte Marlene auf und Fabian lief puterrot an, als ein strahlend weißes, hell leuchtendes Geschöpf durch die Decke in unser Abteil fiel und sie alle verstummen ließ. 
Es war das zweite Mal in meinem Leben, und auch nich am selben Tag, dass ich einen Patronus zu Gesicht bekam. Es war nicht der Dachs von Kristóf, doch als das Tier seinen schimmernden Kopf hob und mich ansah, erkannte ich die Stimme sofort. 
Wir sind unverletzt.
Die silberne peruanische Viper senkte den leuchtenden Kopf bis an mein Knie und ihre wunderschöne Schnauze streifte mein Knie. Bilder huschten durch meinen Kopf, ich sah das Reservat, eingestürzte Mauern, brennende Hütten und Fluchlöcher im Boden. Jedoch und das trieb mir die Tränen in die Augen, auch Drachen, außerhalb ihrer Gehege, ohne Halsbänder und Ketten, die sich, massig, Feuer speiend und fauchend, vor den Angreifern aufbauten. Sie beschützten ihr Territorium, ihre Brut, ihre Wächter und ihr Zuhause. In den aufblitzenden Szenen sah ich Marys Kurzschnäuzler, die ihre Wächterin vor den Gestalten in Umhängen abschirmten und dann einen kräftigen Feuerstoß leuchtend weißer Flammen, der die Körper der Totesser dahin schmelzen ließ wie weiches Wachs in einem Kaminfeuer. Ich sah unseren Eisbauch, der über dem Gelände kreiste und bereits die Hälfte des kleinen Kiefernwaldes eingefroren hatte, in den einige der Vermummten geflohen waren und um dessen Nüstern immer noch dampfend die Kälte flirrte. Und ich sah meine Brüder, zwei schwarz, einer weiß, mit schillernden Augen und leuchtenden Zacken auf den Schuppen, mit weit geöffneten Mäulern, die Fangzähne gebleckt. Sie waren auf der Jagd und sie jagten ihre liebste Beute. 
Der Patronus von Dr. Imre hob wieder seine Schnauze und sah mir in die Augen. Dann löste er sich auf. Doch das Licht, dass er ins Abteil gebracht hatte, blieb. 
"Weißt du was, Lily?", sagte ich nach einigen Minuten vollkommener Stille, in denen der Hogwarstexpress fröhlich schwankend seinem Ziel entgegen strebte, sein sanftes Ruckeln kam mir plötzlich vor wie ein kleiner Freudentanz, "Ich nehm doch was, danke. Und ich will Albrecht den Verrückten!" 
Die Sonne sank am Himmel herab und verschwand langsam hinter dem Rand der Erde. Dunkelheit legte sich über die Welt und machte die Bilder vor unserem Fenster zu vorbei huschenden Schemen. 
Als es fast acht Uhr war klopften mehrere Male Schüler an unsere Abteiltür und verkündeten aufgeregt, dass Hogwarts nun schon ganz nah war. 
Wir verstauten die restlichen Süßigkeiten, unsere neuen Schokofroschkarten und Muggeljacken in unseren Koffern und Taschen und kramten stattdessen unsere Umhänge hervor. Wie mir auffiel sahen sie von außen alle gleich aus, doch die von Sue und mir warn mit einem fließenden Stoff ausgekleidet, der, wie Sue mir leise zuflüsterte, tatsächlich Seide war. 
"Maman mag teure Stoffe", verdrehte die Tochter der Schneiderin die Augen und strich ihren teuren, mitternachtsschwarzen Umhang glatt. 
Als der Zug anfing an Geschwindigkeit zu verlieren, bemerkte ich, wie sich auch in den Gesichtern der Anderen die Aufregung zu spiegeln begann. 
"Also ich wäre ja für Folgendes", platzte Gideon plötzlich heraus, "Ganz egal in welches Haus wir kommen, wir bleiben alle Freunde, ja?" 
Es folgten einige Sekunden des Schweigens, in denen Gideons Gesicht langsam einen verzweifelten Ausdruck annahm und seine Ohren immer mehr zu leuchten begannen. 
"Das war dumm", stotterte er plötzlich, "Ich meine-" 
"Ich bin dafür!" 
Alle sahen mich an, doch ich presste entschlossen die Lippen aufeinander.
"Freunde?"

Ich blickte die Menschen um mich herum der Reihe nach an. 
Sue, die so wundervoll zeichnen konnte, die so liebevoll schusselig war und meine Freundin geworden war, als erste Hexe überhaupt. Die auf mich aufgepasst und ihre elterliche Liebe mit mir geteilt hatte. Die mir, wenn auch unbewusst, gezeigt hatte, dass sich in meinem Blut auch das Erbe des Opals versteckte und die so herzlich unvoreingenommen auf ihre Zukunft blickte. 
Frank, der so lustig und offen war und einen gerne zum Lachen brachte, der so scharfsinnig und schlagfertig diskutieren konnte und auf jeden Fremden zuging wie auf einen Freund, den er bloß noch nicht kannte. 
Lily, die so mutig gewesen war sich gegen die Meinung eines ihrer ältesten Freunde zu stellen, die Süßigkeiten liebte und mit ihren flaschengrünen Augen so neugierig in diese neue, ihr noch so fremde Welt blickte. Die ihre Ängste mit mir geteilt hatte, einer ebenfalls Fremden in dieser Welt, und immer das Gute in den Menschen zu sehen schien. 
Marlene, intelligent, verrückt und herzerwärmend schüchtern, die so gut zaubern konnte, obwohl sie noch nicht einmal einen Fuß auf das Schlossgelände gesetzt hatte. 
Und die Prewett Brüder, kaum zu unterscheiden, frech, stur und Funken sprühend fantasievoll, die ihre Freunde vor jeder Gefahr schützen wollten, immer einen Witz auf Lager hatten und für das Gute kämpften wie die Löwen. 
"Freunde" 
Fabian streckte seine Hand in die Mitte und lächelte mich schüchtern an. Ich konnte nicht wiederstehen und legte, ganz vorsichtig, meine Hand auf die Seine.
Freudestrahlend klatschte Gideon seine Hand obenauf und knuffte seinen Bruder liebevoll in die Schulter. 
"Freunde"

Sues Augen strahlten, als sie unter ihren wilden Locken zu mir herüber lächelte. 
"Freunde!", stimmten Marlene und Frank gleichzeitig ein und versuchten lachend ihre Hand auf dem Stapel aus Händen in der Abteilmitte zu oberst zu mogeln. 
Erst als sie sich wieder beruhigt hatten, blickten wir alle zu Lily hinüber. Ihre Wangen glühten rot und ihre grünen Augen leuchteten, als sie ihre Hand auf unsere legte. 
"Freunde"
24. Kapitel
Schlammblut
Mit einem letzten Schnaufen lief der Hogwartsexpress in seinen Heimathafen ein. Der kleine Bahnhof von Hogsmead lag ein gutes Stück außerhalb des Zaubererdorfes. Erleuchtet vom goldenen Licht dutzender Laternen strömten die Schüler auf den Bahnsteig. Die Älteren wandten sich ganz selbstverständlich der dunkel drohenden Silhouette eines nahen Waldes zu, einige kleinere Gestalten jedoch blickten sich verwirrt um und wurden dann von dem Trubel um sie herum mitgerissen, wie von einer Flutwelle. 
„Sue?“ 
„Roselynn!“ 
Schnell krallte Sue ihre Finger in meinen Umhang, bevor sich eine Gruppe älterer Schüler zwischen uns hindurch drängeln konnte. Sie warfen uns einen irritierten Blick zu, gingen dann jedoch weiter. 
Die schiere Masse der Schüler hatte es schnell geschafft unser kleines Trüppchen zu zerschlagen, es wurde gelacht und geschwatzt, geschoben und geschubst. 
„Ich glaube, wir müssen zurück!“, schrie Sue mir über den allgemeinen Lärm hinweg ins Ohr. 
Dass sie nicht so schreien musste, konnte ich ihr natürlich nicht sagen. Stattdessen halte ihre Stimme in meinen Ohren wieder wie eine Feuerglocke. Es war laut, es befanden sich zu viele Menschen um mich herum, der Trubel kribbelte fühlbar auf meiner Haut, als hätte man mich unter Strom gesetzt. Zu viele Eindrücke, zu viele Emotionen, alles drängte auf mich ein und strapazierte meine empfindlichen Sinne. 
„Roselynn?“ 
Wir standen nun unter dem dichten Dach der Nadelbäume, ich roch ihre Rinde und den Saft, der darunter empor stieg wie Blut, die feuchte Erde, das Heidekraut und den Stechginster. Doch ich war nicht stehen geblieben, um mich den älteren Schülern anzuschließen, die nun in kleinen Gruppen in eine Reihe von Kutschen kletterten. Ich blieb stehen wegen der Zugtiere, die vor die Kutschen gespannt waren, ihre milchigen Augen schimmerten wie Opale in der Dunkelheit und ihre scharfen Hufe gruben den Erdboden auf, während heißer Dampf ihren ledrigen Nüstern entkam. 
„Was ist das denn?“, fragte ich erschrocken und deutete mit einem zitternden Finger auf die Kreatur, die uns am nächsten stand. 
Sie waren groß wie Autos und sahen ein bisschen aus wie die Bilder von Pferden, die ich kannte. Doch waren sie auch dürr wie der Tod, ihre schwarze Haut spannte über jedem Knochen, sodass ich die Wirbel ihrer Rücken hätte zählen können. Fledermausartige Flügel lagen entspannt an ihren Seiten. 
„Was?“, fragte Sue ängstlich, ihre Finger krallten sich immer noch in meinen Umhang, „Ich kann nichts sehen“ 
Zuerst zuckte ich zusammen. War es hier etwa für Menschenaugen zu dunkel? Doch nein, auch die anderen Schüler um uns herum hatten keine Probleme mit der Dunkelheit. 
„Na da...“, versuchte ich es nochmal, diesmal ziemlich kleinlau, „Das, was die Kutschen zieht“ 
Ein älterer Schüler blieb plötzlich neben uns stehen und ich zuckte erneut zusammen. Er überragte mich um zwei Köpfe, sein blasses Gesicht leuchtete in der Dunkelheit und die langen, schwarzen Locken hatte er sich mit einem gelben Samtband aus dem Gesicht gebunden. Er roch nach frisch poliertem Stahl, schokoladendickem Kaffee und wilden Rosen, untermalt von jenem einzigartigen Duft, wenn frischer Regen auf warmes Kopfsteinpflaster fällt…

„Das sind Thestrale“, er blickte zu mir herab und musterte mich mit einer gewissen Trauer in den Augen, „Nicht jeder kann sie sehen“, er warf Sue einen Blick zu und lächelte dann auf uns herab, „Ihr Erstklässler solltet eigentlich am Gleis bleiben“ 
„W-wir sind mitgezogen worden“, nuschelte Sue leise. 
Ich spürte plötzlich Hitze an meiner Schulter und meine Nase kribbelte. Wurde Sue gerade etwa rot? 
„Dachte ich mir“ 
Der Junge schob sich hinter uns, legte jeder von uns eine Hand auf die Schulter und bahnte uns mit freundlichen Worten und strengen Blicken einen Weg durch die Menge. Als ich zu ihm nach oben schielte, sah ich den Aufnäher auf seinem Umhang, einen Dachs, die eine Pfote erhoben, auf gelbem Hintergrund. Direkt daneben schimmerte ein Abzeichen, doch als ich spürte, wie er den Kopf drehte, um zu mir herunter zu blicken, wandte ich schnell den Kopf ab. 
Am Rand der Menge angekommen, trat er einen Schritt zurück. 
„Ihr findet den Weg zurück?“ 
Wir kamen gar nicht mehr dazu ihm zu antworten, noch uns zu bedanken. 
„Sue! Roselynn!“ 
Gideon und Fabian kamen den Weg herunter gerannt und blieben leicht außer Atem vor uns stehen. 
Der fremde Junge lächelte. 
„Passt mir gut auf sie auf“, belehrte er die Brüder freundlich, „Dass sie euch nicht noch einmal verloren gehen“ 
Damit wandte er sich ab und verschwand in der Menge.

„Entschuldigt“, keuchte Gideon und fasste Sue an der Hand, „Aber wir müssen uns beeilen. Alle warten schon“ 
Mit einem scheuen Lächeln schob Fabian seine Finger in Meine und zog mich mit sich, weg vom Wald, zurück zum goldenen Licht des Bahnsteigs. Eine mir wohl bekannte Gestalt überragte die anderen Erstklässler. 
„Hagrid!“

„Aye, Roselynn!“ 
Der freundliche Riese hielt eine Laterne über seinem Kopf, groß, wie ein Kürbis, und an dem Funkeln in seinen Augen konnte ich erkennen, dass er lächelte. 
Leider lenkte dies die Aufmerksamkeit der anderen Erstklässler auf mich. Schnell schob ich mich hinter Fabian, doch genug von ihnen hatten einen guten Blick auf mich gehabt und meine empfindlichen Ohren fingen ihre Gespräche auf, wie das Summe eines Bienenschwarms. 
„Wie sieht die denn aus?“ 
„Vielleicht ist sie verflucht worden?“ 
„Richtig gruselig-...“ 
„Komischer Akzent“ 
„Am besten Abstand halten-...“ 
Hitze stieg hinter meinen Augen auf, doch ich blinzelte mehrmals und schob mich dichter an Fabian und Sue heran. 
„Wenn jetz alle da sin ́, folgt mir!“ 
Und damit wandte Hagrid sich ab, weg vom Wald und dem Bahnsteig, hinüber zu einem schmalen Pfad, der dicht gesäumt war von Gestrüpp und getaucht in völlige Finsternis. 
Vorsichtig folgten wir dem Licht seiner Laterne. Der Weg war unbefestigt, Matsch und Kies knirschten und schmatzten unter meinen Schuhen. Das Dickicht um uns herum verschluckte selbst das Mondlicht und im Unterholz raschelten leise Pfoten eilig davon. 
„Achtung da hinten!“, rief Hagrid von vorne über uns hinweg, „Is ́n ́ bisschen rutschig hier!“ 
Seine Warnung kam keine Sekunde zu früh. Schon hatten Frank und ich Sue an den Unterarmen gepackt, als sie auf einem schleimigen Trittstein ausrutschte. 
„Dankeschön“, murmelte sie verlegen, als wir sie wieder auf die Füße stellten. 
„Soll ich dich führen?“, fragte ich und hatte im nächsten Moment das Gefühl, eine Grenze überschritten zu haben. 
Hatte ich Sue mit meinem Angebot etwa beleidigt? 
„Ich könnte Führung gebrauchen!“, jammerte es hinter mir und Lily ließ sich schwer auf meine Schulter fallen, „Ich weiß überhaupt nicht, wie ihr überhaupt was sehen könnt!“ 
Mir wurde heiß und kalt. Mist, Mist, Mist! 
„Können wir nicht“, lachte da Frank und nahm ihre Hand von meiner Schulter, „Das ist ja der Spaß daran“ 
Glück gehabt...
„Aus dem Weg, Schlammblut“ 
Ein heftiger Stoß in die Rippen brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich landete unsanft in einem Ginsterstrauch am Wegesrand.
Mehrere Gestalten drängelten unsere Gruppe aus dem Weg, zwei hatten ihre Zauberstäbe erhoben und beleuchteten den Weg vor der Gruppe. 
Kurz glaubte ich unter dem Gemisch an Gerüche etwas zu erahnen, doch ich konnte Severus nicht ausmachen. 
Der letzte in der Gruppe spuckte aus und traf mich auf der Brust, dann waren sie auch schon vorbei. 
„Mistkerl!“ 
Fabian stürzte nach vorne und packte die Gestalt am Umhang. Anscheinend wollte er mit der Faust ausholen, doch Frank bekam ihn gerade rechtzeitig zu fassen. 
„Nicht! Das gibt nur Ärger“

„Aber er hat-...“

„Ich weiß!“, unterbrach ihn Frank, ließ Fabian vorsichtig los und reichte mir eine Hand. 
Ich nahm sie und war nur froh über die Dunkelheit. Hektisch wischte ich mir mit einem Zipfel meines Umhangs über die Wangen. Ich spürte, wie scharfe Dornen sich in den teuren Seidenstoff krallten und ihn zerrissen, außerdem spürte ich einen stechenden Schmerz nahe der Hüfte, wo ich auf dem Boden aufgeschlagen war. 
„Keine Sorge“, Frank zog ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und hielt es in meine ungefähre Richtung, „Das kriegen sie schon zurück“
25. Kapitel
Stille Wasser
„Da bist du ja“

Severus Stimme schnurrte ölig durch die Dunkelheit und Lily entfuhr ein leiser Aufschrei. 
„Verdammt, wo warst du?“, fluchte sie, als sie sich wieder gefasst hatte und unsere Gruppe sich weiter durch das Dickicht arbeitete, „Du bist einfach so verschwunden!“ 
„Ich habe dich überall gesucht. Konnte ja nicht wissen, dass du hier bist“ 
„Gesundheit“, sagten Fabian und Gideon gleichzeitig und ich bedankte mich artig. 
„Sin ́gleich da!“, hörte ich Hagrid von vorne rufen, „ ́S is nich mehr weit!“ 
Und tatsächlich hatte er Recht. Ich spürte deutlich, wie das Licht in die Welt zurück kehrte, desto weiter wir gingen. Der Weg machte einen plötzlichen Knick, hinter dem uns nicht nur ein heller Streifen Mondlicht erwartete, sondern auch unsere Kameraden, die alle wie angewurzelt stehen geblieben waren.
Wie eine entzwei gebrochene Silbermünze schimmerte der Halbmond über dem schwarzen Spiegel eines Sees, der den gesamten Kosmos in sich aufgenommen zu haben schien. Tausend Sterne warfen ihr Abbild auf die Dunkle Oberfläche und umschmeichelten damit das gigantische Massiv einer Klippe, auf der sich das Schloss erhob, wie eine Krone. Es schien riesig zu sein, mit mehr Türmen, als ich im Dunkeln zählen konnte, manche wuchtig und dick, manche elegant und schmal, stachen sie in der mitternachtsfarbenen Nachthimmel. Goldenes Licht funkelte uns aus hunderten Fenstern entgegen, ein sanftes Blinzeln, das uns Willkommen hieß. 
„Aye“, Hagrids Stimme war die Freude über den Ausdruck in unseren Gesichtern deutlich anzuhören, „Dann ma ́ ab in die Boote, sonst komm ́ wir noch zu spät zum Festessen! Immer nur vier! Ey, ihr da vorne! Zauberstäbe weg!“ 
„Hast du es dir so vorgestellt?“ 
In Sues Augen spiegelte sich das Licht des Schlosses, wie die Sterne auf dem See. 
Ich hätte ihr gern gesagt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass man sich so etwas überhaupt vorstellen konnte, doch all meine Gedanken waren auf das Wort fixiert, dass ich eben zu hören geglaubt hatte. 
Hatte Hagrid gerade Boot gesagt? 

Drachen waren wirklich erstaunliche Wesen. Sie konnten Feuer spucken, waren entweder sehr groß oder sehr schnell und damit auch zu Fuß gut unterwegs und die meisten von ihnen konnten natürlich auch fliegen. Sie hatten Giftzähne oder tödliche Flammen, Säure oder einen wahrhaft eisigen Atem, um sich ihrer Schuppen zu erwehren, doch es gab nur sehr wenige, die sich auch mit dem vierten Element dieser Welt anfreunden konnten. 
Viele Land- und Flugdrachen konnten schwimmen, oh ja, aber elegant sahen sie dabei nicht aus. Und wenn sie konnten, vermieden sie es. Die Peruanischen Vipern hassten Wasser. Juckten ihnen die Schuppen, tat es gern eine Sandkuhle oder eine Pfütze voll Matsch. Aber niemals reines Wasser, das tiefer reichte, als ihre scharfen Augen sehen konnten. 
Zwar hatte auch der Opal bei mir durchgeschlagen und immerhin war ich auch noch irgendwo ein Mensch, mit der Fähigkeit des rationalen Denkens, das änderte jedoch nichts daran, dass ich Angst vor Wasser hatte, wie nur was. Ich fürchtete, was sich unter der Oberfläche verbergen mochte. Einen See oder Fluss konnte ich gut und gerne stundenlang betrachtet und auch als schön empfinden, solange ich nicht näher heran musste. Und das war nicht das einzige... 

„Sue!“, zischte ich halb panisch und packte die junge Hexe am Arm. 
Sie blickte verwundert zu mir herüber und erkannte sehr schnell die Angst in meinem zerkratzten Gesicht. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, packte eine riesige Gestalt uns beide am Kragen und schob uns munter in Richtung der Boote, die am kiesigen Strand vertäut lagen. 
„Keine Zeit für ́n Schwätzchen mehr, dass könnt ihr machen, wenn wir da sin ́“, raunte Hagrid mir fröhlich ins Ohr und schob mich auf das nächste Boot zu. 
Als ich mich immer noch nicht rührte, packte er mich unter den Schultern und hob mich in die wackelnde Nussschale. 
Mein Magen überschlug sich. 
„H-Hagrid!“, jammerte ich und krallte meine Finger in den Pelz seines Maulwurfsfellmantels,, „Ich k-kann nicht schwimmen!“ 
Das Erstaunen, dass sich nach dieser Aussage um mich herum ausbreitete, war praktisch fühlbar. Leute starrten mich noch unverhohlener an als vorher, einige kicherten, doch das war mir in diesem Moment egal. Glühender Selbsterhaltungstrieb führte in meiner Brust eine wilde Rangelei mit dem sehnsüchtigen Wunsch, endlich ans Ziel dieser Reise zu gelangen. 
„Mach dir keine Sorgen“, brummte der Riese freundlich und löste sanft meine Finger aus seinem Mantel, „Dir kann hier überhaupt nichts passieren. Mach einfach die Augen zu, dann isses ganz schnell vorbei“ 
Er lächelte mir noch ermutigend zu, dann kletterte er selbst in eines der Boote. Ein sanfter Ruck ging durch das Boot unter mir und ich musste einen Aufschrei unterdrücken, als es sich schaukelnd in Bewegung setzte und über das Wasser zu gleiten begann, auf die funkelnde Silhouette von Hogwarts zu. 
Kaum waren unsere Boote so weit auf das schwarze Wasser hinaus getrieben, dass mein scharfer Blick die dunklen Kiesel am Grund nicht mehr erkennen konnte, flammten in mir langsam, wie aufflackernde Kerzen, die Wahrnehmungen für andere Geschöpfe magischer Art auf. Sie bewegten sich unter uns und mit jedem Stück, das die Boote weiter auf den See hinaus trieben, wurden es mehr. Und inmitten unter ihnen befand sich etwas, ein Wesen, diffus, aber eindeutig alt und sehr, sehr groß. 
„Ist schon gut, Roselynn“ 
Sue gab sich alle Mühe mich zu beruhigen. Wie glücklich sie sich schätzen konnte, nicht so zu empfinden wie ich. Denn genau in diesem Moment setzte sich das Wesen, ein dutzende Male größer als das kleine Boot, in dem ich saß, in Bewegung. Es war weit weg, meilenweit, vergraben in den Tiefen unter uns. Für seine Verhältnisse bewegte es sich wahrscheinlich gemächlich. Ich jedoch konnte seine Bewegungen durch das dünne Holz unter meinen Füßen im Wasser spüren. Und meine Angst verschärfte meine Sinne noch. 
Ich wimmerte leise.

„Hey, Schlammblut!“

Das Zischen drang aus dem Boot direkt vor uns zu uns zurück und ihm folgte heiseres Kichern.
„Kannst du echt nich schwimmen?“

Meine Nasenflügel blähten sich, als ich einen Blick auf das blasse Gesicht in der Dunkelheit vor mir warf. Es war der Junge, dessen Geruch auch auf dem Revere meines Umhangs klebte, schleimig und widerlich. Seine Kumpanen drängten sich hinter ihm und in dem Boot zu unserer Linken. Ich hörte Geflüster und leises Lachen. Und aus irgend einem Grund machte es mich wütend. 
„Jedes Baby kann schwimmen!“ 
„Hey, Schlammblut!“, dieses Mal kam das Wort aus dem Boot links, „Laufen kannst du auch nicht, oder? Bist ja schon ganz zerschrammt!“ 
„Und sprechen kann sie auch nicht!“, kicherte es, während meine Wangen aufloderten und die Wut als glühender Ball in mir aufstieg, „Was meint ihr, kann sie überhaupt zaubern?“ 
Schmerz zuckte durch meinen Rücken. Die Dornen meiner Rückenstacheln drängten sich aus meiner Wirbelsäule, mit heftigem Kribbeln und Jucken bohrten sich Schuppen durch meine Haut. Der Drache May bleckte die langen, giftgefüllten Zähne. Oh, ich würde es ihnen zeigen, wie ich zaubern konnte. Der Abstand zwischen den Booten war nicht sonderlich groß, es würde ein Leichtes sein. Ich konnte sie riechen, ein säuerlicher, beißender Geruch, nicht unbedingt appetitanregend, doch es war bereits zu lange her, dass ich hatte jagen dürfen. Und dort, direkt vor mir, befand sich meine liebste Beute. Eine Beute, bei der die Hexe Roselynn kaum protestieren konnte. Ihr Zorn, ihre Trauer und ihre Scham machten es der Viper leicht. 
„Hör nicht auf sie, Roselynn“ 
Eine Hand landete auf meiner Schulter und hätte ich den Geruch nicht schon die ganze Fahrt im Hogwartsexpress über in der Nase gehabt, hätte ich sicher meine Zähne darin versenkt. Doch sofort flackerte ein Wort hinter meinen Augen auf. Ein neues Wort. Ein starkes Wort.
Freund.
Vom Äußeren her mochten die Brüder sich unfassbar ähnlich sein, selbst für meine Augen, doch ihre Gerüche unterschieden sich. Beide rochen nach der saftigen Rinde von Haselnusssträuchern und frisch gerösteten Kakao-Bohnen, doch während Gideons Geruch auch Noten von Muskat und Lavendel enthielt, roch Fabian nach der süßen Säure kleiner Winteräpfeln und der leichten Herbe von Rosmarin. 
Das Kribbeln und Reißen unter meiner Haut stoppte abrupt und meine Sinne wurden wieder klar. Die Zeit reichte gerade noch aus, um mich auf Sue und die Brüder zu werfen und sie auf den Boden des Bootes zu drücken.
26. Kapitel
Willkommen
Zum ersten Mal hatten mich meine Sinne belogen. Das Wesen, dass sich nun zwischen unseren Booten erhob, war nicht einfach dutzende Male größer als das Boot. Es war riesig. 
„Keine Sorge!“, brüllte Hagrid über das Kreischen seiner Schützlinge hinweg, die sich von diesen Worten kaum beruhigen ließen, „Keine Sorge, der is ́ nur neugierig! Der tut euch nichts, der will nur-...“ 
Zornig hieb das Wesen mit seinen langen Armen die aufgewühlte Oberfläche des Sees. Wasser regnete, einem heftigen Sommerschauer gleich, auf uns nieder. Gleich zwei Boote kenterten. Irgend ein kleiner Teil von mir bemerkte genau, welche Boote es waren, doch meine Schadenfreude hielt sich momentan in Grenzen. Ich hatte Bilder gesehen und alte Legenden gelesen, von den gigantischen Wesen, die ganze Schiffe mit Leichtigkeit versenkten. 
Der Riesenkrake hob seinen Kopf vor uns aus dem Wasser. Er war größer als vier Kutschen und glänzte im fahlen Mondlicht. Und ein dunkles Auge blickte direkt auf unser kleines Boot hinab. 
Hagrid brüllte irgendwas, anscheinend versuchte er das Tier dazu zu animieren, sich wieder unter die Wasseroberfläche zurück zu ziehen. Doch ich verstand seine Worte nicht. Der kalte, winzig kleine Klumpen, der einmal mein Magen gewesen war, sagte mir, dass ich sterben würde. Und dann...
Es fühlte sich an, wie ein leises Klopfen. Ich konnte es nicht anders beschreiben. Etwas klopfte an die Tür meiner Gedanken, auf einer Ebene, die ich sonst nie aktiv wahrnahm, noch nutzte. Und schob sich dann, wie ein kühles Seufzen, durch sie hindurch.
Die Welt wurde still. 
Er war alt. So alt wie die Steine am Grund des Sees. Er kannte die Welt noch, als sie fast nur Wasser gewesen war und kaum Land, als es Menschen und, vor allem, Zauberer, noch gar nicht gegeben hatte. Dann war das Feuer gekommen und mit ihm das Land und neues Leben. Die Welt war sein Spielplatz gewesen. Doch nun war er alt. Der See war groß. Nur eine Pfütze gegenüber dem Meer, doch Schiffe amüsierten ihn nicht mehr, sondern störten ihn in seinem Schalf und das Meer war laut geworden und voller seltsamer Geräusche. Dieser See war still. Hier würde er bleiben und irgendwann, in tausend Jahren... 

Mit einem leisen Schwappen verschwand der Riesenkrake wieder im Wasser. Zwei Arme drehten die gekenterten Boote beiläufig wieder Kiel unten, dann war er verschwunden. Während Schüler im Wasser paddelten und japsten, weil ihnen der Atem zum Schreien ausgegangen war, kehrte ich langsam in die Realität zurück. 
Zwei Zentimeter von meinem Gesicht entfernt presste Fabian die Augen zusammen. Wie er es geschafft hatte, sich unter mir hervor zu winden und sich schützend über mich zu schieben, war mir schleierhaft. Sein Haar hing pitschnass in sein Gesicht und klebte auf seiner Stirn, wie roter Tang. 
Neben uns schirmte Gideon Sue vor der längst verschwundenen Gefahr ab. Er lachte, als er sich aufrichtete, schüttelte sich wie ein Hund und schien dieses kleine Abendteuer genossen zu haben. Sue zitterte wie Espenlaub. 
„Du hast hellseherische Fähigkeiten!“ 
Gideon grinst, stupste seinen Bruder an, der zusammen zuckte und dann rotwangig von mir zurück wich. Gideon streckte beide Hände aus und zog Sue und mich in eine sitzende Position. 
„Nicht wirklich“, brachte ich ächzend hervor und strich mir das nasse Haar von den Wangen, „Ich glaube, ich habe einfach zu viele Bücher gelesen“ 
„Dann wissen wir ja schon, in welches Haus du kommst“ 
Es dauerte einen Moment, bis Hagrid es geschafft hatte sein Boot so zu manövrieren, dass er die über Bord gegangenen Schüler wieder in ihre Nussschalen hieven konnte. Im Boot vor uns war es jetzt still, bis auf leises Tropfen. 

Hogwarts wuchs vor uns zu seiner ganzen, imposanten Größe heran. Die restliche Bootsfahrt verlief ereignislos, nur manchmal glaubte ich kleinere Präsenzen zu spüren oder ein Platschen im Wasser zu hören. Bald wandten sich die Boote einer sehr massiv wirkenden Wand zu, die ich jedoch bald als dichten Vorhang aus Efeu und Weinblättern erkannte. Dahinter schimmerte das Flackern von Feuer auf der dunklen Wasseroberfläche, Fackeln in eisernen Halterungen erhellten einen unterirdischen Hafen aus grobem Stein, mit mehreren kleinen Anlegern. 
Ich war froh unser schaukelndes Gefährt endlich zu verlassen, doch niemand war so erleichtert wie Sue. Sie zitterte immer noch und ich hatte das Gefühl, sie hätte am liebsten den kalten Steinboden geküsst vor Glück. 
„Sin ́ alle da?“, fragte Hagrid noch einmal. 
Er hatte bereits auf dem See eine kleine Ehrenrunde mit seinem Boot gedreht, während die Boote der Schüler voraus geschwommen waren. Die Antwort auf seine Frage waren einige verhalten genuschelte Worte und mehrere ätzende Blicke, die er jedoch nicht wirklich zur Kenntnis zu nehmen schien. Sein Gesicht zeigte weiterhin freundliche Besorgnis. 
„Gut, dann auf jetzt! Sin ́ eh schon recht spät dran...“ 
Er wandte sich ab und der breiten, aus dem Fels geschlagenen Treppe zu, als ich einen fast schon brennend heißen Blick in meinem Nacken spürte. Ich konzentrierte all meine Sinne auf meinen Rücken, doch bevor ich irgendetwas tun musste, nahmen meine Ohren ein leise geflüstertes Wort auf, gefolgt von einem Knistern, ein bisschen wie Schnee unter Stiefel und einem heftigen Klonk, als wäre eine Bronzestatur umgestoßen worden. 
Ich konnte es tatsächlich riechen und auch mein Gehör hatte mir genug verraten, doch ich ließ es mir nicht nehmen mich umzudrehen. Drei meiner Mitschüler, die sich in den Booten vor uns befunden hatten, lagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Stein. Ihre Kleidung war zu einem Ganzen zusammen gefroren. Sie konnten gerade noch die Gesichter bewegen, denn ihre Hände waren irgendwo in den Taschen ihrer Umhänge verboregen, fast so, als hätten sie ihre Zauberstäbe ziehen wollen. 
Kurze Bewegungen in meinem Augenwinkel deuteten darauf hin, dass die Zauberstäbe von Gideon, Fabian und Frank die Szenerie wieder verlassen hatten.
Neben ihnen standen Lily und Marlene und glotzen stumm wie Fische. 
„Ganz schön kalt geworden, oder?“, fragte Frank und rieb sich frösteln die nassen Arme. 

Da niemand den Gegenzauber zu kennen schien, blieb Hagrid schlussendlich nichts anderes übrig, als die drei an der Bootsanlegestelle stehen zu lassen. Und da sie nicht von allein aufrecht blieben, lehnte er sie vorsichtig gegen die nächste Wand. Der Rest der Truppe folgte ihm nach oben und obwohl ich meine Freunde zu ihrer Zauberkunst nur beglückwünschen konnte, tat mir Hagrid ziemlich leid. Er konnte schließlich nichts dafür und musste nun ganz bestimmt Bericht erstatten, damit die drei wieder aufgetaut werden konnten. 
Wir alle waren durchnässt, müde, hungrig und froren in der kühler werdenden Nacht, doch die Aufregung ließ uns mit Hagrids mächtigen Schritten mithalten. Die Fenster des Schlosses warfen lange, goldene Strahlen auf das feuchte Gras unter unseren Füßen, als wir aus einem kleinen Eingang im Fels auf das dunkle Gelände traten. Unsere nassen Umhänge schleiften hinter und her, als wir durch die schimmernde Dunkelheit huschten, auf das erleuchtete Portal des Schlosses zu. 
Aus der Nähe betrachtet war es noch größer, trotzdem bewahrte es einen Eindruck von... Freundlichkeit. 

Am Portal erwartete uns eine Hexe, deren Geruch mir vage bekannt vorkam. Sie roch nach Ingwerplätzchen, Katzenhaar, frischen Quellwasser und ganz leicht nach dunkler, feuchter Erde und Heidekraut. Sie war die beeindruckendste Gestalt, die ich jemals gesehen hatte. Strenge Züge in einem schmalen Gesicht, das dunkle Haar, durchzogen von wenigen stahlgrauen Strähnen, zu einem festen Knoten zusammen gebunden, aus dem nicht ein Härchen entkam. Sie trug einen Spitzhut aus dunklem Samt mit zwei Fasanenfedern unter der Brosche am Hutband, dazu einen weiten, tiefgrünen Umhang. 
Wir blieben vor ihr stehen, als Hagrid leise mit ihr sprach. Sie seufzte, nickte jedoch bloß. Hagrid wandte sich uns noch einmal um, zwinkerte mir zu und verschwand dann durch das Portal. 
„Erstklässler!“

Die Stimme der Hexe schnitt durch die Nacht, wie eine Weidenrute, doch ich konnte auch eine Art Stolz in ihren Augen schimmern sehen, eine unterdrückte Freude, während hinter ihr die Luft summte von hunderten unsichtbarer Stimmen. 
„Willkommen in Hogwarts!“
27. Kapitel
As time passes by
Wir warteten. 
Professor McGonagall hatte uns durch eine prächtige, offene Eingangshalle geführt, vorbei an einer große, Doppelflügeligen Tür, hinter der selbst die Anderen das Summen aufgeregter Stimmen hören konnten, in einen kleineren Raum, wo wir nun standen, schwiegen und tropften. 
Vorsichtig fummelte ich die durchnässten Pflaster von meinen Händen und Knien. Wasserflecken sammelten sich auf der Seide im Innern meines Umhangs, mein Haar hing wie Lianen von meinem Kopf und der Rock meines Kleides klebte unangenehm an meinen Beinen. Zwar war ich mit meinem Schicksal nicht allein, Sue und Marlene beklagten ihre gerade trocknenden Locken, die ihnen Mähnen wie die eines Löwen verliehen, aber ich kam mir trotzdem schäbig und klein vor. 
Kurze Zeit später kehrten auch die drei Eiskönige zu uns zurück, aufgetaut und mit leuchtend roten Wangen. Hinter ihnen betrat Professor McGonagall den Raum. 
„Sie stellen sich nun in Zweierreihen auf und treten durch diese Tür“, ihr Finger zeigte auf die zweite Tür des Raumes, hinter der das Summen besonders deutlich zu hören war, „Und werden dann auf ihre Häuser verteilt. Ihr Haus wird ihre Familie sein. Für gute Leistungen verleihen Lehrer Hauspunkte. Für Regelbrüche werden ihnen welche abgezogen. Am Ende des Jahres wird der Hauspokal verliehen. Jedes Haus unterliegt der Verantwortung eines Hauslehrers, wenn sie Fragen oder Sorgen haben, wenden sie sich an ihn oder an einen ihrer Vertrauensschüler“ 
Sie musterte uns und eine leichte Missbilligung schlich sich in ihren Blick. 
Ihr Zauberstab glitt in einer seidenen Bewegung aus ihrem Ärmel, sie schwang ihn in einer ausladenden Geste über unseren Köpfen und dann war die Luft voller Wasserdunst. 
„Folgen sie mir!“ 
Ich sah zu Sue und Marlene und lachte. Sie sahen aus wie zwei Wattebäusche. Ihre Locken wallten wie Zuckerwatte um ihre Köpfe, weicher als Lammfell. 
„Hör auf zu lachen“, Sue boxte mir gegen den Oberarm, „Wenn du wüsstest, wie du aussiehst“ 
Ich konnte es mir denken. Mein Haar hatte eine recht eigenartige Struktur. Ich hatte erstaunlich viel davon und es war auch sehr stabil, ich hätte also die lebende Rapunzel sein können. Doch gleichzeitig war es so dünn, dass es schon beim leichtesten Lüftchen umher wehte. Ich konnte praktisch fühlen, wie eine Wolke aus Haaren um meinen Kopf wehte. 
Schnell ließ ich meine Arme einmal über meinem Kopf kreisen, fing die Strähnen ein und angelte mein altes Stück Schnur aus einer Rocktasche. Selbst die längt verblassten Fransen, aus denen es nur noch bestand, waren trocken und strahlend sauber. Ein kurzer Blick auf meinen Umhang verriet mir, dass McGonagall meine Erscheinung praktisch um zwölf Stunden zurück versetzt hatte.

„Komm schon, Roselynn!“

Sue winkte mich hektisch zu ihr und ich eilte an ihre Seite.

Die Decke war ein Abbild des sternenklaren Himmels und ließ die Halle endlos nach oben wachsen. Tausend Kerzen schwebten über den Köpfen der Schüler von Hogwarts und tauchten sie in ihre sanfte Wärme. Vier gewaltige Tische standen nebeneinander in der Länge der Halle und boten Platz für die vielen dutzend Schüler eines jeden Hauses. Sie waren mit goldenen Tellern und Kelchen gedeckt, doch sie waren blank und nicht einmal der Geruch von Essen hing in der Luft. Vor Kopf führten zwei Stufen zu einem Podium, auf dem ein weiterer Tisch quer stand. Dort saßen Hexen und Zauberer ihre Blicke mit unterschiedlichen Mienen auf die neuen Schüler gerichtet. 
Die Gespräche um uns herum schwollen an, alle blickten neugierig auf die Neuankömmlinge und, nicht zu Letzt, auf mich. So viele Wörter schwebten plötzlich durch meinen Kopf, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte und erst gar nicht bemerkte, dass plötzlich Stille herrschte. 
Vorsichtig blickte ich an der Reihe von Schülern vorbei nach vorne zum Podium, auf dem die Blicke aller Schüler lagen. Dort stand nun ein dreibeiniger Hocker der wohl das älteste und zerschrammteste Möbelstück war, dass ich je gesehen hatte. Aber nicht so alt und zerschrammt wie der Hut, der auf der Sitzfläche lag. Dass das Ding nicht auseinander fiel, schien mir wie ein Wunder. Er hatte mehr Nähte und Flicken als Kristófs Arbeitshose! 
Und da hob sich nahe der Krempe eine Falte in dem zerknautschten Stoff an und der Hut begann zu singen. 

„Willkommen, willkommen, ihr Jüngsten der Schar, 
Zu einem neuen und glorreichen Jahr,

Fühlt euch zu Hause in diesen Mauern,

Und hört die Geschichte von ihren Erbauern. 

Edel und mächtig waren sie vier,

Und ihr alle seid ihre Erben heut ́ hier
,
Doch jeder von ihnen mit eigenen Werten, 
Und auf diese Weise sie ihre Schüler lehrten.
 
Gryffindor voll von Tatendrang war, 
Tapfer und furchtlos, fast strahlend sogar, 
Der Löwe mit Herz voller Feuer und Mut, 
Schließ dich ihm an und erwecke die Glut. 

Slytherin hingegen voll Tücke und List,

Hat nie eine Chance zur Größe vermisst,

Die Schlange ist vorsichtig, doch auch loyal, 
Empöre sie nicht, denn sonst wird ́s deine Qual. 

Ravenclaw weise, die Feder als Schwert, 
Hat ihren Schülern das Denken gelehrt, 
Der Rabe die Krone aus Buchstaben trägt, 
Dir immer zur sichersten Lösung rät. 

Hufflepuffs Herz von der Größe der Welt, 
Treu und gerecht sie ihr Urteil fällt,

Der Dachs trägt die Seele als seine Pflicht, 
Doch hat er auch Zähne, verärgre ihn nicht.

Zu Zeiten wie diesen, wo Dunkelheit schwehlt,

Von größter Bedeutung von wem ihr erwählt,

Doch lasst euch nicht spalten, zerreißt nicht das Band, 
Das geknüpft werden kann nur von all eurer Hand.“ 

Der Spalt über der Hutkrempe schloss sich wieder und Stille senkte sich über den Saal. Die Geschichte von Hogwarts war mir bekannt, doch die Beschreibung der Häuser hatte mich gerührt. 
Und da empfand ich zum ersten Mal etwas Angst. Denn obwohl ich sie kaum kannte, obwohl wir uns unser Wort gegeben hatten, obwohl ich mir geschworen hatte, mich von meinen Mitschülern fern zu halten, fürchtete ich nun, meine Freunde durch die Verteilung auf die Häuser zu verlieren. 
Fast hätte ich aufgeschrien, als die andächtige Stille durch das Klatschen der Schüler von Hogwarts zerrissen wurde. Ich schaffte es nicht die Hände zu heben und ebenfalls zu klatschen. Da spürte ich eine Berührung . Sue hatte meine Hand ergriffen. Sie zitterte. Ich drückte ihre Finger und sah kurz ein scheues Lächeln auf ihren Lippen, dass sofort wieder verschwand. Und nicht nur sie, wir alle stanken nach Angst. 
Professor McGonagall stellte sich neben den Hocker, hob mit einer Hand den sprechenden Hut an seiner Spitze in die Höhe und las von dem Pergament in ihrer Hand einen Namen ab. 
„Adams, Lucy“

Ein kleines Mädchen mit braunen Locken stolperte fast die Treppe nach oben und ließ sich dann vorsichtig auf dem Hocker nieder. Der Hut war viel zu groß für sie, nicht einmal ihre Ohren hielten ihn auf und er kam erst auf ihrer Nasenspitze zum liegen. Aber nur für einen Augenblick. 
„Ravenclaw!“ 
Der Ausruf des Hutes und der Applaus, der vom Ravenclaw Tisch erklang, ließen uns alle zusammen fahren. Lucy Adams jedoch tauchte mit rot leuchtenden Wangen und strahlenden Augen wieder unter der Krempe des Hutes auf und lief zu dem Tisch, der sie jubelnd und klatschend willkommen hieß, bis Professor McGonagall den nächsten Namen aufrief. 
Sinistra Ameline, Davis Apperfieldy und Miranda Bindings wurden den Häusern Gryffindor und Hufflepuff zugeordnet. Mir fiel auf, dass die Gryffindors am meisten Krach machten, wenn der sprechende Hut einen Erstklässler ihrem Haus zuwies. Die Hufflepuffs andererseits begrüßten ihre Neuankömmling nicht bloß mit Schulterklopfen, sondern auch mit heftigem Händeschütteln und sogar Umarmungen. 
„Black, Sirius!“ 
Ich fuhr herum. 
Der zuvor so selbstbewusste und wortgewandte Sirius wirkte nun, unter den Blicken der anderen Schüler und im Angesicht des Hutes, gar nicht mehr so entspannt wie zuvor. Im Gegenteil. Er sah aus, wie ich mich fühlte. Blass, mit großen Augen und fast ein wenig grün um die Nase. 
Mit bedachten Schritten stieg er die wenigen Stufen hinauf und ließ sich von Professor McGonagall den Hut aufsetzen. Seine dunklen Augen verschwanden unter der Krempe, doch kurz dachte ich, seinen Blick aufgefangen zu haben. Er war fast panisch. 
Die Schüler und Lehrer von Hogwarts warteten stumm. Nach einigen Minuten fingen die Erstklässler nervös an mit den Füßen zu scharren. Leise Gespräche erhoben sich unter den Schülern an den Tischen, ihr Murmeln hallte bald immer lauter durch den Saal, bis plötzlich die langhaarige Gestalt mit der Halbmondbrille in der Mitte des Tisches die Hand hob. 
In meiner Aufregung hatte ich Professor Dumbledore völlig übersehen. Doch da saß er, mit fröhlicher Miene, und als alle Schüler wieder in Schweigen verfallen waren, faltete er die Hände und wartete, mit einer Heiterkeit im Blick, die ich nicht nachvollziehen konnte. 
Wir warteten...
Und warteten...
Und dann öffnete sich der Spalt über der Krempe des Hutes. 
„Gryffindor!“
28. Kapitel
Gespalten
Auf den Tumult, der bei diesem Ausbruch in der Halle losbrach, war keiner von uns vorbereitet gewesen. 
Der Gryffindor Tisch explodierte in Schreien und Jubel, vom Slytherin Tisch jedoch drangen Laute des Unglaubens zu uns herüber, ja sogar Protestrufe. Die Hufflepuffs applaudierten mindestens genauso laut wie die Gryffindors. Auch die Ravenclaws klatschten, doch die meisten von ihnen tuschelten untereinander. Selbst den Lehrern stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. Allen außer Professor Dumbledore. 
Sirius selbst sah kaum besser aus. Seine Wangen glühten und er hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, doch in seinen Augen funkelte es, als er sich, ein wenig taumelnd, zum Gryffindor Tisch aufmachte. 
Professor McGonagall untergrub diesen eigenartigen Moment, indem sie einfach den nächsten Namen aufrief. Ein Schüler nach dem Anderen trat vorwärts, dann... 
„Evans, Lily“ 
Auch Lily war blass, doch ihre Schritte waren sicher und ihr Haar wallte wunderschön um ihre Schultern, als sie sich umdrehte, um sich auf dem Hocker nieder zu lassen. Der Hut brauchte kaum ein paar Sekunden. 
„Gryffindor!“ 
Ich jubelte mit den Anderen, während Lily leichtfüßig zum Gryffindor Tisch huschte und sich dort niederließ. 
Weitere Namen wurden aufgerufen. Die Reihen vor uns lichteten sich. Dann ein weitere Name, den ich kannte. 
„Longbottom, Frank!“ 
Frank schien überhaupt nicht ängstlich zu sein. Mit hoch erhobenem Kopf und einem erwartungsvollen Lächeln ließ er sich auf dem Hocker nieder. Auch bei ihm dauerte es nicht lange. 
„Gryffindor!“ 
Erneut brach der Gryffindor Tisch in Jubel aus. Mein Blick folgte Frank zum Tisch, wo er sich neben Lily setzte und ich spürte einen leisen Stich der Eifersucht und auch die aufwallende Hoffnung in mir. Schon zwei meiner Freunde waren im selben Haus. Vielleicht wurde auch ich bald mit lautem Jubel an ihrem Tisch begrüßt. 
„Lupin, Remus!“ 
Auch dieses Mal fuhr ich herum. Remus hatte hinter mir gewartet und als er an mir vorbei lief, drang mir sein unverwechselbarer Geruch in die Nase. Doch mehr als alle anderen roch er nach Angst. War da tatsächlich ein leises Zittern, als er sich auf den Hocker setzte? 
Doch der Hut hatte sein Haar kaum berührt, da rief er schon. 
„Gryffindor!“ 
Die Erleichterung auf Remus Gesicht war unübersehbar. Fast schon trunken vor Glück erhob er sich und rannte fast zum Gryffindor Tisch. 
„Malkins, Sue!“ 
Sues Hand verkrampfte sich um meine. Ich drückte sie fest, um ihr Mut zu geben, dann ließ ich los. 
Vorsichtig, wie eine Katze auf dem Sprung, näherte sie sich der Treppe, stieg noch vorsichtiger die Treppe hinauf und ließ sich langsam auf dem Hocker nieder. 
Kurz schwieg der Hut, dann öffnete sich der Spalt seiner Krempe. 
„Hufflepuff!“ 
Der Hufflepuff Tisch brach in Jubel aus. Sue hüpfte regelrecht die Treppenstufen hinunter, warf jedoch einen sehnsüchtigen Blick hinüber zum Gryffindor Tisch. Ich sah, wie Frank ihr einen Daumen hoch gab und breit grinste, als hätte er diesen Ausgang der Häuserverteilung bereits erahnt. 
„May, Roselynn!“ 
Wie in Trance stolperte ich vorwärts, einfach weil ich wusste, dass man es von mir erwartete. Der Rest von mir wäre lieber davon gerannt. Was wenn ich den Hut aufsetzte und er verkündete, dass ich überhaupt nicht zaubern konnte? Dass ich nur ein magischer Unfall war, der annähernd menschliche Gestalt angenommen hatte. 
Und da saß ich auch schon auf dem Hocker, mein Blick schweifte über die Menge hinweg, dann wurde es plötzlich dunkel, als sich etwas weiches auf meinen Kopf setzte. 
„Mh...“ 
Das nachdenkliche Murmeln erklang direkt in meinem Kopf und ich krallte meine Finger um den Sitz des Hockers. 
„Keine Angst, keine Angst, mich kann niemand hören“, lachte die Stimme zwischen meinen Ohren, „So nervös, ihr alle, aber du hast wirklich Angst!“ 
Das wusste ich selbst und als mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, lachte die Stimme in meinem Kopf. 
„Ah, ja, mutig und ein wenig aufbrausend, das wohl... nicht unbedingt zurückhaltend, lieber mit dem Kopf durch die Wand... und der dringende Wunsch sich zu beweisen. Im Köpfchen hast du auch was, ja, ja... aber da ist noch etwas... etwas, das... überwiegt...“ 
Einen Moment blieb es still und genau da wurde mir klar, dass der Hut gerade dabei war, mich in ein Haus einzuteilen. Ich würde bleiben dürfen! Doch-... natürlich las ich gern und lernte viel, doch sollte ich nach Ravenclaw kommen... keiner meiner Freunde war nun dort! Natürlich, in Gryffindor waren bereits Lily und Frank... doch was war mit Sue? 
Die Zähne fest aufeinander gepresst und mit geschlossenen Augen harrte ich der Dinge, die da kamen. Und dann...
„Hufflepuff!“ 
Und ein weiteres Mal schoss die Stimme durch meinen Kopf, bevor Professor McGonagall mir den Hut vom Kopf hob. 
„Keine Sorge, es wird sich alles richten“ 
Ich blinzelte mehrmals, so hell kam mir das Licht des Saales plötzlich vor. Doch das Gold, das von den Staubpartikeln in der Luft überall hin gestrahlt wurde, schimmerte nun nur noch prächtiger. 
Eilig huschte ich die Treppenstufen hinunter. Ich sah, wie Frank auch mir einen Daumen hoch gab und Lily neben ihm laut jubelnd applaudierte. Und obwohl er immer noch recht blass war, sah ich auch Sirius Black, der, die Arme über dem Kopf, laut johlte und klatschte. 
„Roselynn!“ 
Sue weinte fast, als sie von ihrem Sitz aufsprang und mir um den Hals fiel. Ich spürte ebenfalls das heiße Brennen von Tränen in meinen Augen und umarmte meine Freundin mindestens genauso fest, wie sie mich. 
Hände regneten auf meine Schultern hinab, als ich mich von Sue löste, Fremde umarmten mich und schoben mir fast die Brille von der Nase. Doch ich hielt sie nur fest, lächelte, ohne es zu wollen, in jedes Gesicht und da legte sich mir ein Arm um die Schultern. Es roch nach frisch poliertem Stahl, schokoladendickem Kaffee und wilden Rosen, untermalt von jenem einzigartigen Duft, wenn frischer Regen auf warmes Kopfsteinpflaster fällt… Petrichor.

„Willkommen daheim“ 
Der Junge löste sich von mir und hielt mir plötzlich die Hand entgegen, die ich, nach dieser überaus vertrauten Geste, etwas verwirrt ergriff. 
„Roux Jaques“, stellte er sich mir vor und mit der freien Hand tippte er auf den Pin an seiner Brust, „Ich bin einer der Vertrauensschüler von Hufflepuff“ 
„Roselynn May“, brachte ich hervor. 
„Ich weiß“

Da hörte ich den sprechenden Hut rufen. 
„Ravenclaw!“ 
Vor lauter Aufregung hatte ich ganz vergessen, dass immer noch Erstklässler auf ihre Einteilung warteten.
Und als ich mich umdrehte, klatschten die Ravenclaws, als Marlene sich zu ihnen an den Tisch setzte. Sie warf Sue und mir ein strahlendes Lächeln zu. 
„Komm, setz dich“

Roux schwang die langen Beine über die Bank und klopfte einladend auf das schimmernde 
Holz. Auch Sue kletterte über die Bank und blickte erwartungsvoll zu mir hoch. Ein wenig peinlich berührt durch all die Zuwendung, schob ich mich zwischen Roux und Sue auf die Bank. 
Die Häuserverteilung war bereits weiter fort geschritten und als Theophil Ordall mit einem lauten Hufflepuff von dem kleinen Hocker aufsprang, klatschte und johlte ich mit den Anderen. 
„Pettigrew, Peter!“ 
Da war er wieder, der kleine Junge, der in Gringotts vor mir davon gerannt war. Ich sah, wie James Potter ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte, eine Geste, die ich bei seiner sonstigen Großspurigkeit gar nicht erwartet hatte. 
Er stolperte tatsächlich, als er die Stufen erklimmen wollte und rappelte sich mit hochrotem Kopf wieder auf. Doch es dauerte nur wenige Sekunden, in denen der Hut auf seinem zitternden Schopf saß. 
„Gryffindor!“ 
Als Professor McGonagall ihm den Hut vom Kopf hob, strahlte er wie er ein kleiner Stern. Er war so aufgeregt, dass er auf der Treppe erneut stolperte, doch dieses Mal fing er sich. 
Nach ihm kam James Potter, der ebenfalls ein Gryffindor wurde. Er setzte sich neben Lily, die direkt nach seinen ersten Worten die Augenbrauen so hoch zog, dass sie fast unter ihrem Haaransatz verschwanden, und ein Stück von ihm ab rückte. Diese Reaktion von ihr, das konnte ich sehen, als ich schnell den Kopf wandte, rief bei Severus ein Lächeln hervor. 
Schließlich folgten die Prewett Brüder und es wunderte mich kein bisschen, dass beide nach Gryffindor kamen. Beide winkten Sue und mir zu, als sie sich an den Tisch ihres Hauses setzten. 
Von unseren Freunden war nun keiner mehr übrig und Sue wandte sich den anderen Hufflepuffs zu. Ich hörte, wie sie ein Gespräch mit ihrem Sitznachbarn anfing, achtete jedoch nicht darauf. Roux bemerkte meinen Blick und folgte ihm. 
Gewollt selbstsicher schlendere Severus die Treppenstufen nach oben und setzte sich auf den Hocker, doch ich sah, wie er sich nervös auf die Unterlippe biss. 
Auch Lilys Blick hing an ihm und sie lächelte voller Glück. 
„Slytherin!“

Das Lächeln verschwand...
29. Kapitel
In guten Händen
„Alles in Ordnung?“ 
Roux Stimme riss meine Aufmerksamkeit von Severus los, doch Roux hatte Severus Einteilung ebenfalls verfolgt und warf mir nun einen fragenden Blick zu. 
„Ein Freund von dir?“ 
„Nein“, rutschte es mir vielleicht etwas zu schnell heraus, denn er zog eine Augenbraue hoch. 
Ich räusperte mich. 
„Nein, es... wir hatten eine unangenehme Begegnung im Zug...“ 
Roux öffnete den Mund um etwas zu erwidern, blieb jedoch stumm und richtete seinen Blick zurück aufs Podium. 
Professor McGonagall hatte die Namensliste eingerollt und trug nun Hocker und Hut fort. Der Lärm in der Halle erstarb, wie auf ein geheimes Zeichen, und Professor Dumbledore erhob sich lächelnd von seinem Stuhl. 
„Willkommen!“, rief er aus und mein Herz machte ein Hüpfer, als er die Arme weit ausbreitete, um die ganze Halle zu umfassen, „Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts. Und da ich befürchten muss, dass ihr alle mich überhaupt nicht versteht“, er machte eine Pause in der ich einen fragenden Blick zu Sue warf, die genauso verdutzt dreinblickte wie ich, während Roux zu lächeln begann, „vor lauter Magenknurren...“, viele Schüler lachten, „Haut rein!“ 
Wie ein plötzlicher Regenschauer kribbelte plötzlich Magie auf meiner Haut und dann waren die goldenen Teller und Schüsseln, die vor uns brav auf ihren Einsatz gewartet hatten, überhaupt nicht mehr leer! Der Geruch verschlug mir den Atem. Ich starrte auf das Essen und neben uns begannen die älteren Schüler über Sues und mein Gesicht zu lachen. 
Es schien alles zu geben! Riesige Braten in sämiger Soße, ganze Puten und Hähnchen, gegrillt und mit Zwiebeln und Kräutern gestopft, Pasteten mit allen Füllungen, süß, herzhaft und dampfend. Direkt vor mir stand eine riesige Terrine mit einem cremigen Gemüseeintopf, zwei Meter weiter blubberte kochend heißes Chili vor sich hin, weiter unten am Tisch sah ich einen ganzen Hecht! Und überall standen Schüsseln mit Kartoffeln, Buttergemüse und Soßen und Krüge mit eiskaltem Quellwasser und dickflüssigem Kürbissaft. 
„Roselynn...“, hauchte Sue, während sich um uns herum die meisten Schüler schon an den Speisen bedienten, „Kneif mich doch bitte mal...“ 
Kurz zögerte ich, dann kniff ich Sue ordentlich in den Oberarm. 
„Au!“, quietschte sie, lachte dann und boxte mir gegen die Schulter, bevor sie nach der Kelle des Chilis griff. 
Ich schenkte uns beiden Kürbissaft ein, Roux schnitt mir eine Scheibe von einem in Honig glänzenden Braten ab und ein Hufflepuff mir gegenüber reichte mir mit einem fröhlichen Mahlzeit! die Bratkartoffeln. 
Ich aß mehr, als dass ich zuhörte, mein feines Gehör verfolgte überall am Tisch Gespräche, während ich versuchte möglichst unauffällig möglichst viel Fleisch in mich hinein zu stopfen. Es war mir reichlich peinlich, doch Viper blieb Viper und wenn ich nicht Acht gab genügend zu essen, nahm ich recht schnell sehr viel ab.
„Du putzt ja ganz schön was weg!“, lachte eine Hufflepuff neben Sue.

Sie hatte rotes Haar, blaue Augen und Sommersprossen und ich mochte ihr Lachen. 
„Ärger sie doch nicht so“, schalt ein Junge mit blond zerzaustem Haar sie von der anderen Seite des Tisches, „Sie sieht aus, als wäre sie heute schon von einer Teufelsschlinge in die Mangel genommen worden“ 
Als er meine vor Scham geröteten Wangen sah lachte auch er, beugte sich über den Tisch und flüsterte halblaut und verschwörerisch. 
„Lass noch etwas Platz, der Nachtisch ist das Beste“ 
„N-Nachtisch?“, brachten Sue und ich gerade noch heraus und der Tisch brach um uns herum in Gelächter aus. 
Ich folgte dem Rat des blonden Jungen, lehnte mich auf der Bank ein wenig zurück, einen Kelch mit Kürbissaft in den Händen. Während meine Augen die Einzelheiten der Halle bewunderten, schnappten meine Ohren weiter Gesprächsfetzen auf. 
Und da!

„-etwas seltsam aus, nicht?“

„Frag sie doch, wenn du so neugierig bist“
„Für wie unhöflich hälst du mich eigentlich?“ 
Und am anderen Ende des Tisches!

„-gehört sie kommt nicht von hier“ 
„Mir doch egal woher sie kommt, ich will auch solche Haare!“ 
Was waren das nur für Gespräche? Die Hufflepuffs benahmen sich vollkommen anders als meine gleichaltrigen Kollegen vom Bahnsteig. Da fiel mir etwas auf und ich ließ den Blick über die Reihen an unserem Tisch schweifen. Kein Gesicht, keine Stimme kam mir bekannt vor. Also hatte sich keiner vor ihnen zuvor an den Witzeleien und Gehässigkeiten über mich beteiligt. 
Da fiel mir noch etwas ein. Ich drehte mich zu Roux um, doch schon im nächsten Moment verließ mich der Mut. Mit offenem Mund saß ich da, dann wandte ich mich schnell wieder ab. 
Doch einer von Rouxs Freunden hatte mich bemerkt, ich hörte, wie er seinem Nachbarn sagte, er solle Roux auf mich aufmerksam machen und schließlich bekam Roux einen Ellenbogen in die Seite. Erst blickte er irritiert, dann wandte er sich zu mir um. 
„Was ist los, Roselynn?“ 
Es klang seltsam, wie er meinen Namen aussprach, doch ich wusste nicht inwiefern. Seine Stimme klang wie das Rascheln von Buchseiten, doch auch so voll und schwer wie die Töne einer Cellos. 
Ich zögerte, doch er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Generell lächelten und lachten hier alle unheimlich viel. Zum ersten Mal war ich wirklich froh, dass mir die Heiler im Sankt Mungo meine Zähne gezogen hatten. 
„Woher wusstest du, wer ich bin?“

Rouxs Lächeln verrutschte ein wenig, kehrte aber sofort wieder zurück, diesmal noch strahlender.
„Dir entgeht auch nichts, oder?“ 
Ich zuckte mit den Schulter blickte ihn jedoch weiterhin unverwandt an. Zwar konnte er mein Starren durch die Brille unmöglich sehen, dass er sich unter meinem Blick jedoch reichlich unwohl fühlte, das konnte ich sehen. Und mit einem Mal blickte er sogar noch besorgter, als sein Blick an mir vorbei zum Lehrertisch glitt. Ich wandte mich um und sah, wie sich eine etwas knubbelige kleine Hexe in einem grün schillernden Umhang vom Tisch erhob, eine zweite Hexe in weißer, steifer Schürze, mit einem seltsamen Hut auf dem Kopf im Gefolge. Sie stiegen die Treppe hinab und obwohl die meisten noch aßen, folgten ihnen doch einige Blicke. Da ich auch sonst niemanden gesehen hatte, der während des Essens aufgestanden wäre, schien dies tatsächlich ungewöhnlich zu sein. Sie bogen in den Gang zwischen dem Tisch der Hufflepuffs und der Gryffindors ein. Und dann bemerkte ich, dass sie sich direkt auf mich zu bewegten. 
„Miss May“ 
Die Hexe in dem schillernden Umhang blieb vor mir stehen und faltete die Hände vor ihrem runden Bauch. Dunkle, von grauen Strähnen durchzogene Locken wucherten wild unter ihrem Spitzhut hervor. Ihr Gesicht war wettergegerbt und ihre Haut braun gebrannt. Einzig an Hagrid hatte ich bisher so viele Gerüche auf einmal wahr genommen. Die Fülle an Kräutern, deren Geruch von ihr ausging, war selbst für mich unmöglich zu erfassen. Doch ganz tief unter diesen vielen Schichten roch ich Torf, die Säure von Zitronen und Butterkaramell. 
„Ich bin Professor Sprout, die Hauslehrerin von Hufflepuff. Mir ist zu Ohren gekommen, sie wären verletzt?“ 
Ich konnte Rouxs Gesichtsausdruck sofort deuten und spürte, wie mir die Hitze bis hoch unter den Scheitel kroch. 
„Mir geht es gut, danke Professor“, krächzte ich und versuchte eilig mich auf meine Hände zu setzen. 
„Das würde ich gern selbst beurteilen“, schnappte da die Hexe hinter Professor Sprout. 
Ein tiefer Atemzug offenbarte mir eine Mischung, wie von scharfen Gewürzen, versetzt mit Alkohol, den intensiven Duft von Maiglöckchen und den Geruch von warmem Basaltgestein. Ihr Gesicht zeigte bereits leichte Andeutungen von Falten und rein äußerlich war sie das komplette Gegenteil von Professor Sprout. Während ich an deren Schuhen Krümel von Erde entdeckte und ihr Umhang sie locker umwogte, obwohl jede einzelne der hundert Taschen kleine Beulen warf, lag das rote Leinenkleid eng um den Körper dieser Hexe, ihre weiße Schürze schien so fest zu sein wie ein Brett, sie war dünn und groß und jede Strähne ihres blonden Haares steckte fest in einem Knoten unter ihrem ausladenden Hut. 
Sie fasste mich an der Schulter und zwang mich so aufzustehen, musterte mich und befahl mir dann, beim Anblick meiner Knie, hinter der Bank hervor zu klettern. 
„Was ist denn mit ihnen passiert?“, wollte sie wissen und begutachtete kritisch meine zerrissenen Handflächen. 
„Poppy“, ermahnte sie Professor Sprout und machte sie damit auf die neugierigen Blicke der anderen Schüler aufmerksam, die uns nun fast ihre ganze Aufmerksamkeit widmeten. 
„Am besten kommen sie nach dem Festessen zu mir in den Krankenflügel“, lenkte die Hexe ein und ließ endlich meine Hände los, „Mr. Jaques wird sie hinbringen und sie anschließend zu ihrem Schlafsaal führen“ 
„Ich müsste eigentlich die anderen Erstklässler-...“ setzte Roux mit rauer Stimme an, doch Professor Sprout hob gebieterisch die Hand und er verstummte sofort. 
„Das kann Miss Sullivan übernehmen“, sie warf der Rothaarigen weiter unten am Tisch einen Blick zu, die eilig nickte, „Da sie es waren, die Professor McGonagall über Miss Mays Zustand in Kenntnis gesetzt haben und noch dazu ein Vertrauensschüler von Hufflepuff sind, haben sie nun die Pflicht sich um unsere Jüngsten zu kümmern“ 
Damit wandten sich die beiden Hexen ab und kehrten an den Lehrertisch zurück, gerade, als sich die Teller und Schüsseln vor uns abrupt leerten und sich mit neuen Speisen füllten, die wahren Kunstwerken gleichkamen. 
Plötzlich ohne Appetit beäugte ich die Türme aus Eiscremekugeln, die sich in einem wahren Berg vor mir aus der Schüssel erhoben, in der zuvor der Gemüseeintopf gewesen war.. Auch dieses Mal war die Vielfalt überwältigend, doch sie konnte mich nicht mehr gefangen nehmen. Ich fühlte mich sehr unwohl, mir war schlecht und ich rutschte unmerklich von dem immer noch schweigenden Roux ab, der mich nicht einmal ansah. 
Unauffällig sein, klar... ich war mir nicht sicher, ob die Lehrer über mich Bescheid wussten, doch direkt als großes Riesenbaby abgestempelt zu werden, das wegen der klitzekleinsten Kleinigkeit anfing loszuheulen... 
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Roux den Mund öffnete, doch einer seiner Freunde fasste ihn an der Schulter und er wandte sich mit müdem Gesichtsausdruck wieder ihrem Gespräch zu. 
„Komischer Typ“, murmelte plötzlich Sue in mein rechtes Ohr und ich zuckt zusammen, doch sie bemerkte es gar nicht. 
Böse funkelte sie über meine Schulter hinweg Rouxs Hinterkopf an.
„Der soll mal seine eigene Suppe würzen“ 
Doch dann runzelte sie die Stirn und griff nach meinem Ärmel, um sich meine Hände genauer anzusehen. 
„Oh, Roselynn!“ 
Ich hatte selbst nicht darauf geachtet, doch auch alle in unserer Nähre schnappten kollektiv nach Luft. Die abgelösten Pflaster und die Strapazen auf dem Weg vom Zug zum Schloss, hatten die vielen kleinen Schnitte wieder aufplatzen lassen. Getrocknetes Blut, Hautfetzen und die Rötungen beginnender Entzündungen ließen meine Hände aussehen, wie durch den Fleischwolf gedreht. 
„Du meine Güte, was hast du denn angestellt?“, schnappte nun auch der blonde Junge mir gegenüber. 
Doch wieder einmal war es Sue, die mir aus der Patsche half. 
„Auf der Fahrt ist der Käfig meiner Katze aufgegangen und sie hat ihre Eule angegriffen und so ein paar gemeine Schüler haben sie auf dem Weg zum See in einen Dornbusch geschubst“ 
Zum Beweis streckte sie selbst ihre Hände vor, die voller Kratzer der Krallen von Silver waren. Von den zerbrochenen Phiolen und meinem Weinkrampf am Gleis erzählte sie nichts und ich war ihr unfassbar dankbar. 
„Autsch“, entkam es dem Mädchen, die anscheinend, wie Roux, Vertrauensschüler war, „Nimm sie am besten auch gleich mit, Roux, bevor sich das noch entzündet“ 
Roux nickte, sagte jedoch nichts. 
Um ihn herum jedoch brach fast ein kleiner Tumult los. Mehrere Stoffservierten wurden mit Eiswürfeln aus den Quellwasserkrügen befüllt und zu Sue und mir durchgereicht, Leute schimpften auf ihnen unbekannte Schüler, ich sah sogar einige gezogene Zauberstäbe, man nötigte uns Handcremes und noch mehr Eisbeutel auf und endeten schließlich damit, dass wir unsere Hände überhaupt nichtmehr bewegen durften. 
Mit wehmütigem Blick beäugte Sue die Desserts vor ihrer Nase, da tauchte ein Löffel vor ihr auf. 
„Mach Mal Ah!“, lachte lachte der Blonde und schob Sue eine Portion Eiscreme in den Mund.
30. Kapitel
Ach du mein Warzenschwein
Am Ende bekam selbst ich etwas Eis und Schokoladenbrownie verfüttert. Die selbstverständliche Fürsorge und die Liebenswürdigkeit aller Anwesenden am Tisch war irritierend und rührend zugleich. Bald begannen sie uns Neuankömmlinge nach unserer Herkunft und unseren bisherigen Erfahrungen mit Zauberei zu fragen. Dass ich aus Ungarn kam sorgte bei vielen für erstaunte Ausrufe, die Geschichte von meinem Hühnerregen sorgte für großes Gelächter und wanderte bald den ganzen Tisch hinauf und hinunter. Sue erzählte die großartige Geschichte, wie sie als kleines Kind ihre Rosa-Phase während der Beerdigung eines Großonkels an den Kleidern ihrer Eltern ausgelassen hatte. So hatten Madame und Monsieur Malkins mit rosafarbenen Kleidern, Schuhen und auch rosanen Haaren die ganze Zeremonie hinter sich bringen müssen. Monsieur Malkins jedoch hatte seine Haare eine ganze Weile rosa getragen und seiner Tochter damit eine große Freude gemacht. 
Und damit kamen die Gespräche auf ein Thema, das mir ganz und gar nicht lag. 
„Hast du auch Geschwister?“, fragte ein Junge mit dunkler Haut und erstaunlich hellen, blauen Augen, der mit uns sein erstes Jahr in Hogwarts begann. 
Er hatte sich uns als Felix Tulsak vorgestellt und obwohl der Geruch der Desserts ihn fast überlagerte, roch ich an ihm Kreide und Schiefer, den strengen Geruch von frischem Kompost und den süßen Duft von Aprikosenblüten. 
„Leider nein“, gab Sue zurück, „Meine Mutter meinte ein Tollpatsch würde ihr schon reichen“ 
Um auf diese Aussage nichts erwidern zu müssen, wandte Felix sich eilig mir zu.

„Und du, Roselynn?“

Ach verdammt... 
„Drei ältere Brüder...“, nuschelte ich. 
„Oha!“, lachte Maya Sullivan, die Vertrauensschülerin, „Das wird ja lustig, wenn du deinen ersten, festen Freund mitbringst“ 
Nur, dass ich niemals einen Freund mit nach Hause mitnehmen würde, ganz egal ob fest oder nicht. Und leider hatte ich wohl Felix Interesse geweckt. 
„Sehen die auch so aus wie du?“ 
Plötzliches Schweigen senkte sich über unsere Ecke des Tisches und unsere Sitznachbarn sahen sich verwirrt zu uns um. 
„Einer von ihnen“, antwortete ich, diesmal noch leiser,. 
„Und die anderen beiden?“, fragte Felix munter weiter, der von der drückenden Stimmung, die langsam aufkam, überhaupt nichts mitzubekommen schien und weiter Unmengen an Eiscreme in sich hinein schaufelte, „Bestimmt waren deine Eltern beide Zauberer. Seid ihr eine alte Familie?“ 
Darauf konnte ich wirklich nicht mehr antworten. Mit Sue war es etwas Anderes gewesen, doch ich hatte mich so lange vor genau solchen Augenblicken gefürchtet, dass ich jetzt plötzlich überhaupt nichts mehr sagen konnte. All die gut zu Recht gelegten Geschichten und Lügenkonstrukte, waren aus meinem Hirn gefegt worden und ließen es komplett leer zurück. 
Lautes Klirren ließ uns alle zusammen fahren. Roux hatte seinen Kelch fallen lassen, das goldene Gefäß kullerte über den steinernen Boden der Halle und blieb beim Tisch der Gryffindors liegen. Einer von ihnen hob ihn auf und reichte ihn Roux über den Gang zurück. 
„Entschuldigt bitte“ 
Rouxs Lächeln wirkte wie in Papier geschnitten, Felix Augen jedoch wurden plötzlich groß. 
„Tu-tut mir so leid, Roselynn, ich wollte nicht-“ 
„Felix, ich glaube-“, versuchte Maya ihn zu unterbrechen, doch ich übertönte sie. 
„Schon gut“, ich versuchte mich an einem Lächeln und auch, wenn es mir nicht ganz gelang, klang meine Stimme fest und fröhlich, „Du interessierst dich sehr für Pflanzen?“ 
„Was? Oh, ja!“ 
Und während Felix begann von seinem, wie es schien, liebstes Hobby zu erzählen, seufzten die anderen erleichtert auf. 
Und dann erhob sich plötzlich ein Kopf vor mir aus dem Tisch. Sue, Felix und ich schrien auf und auch an den anderen Tischen waren Laute des Schreckens, aber auch Lachen zu hören. 
„Na sowas! Ihr seid ja richtig schreckhaft dieses Jahr!“, lachte ein fröhliches, rundliches Gesicht, das, perlweiß, aus der Tischplatte durch einen Apfelkuchen hindurch aus der Platte ragte. Aus irgendeinem Instinkt heraus rutschte ich mit meinem Hintern auf der Bank zurück und schob den Kopf unter den Tisch. Tatsächlich, Zumindest die Hälfte des fröhlich lächelnden Mannes befand sich unter der Tischplatte. Er trug ganz offensichtlich eine lange Kutte, die mit silbrigen Seil um seine Mitte an seinem Körper gehalten wurde. Über dem Boden sah ich gerade noch seine knubbligen Knie, der Rest verschwand im Boden. Ganz eindeutig. Das war ein Geist! 
Immer noch lachend erhob sich der dickbäuchige Mönch in die Luft und schlug über unserem Tisch einen kleinen Salto. Seine Gestalt strahlte ein sanftes, beruhigendes Schimmern aus, und nicht nur über unserem Tisch tanzte eine solche Gestalt. Ein hysterisch lachender Mann mit übergroßer Perücke und blutbefleckten Kleidern schoss, mit einem leuchtenden Säbel über ihren Köpfen wedelnd, über die Slytherins hinweg. Am Ende des Ravenclaw-Tisches tanzte eine hübsche junge Frau in einem wallenden Kleid durch die Speisen und am Gryffindor-Tisch fasste sich gerade ein Mann in Pumphosen am Ohr und zog, woraufhin sein Kopf einfach zur Seite kippte und, nur noch gehalten von einigen wenigen Muskelsträngen und unter dem allgemeinen Aufschrei der Erstklässler, auf seine Schulter fiel. 
„Das sind die Hausgeister“

Ich wich zurück, als Roux sich zu Sue und mir herüber beugte. 
„Sie sind harmlos. Er hier ist der fette Mönch, unser Hausgeist, der bei den Gryffindors ist der Fast-Kopflose-Nick, die bei den Ravenclaws ist die graue Dame und der bei den Slytherins ist der blutige Baron. Er ist zwar nicht sehr freundlich, doch solltet ihr jemals Probleme mit Peeves bekommen und er ist in der Nähe, geht zu ihm. Er ist der einzige, vor der die Nervensäge Respekt hat“ 
„Was ist ein Peeves?“, brachte Sue heraus, während sie immer noch voller Schrecken zum fetten Mönch hoch starrte, bei dem sich nun auch noch andere Geister für einen kleinen Plausch eingefunden hatten. 
„Er ist ein Poltergeist. Richtet ziemlich viel Ärger an, keiner weiß, warum Dumbledore ihn nicht schon längst rausgeworfen hat. Filch gerät jedes Mal völlig außer sich, wenn er wieder was angestellt hat“ 
„Ist dieser Peeves auch hier?“, fragte Sue. 
„Wer ist Filch?“, fragte ich. 
Roux musste lächeln. Und dieses Mal wirkte es wieder ehrlich und warm, wie zuvor. Unsere Neugier schien ihn irgendwie zu belustigen, was mich kränkte, doch eine Antwort wollte ich trotzdem. 
„Nein, Peeves ist nie beim Festessen dabei. In seinen ersten Jahren hier gab es wohl einige Zwischenfälle, das ist allerdings schon einige hundert Jahre her. Filch ist der Hausmeister von Hogwarts, aber kommt ihm bloß nicht in die Quere. Er ist ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse und hängt den Schülern gern Mal vergehen an, wenn er schlechte Laune hat“ 
„Nette Zeitgenossen“, schluckte Felix. 
Nach einer Weile, als wir uns alle wieder beruhigt hatten, war die Halle vom munteren Schwatzen hunderter Schüler erfüllt. Ich spürte wieder das Kribbeln, bevor es geschah, da waren die Teller, Schüsseln und Kelche vor uns auch schon leer und ich folgte dem Beispiel der Älteren und wandte meinen Blick zum Lehrertisch, wo Dumbledore nun vorne an den Rand des Podiums trat. 
„Willkommen!“, rief er und strahle zu uns herab, „Willkommen noch einmal, hier, in Hogwarts! Jetzt, wo ihr mich wohl alle hören könnt“, wieder wurde leise gelacht, „muss ich noch einige Dinge sagen, bevor ich euch in eure warmen Betten entlasse. Zuerst, wie immer, einige Hinweise. Erstklässler sollten sich merken, dass das betreten des Waldes für alle Schüler verboten ist. Versucht nicht, diese Regel zu brechen, denn in diesem Wald leben Kreaturen fernab eurer Vorstellungskraft, die jedoch genauso Schutz bedürfen wie ihr. Des Weiteren würde ich euch raten, sich von dem Baum fern zu halten, der dieses Jahr auf dem Gelände gepflanzt wurde. Ihr werdet ihn sicher erkennen. Mister Filch wies mich außerdem darauf hin, dass das Zaubern auf den Gängen untersagt ist, genauso das herum wandern durch die Schlossgänge bei Nacht. Die Quidditch Auswahlspiele werden im zweiten Halbjahr abgehalten. Wer sich an dieser Stelle berufen fühlt, wendet sich bitte an Madame Hooch. Und nun, etwas das mir sehr am Herzen liegt“, er faltete die Hände und die allgemein konzentrierte Aufmerksamkeit aller Schüler, Lehrer und Geister wurde fast greifbar, „Wie ihr alle wisst, greift gerade, außerhalb dieser Mauern, ein dunkler Zauberer nach dem Zepter der Macht. Seine Beweggründe, sein Hass gegen all jene, die nicht als Hexen oder Zauberer geboren wurden und seine Taten, sind etwas, das euch innerhalb dieser Mauern nicht berühren wird, dass ihr deshalb jedoch nicht vergessen solltet. Hogwarts ist euer Zuhause, doch es wäre töricht, gerade für jene von euch, die ihr Hogwarts bald verlassen müsst, sich nicht gegen diese Realität zu wappnen. Folgt dem Rate des sprechenden Hutes und reicht euch die Hand, auch über diese Tische hinweg. Vergebt euch unbedeutende Streitigkeiten und haltet euren Geist frei von Vorurteilen und fremden Meinungen. Denn nur ein klarer Blick und ein offenes Herz können euch in diesen Zeiten vor größerem Schaden bewahren“ 
Eine derartige Ansprache hatte ich nicht erwartet und ich war nicht die Einzige. Überall an den Tischen blickten Schüler irritiert oder besorgt zu ihren Sitznachbarn. Ich fasste die Blicke von Marlene am Ravenclaw-Tisch und von Lily, Frank und den Prewett Brüdern bei den Gryffindors auf. Sie nickten und Sue und ich nickten zurück. 
„Aber!“, rief Dumbledore und plötzlich klang er garnicht mehr ernst, „Bevor ihr mit solch düsteren Gedanken zu Bett geht...“ 
Er hob seinen Zauberstab und goldene Bänder erhoben sich vor ihm in die Luft, ringelten sich und umschlangen einander und formten Buchstaben. 
„Lasst uns die Hogwarts-Hymne singen! Jeder, wie er mag!“ 
Und kaum einen Atemzug später fing er, in vollstem Bariton, an zu singen. 
Ich war so erstaunt, dass ich erst zwei Verse später mit einsetzte. Und während die Lehrer und auch viele Schüler eher verkniffen und überstrapaziert lächelnd die Lippen bewegten, erklang vom Hufflepuff-Tisch ein ganzer Chor unterschiedlicher Gesänge, die zusammen die Halle erfüllten. 

„Hogwarts, Hogwarts, 
warzenschweiniges Hogwarts,

bring uns was Schönes bei,

ob alt und kahl oder jung und albern, 
wir sehnen uns Wissen herbei. 

Denn noch sind uns ́re Köpfe leer, 
voll Luft und voll toter Fliegen,

wir wollen nun alles erlernen,

was du uns bisher hast verschwiegen. 

Gib dein Bestes - wir können ́s gebrauchen, 
unsere Köpfe, sie sollen nun rauchen!“ 

Das Ganze endete mit viel lautem Gelächter. Und vereinzelt eilig abbrechenden Gesängen all jener, die langsamer gewesen waren, als die Anderen. Dumbledore jedoch strahlte und wischte sich eine kleine Träne unter seiner Halbmondbrille fort. 
„Ah... Musik! Die größte und unergründlichste Magie. Und nun alle: Ab ins Bett!“ 
Sofort erhoben sich an den Tischen mehrere ältere Schüler mit schimmernden Abzeichen an den Umhängen. 
„Erstklässler“, scholl es durch den Saal, „Erstklässler bitte zu mir!“

Auch Maya hatte sich erhoben und scheuchte Sue mit sanfter Geste zu mir und Roux. 
„Erstklässler von Hufflepuff!“, trällerte sie, „Folgt mir bitte!“ 
„Kommt mit ihr beiden“, seufzte Roux, fasste uns an den Schultern und schob uns durch die Menge, hin zu dem großen Portal in die Eingangshalle. Ich sah, wie die Slytherins und die Hufflepuffs jeweils durch verschiedene Steinbögen die Stufen in den Keller des Schlosses hinab stiegen, wir jedoch folgten den Ravenclaws und Gryffindors, die uns neugierig musterten. Bald trennten sich die Ravenclaws von uns, rechts einen Gang hinab, wir jedoch stiegen mit den Gryffindors in ein beeindruckendes Treppenhaus hinauf. Es war groß wie die Eingangshalle und überall hingen Gemälde, die alles mögliche darstellten. Und das Erstaunlichste war, dass sich die abgebildeten Lebewesen darin bewegten, als wären sie lebendig. Mehrmals verdrehte ich mir den Hals, um eines der Gemälde länger betrachten zu können, doch Roux schob mich sanft weiter. Kurz glaubte ich, Remus in der Menge der Gryffindors gesehen zu haben, wie er zu uns zurück blickte, doch dann war er auch schon verschwunden und ich mir sicher mir seine besorgt drein schauenden Augen nur eingebildet zu haben. 
Gerade hatte Roux Sue und mich auf eine andere Treppe gelenkt, da setzte sich der Stein unter unseren Füßen plötzlich in Bewegung und Sue und ich stießen spitze Schreie aus. 
„Keine Angst“, versuchte Roux uns zu beruhigen, „Die Treppen im Schloss bewegen sich gern einmal. Seit einfach vorsichtig, wo ich hintretet“ 
Doch ich klammerte mich immer noch ans Treppengeländer, bis die Treppe endlich einen neuen Absatz erreichte und mit eine Ruck stehen blieb. Erst dann wagte ich es, meine Finger von dem hellen Stein zu lösen. Einige rote Flecken blieben zurück und Rouxs Blick verfinsterte sich. 
„Komm mit, Roselynn“ 
Der Krankenflügel lag im vierten Stock, am Ende eines Korridors mit hohen Fenstern, durch die das Licht des Mondes zu uns herab fiel und den steinernen Boden überflutete. Die Tür, auf die wir zuliefen, war sehr hoch und weiß. Roux klopfte respektvoll und kaum eine Sekunde später wurde sie auch schon aufgerissen. 
„Rein mit ihnen“, befahl die Hexe, die Professor Sprout zu uns an die Tafel begleitet hatte, und fing sofort an zu reden, während sie Sue und mich auf einem der dutzend Betten unter den hohen Fenstern parkte, „Die Kühlung war ja keine schlechte Idee, aber diese Wunden brauchen Behandlung, vor allem bei ihnen, Miss May!“, sie wandte sich kurz an Roux, „Wie immer ein gutes Auge, Mr. Jaques“ 
Roux nickte, blickte jedoch weiterhin unglücklich. 
Die Hexe hieß Madame Pomfrey und war die Leiterin der Krankenstation. Ich erkannte schnell, dass es sich lohnte, ihren Befehlen genauestens Folge zu leisten, denn sonst wurde sie sehr schnell sehr ärgerlich. Sie verpasste Sue erneut eine Kühlpackung für ihre Finger und ließ sie unter Rouxs Aufsicht in dem hohen, großen Raum zurück. Ich jedoch folgte ihr in einen kleinen Nebenraum, wo sie mich auf eine Pritsche befahl und anfing in einem der vielen Schränke zu kramen, die hier standen. 
„Über ihre Herkunft bin ich mir völlig im Klaren, Miss May, ich frage sie also: entstanden diese Wunden auf magische Art“ 
Ich musste schlucken.

Nein, Madame Pomfrey“

„Wie haben sie sich dann solche Wunden zugefügt?“ 
„Ich habe in Scherben gegriffen, Madame Pomfrey“ 
Als ich ihre hochgezogene Augenbraue sah, entfuhr mir ein kleiner Seufzer und ich erzählte ihr von meinen katastrophalen Start in den Tag, meine verzweifelte Suche nach meinem Zauberstab in meinem völlig durcheinander geratenen Koffer, von Sues Katze, die von einem Mitschüler, den ich nicht richtig gesehen hatte, aus dem Käfig gezaubert worden war und meiner Begegnung mit den unangenehmen Reaktionen einiger meiner Kollegen. Sie hörte zu, säuberte jede Wunde sorgfältig, legte meine Hände dann in eine Schale mit grünlichem Schleim und suchte Verbandszeug zusammen. Dann machte sie sich an meine Knie. 
„Morgen früh können sie die Verbände selbstständig abnehmen. Sollte es dann noch entzündet sein kommen sie sofort zu mir“ 
Ich nickte brav.

„Dann warten sie jetzt bitte mit Mr. Jaques, während ich Miss Malkins behandle“ 
Madame Pomfrey begleitete mich in den Krankensaal, als wolle sie nicht riskieren, dass ich auch nur wenige Sekunden ohne Aufsicht war, und nahm Sue mit sich. Ich ließ mich wieder auf das Bett sinken und starrte auf meine bandagierten Finger. Der Schmerz hatte deutlich nachgelassen und die Schnitte hatten bereits viel besser ausgesehen, bevor Madame Pomfrey sie verbunden hatte. 
„Wer ist gestorben?“ 
Ich fuhr zusammen, wie unter einem Peitschenhieb. Roux hatte sich an die Wand nahe der Tür gelehnt, die Hände in den Hosentaschen, den Blick auf mich gerichtet. Seine Augen schienen im Dunkeln zu leuchten.
31. Kapitel
Das Haus der Helga Hufflepuff
„Was?“, brachte ich gerade noch hervor. 
Meine Kehle war wie ausgedörrt und meine Zunge klebte an meinem Gaumen. Woher wusste er es? Wie konnte er es wissen? Das war unmöglich! 
Roux stieß sich von der Wand ab, kam vorsichtig auf mich zu und setzte sich auf die Bettkante. 
„Die Thestrale...“, setzte er an und im ersten Moment war mir nicht klar, wovon er redete, bis mir die unheimlichen Kreaturen vor den Kutschen wieder einfielen, „Sie können nur von Menschen gesehen werden, die den Tod gesehen haben“ 
Das waren die Fallen, die das Leben als Hexe mir stellte. Ich hatte geahnt, dass meine Unwissenheit in vielerlei Hinsicht ein Nachteil für mich sein würde und ich mich wohl früher oder später einmal verplappern würde. Dass ich jedoch nicht einmal die Chance haben würde ihnen irgendwie auszuweichen, sondern direkt in die Erstbeste hinein lief, ließ mir das Herz zu einem kleinen Eisklotz gefrieren. 
Ich hatte nie mit jemandem über den Tod meiner Mutter gesprochen. Nicht einmal mit Kristóf oder 
Dr. Imre, die dabei gewesen waren. 
„Ich-...“, setzte Roux an und kratzte sich dann verlegen am Hinterkopf, „Entschuldige bitte, dass ich direkt zu McGonagall gegangen bin, aber-... ich erinnere mich noch, wie ich hier ankam, es war alles ziemlich-... dramatisch. Wir hatten einen-... Unfall auf dem Weg zum Zug und ich sah völlig zerstört aus und alle haben mich gefragt, was passiert ist und ich wollte es verheimlichen, um nicht schwach zu wirken...“ 
Das ließ mich aufhorchen. 
„Ich-... war von einem Fluch getroffen worden, im Rücken. Die Wunde war seltsam, kein Blut, aber-... naja. Ich hatte solche Angst, dass ich niemandem davon erzählte. Dumm, ich weiß, aber so war es. Sie haben es erst Tage später rausgefunden, als es fast zu spät war. Damals starb einer unserer Angreifer vor meinen Augen“ 
„Wann war das?“, krächzte ich. 
„Vor zwei Jahren“ 
Das war nicht wirklich lange her. Deshalb konnte er, genau wie ich, die Thestrale sehen. Und ich war ihm nun eine Geschichte schuldig. 
„Meine Mutter-...“

Es ging nicht. Doch Rouxs Gesichtsausdruck verriet mir, dass er verstanden hatte. 
„Das tut mir sehr leid“, sagte er blass, „Denk nur immer daran, in Hufflepuff kann jeder auf den Anderen bauen. Wenn du also Hilfe brauchst-...“ 
Er brach ab, doch ich nickte, überlegte noch, ihm zu erzählen, was damals geschehen war, die Worte klebten in meiner Kehle fest, da ging die Tür zu dem kleinen Behandlungsraum auf und Sue und Madame Pomfrey kamen heraus. 
„Sie beide haben wirklich Glück gehabt“, schimpfte die Hexe und warf uns strenge Blicke zu, bevor sie sich Roux zuwandte, „Bringen sie die beiden sicher zu Bett, Mr. Jaques. Sie haben reichlich Aufregung zu verdauen“ 
„Ja, Ma ́am“ 
Wir folgte Roux aus dem Krankenflügel, zurück, durch den mondhellen Korridor und die wandelnden Treppen hinab in die Eingangshalle. Alles lag nun still da, doch meine Ohren hörten es im Schloss leise summen, wispern, rascheln und flüstern. Das ganze Bauwerk war bewohnt und Magie knisterte, für mich fast sichtbar, in der Luft. 
Roux führte uns durch einen Steinbogen, eine Treppe hinab ins Kellergeschoss. Wir durchschritten mehrere Gänge und da begann er plötzlich, uns auf Einzelheiten hinzuweisen, besondere Bilder, Statuen oder Rüstungen, die wir uns merken sollten. 
„Jeder Erstklässler verläuft sich an seinem ersten Tag im Schloss, aber so findet ihr vielleicht wenigstens zum Frühstück“, lächelte er. 
Schließlich passierten wir ein riesiges Bild in einer Nische, das in grellen Farben eine Obstschale darstellte, und erreichten eine Sackgasse, in der lediglich ein großer Stapel aus einige ausladend dicke, honigfarbenen Holzfässern an der Wand lag. Verwirrt sah ich mich um. Ich roch Essen und die Fährte vieler Menschen, die einfach hier endete, als wären sie vom Erdboden verschluckt worden. Rouxs Lächeln wurde zu einem Grinsen. 
„Passt auf“ 
Er ging zu den Fässer und streckte die Hand aus, zum zweiten Fass von unten, in der Mitte der zweiten Reihe, summte eine kleine Melodie und klopfte dazu passend ans Holz. Und der Boden des Fasses schwang nach innen. Sue und ich machten große Augen. 
„Seid am Anfang vorsichtig“, warnte Roux, „Wenn ihr das falsche Fass erwischt oder im falschen Rhythmus klopft, dann öffnet sich eins der anderen Fässer und tränkt euch in Essig“, er verzog das Gesicht, „Sehr unschön“ 
Er stieg uns voran durch das Loch. Direkt dahinter lag eine Treppe aus groben Steinstufen. Die Wände jedoch waren hier nicht mehr mit Mauerwerk ausgekleidet, sondern lagen roh und erdig da. Ich erkannte sogar verschiedene Sedimentschichten darin, kleine Steine und Reliefs, die wie Fossilien aussahen. An den Wänden hingen Torffackeln in eisernen Halterungen, die uns flackernd Licht spendeten, als der Boden des Fasses hinter uns zufiel. Es waren nicht viele Stufen, bald schon öffnete sich der kleine Tunnel vor uns in einen großen, runden Raum mit niedriger Decke. 
„Das ist unser Gemeinschaftsraum“ 
Runde Fenster hoch oben an der Decke, durch die man das Schlossgelände auf Bodenniveau überblicken konnte, ließen weißes Mondlicht herein. Die polierten Kupferlampen waren bereits gelöscht worden, doch die Reste eines wärmenden Feuers glühten noch im Kamin und beleuchteten die gelben Wandbehänge und die zahlreichen, gepolsterten Sessel. Das Licht tanzte über dicke Teppiche, offene Sitzecken, Schränke aus poliertem Holz voller Bücher und Zierrat aus Kupfer. Überall standen Kerzenhalter und Schüsseln mit Süßigkeiten, wie jene, die ich nun aus dem Hogwartsexpress kannte. Die Decke war höher als draußen im Gang und von unzähligen Haken hingen Körbe und Töpfe herab, in denen Pflanzen aller Art wuchsen. Im Gegensatz zu jeder anderen Flora, die ich kannte, schienen diese Pflanzen zu wispern und zu rascheln. Sie trugen Blüten und Blätter in den unglaublichsten Formen und Farben und füllten den ganzen Raum mit einem unaufdringlichen Wohlgeruch. Runde Türen, die an riesige Fassdeckel erinnerten, führten in alle Himmelsrichtungen aus dem Raum hinaus. Und über dem hölzernen Kaminsims, in den kunstvoll mehrere Dachse geschnitzt waren, hing, beruhigend und majestätisch zugleich, ein Porträt von Helga Hufflepuff, die dem Betrachter mit einem goldenen Kelch zuprostete. 
Roux beobachtete amüsiert unsere beeindruckten Gesichter. 
„Zu den Mädchenschlafsälen geht es hier entlang“, er zeigte auf eine der Türen und lächelte uns dann noch einmal freundlich zu, „Gute Nacht“ 
„Gute Nacht!“, riefen Sue und ich gleichzeitig. 
Während Roux zu unserer Rechten durch eine Tür verschwand, öffneten Sue und ich vorsichtig die Linke, die er uns gezeigt hatte. Wieder betraten wir einen erdigen Tunnel, der von Torffackeln beleuchtet wurde. Dieses Mal ging ich etwas langsamer und bewunderte die Fossilien in den Wandstrukturen. Am anderen Ende des Ganges öffnete Sue uns eine weitere, runde Tür. 
Der Raum dahinter war ebenfalls rund, wie der Aufenthaltsraum. Goldgelbe Wandbehänge hingen von der Decke und den Wänden herab. In das Holz der Himmelbetten waren Tiere und andere fantastische Figuren geschnitzt. Darauf lagen dicke Kilts und weiche Flickendecken. Vor einem dieser Betten, ich erkannte, dass in den linken Bettpfosten ein Drache geschnitzt war, stand mein Koffer. 
Auch hier waren die Lampen bereits gelöscht, einzig zwei Kerzen brannten auf den Nachttischen von den letzten beiden leeren Betten. Ich hörte das sanfte Atmen von drei anderen Menschen. 
Leise schloss ich hinter uns die Tür und Sue und ich schlüpften aus unseren Umhängen und in unsere Pyjamas. Vorsichtig zog ich die schwarze Papierrose aus meiner Rocktasche. Sie war ein wenig zerknittert und hatte an einer Ecke einen Wasserfleck, doch dafür, was sie heute schon alles miterlebt hatte, war sie in einem erstaunlich guten Zustand und ich legte sie mit einem seltsamen Glücksgefühl neben meinen Zauberstab auf den Nachttisch.
Unter den Decken lagen Kohlepfannen und ich schob meine nackten Füße ganz nah an das heiße Eisen. Fast konnte ich mir einbilden, dass der heiße Atem einer meiner Brüder über meine Beine strich. In den Schlossmauern knisterte Magie, durch das Fenster über meinem Kopf hörte ich das Lied des Windes und das leise Plätschern des nahen Sees. 
Der Tag war so voll gewesen, so aufregend, dass ich gern noch einmal über alles nachgedacht hätte, mich gern noch einmal davon überzeugt hätte, dass ich nun wirklich angekommen war und mich nicht verraten hatte. Doch ich war so müde, dass ich sofort einschlief, ohne einen weiteren Gedanken fassen zu können. 
In meinen Träumen sah ich kämpfende Drachen, einen See voller magischer Lebewesen und die lachenden Gesichter meiner Freunde. 

Wäre Sue nicht auf dem Weg zur Toilette über ihre Tasche gestolpert und gegen ihren Koffer gefallen, unser ganzer Schlafsaal hätte wohl das Frühstück verpasst. Vier zerwühlte Frisuren ragten plötzlich, halb verschlafen, halb erschrocken, kerzengerade aus ihren Kissen, während Sue sich immer wieder entschuldigte. 
„Macht doch nichts“, gähnte eine Gestalt mit strohblondem Haar, blickte auf ihre Uhr und sprang dann aus dem Bett, „Was, schon so spät?“ 
Wir schlüpften in unsere Uniformen und Umhänge, wobei mir sehr wohl auffiel, dass sich plötzlich das Wappen von Helga Hufflepuff auf meiner Brusttasche befand und mir einige gelb gestreifte Krawatten zurecht gelegt worden waren. Selbst mein Name war in den Kragen meiner Kleider gestickt worden. 
„Das waren bestimmt die Hauselfen“, antwortete Sue, als ich sie darauf ansprach, „Maman meinte, dass hier hunderte von ihnen arbeiten“ 
Das glaubte ich ihr gerne, doch was mich ein wenig beunruhigte war, dass ich keine Fährten in der Luft wahrnehmen konnte. Wenn sie wirklich da gewesen waren, und das ließ sich ja nun schlecht von der Hand weisen, dann hatten sie mich nicht einmal geweckt! 
Als die Kabbelei um das Badezimmer losging, lernten wir auch endlich unsere Kameradinnen kennen. Das blonde, sehr hübsche Mädchen stellte sich und als Annabell Lee vor. Ihre Familie lebte in London und sie gab ehrlich zu ein wenig eitel zu sein. Das zweite Mädchen hieß Emily Jones, hatte knallblaues Haar und sprach mir ein großes Kompliment für meinen einzigartigen Stil aus. Zu Letzt kam Elster, die eigentlich Julietta Vine hieß, uns jedoch direkt mit Flüchen drohte, wenn wir sie jemals so nannten. Ihre Vorliebe für glitzernde Dinge und ihre kurzen, stachelig abstehenden schwarzen Haare hatten, in Kombination mit ihrer hellen Haut, für ihren Spitznamen gesorgt. 
Ich achtete die ganze Zeit fieberhaft darauf, dass niemand zu viel von meiner Haut sah oder, noch Schlimmer, meine Augen. Als ich die Verbände an meinen Händen und Knien abnahm war ich froh zu sehen, dass die Schnitte zu winzigen Kratzern verheilt waren. Doch trotz meiner Bemühungen mit Bürste und Schminke fühlte ich mich nicht wirklich gewappnet für den Tag. 
„Gib mal her“, kam plötzlich Annabell auf mich zu und nahm mir die Bürste aus der Hand, „Das kann man ja nicht mit ansehen“ 
Sie angelte nach einem gelben Seidenband von ihrer Kommode, kämmte noch einmal durch mein Haar und flocht dann, mit wenigen, geschickten Griffen, das Band in meine Strähnen zu einem langen Zopf, den sie mir im Nacken zu einem Knoten wand. 
„So, fertig“ 
„Das-... das-... sieht toll aus, danke!“, stotterte ich mit einem Blick in den großen Spiegel und fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. 
„Gerne“, antwortete Annabell mit einem kleinen Lächeln, drehte ihren eigenen Zopf in Windeseile zu einem Knoten und griff dann nach ihrer Tasche. 
„Können wir?“ 
Sue und ich folgten ihr und den anderen aus dem Schlafsaal in den Gemeinschaftsraum. Die Morgensonne warf goldene Strahlen durch die runden Fenster, im Kamin prasselte ein Feuer und die Pflanzen an der Decke schienen regelrecht zu singen. 
Plötzlich packte mich jemand an der Schulter. Felix war aus einer der runden Türen gestürmt, hatte sich panisch umgesehen und war mit dem Blick schließlich an mir hängen geblieben. 
„Hab ich verschlafen? Bin ich schon zu spät? Wie viel Uhr ist es?“ 
„Äh...“, machte ich reichlich intelligent und riss mich dann zusammen, „Noch nicht so spät. Wir wollten gerade zum Frühstück“ 
Er seufzte erleichtert und stützte sich dabei auf meine Schulter. 
„Bei Merlins Bart, ich dachte schon“, dann fuhr er wieder hoch und rannte zurück zu der Tür, aus der er gekommen war, „Wartet kurz, ich hol nur meine Tasche!“
32. Kapitel
Eulenpost
Schon als wir die Treppe zur Eingangshalle erklommen, konnte ich Lily und Marlene ausmachen, die aufgeregt hüpfend voreinander am Portal zur großen Halle standen. Direkt hinter ihnen erkannte ich Frank und die Prewett Brüder, die zwar nicht hüpften, aber genauso begeistert aussahen. 
„Sue! Rose!“ 
Frank winkte uns in ausladender Geste zu. Mir war jedoch nicht entgangen, dass nicht er es gewesen war, der uns bemerkt hatte. Fabian hatte anscheinend die ganze Zeit ein Auge auf die Treppe gehabt und Frank dann mit dem Ellenbogen angestoßen. Zu meiner Verblüffung, und auch nicht gerade zu meiner Begeisterung, sah ich Severus, der hinter Lily im Schatten einer Rüstung lehnte. Er kaute auf seiner Unterlippe, die öligen Strähnen seiner langen Haare hingen ihm tief ins Gesicht, doch ich bemerkte seinen Blick, als Lily auf uns zu stürmte und sich Sue und mir in die Arme warf. Marlene folgte ihr auf dem Fuße. 
„Und? Wie ist es? Ist es nicht klasse?“ 
Lily führte einen wahren Freudentanz vor mir auf, ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen strahlten. Und obwohl ich unter Zauberern aufgewachsen war, konnte ich ihre Aufregung mehr als nachvollziehen. Hätte ich es mich getraut, hätte ich mich ebenfalls von meiner Freude mitreißen lassen. Doch ich bemerkte die Blicke der anderen Schüler, die an uns vorbei in die große Halle liefen. Keiner lief an uns vorbei, ohne mich anzusehen. 
Ich spürte schon, wie ich mich ganz klein machte und mein Innerstes bis hinab zum Grunde meiner Magens schrumpfte, da legte sich mir ein Arm um die Schultern. 
„Guten morgen Roselynn“ 
Ich erkannte die Stimme sofort und ein leichter Schauder lief mir den Rücken hinab bis in die Zehen. Auch Fabians und Gideons Mienen veränderten sich, doch dieses Mal blickten sie ein wenig indifferent. 
Der rote und goldene Löwe prangte schillernd, mit erhobener Tatze, auf Sirius Brust. Das Grinsen in seinem Gesicht reichte von einem Ohr bis zum Anderen. Dann musterte er mein Gesicht und seine Augen leuchteten auf. 
„Ich hatte ja so meine Zweifel, aber du scheinst ja im richtigen Haus gelandet zu sein. Du siehst toll aus“ 
„Danke“, brachte ich grade noch so hervor. 
Eine andere Hand schob Sirius Arm bei Seite und landete auf meinen Schultern. 
„Roselynn, willst du uns deine neuen Freunde nicht vorstellen?“ 
Dieses Mal war es James, der sich auf meine andere Seite schob. Sein Haar hatte er lässig zerwühlt und seine Krawatte saß locker, doch anstatt die Runde zu mustern, blickte er mit strahlenden Augen zu Lily hinüber. 
Ich hatte mir geschworen es nicht zu tun, doch ein kurzer Atemzug durch die Nase malte mir ein deutliches Bild. Diesmal war der Schauer noch heftiger, sodass sich mir die Härchen auf den Armen aufstellten. Ich durfte mich nicht umdrehen. 
„Das ist Lily Evans“, stellte ich die Rothaarige vor. 
„Wir kennen uns schon“, antwortete sie etwas eisig und ich erinnerte mich daran, dass James sich am Vorabend neben sie an den Tisch gesetzt hatte. 
Anscheinend hatte er nicht den besten Eindruck gemacht und wollte nun einen Neustart wagen. Wie beiläufig nahm er seine Hand von meiner Schulter, um in ausladender Geste Lilys zu ergreifen. Fast dachte ich, er wollte ihr einen Handkuss geben, doch er ergriff nur sacht ihre Finger und deutete eine Verbeugung an. Sie gaben ein schönes Bild ab, James mit diesem fast schon leidenschaftlichen Blick und Lily, die trotzig ihre Tasche an ihre Brust presste. 
Leider war diese Moment von kurzer Dauer. „Und du bist?“ 
Severus stand plötzlich bei unserer Gruppe, drängte sich zwischen Lily und Marlene durch und entzog Lilys Hand James Griff. 
„Ein Bewunderer von wahrer Schönheit“ antwortete James selbstsicher und ließ seinen Blick über Severus gleiten, wobei er kurz an der silbernen Schlange vorne an Severus Umhang hängen blieb, „Leider wird mir grade schlecht“ 
Sofort veränderte sich das Bild. 
Sirius lachte, Gideon und Frank unterdrückten ein Grinsen, Lilys Augen jedoch wurden schmal und plötzlich hatte ich das Gefühl, ihre Haare stünden in Flammen. Sie fasste Severus am Arm und drehte sich so schwungvoll um, dass ihre Strähnen wie ein glühender Fächer durch die Luft peitschten. 
„Komm, Severus“, schnappte sie und warf James noch einen vernichtenden Blick zu, „Mit so jemandem will man doch nicht gesehen werden“ 
„Stimmt“, schnurrte Severus, nahm Lilys Hand von seinem Arm in Seine und ließ sich von ihr in die große Halle ziehen. 
Unsere Mitschüler aus Hufflepuff zögerten kurz, schielten mehrmals zu James und verabschiedeten sich dann zum Frühstück. Marlene ging mit ihnen, trennte sich jedoch in der Tür von ihnen und huschte hinüber zum Tisch der Ravenclaws, wo sie einen großen, blassen Jungen mit kohleschwarzen Haaren begrüßte, der ihr nur kurz die Andeutung eines Lächelns schenkte, bevor er seine spitze Nase wieder hinter sein Buch schob. Sue schüttelte den Kopf, streifte mich kurz am Arm und entfernte sich mit Frank ein paar Schritte von der Gruppe. 
„Souverän“, kommentierte Gideon. 
Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und Lily und Severus nachgeschaut, die nun vor den Tischen standen und miteinander sprachen. Lily umarmte Severus, bevor sie sich trennten. Dann blickte er zu James. 
„Ich würde sagen, das hast du so richtig verkackt“

James zuckte mit den Schultern. Er grinste wieder.

Sie wird schon merken, dass er mir nicht das Wasser reichen kann“ 
Diesmal musste auch ich mit einem Prusten kämpfen und ich war nicht die Einzige. Endlich kam ich dazu mich umzudrehen und die beiden Personen hinter James und Sirius offiziell zu bemerken. 
„Guten morgen, Roselynn“ 
Sein Lächeln war scheu, doch ich fühlte die Wärme wie Drachenfeuer in meiner Brust. 
„Guten morgen, Remus“ 
„Ach!“, fuhr Gideon dazwischen und schob James bei Seite, der immer noch Lily hinterher starrte, um Remus die Hand zu schütteln, „Unser Mann der Stunde!“ 
Eine leichte Röte stieg in Remus blasse Wangen. Er sah schon viel besser aus als gestern, doch das bisschen Farbe stand ihm wirklich gut. 
„Das ist Peter!“, lenkte er eilig ab und zeigte auf den kleinere, etwas dicklichen Jungen neben sich. 
Gideon und Fabian waren durchaus nicht unfreundlich. Sie schüttelten Peter die Hand und witzelten mit ihm über sein Pech, solche Schlafsaal-Kameraden abbekommen zu haben. Peter jedoch nahm sie völlig ernst und bekräftigte sofort, wie glücklich er sich schätzte. Dann warf er mir einen scheuen Blick zu, reichte mir jedoch nicht die Hand. 
Dr. Imre hatte Recht. Manche Menschen hatten einen sechsten Sinn.

„Bis später“, murmelte ich verlegen, zog den Kopf ein und beeilte mich weg zu kommen. 
Niemand versuchte mich aufzuhalten. 

„War das ein Freund von dir?“ 
Elster saß mir gegenüber und funkelte zu James hinüber, der am Gryffindor-Tisch saß und gerade eine Geschichte zum Besten gab, über die alle umsitzenden laut lachten. 
„Ich kenne ihn kaum“, gab ihr ehrlich zu und setzte dann eilig nach, „Eigentlich ist er nicht so, aber Severus hat uns im Zug reichlich Ärger bereitet“ 
„Was war los“, fragte Emily erschrocken, den Löffel mit Porridge halb auf dem Weg zum Mund erstarrt. 
Ich erzählte kurz davon, wie es zum Streit gekommen war, dass ich Severus an der Tür gesehen hatte und wie plötzlich die Käfigtür von Sues Katze offen gewesen war. Wie aufs Stichwort sprang Silver neben mir auf die Bank und rieb ihren seidigen Kopf an meinem Ellenbogen. Ich hatte bis jetzt keinen Kontakt zu Katzen gehabt, doch anscheinend hatten sie nichts gegen Drachen. Ich kraulte ihr den Kopf. 
„Das hätte ins Auge gehen können!“, begehrte Emily auf, als ich mit der Geschichte geendet hatte. 
„Es ist ja nicht passiert“, wollte ich sie beruhigen, sah dann jedoch die Gesichter von Felix und Annabell, die bisher geschwiegen hatten. 
Da ließ sich Sue neben mir auf die Bank fallen. 
„Da bist du ja!“, rief sie aus, schnappte sich ihre Katze, blickte jedoch zu mir, „Du warst plötzlich weg“ 
„War ja auch ein bisschen komisch grade“, antwortete Annabell an meiner Stelle, „Hoffentlich gehen sich die beiden nicht noch weiter an die Kehle“ 
Wir stimmten ihr alle zu, doch meine scharfen Auge und meine Nase ließen mich nicht darauf wetten. Was jetzt schon zwischen James und Severus in der Luft hing, überstieg das, was ich für Severus empfand, bei Weitem. 
Ein Geräusch ließ mich aufblicken. Es klang, als würde ein starker Wind durch einen Wald fegen. 
„Roselynn?“, fragte Emily irritiert. 
Doch da flogen schon die ersten Eulen durch die Fenster. Es mussten Hunderte sein, nacheinander segelten sie in die riesige Halle, kreisten über unseren Köpfen und landeten nacheinander bei ihren Besitzern. 
„Wow!“, entfuhr es Felix, der sich das Spektakel mit offenem Mund ansah. 
Recht bald landete vor Sue die mir bekannte Schleiereule und Sue quietschte vor Freude, als sie einen Brief von ihren Eltern von ihrem Bein pflückte. Vor Felix landete ein etwas zerzauster Waldkauz, der mir einen scheelen Blick zuwarf, bevor er mir eine Ecke Toast vom Teller klaute. 
„Bumblebee, also wirklich!“, schimpfte Felix, doch der Kauz hatte sich das Toaststück zwischen seine messerscharfen Krallen geklemmt und knabberte genüßlich daran herum. 
„Lass ihn nur“, schmunzelte ich und nahm mir gerade einen neuen Toast, als allgemeines Raunen dafür sorgte, dass ich erneut den Kopf hob. 
Gleich zwei Eulen flogen direkt auf mich zu und es wunderte mich nicht, dass meine Mitschüler ein solches Aufhebens darum machten. Der riesige, goldene Uhu landete mit rauschenden Schwingen direkt auf meinem Teller, dann machte es Fwuap und das kleine, goldene Huhn federte elegant von der spiegelnden Oberfläche des Geschirrstücks ab. 
Alle lachten. 
„Was ist denn das für eine Eule?“, johlte Elster, während sie Emily auf den Rücken klopfte, die fast keine Luft mehr bekam vor lachen. 
„Einer meiner Zauberunfälle“, grinste ich schief.
„Der Hühnerregen?“ 
Ich zuckte kurz zusammen und wandte den Kopf, um zu bemerken, dass Roux plötzlich hinter mir stand. 
„Ja“, gab ich kleinlaut zu, „Keine Ahnung was da passiert ist“ 
Die zweite Eule, ein kleiner Fleckenkauz, hatte sich mittlerweile auf meiner Schulter niedergelassen und Roux streichelte dem kleinen Tier liebevoll die Federn. Natürlich wusste ich genau, welche Eule das war. Der Kauz hieß Ignis, gehörte Dr. Imre und neigte dazu, fremden in die Finger zu beißen. Gerade wollte ich Roux warnen, da sah ich, wie Ignis genüßlich die Augen schloss, bevor Roux sich mit einem „Wir sehn uns“ wieder verabschiedete. 
Inzwischen hatten sich die uns umgebenden Hufflepuffs und Gryffindors wieder unter Kontrolle. Das kleine, goldene Huhn hockte nun fröhlich glucksend neben meinem Teller und pickte die Sonnenblumenkerne von einem Brötchen in einem nahen Korb. Kurz kraulte ich Ignis die gescheckte Brust, dann nahm ich ihm den kleinen Brief ab, den er am Fuß trug. 
„Post von zu Hause?“, fragte Annabell neugierig, die einer riesigen Schneeeule gerade ihren Kelch hinschob. 
Nein, das konnte ich auf den ersten Blick sagen. Dieses Papier kannte ich. 
Oben auf das Dokument hatte Dr. Imre eine kurze Notiz gekritzelt, dass er bereits alles geklärt hatte und ich mir keine Sorgen machen sollte. Er bat um einen Brief und richtete mir Grüße von Kristóf und den anderen Wärtern aus, doch ich überflog die kurzen Zeilen nur ungeduldig und las dann den Brief, unter dem groß das Siegel des britischen Zaubereiministeriums prangte. 
Sue warf mir einen besorgten Blick zu, als sie es erkannte. 
„Was ist los Roselynn?“, fragte sie besorgt. 
Erst antwortete ich ihr nicht, dann zerknüllte ich das Papier in einer Hand und setzte ein grimmiges Lächeln auf. Das Papier in meinen Fingern begann zu schwelen, dann färbte es sich plötzlich schwarz und zerfiel zwischen meinen Fingern zu Asche. 
„Gar nichts“, antwortete ich gelassen und wischte die Ascheflöckchen mit einem Taschentuch weg, bevor ich meinem Huhn etwas Wasser auf meinen Teller kippte.
33. Kapitel
Irrungen und Wirrungen
„Miss May?“ 
Vor Schreck machte ich der Bank einen kleinen Hüpfer und ließ die Ashe verschmierte Hand sofort unter der Tischplatte verschwinden. 
„Ein sehr beeindruckendes Kunststück, Miss May, doch ich wäre ihnen dankbar, wenn sie Solcherlei nur im Unterricht oder auf ausdrückliche Nachfrage ihrer Lehrkräfte und Vertrauensschüler demonstrieren“ 
„Jawohl, Professor!“, brachte ich eilig heraus und wunderte mich, dass ich nicht klang wie ein erschrockenes Ferkel. 
„Hogwarts“, fuhr Professor Sprout fort, während sie hinter mir ihren Zauberstab erhob und einen kleinen Schlenker in der Luft vollführte, „Wird ihnen helfen ihr magisches Potential in die geeigneten Bahnen zu lenken und wenn sie sich anstrengen, werden sie bald ganz Außergewöhnliches vollbringen. Doch ich erwarte von ihnen allen, dass sie Verantwortung für ihr Talent übernehmen, auch gegenüber ihren Mitschülern“ 
„Ja, Professor“, tönte es aus verschiedenen Richtungen um mich herum, während ich mit offenem Mund beobachtete, wie sich das Wasser auf meinem Teller plötzlich verfärbte und zu einer pergamentenen Wasserrose erblühte. 
„Dies sind ihre Stundenpläne für dieses Jahr“, erläuterte Professor Sprout, als sich feine, schwarze Linien auf den Blütenblättern ausbreiteten und sich schließlich zu einem völlig glatten und frischen Bogen beschriebenen Pergament entfalteten, „Und wie ich sehe sollten sie sich beeilen. Professor McGonagall sieht es gar nicht gerne, wenn sich ihre Schüler verspäten“ 
Kurz nur zögerte sie, dann beugte sie sich zwischen Sue und mir nach vorn und streichelte dem goldenen Huhn über seine schimmernden Federn. 
„Wirklich“, fügte sie in kaum hörbarer Lautstärke hinzu, während das kleine Huhn glücklich gluckste, „Beeindruckend“ 
Dann rauschte sie von dannen, als wäre nichts gewesen, zu einer Gruppe älterer Hufflepuffs, um mit ihnen ihre Fachwahl zu besprechen. 
„Wir haben Kräuterkunde erst am Mittwoch!“, hörte ich Felix von der anderen Seite des Tisches schollen. 

Wie sich heraus stellte, hätten wir uns tatsächlich besser sofort auf den Weg gemacht, anstatt noch zu Ende zu frühstücken. Durch unseren Weg zum Krankenflügel kannten Sue und ich die beweglichen Treppen bereits und ich hatte nicht mit mehr als zehn Minuten Wegzeit gerechnet. Tatsächlich brauchten wir mehr als doppelt so lange. 
Sue erwischte auf dem Weg in den zweiten Stock insgesamt vier falsche Trittstufen. Ihr Fuß sackte einfach durch die scheinbar feste Substanz und ließ sich nur befreien, indem Felix und ich sie unter den Armen packten und zogen. Dabei ließ sie zwei Mal ihre Tasche fallen, sodass sie erst einmal all ihre Sachen unter vielen Entschuldigungen aufsammeln musste, was alles nur weiter verzögerte, da sie sich auch nicht helfen lassen wollte und ihr vor Nervosität alles aus den Händen fiel. 
Zwei Mal gingen wir einen Korridor entlang, dessen linke Abzweigung uns wieder zurück zum Treppenhaus brachte, die Rechte jedoch führte uns plötzlich in den dritten Stock, ohne, das wir eine Treppe benutzt hatten. Später fand ich heraus, dass dies nur Montags der Fall war. 
Zu den sich bewegenden Treppen, den Trittstufen und den labyrinthartigen Korridoren gesellten sich bald lebendige Rüstungen, die mich, als sie sich plötzlich bewegten, beinahe zu Tode erschreckten. Außerdem falsche Türen, an denen sich Elster zwei Mal die Nase anstieß. Beim zweiten Mal zerbrach ein Tintenfass in ihrer Tasche und bekleckerte ihre Bluse mit fiesen, dunklen Flecken. Anabell erlebte unglücklicherweise, wie es war, wenn ein Geist durch einen hindurch wanderte, als eine sehr hübsche, edel gekleidete, perlweiße Gestalt durch die nächste Wand und direkt durch sie hindurch schwebte. Sie gab einen kurzen, spitzen Schrei von sich, doch die Geisterfrau war auch schon durch sie hindurch und Anabell sackte zitternd auf die Knie und musste bis zum nächsten Korridor an Emilys Hand laufen, weil sie sonst schaudernd stehen blieb. 
Die Gemälde waren auch nicht sonderlich hilfreich. Immer wieder riefen ihre Bewohner uns zu sich, um uns den Weg zu weisen und gerieten dann schnell untereinander in Streit über die richtige Richtung oder die beste Abkürzung. Kurz darauf entdeckte Felix hinter einem Wandbehang eine Treppe, die uns endlich wieder in den zweiten Stock zurück brachte. Damit wurde er unser persönlicher Held des Tages, auch wenn er den Geheimweg nur entdeckte, weil er sich erschöpft gegen den Teppich gelehnt hatte, um einen Moment zu verschnaufen, der Wandteppich ihn nach unten und gleichzeitig nach hinten rutschen ließ und er die Treppe auf dem Hintern hinab rutschte. Rückwärts. 
„Ich werd eine Woche nicht sitzen können!“, jammerte er und rieb sich immer wieder seine vier Buchstaben, als wir endlich in den Gang einbogen, wo ein Messing-Schild uns mitteilte, dass wir unser Ziel erreicht hatten. 
Leider standen keine Schüler mehr vor der Tür, die geschlossen war. Kein gutes Zeichen. 
Gerade wollte Emily ihm antworten, da traf sie ein Schwall eiskaltes Wasser. Ein Schwall, der von mir zu ihr herüber Spritze. 
Vor mir landete eine Eimer scheppernd auf den Boden und während ich noch laut keuchend und völlig erstarrt da stand, flog mit lautem Kreischen und Gackern eine Gestalt in rotem Anzug, mit einer grell-orangenen Fliege und einem glockenförmigen Hut über mich hinweg. Fast sah es so aus, als würde er in der Mitte zerbrechen, so sehr schüttelte es ihn vor Lachen. 
Er hatte ein unnatürlich spitzes und sehr blasses Gesicht, außerdem tiefschwarze Augen und sogar spitz zulaufende Augenbrauen. 
„Kleine, kleine Erstklässler!“, gackerte das Wesen und schlug einen Salto in der Luft, „Hab gehört ihr schwimmt lieber, dachte, ich bring euch einen Gruß vom See mit!“, dann wandte er sich direkt an mich und feixte, „Ganz besonders bist du, was? Fällst bestimmt nicht gerne auf, wie?“ 
Das Wesen schnellte herab und griff nach meiner Brille, doch ich sprang gerade noch rechtzeitig einen Schritt zurück. Leider direkt in die Wasserpfütze unter mir. Ich verlor den Hals, fiel und polterte direkt in den Mann, der gerade in diesem Moment um die Ecke des Korridors geschlittert kam. 
„Runter, du...!“, plärrte der Mann mich an und schubste mich von sich herunter, um sich, gestützt auf einen Wischmopp, hastig wieder aufzurichten, „Peeves!“ 
Der Poltergeist hüpfte in der Luft herum wie ein angestochener Ballon, kreischte und johlte und verschwand schließlich durch die nächste Wand. 
„Das wird ein Nachspiel haben! Schüler, außerhalb des Unterrichts!“ 
Erschrocken blickte ich aus meiner Pfütze in ein faltendurchzogenes, wettergegerbtes Gesicht, umgeben von langen, stahlgrauen Strähnen, die sich zur Stirn hin bereits lichteten. Der Mann funkelte mich so wütend an, dass ich fast von innen heraus gefror. 
„Du...!“ 
„Bitte, Mister“, Sue geriet kurz ins Stocken, als der Mann sich, mit wutverzerrtem Gesicht, an sie wandte, „Roselynn kann nichts dafür, sie-...“ 
„Was hat das zu bedeuten, Argus?“ 
Eilig machten meine Kameraden der Hexe Platz, die nun aus der Tür zum Verwandlungs- Klassenzimmer schritt und sich direkt vor dem Mann mit dem Wischmopp aufbaute. 
„Ich verstehe ja, dass sie Peeves Machenschaften ein Ende bereiten wollen, doch ich gebe hier Unterricht und bei einem solchen Lärm ist ein konzentriertes Arbeiten absolut unmöglich“, konstatierte Professor McGonagall, während einige Schüler, außschließlich Hufflepuffs und Gryffindors, wie ich feststellte, aus der Tür in den Gang spähten. 
„Aber bitte, Professor“, plötzlich waren die Augen des Mannes reines, fast schon verzweifeltes Flehen, „Diese Schüler haben-...!“ 
„Eindeutig etwas von Peeves Streichen abbekommen, wie ich sehe“, vollendete Professor McGonagall seinen Satz, „Ich nehme sie unter meine Fittiche. Doch da sie ohnehin zu spät zu ihrer ersten Unterrichtsstunde sind, halte ich eine Strafarbeit für angebracht, seien sie deshalb also unbesorgt“ 
„Aber Professor-...!“, protestierte Elster und musste kurz schlucken, als Professor McGonagalls scharfer Blick sie plötzlich an die Wand des Ganges nagelte, „Wir haben uns verlaufen, da waren überall falsche Türen und ein Gang hat uns plötzlich in den dritten Stock geführt und-...“ 
„Ja“, unterbrach sie Professor McGonagall und ich hörte eilige Schritte, als sie sich wieder dem Klassensaal zuwandte und unsere Mitschüler schleunigst auf ihre Plätze zurück kehrten, „Das ist Montags immer so“
34. Kapitel
Verwandlung
Ihre schlechte Laune sorgte nicht nur für die Strafarbeit, Professor McGonagall fühlte sich an diesem Morgen auch nicht bereit den Trick vom Vorabend zu wiederholen. Und so bot Sue mir ihren Umhang an und Felix, ganz Gentleman, gab seinen Emily. 
Für Emily war damit alles wieder gut, auch wenn sie neben Elster saß, die sich ständig über die Tintenflecke auf ihrer Bluse beschwerte. Ich jedoch weichte mit meinen tropfenden Kleidern auch Sues Umhang vollständig durch und bald bildete sich unter meiner Bank eine neue Pfütze. Zusätzlich setzte Professor McGonagall uns in verschiedene Bänke und ich endete allein auf einer Doppelbank, ohne Partner, obwohl neben Lily, die ganz vorne saß und mir bedauernde Blicke zuwarf, noch ein Platz frei gewesen wäre. Nicht einmal Gideon und Fabian ließen sich zu einen Kommentar hinreißen. Einzig Frank schenkte mir ein ermutigendes Lächeln und wandte sich dann wieder nach vorn. 
„Wie ich schon sagte, das Fach Verwandlung unterteilt sich in drei große Hauptgruppen“, setzte Professor McGonagall den Unterricht fort, „Nur bei zwei dieser Gruppen wird ein Zauberstab und ein Zauberspruch benötigt. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um die klassischen Diversare, der vielfältigen Kunst, Gegenständen oder Lebewesen ein anderes Aussehen zu geben. Die zweite Gruppe führt das Prinzip der Diversare fort in die Inanimatus-Aufrufezauber, bei der sie nicht lebenden Objekten durch ihren Zauber eine Imitation von Leben einhauchen. Und zu guter Letzt, die Commuto, bei der sich eine Hexe oder ein Zauberer ohne Hilfe eines Zauberstabes oder Zauberspruchs-...“ 
„Entschuldigung Professor, wir haben uns verlaufen!“ 
Es war schwierig Professor McGonagalls Gesichtsausdruck nach diesen Worten zu deuten. Ich für meinen Teil tropfte verwirrt auf meine Aufzeichnungen hinab und starrte zur Tür. Wie hatte mir nicht auffallen können, dass sie fehlten? Wahrscheinlich hatte ich mich zu elend gefühlt. 
In der Tür standen James, Sirius, Remus und Peter, alle mit Schweiß auf der Stirn und schwer atmend. Peters Gesicht hatte die Farbe einer reifen Tomate, nahm jedoch sofort einen ungesunden Grauton an, als sich Professor McGonagall den Vieren zuwandte. 
„Kein Problem, die Herren. Da sie ja ohnehin schon bei Professor Slughorn nachsitzen, macht es ihnen bestimmt nichts aus sich auch meiner Strafarbeit hinzu zu gesellen“ 
„Professor, für dieses Schloss bräuchte man eine Karte!“, protestierte Sirius prompt, „Selbst die Treppen haben versucht uns aufzuhalten!“ 
„Gerade die Treppen...“, hörte ich Remus leise keuchen und obwohl ich vermutlich die Einzige war, die seine Worte gehört hatte, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. 
„Dann versuchen sie doch eine anzufertigen, Mr. Black!“, fauchte Professor McGonagall und schnippte energisch mit ihrem Zauberstab, „Nach gestern Nacht dürften sie und Mr. Potter sich ja allerbestens im Schloss auskennen. Wenn sie jetzt so gütig wären sich zu setzen. Und auch sie kommen nach dem Unterricht zu mir!“ 
Dies erklärte zumindest Professor McGonagalls schlechte Laune. Sie ging dazu über die Vier zu ignorieren, weshalb sie sich ihre Plätze auch selbst aussuchen konnten. Natürlich ließ sich James sofort neben Lily in die Bank fallen und ich sah, wie sie entnervt einige Zentimeter von ihm weg rutschte. 
„Warst du vor dem Frühstück nochmal schwimmen?“, witzelte Sirius, als er neben mir in die Bank glitt und dabei versuchte nicht in die Pfütze unter mir zu treten, doch ich hob nur warnend den Zeigefinger an die Lippen. 
„... ist die Animagus -Form“, hörte ich Professor McGonagall noch sagen, „Passen sie auf“ 
Und gerade, als ich meinen Kopf wieder nach vorne drehte, sah ich, wie sich die hoch gewachsene, stolze Hexe in einer einzigen, fließenden Bewegung in eine getigerte Katze verwandelte. 
Um mich herum brachen meine Mitschüler in Staunen aus und einige applaudierten sogar. Ich hingegen sog tief die Luft ein. 
Der Geruch von Professor McGonagall war immer noch da, umgab die Katze wie eine dichte, menschenförmige Wolke. Wo die Füße dieser Wolke waren, saß die Katze, die ein auffälliges, brillenähnliches Muster im Fell um die Augen trug. Dann streckte sich die Gestalt der Katze und Professor McGonagall stand wieder vor uns. Ich beeilte mich, ebenfalls zu klatschen. 

Nach ihrer Verwandlung umgab Professor McGonagall wieder jene gefasste, ruhige Aura vom Vorabend. Sie schien sich über unsere Verblüffung und unseren Applaus zu freuen und mir gefiel dieser menschliche Zug an ihr. 
„Und vergessen sie nicht, bei einer so kleinen Verwandlung ist es vor allem ihr eigener Wille, der über ihren Erfolg bestimmt“, beendete Professor McGonagall ihren Vortrag, während eine Streichholzschachtel von Tisch zu Tisch hüpfte und dabei an jeden Schüler ein Streichholz verteilte. 
„Was machst du denn für ein Gesicht?“, fragte Sirius, während um uns herum ein mehrstimmiger Chor anschwoll. 
Im ersten Moment wollte ich nicht antworten, doch Sue war so furchtbar weit weg und übte mit Emily und ich fühlte mich immer noch hundeelend. 
„Ich-... ich weiß nicht, ob ich das kann“, gab ich kleinlaut zu und umklammerte meinen Zauberstab wie ein Hackebeil, „Ich hab vorher noch nie wirklich gezaubert“ 
„Echt nicht?“, fragte mich Sirius verblüfft und lachte dann, „Das war das Erste was ich probiert hab, als ich meinen Zauberstab gekauft habe!“ 
Unnötig ihm zu erklären, dass die kleine Einlage im Zug für mich nicht wirklich zählte und bis dahin mein Zauberstab in meinem Koffer eingesperrt gewesen war. 
„Ich glaube ich hab Angst, dass es nicht klappt“, mein Ton und mein Blick ließen Sirius verstummen, „Was, wenn ich überhaupt keine Hexe bin?“ 
Sirius musterte mich einen Augenblick sprachlos, dann brüllte er fast vor Lachen und einige unserer Mitschüler drehten sich erstaunt zu uns um. 
„Roselynn, ich glaube ich habe noch nie jemanden getroffen, dem das Wort Hexe so dick auf der Stirn geschrieben steht, wie dir!“, blökte er. 
„Ist das Teil ihrer Übung, Black?“ 
Professor McGonagall stand vor unserem Pult und zog mit spitzer Miene eine Augenbraue hoch. 
„Entschuldigung, Professor, ich-...“, setzte ich an, doch Sirius unterbrach mich. 
„Vielleicht können sie Roselynn ja davon überzeugen, dass sie eine Hexe ist, Professor“, kicherte er, ohne ihren Tadel überhaupt zu bemerken, „Ich glaube, sie hat da Bedenken“ 
Der verärgerte Ausdruck verschwand aus Professor McGonagalls Gesicht und um ihren Mund erschien ein weicher Zug. 
„Was für ein Unsinn“, wehrte sie ab, „Soweit ich beim Frühstück gesehen habe, ist ihr Haustier durch ihr Zutun sehr wohl zu einer Verwandlung fähig. Seien sie also unbesorgt. Dass ein neuer Zauber ihnen nicht sofort gelingt ist völlig natürlich“ 
„Ich-... hab es noch nicht probiert“, gab ich kleinlaut zu. 
„Na dann, probieren sie es“, war Professor McGonagalls Antwort und ihr Ton klang dabei so munter und fröhlich, wie ich sie an diesem Morgen noch nicht gehört hatte. 
Ich nickte, räusperte mich und umklammerte krampfhaft meinen Zauberstab. 
„Denken sie daran Miss May. Es ist eine Verwandlung. Ein Fluss, von einer Gestalt zur Anderen“ 
Erstaunt hob ich den Blick und begegnete dabei Professor McGonagalls. Ihre stahlgrauen Augen funkelten und sie schien fast zu lächeln. 
Ich hob den Zauberstab. 
Fließen. Die Gestalt floss von einer Form in die Andere. Das war eine Verwandlung. Kein Zerren, kein Reißen, kein Schmerz. Ein Fluss, stark, direkt, mitreißend. Ein Gefühl, als würde man sich strecken, eine neue Form ausfüllen, sich wieder sammeln. Anders. 
„Acus!“
Mit einem sanften Blitzen streckte sich das Streichholz und war plötzlich lang und silbern und spitz. 
„Außergewöhnlich“, lächelte Professor McGonagall, „Sehr gut gemacht, Miss May“ Ich lächelte zu ihr empor, während Sirius neben mir gaffte. 
„Mann, Roselynn!“, platze es aus ihm heraus, „Du bist ja ein Naturtalent!“ 
„Da stimme ich ihnen zu, Black“, Professor McGonagall nickte. 
Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich von uns ab und erst jetzt fiel mir auf, dass meine Klassenkameraden allesamt aufgehört hatten zu zaubern und zu uns auf den Tisch starrten. Professor McGonagall hingegen trat an einen Käfig heran, von denen einige dutzend die Wände ihres Klassensaales säumten, und kehrte mit einem Igel an unser Pult zurück. 
„Miss May, bitte versuchen sie bis zum Ende dieser Stunde diesen Igel in ein Nadelkissen zu verwandeln. Der richtige Zauberspruch dafür lautet Acus culcita“, sie sah meinen entsetzten Blick und lächelte, „Keine Sorge. Es ist zwar ein Lebewesen, aber die Verwandlung tut ihm nicht weh. Denken sie daran, dass die Diversare allesamt rückgängig zu machen sind. Es ist und bleibt ein Igel. Sie ändern nicht sein Wesen, nur seine Form“ 
Ich nickte erneut. Anscheinend war ich zu mehr nichtmehr fähig. 

„Das war großartig, Roselynn!“, quietschte Sue und hüpfte vor meinem Tisch auf und ab. 
„Wirklich“, Sirius lachte immer noch, „Keine Hexe...“, und sammelte sein Streichholz ein, das zumindest eine Spitze besaß, sich in der Mitte jedoch spontan umentschied und wieder in die hölzerne Struktur des Streichholz wechselte. 
„Fantastisch!“, staunte Lily, die ihre Nadel an das Revere ihres Umhangs gesteckt hatte und betrachtete das kleine Nadelkissen auf unserem Pult musterte. 
„Hat nicht ganz geklappt“, gab ich zu und stupste das Kissen mit einem Finger an. 
Sofort rollte es sich zu einer kleinen, nadelgespickten Kugel zusammen. 
Alle lachten. Und selbst Professor McGonagall konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. 
„Denken sie daran, dass dies ihre erste Unterrichtsstunde in Verwandlung war, May. Für eine junge Hexe wie sie ist dies schon eine außergewöhnliche Leistung“ 
„Danke Professor“, antwortete ich strahlend. Mir war, als könnte ich schweben.
„Und nun zu ihrer Strafarbeit“ 
Ich landete. Unsanft. 
„Was, ihr auch?“, platzte es aus James heraus, dessen Nadel in einem Streichholzkopf endete. 
Auch Remus und Peter traten zu uns heran. Remus Nadel, erkannte ich, war perfekt, von der Spitze bis zu Öse. Peters Streichholz hingegen besaß nur einen sanften Silberschimmer, der Professor McGonagall eine Augenbraue hochziehen ließ, bevor sie fortfuhr. 
„Da ihre Leistungen, trotz ihrer Verspätung, insgesamt annehmbar sind, werden sie mir bis zur nächsten Stunde lediglich einen Aufsatz von einer Rolle Pergament schreiben, in dem sie mir erklären, was die besonderen Merkmale der Diversare im Gegensatz zu den anderen Gruppen sind und wie sie ihre Zauber von heute noch verbessern können“, sie wandte sich an mich, „Sie, May, beziehen sich hierbei bitte auf ihr Nadelkissen“ 
„Ja, Professor“, antwortete ich erleichtert. 
Das klang nicht schwer und ich bemerkte sehr wohl die Blicke um mich herum, die sich hilfesuchend auf mich richteten. 
„Professor!“, jammerte da plötzlich jemand hinter Professor McGonagalls Rücken und als sie sich umwandte stand dort Felix, mit verzweifelter Miene, „Professor, ich weiß leider nicht, was ich falsch gemacht habe. Ist das normal?“, und er hob sein Streichholz hoch, das zumindest die Spitze einer Nadel besaß. 
Am Ende des Streichholzes jedoch keimte ein kleiner Sämling auf und reckte seine frisch grünen Blätter dem Licht der Fenster entgegen. 
„Ah“, machte Professor McGonagall und ein wissender und auch leicht ernüchterter Ausdruck legte sich auf ihre Miene, „Unterhalten sie sich diesbezüglich am besten mit Professor Sprout. Ich glaube in ihrem Haus gibt es noch Mister Quinn und Miss Orchid, die in den letzten beiden Jahren das gleiche Talent aufwiesen“ 
Als sie sich mit einem leichten Kopfschütteln abwandte und alle sich fasziniert über Felix Streichholz beugten, hörte ich sie noch murmeln. 
„Jedes Jahr Einer...“
35. Kapitel
Zauberkunst
Ich war wunderbar erleichtert, dass sich unsere Strafarbeit als so harmlos heraus gestellt hatte und auch unfassbar stolz auf meine Leistungen. Meinen Zauberstab an die Brust gepresst, eilte ich direkt aus dem Klassenzimmer auf den nächsten Hufflepuff zu, der mich ein gutes Stück überragte. 
„Entschuldigung?“, fragte ich den hellblonden Jungen, der sich verwirrt von seinem Gespräch abwandte, „Wir suchen das Klassenzimmer für Zauberkunst“
„Der erste Tag!“, lachte der Junge auf, „Damals haben wir uns verlaufen, weißt du noch, Ben?“ Sein Freund lachte. 
„Und ob ich das noch weiß! Filch hat uns außerhalb der Klasse erwischt und es gab gleich Strafarbeiten. Pass auf...“ 

Ich war so glückselig, dass ich nicht vorbereitet war auf den Schlag, der kommen würde. 

Alle lachten.
Verzweifelt warf Sue ihren Umhang zu Boden und trampelte so lange darauf herum, bis die Flammen endlich erloschen waren.
„Das war vielleicht etwas zu energisch, Miss May“, quiekte der kleine Professor Flitwick über das Gelächter der Slytherins hinweg, doch er konnte sie nicht übertönen, „Denken sie an die Handbewegung, die wir eingeübt haben!“
Doch es hatte alles keinen Zweck.
„Es tut mir so leid, Sue!“
„Macht doch nichts...“, lächelte sie, doch es wirkte gequält und ein trauriger Ausdruck trat in ihre Miene, als sie ihren Umhang vom Boden aufhob.
Mittlerweile war er wieder trocken, doch nun klaffte ein weites Loch im linken Ärmel.
Überall waren Stimmen. Lautes Johlen und unverhohlenes Kichern lärmten über die Versuche Professor Flitwicks hinweg, die Klasse zu beruhigen, ließen Elsters laute Schimpftirade ertrinken und waren durchsetzt vom Flüstern der Hufflepuffs.
„In Verwandlung war sie doch so gut...“
„Vielleicht nur ein Zufall...“
„Das ist schon so schlecht, dass es schon fast wieder gut ist...“
Tränen quollen aus meinen Augen und ich versuchte sie fort zu wischen, bevor sie jemand bemerken konnte.
„Ach, Roselynn...“, setzte Emily an, doch ich machte mich auf meinem Stuhl ganz klein, sodass ihr Griff nach meiner Schulter ins Leere ging.
„RUHE!“
Der Ruf donnerte ins Klassenzimmer wie ein Komet. Sofort pressten sich alle die Hände auf die Ohren, doch ich war nicht schnell genug.
Ein hohes Pfeifen ließ mich die Worte Professor Flitwicks nicht verstehen, als er seinen Zauberstab erst auf seine Kehle richtete und ihn dann wieder in seinem Ärmel verschwinden ließ. Ich sah, wie seine Lippen wütende Worte formten, wie die Hufflepuffs ängstlich und traurig zwischen ihm und mir hin und her blickten und die Slytherins alle eine mehr oder weniger betretene Miene aufsetzten.
Langsam verklang das Pfeifen.
„... nicht dulden! Jeden, den ich noch einmal dabei erwische, wie er sich über die Leistungen eines Mitschülers lustig macht, dem blühen schwere Strafarbeiten!“
Ich jedoch erhob mich leise und floh aus dem Klassenzimmer. 
Ich ließ das Mittagessen ausfallen und traf erst wieder bei Geschichte der Zauberei auf meine Klassenkameraden. Dieses Mal hatten wir mit Marlene Unterricht, die ganz eindeutig über die Geschehnisse aus Zauberkunst informiert war, denn sie warf mir wehleidige Blicke zu, während Professor Binns vor uns Namen und Jahreszahlen herunter ratterte. Anscheinend war er schon seit mehr als hundert Jahren Lehrer in diesem Fach und daran würde sich vermutlich auch so schnell nichts ändern. Selbst sein eigener Tod hatte ihn nicht vom Unterrichten abhalten können. Ich hielt den Kopf gesenkt und schrieb wahllos alles mit, was meine Ohren erreichte, doch in meinem Kopf liefen immer wieder die gleichen Szenen in Dauerschleife. 
Bevor ich Sues Umhang in Brand gesteckt hatte, hatte ich bereits drei Federn verkohlen lassen und hatte es dann so gut machen wollen, dass ich versucht hatte die Magie wie einen Fluss zu leiten. Was bei Verwandlung hervorragend funktioniert hatte, endete bei Zauberkunst in einem wahren Desaster. Die Feder war sofort explodiert. Nicht einmal Asche war übrig geblieben. 
Zu allem Überfluss hatte ich danach ein Versteck in der nächsten Mädchentoilette gesucht, nur um festzustellen, dass ich fürchterlich aussah.
Peeves hatte anscheinend nicht gelogen, als er meinte, er hätte das Wasser aus dem See geholt. Meine getrockneten, zusammen klebenden Haarsträhnen enthielten einige Algenfäden, mein Umhang war am Saum immer noch feucht, auf den Ärmeln hatten die Funken Löcher in den Stoff gebrannt und auf meiner Brille zeichneten sich verschmierte Wasserflecken ab. 
Kurze Zeit, nachdem ich mich auf den Sims des in drei Metern über dem Fußboden befindlichen Oberlichtes zurück gezogen hatte, öffnete sich die Tür und Sue trat ein. Sie rief meinen Namen und klopfte an jede Kabine, musterte dann betrübt das Loch in ihrem Ärmel, schob mit einem Schniefen ihre Brille wieder gerade und verließ den Raum. 

Obwohl ich durchaus merkte, dass meine Freunde versuchten mich abzupassen, war ich schneller als sie. Professor Binns einschläfernde Art hatte ich in der letzten halben Stunde damit zu bekämpfen versucht, dass ich versuchte seine nächsten Worte zu erraten. Es klappte ganz gut. Zumindest gut genug um sofort aufspringen und den Raum verlassen zu können, als er seine Notizen vor sich auf das Pult legte. 
Dieses Mal folgte mir niemand. 

Erst, als ich den See schon halb umrundet hatte, kamen die Tränen.
Was, wenn es jetzt vorbei war? Was, wenn Professor Flitwick den anderen Lehrern von meinen schlechten Leistungen berichtete, und das würde er sicher, und Professor Dumbledore hörte davon? Was, wenn er so enttäuscht war, dass er die Aufenthaltsgenehmigung in Hogwarts zurück zog?
Ich war als Drache May geboren worden. Hatte durch blasse Nüstern meinen ersten Atemzug getan. Durch spiegelnde Augen das erste Mal das Licht der Sonne und der Sterne beobachtet. Hatte die Erde unter weichen Pranken gespürt und meine Krallen an den Kieseln der Flussufer geschärft. Der erste Geschmack auf meiner Zunge war der von Blut gewesen, durchsetzt mit dem sanften Prickeln meines eigenen Giftes. Der Wind hatte mich getragen und mir seine Geschichten erzählt. Und jede Nacht hatte das Feuer, das mein Vater meinen Brüdern und mir geschenkt hatte, meinen Körper gewärmt.
Die Hexe Roselynn hatte diesem Drachenkind Unglück gebracht. Sie hatte ihm das Feuer und den Wind genommen, sie hatte jeden Atemzug kürzer werden lassen und jede Farbe blasser. Sie hatte dem Drachen Schuppen und Krallen geraubt. Durch ihre Augen war es unmöglich die Sonne und die Sterne so zu beobachten, wie es der Drache gekonnt hatte.
Doch ich wollte sie einfach nicht aufgeben. Die Hexe. Roselynn. Ohne sie hätte der Drache May kaum noch länger leben dürfen. Ohne sie wären meine Brüder gestorben, so, wie meine Mutter gestorben war.
Der erste Atemzug, den sie auf dieser Welt getan hatte, war das Lachen eines Kindes gewesen. Das erste Bild, das ihre Augen sahen, war eine Welt, für die sie keinen Namen kannte, und die entsetzten Blicke hinter dem Zaun. Die Erde hatte sich zwischen ihre Zehen geschoben und das kalte Flusswasser hatte sie wieder heraus gewaschen. Der erste Geschmack auf ihrer Zunge war süß gewesen und hatte ihr den Bauch gewärmt, wie es keine Beute jemals getan hatte. Und über ihre Haut war ein sanftes Knistern getanzt. 
Mein Atem ging zerhackt und stoßweise in meiner Brust. Ich bekam keine Luft! Die alte Angst machte sich wieder in mir breit. Die Erinnerung an die Männer, die gekommen waren, an Dr. Imre, der mich fest gepackt und fort getragen hatte. Kristóf, der schrie. An grüne Blitze und das Heulen und Fauchen. Stille. 
Die Tränen liefen so heiß über mein Gesicht, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn sich verbrannte Haut von meinen Wangen geschält hätte. Versagte ich, dann wurde dies auch mein Schicksal.
Ein Drachenleben war nur so viel wert wie der Preis, den man für sein Blut, sein Herz und seine Schuppen bekam. 
Und in meinem Rückgrat spitzte sich langsam dieser leichte Schmerz zu, der immer dann auftrat, wenn sich Hexe und Drache einen erbitterten Kampf lieferten.
Der Drache wollte jagen, wollte seine Schuppen und Krallen, sein Gift und seine Flammen zurück. Wollte sie bezahlen lassen für den Schmerz, der die Hexe nieder drückte. Und der Hexe ging langsam die Kraft aus. 
Ein Menschenleben war für eine Viper nur so viel Wert wie das Fleisch, das sie an den Knochen fand.
In einem letzten, verzweifelten Versuch, während ich bereits spürte, dass sich Schuppen durch meine Haut gruben und meine Wirbelsäule langsam länger wurde, riss ich mir den Riemen meiner Tasche von der Schulter, rannte auf den kleinen Vorsprung zu und warf mich kopfüber ins Wasser.
36. Kapitel
Die Kräuterkundige
Der Sprung ins Wasser versetzte dem Drachen einen solchen Schrecken, dass die Verwandlung augenblicklich abbrach. Seine Pranken hatten nie Wasser getreten, sein Körper war zu schwer und zerrte ihn augenblicklich nach unten. Doch auch die Hexe Roselynn war nun in Schwierigkeiten. 
Das Wasser war eiskalt und traf brennend meine überhitzte Haut. Mein Umhang wurde sofort schwer wie Blei. Ich ruderte verzweifelt mit Armen und Beinen, spürte, wie meine Muskeln dem Widerstand des Wassers kaum etwas entgegen zu setzen hatten. Licht und Dunkelheit tanzten vor meinen Augen Walzer. Hier, in dieser Welt, gab es weder oben noch unten. Nur Kälte. Und keine Luft, die meine Lungen hätten atmen können. 
Und dann tauchte plötzlich ein Gesicht vor mir aus dem trüben Grün auf.
Ich schrie auf, dicke Blasen entkamen meinen weit aufgerissenen Lippen. Die Augen in diesem Gesicht waren mindestens doppelt so groß wie meine, vollständig gelb und geteilt von zwei schräg liegenden, mitternachtsschwarzen Linien, die mich anstarrten. Der Mund hatte keine Lippen, das Gesicht kein Kinn, dafür jedoch ausgeprägte Stirnfalten und scharfe, hohe Wangenknochen. Die Nase war platt gedrückt, am Hals hoben und senkten sich in regelmäßigen Abständen kleine Hautlappen mit ausgefranstem Rand. Umrahmt wurde dieses Gesicht von dicken, fast schon leuchtenden, hellgoldenen Strähnen, aus denen die Spitzen langer Ohren hervor ragten.
Das Wesen schien zu kichern, als es mich panisch von sich weg strampeln sah und war mit einer kurzen, kräftigen Bewegung seiner langen Schwanzflosse auch schon wieder bei mir.
Neugierig umrundete das Wesen mich, während sich in meiner Brust meine Lungen schmerzhaft um das letzte bisschen Sauerstoff verkrampften, das ihnen noch blieb. Dann jedoch wandte es ruckartig den Kopf und war mit zwei kräftigen Flossenschlägen wieder in der trüben Dunkelheit verschwunden.
Mein geplagter Körper wählte genau diesen Moment und quittierte den Dienst. 

Ich erwachte, weil sich meine Luftröhre in das Leitsystem eines Springbrunnens verwandelt hatte. In keuchenden Wellen sprudelte das Wasser aus meinen Lungen. Mein Magen verkrampfte sich, Magensäure schoss meine Speiseröhre nach oben und verätzte mir den Mund.
Ruckartig warf ich mich zu Seite und spuckte aus. Neuerliches Würgen brachte mehr Wasser. Ich bemerkte wage eine Stimme, die besänftigend auf mich einredete und ein lautes Keuchen. 
Der Strom aus Wasser verebbte langsam. Meine Sinne kehrten zurück, der Nebel hob sich von meinen Augen.
Ich lag im warmen Gras, nicht weit von den seicht plätschernden Wellen des Sees entfernt. Ein erdverkrusteter Umhangsaum war auch zu sehen und der Geruch von Kräutern, Torf, der Säure von Zitronen und, ganz schwach, auch Butterkaramell, stieg mir deutlich in die Nase. Doch da war noch etwas. Ich hörte, wie kräftige Lungen schwere Arbeit taten und mit tiefem Keuchen Luft holten. Ein stetiges Tropfen, das nicht von meinen eigenen Kleider rührte. 
„Kommen sie, Miss May“, jemand fasste mich unterm Arm und zog mich sanft, aber bestimmt, auf die Beine und wandte sich dann noch einmal von mir ab, „Sie sollten in den Krankenflügel gehen. Lassen sie sich von Madame Pomfrey etwas zum Aufwärmen geben“
„Professor, ich-... sollte Roselynn nicht auch...?“ 
„Ich werde mich um Miss May kümmern. Sie haben großen Mut bewiesen. Fünfzehn Punkte für Hufflepuff. Und nun gehen sie bitte“
Ich hörte das Gras rascheln und nasse Kleider über feuchte Haut streifen. Den Kopf gesenkt atmete ich tief ein, auch wenn es in meiner Kehle brannte. 
Da war der Geruch von frisch poliertem Stahl, von schokoladendickem Kaffee und wilden Rosen, untermalt von jenem einzigartigen Duft, wenn frischer Regen auf warmes Kopfsteinpflaster fällt. Petrichor...
Nach einem kurzen Zögern entfernten sich müde Schritte und nahmen den Großteil des Geruchs mit sich. Doch ein kleiner Teil klebte an meinen brennenden Lippen, die, so fühlte es sich an, das einzig warme an meinem ganzen Körper waren. Meine Rippen schmerzten. 
„Ich kann nicht wirklich sagen, dass diese Aktion wohl überlegt war“, hörte ich Professor Sprout neben mir sagen, „Doch das haben sie wirklich gut gemacht“
„P-professor-...“, setzte ich an, doch sie unterbrach mich, indem sie mich einen Schritt vorwärts zog. 
Ich schlotterte am ganzen Körper, meine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Lakritz gemacht, doch ich blieb stehen.
„Gut, sie können laufen. Accio!“
Ich hörte ein leises Plätschern und Zischen, dann reichte mir Professor Sprout meine Brille und endlich konnte ich den Kopf heben. 
Einige Meter entfernt sah ich Roux, der wie ein begossener Pudel über das Spätsommergras zum Schloss zurück kehrte, die schwarzen Locken zerzaust und ebenso durchweicht wie sein Umhang und seine Schuhe.
„Kommen sie, hier entlang“ 

Professor Sprout brachte mich nicht direkt zum Schloss zurück. Nach einige wackeligen Metern war ich soweit, wieder selbst zu laufen und nach einem erneuten Zauber klammerte ich mich an meine trockene Tasche und folgte ihr über einige schmale Wege. Keiner von uns beiden sagte ein Wort. Hinter uns berührte die Sonne gerade den Horizont und sandte gelbes Licht über die sanften Hügel, das sich plötzlich in der spiegelnden Scheiben mehrerer gläserner Gebäude verfing. 
Ich kam gerade noch ein paar Schritt weit, bevor ich mit offenem Mund und immer noch tropfend stehen blieb.
„Das sind die Gewächshäuser“, erläuterte Professor Sprout und ich kam nicht umhin einen gewissen Stolz in ihrer Stimme zu bemerken, „Hier entlang“ 
Sie schritt an den schimmernden Gebäuden vorbei und ich atmete trotz brennender Kehle mehrere Male tief ein. Es duftete so herrlich, dass mir vor lauter Atmen schwindelig wurde.
„Was meinen sie“, unterbrach Professor Sprout meine Konzentration, „wo züchte ich wohl die Nachtblüher?“ 
„Dort drüben“, antwortete ich sofort und zeigte auf ein Gewächshaus mit einer glänzenden, kupfernen Zwei über der Eingangstür.
Sekunden später landete die Hand, die eben noch mit ausgestrecktem Finger auf das Gebäude gedeutet hatte, auf meinem Mund, doch Professor Sprout ließ sich nicht beirren. 
„Sehr gut. Und wo befindet sich das Beet mit den Rosengewächsen?“
„Hinter diesem da“, hauchte ich vorsichtig und zeigte auf das Gewächshaus zu unserer Rechten. „Und wenn ich ihnen jetzt einen Geruch beschriebe, zum Beispiel dunkle Erde mit einem hohen Anteil an Schiefermineral, dazu dünne, grüne Rinde und etwas wie Muskat und Vanille, könnten sie mir dann sagen, wo ich eine solche Pflanze hier finden könnte?“
Ich zögerte einen Moment, ängstlich, verwirrt und atmend. Dann strecke ich erneut vorsichtig den Finger aus und deutete auf ein Gewächshaus, dass sich gute zweihundert Schritte hinter Professor Sprout an die Außenmauer des Schlosses schmiegte.
„In diesem dort“
Professor Sprout musterte mich und nickte dann, mit einem schmalen Lächeln. 
„Außergewöhnlich. Sie sollten sich diesen Geruch merken, May. Er gehört zu einer Fangzähnigen Geranie und diese Pflanzen sind Störenfrieden nicht wirklich wohl gesinnt“
„Ja Professor“, gab ich vorsichtig zurück.
Das war alles, bis sie ein Gewächshaus mit der Nummer Vier über der Tür erreichte, diese öffnete und mich mit einem Wink ihrer Hand hinein orderte. 
Ich bemerkte sofort den Unterschied. Draußen hing die restliche Sommerwärme des Tages noch im orangenen Licht der Sonne, hier drinnen jedoch war es so warm, dass mir ein Schaudern über die eiskalten Glieder lief.
„Setzen sie sich“ 
Professor Sprout zog einen alten Holzhocker unter den Arbeitsflächen an der gläsernen Wand hervor. Dort standen Blumentöpfe in allen Größen, Formen und Farben und in jedem Topf sah und roch ich eine andere Erde, eine andere Pflanze, jede anders gedüngt und im Aussehen unterschiedlicher, wie nichts anderes was ich kannte. 
Ich folgte Professor Sprouts Anweisung und sah zu, wie sie bis zum anderen Ende des Gewächshauses lief, einen eisernen Dreibein mit einem großen Stück dunkler Rinde bestückte und zu mir zurück kehrte.
„Sagen sie, May, sind sie auch als Mensch dazu in der Lage Feuer zu atmen?“ 
Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
„Nein Professor“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Doch sie können ihre Haut überhitzen?“, fragte sie weiter.
„Das ist-... also das passiert eher zufällig...“, nuschelte ich verlegen.
Professor Sprout jedoch nickte.
„Eine emotionsgesteuerte Entladung von Magie ist bei jungen Hexen und Zauberern völlig normal. Nicht wenige Magiebegabten lernen ihre Zauberkräfte in einer Extremsituation kennen“ Ihre Worte erinnerten mich so sehr an meinen Hühnerregen, dass ich mir sicher war, sie wusste darüber Bescheid. Doch was sie über mein Feuer gesagt hatte...
„Professor!“, meine Stimme klang gequält, doch ich musste diese Worte loswerden, „Ich werde niemanden verletzen, das schwöre ich!“
Diesmal war es Erstaunen, das ich im Blick von Professor Sprout fand. Und dann kehrte das Lächeln zurück und eine weiche Form von Verständnis und Mitgefühl legte sich auf ihre Züge. „Gedulden sie sich noch einen Moment, ja?“
Und mit einem kleinen Schlenkern ihres Zauberstabes entflammte das Rindenstück, das in der Schale des Dreibeins lag.
„Ein netter kleiner Zauber, sie sollten Professor Flitwick danach fragen. Diese Flammen verbrennen nicht, doch sie spenden Licht und eine Wärme“
Das stimmte. Die zarten, hellblauen Flammen tanzten munter auf der Rinde, doch ich sah keine einzige versengte Stelle. Ob Professor Flitwick mir nach dem heutigen Unterricht jedoch ausgerechnet einen Feuerzauber beibringen würde wagte ich zu bezweifeln.
Professor Sprout jedoch schob den Dreibein auf dem erdigen Boden etwas näher an mich heran, durchquerte erneut den Raum und verschwand dann durch eine Seitentür.
Ein wenig verloren beobachtete ich die kleinen, blauen Flammen. Sie waren hübsch und erinnerten mich tatsächlich ein wenig an Drachenfeuer. Außerdem wärmten sie mich, worüber ich sehr dankbar war. Doch ein anderer Gedanke schob sich in diesen kleinen Frieden.
Roux. War er mir die ganze Zeit bis zu See gefolgt? Er musste mir das Leben gerettet haben. Das Wesen im See schien jedenfalls nicht daran interessiert gewesen zu sein mich zur Oberfläche zu bringen. Und auch ich konnte Professor Sprout nur zustimmen. Es war eine himmelschreiend dämliche Idee gewesen. Warum hatte sie mich also dafür gelobt? 
„Hier, trinken sie“
Erneut zuckte ich zusammen, diesmal heftiger. Ich hatte Professor Sprout nicht zurück kehren hören, doch nun reichte sie mir einen grün lasierten Tonbecher ohne Henkel, aus dem herrlich dampfte.
Ich konnte mich nicht zusammen reißen.
„Kakao?“, fragte ich verwirrt, während ich die Tasse annahm.
„Mögen sie etwa keine Schokolade?“, fragte Professor Sprout ein wenig verwundert, doch ich schüttelte sofort heftig den Kopf.
„Doch, sehr sogar!“
„Dann ist es ja gut“
Mit einem weiteren Becher in der Hand zog Professor Sprout sich einen weiteren Hocker heran und setzte sich mir gegenüber an den kleinen Dreibein. Und obwohl das Feuer, die Wärme, der Kakao und der Geruch von Erde und Pflanzen um mich herum mich eigentlich beruhigten, verkrampften sich meine Muskeln augenblicklich, als Professor Sprout Luft holte.
„Was sie eben am See getan haben, war zwar dumm von ihnen, Miss May, doch auch, und vor allem, sehr mutig. Und es hat mir nach nur einem Tag genau gezeigt, warum der sprechende Hut sie meinem Haus zugeordnet hat. Professor McGonagall hat mir nach dem gestrigen Festmahl anvertraut, dass sie fest damit gerechnet hatte, sie würden ihrem Haus zugewiesen“ Professor Sprout warf mir einen bedeutsamen Blick zu, doch ich verstand nicht ganz. Und das zeigte sich anscheinend auch deutlich in meinem Gesicht.
„Wie alle anderen Lehrkräfte“, setzte Professor Sprout fort und beobachtete meine Reaktion dabei genau, „War auch ich, zumindest bis gestern, noch nicht vollständig darüber informiert wer sie sind. Dem Kollegium wurde mitgeteilt, dass sie aus einem anderen Land zu uns kämen und es eventuell Probleme mit dem Ministerium geben könnte“, ich schluckte schwer bei diesen Worten, doch Professor Sprout sprach weiter, „Wir waren alle der Meinung, dass sie großen Mut aufbringen, sich so weit von ihrer Heimat zu entfernen und, vollkommen auf sich allein gestellt, eine fremde Schule in einem fremden Land zu besuchen. Doch ich glaube, dass sie diesen Mut nicht aus Eigennutz aufbringen, sondern für Andere. Sagen sie, liege ich mit meiner Vermutung richtig?“
Ich zögerte kurz, umklammerte mit weißen Knöcheln den Becher, dann jedoch zuckte ich mit den Schultern. Obwohl mich das Ministerium, Dr. Imre und Kristóf davor gewarnt hatten, sagte mir eine innere Stimme, dass hier die Wahrheit angebracht war
„Ich-... ich möchte einfach niemanden verletzen“, gab ich zu.
„Ist das schon einmal vorgekommen?“, fragte Professor Sprout sachlich und ich konnte tatsächlich keine Spur eines Vorwurfs in ihrer Stimme finden.
„Nein... aber ich-...“
„Sie haben Angst“, nahm mir Professor Sprout das Reden ab, „dass es passieren könnte“
Mit einiger Verzögerung nickte ich.
„Und was wenn ich ihnen nun sagen würde, dass Verletzungen durch Mitschüler in Hogwarts durchaus nicht unüblich sind?“
Ich blinzelte. Hatte ich das gerade tatsächlich gehört?
Professor Sprout jedoch lachte leise und nahm dann in aller Ruhe einen Schluck von ihrem Kakao, während ich noch versuchte das Gesagte einzuordnen.
„Ich dachte mir bereits, dass sie, da sie fernab der Gesellschaft anderer Hexen und Zauberer in ihrem Alter aufgewachsen sind, über diese Umstände nicht so gut aufgeklärt sind. Sie haben zwei Betreuer in ihrer Heimat. Hat einer von ihnen Kinder?“
Ich schüttelte den Kopf. Professor Sprout nickte. 
„May, ich will ihnen keine Angst machen, wenn ich ihnen sage, dass bei ihnen das Risiko, dass sie jemanden verletzen, natürlich höher ist“, gab Professor Sprout zu und trotz ihrer Worte zog sich in mir etwas zusammen, „Aber“, fuhr sie fort und legte eine starke Betonung auf das Wort, „so ist das nun einmal, wenn man mit einem großen magischen Talent gesegnet ist. Junge Hexen und Zauberer haben oft keine Kontrolle über ihre Fähigkeiten. Emotionen sind der häufigste Auslöser und die stärksten Gefühle eines Menschen sind häufig Angst oder Zorn. Entsprechend kommt es immer wieder vor, dass sich Magie auf ungewollte Weise Bahn bricht. Genau deshalb sind sie nach Hogwarts gekommen. Um ihr magisches Talent kennen zu lernen, es schließlich zu kontrollieren und sich und anderen zu Nutze zu machen. In der ersten Woche des Schuljahres ist der Krankenflügel meistens am stärksten belegt. So viele junge Hexen und Zauberer an nur einem Ort, viel Stress, ob nun positiv oder negativ... da sind Unfälle vorprogrammiert. Sie waren nicht die Erste und werden auch nicht die Letzte sein, die in einem Unterrichtsfach Schwierigkeiten hat“, ich zuckte zusammen und warf Professor Sprout einen nervösen Blick zu, doch sie lächelte mir ermutigend zu, „Ich kann sie nur bitten uns Lehrern zu vertrauen. Gehen sie zu Professor Flitwick und bitten sie ihn um Hilfe, kommen sie zu mir, wenn sie Probleme haben und auch, wenn es um das Ministerium geht. Und vertrauen sie den Mitschülern in ihrem Haus. Ihre Freunde haben sich große Sorgen gemacht, als sie sie nicht finden konnten“ 
„Ich hatte mich versteckt“, gab ich kleinlaut zu.
„Das haben wir uns gedacht. Warum, wenn ich fragen darf? Doch nicht nur aus Scham, oder?“ Ich stockte. Das konnte ich ihr nicht erzählen. Andererseits leuchteten ihre Worte mir ein und sie war freundlich, ohne dabei zu vertraut zu werden. Außerdem wusste sie Bescheid...
„Ich darf keine Freunde haben!“, platze ich heraus.
„Und warum nicht?“
„Wenn sie es heraus finden-... wenn ich ihnen weh tue-...!“
Meine Stimme versagte.
Nachdenklich wiegte Professor Sprout den Kopf hin und her und trank von ihrem Kakao.
„Ich kann ihre Ängste verstehen. Es ist schwer ein Außenseiter zu sein und die Angst durch Zurückweisung verletzt zu werden ist groß. Doch wie wir gesehen haben werfen sie sich lieber in den See, als zu zulassen, für Andere eine Gefahr zu sein. Lieber gefährden sie ihr eigenes Leben. Ich wollte eigentlich Miss Sulivan darum bitten sich ein wenig um sie zu kümmern, in ihrer Rolle als Vertrauensschülerin. Doch nachdem ich gestern gesehen hatte, wie sich Mister Jaques um ihre Gesundheit bemüht hat, bat ich ihn uns bei der Suche zu helfen“
„Ich hätte mich fast-... was, wenn ich mich nicht-...“, stotterte ich, doch Professor Sprout unterbrach mich mit einer Handbewegung.
„Aber sie haben sich beherrscht. Selbst in Momenten wie diesen, in denen Angst, Scham und Zorn so auf sie eindringen, behalten sie die Oberhand. Sie können deshalb ruhig stolz auf sich sein, Miss May“
Und damit erhob sie sich, deutete mir jedoch, dass ich noch sitzen bleiben konnte.
„Ruhen sie sich ein wenig aus. Ich bin nebenan und werde sie zum Schloss zurück bringen, wenn sie soweit sind. Gehen sie zu ihren Freunden. Und fragen sie Mister Jaques um Rat. Ich stelle es mir angenehmer vor mich jemandem in meinem Alter anzuvertrauen. Einem Schüler, keinem Lehrer“
Und damit nahm sie ihren Hocker, schob ihn unter die Arbeitsfläche und wandte sich zum Gehen. „Professor?“
Auf meinen Ruf drehte sich Professor Sprout noch einmal um.
„Ich-... danke...“
„Sehr gern, Miss May“
37. Kapitel
Einer für alle...
Als mich Professor Sprout schließlich zum großen Portal des Schlosses zurück brachte, war die Sonne bereits vollständig hinter dem Horizont verschwunden und die Wärme des Tages war der kühlen Brise der Nacht gewichen.
Die Flammen des blauen Feuers und die Wärme des Gewächshauses hatten mich schnell trocknen lassen, doch ich wusste, dass ich trotzdem fürchterlich aussah. 
„Legen sie ihren Umhang heute Nacht für die Hauselfen auf ihren Koffer“, beschwichtigte mich Professor Sprout, als ich traurig an meinem schlammigen, zerrissenen und fleckigen Umhang hinab sah, „Ihre Handarbeiten sind ganz und gar außergewöhnlich“
„Danke Professor“, erwiderte ich artig, als wir das Portal zur Eingangshalle erreichten 
Professor Sprout schenkte mir noch ein freundliches Nicken, dann wandte sie sich ab und verschwand in der dichter werdenden Dunkelheit zurück zu ihren Gewächshäusern.
Einen Moment stand ich noch da, blickte über den alten Innenhof zu den Fernen Wäldern und erkannte ein schwaches Licht nahe des dunklen Waldes. Fast sah es wie ein Fenster aus. 
Als ich mich endlich umwandte, um endlich all meinen Mut zusammen zu nehmen und zum Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs zurück zu kehren, stieß ich noch auf der Türschwelle gegen einen hoch gewachsenen Körper.
„Aus dem Weg, du Ratte!“ 
Sofort stolperte ich zurück, um mich einem jungen Mann gegenüber zu sehen, der um einiges älter war als ich. Er hatte dunkle Haare und ein fahles, irgendwie verzerrtes Gesicht. Auf seinem Umhang prangte die silbrig glitzernde Schlange von Slytherin. Und noch etwas fiel mir sofort auf. Sein Geruch war mir sofort unangenehm. Etwas zwischen abgestandenem Teichwasser, Bittermandelöl und dem klebrigen Staub, der sich so gern an Fensterscheiben setzte. 
Mit großen Augen starrte ich ihn an. Er jedoch schenkte mir einen Blick, der über Verachtung hinaus ging. Und obwohl der Drache von den Ereignissen des Tages reichlich geschwächt war, spürte ich das Gift in meinen Gaumendrüsen kochen und meine Haare zu Berge stehen.
„Aber nicht doch, Antonin“ 
Eine weiche, lang gedehnte Stimme unterbrach unseren Blickkontakt. Dem Besitzer dieser Stimme haftete ebenfalls dieser leichte Staubgeruch an, doch auch das stechende Aroma von.. Rettich? Dazu noch eine leichte Note vom kalt glänzenden Fell eines... kleinen... Raubtiers?
Der junge Mann, der sich aus der Gruppe hinter dem Angesprochenen löste hatte Haar, das fast so weiß war wie meins. Doch nicht nur meine Augen erkannten darin den leichten Goldstich, der sie weißblond und nicht silbern erscheinen ließ. Sein Gesicht war lang und scharf geschnitten, seine stahlgrauen Augen blickten fast schon spöttisch auf mich herab. 
„Seht ihr, meine Herren. Das hier ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieses Land vor die Hunde geht. Wenn Dumbledore schon solche Streuner wie diese auf die Schule lässt, dann ist man wahrscheinlich bald nicht mal mehr zu Hause vor ihnen sicher“
Die Gruppe hinter ihm lachte, ich jedoch hatte den Witz nicht verstanden. Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Fahlgesichtigen, der nun eine Hand in seinen Umhang schob. „Vielleicht sollte man ihr ein paar Manieren beibringen, dann wäre es immerhin eine weniger“ Seine Stimme klang fast wie ein Hecheln und diesmal spürte ich, wie sich mein gesamter Körper sträubte und ich unwillkürlich in eine Kauerstellung wechselte. 
„Wie niedlich“, schnarrte der Blonde, „So ist es Recht, Kleine. Wenn du noch ein bisschen mehr buckelst, vielleicht wird aus dir dann ja wenigstens nützlicher Abschaum“
Wieder drang Gelächter aus der Gruppe, während ich innerlich mit den Klauen des Drachen rang. Jeder meiner Sinne warnte mich vor der Gefahr und die Hexe Roselynn besaß nur einen Zauberstab, mit dem sie noch nicht umgehen konnte. Vielleicht konnte ihm ihn dem Fahlen ins Ohr rammen, doch dann wäre meine Munition erschöpft und ich den Anderen dieser merkwürdigen Gruppe völlig ausgeliefert. Und von Professor Sprout oder einem anderen Lehrer war nichts mehr zu sehen.
„Hey!“, schallte da ein Ruf durch die Eingangshalle und die Gruppe vor mir drehte sich um, als wäre sie ein Mann, „Sucht euch gefälligst jemanden in eurer Größe!“ 
Tränen schossen mir in die Augen, als ich die Stimme erkannte.
„Was für erbärmliche Gestalten“, eine sehr ähnliche Stimme verschränkte die Arme und blickte missbilligend auf die Gruppe junger Männer, „So richtig dicke Eier habt ihr ja nicht in der Hose, wenn ich euch einen Erstklässler raus pickt“
„Gideon!“, schnappte Sue entsetzt und auch Lily und Marlene machten halb belustigte, halb entsetzte Gesichter.
Doch die Jungen im Rücken der Zwillinge lachten dafür umso lauter.
Da standen sie, alle versammelt. Lily und Marlene hielten größtmöglichen Abstand zu James, der mit Sirius lässig am Treppengeländer lehnte. Remus stand frei auf der Treppe und obwohl er nicht ganz so entschlossen wirkte, stand er sicher und vermittelte deutlich, dass er keinen Schritt weichen würde. Peter hingegen, das konnte man sehen, machte sich fast in die Hosen vor Angst. Und doch blieb er. Es war also kein Irrtum gewesen, dass ihn der Hut nach Gryffindor geschickt hatte.
Frank hatte, immer noch lachend, beschwichtigend einen Arm um Sues Schultern gelegt. Sie selbst blickte immer noch leicht empört, doch ich sah noch etwas Anderes in ihren Augen. Ein Feuer, dass ich bisher nicht gekannt hatte.
Auch Emily, Elster, Annabell und Felix waren da. Und, zu meinem größten Erstaunen, auch Roux, der sich neben Sirius mit verschränkten Armen ans Geländer gelehnt hatte und sich nun abstieß. Er hatte nicht einmal den Umhang gewechselt und seine schwarzen Locken bildeten in dem losen Zopf in seinem Nacken ein wirres Knäul.
„Genug jetzt“, seine Stimme klang kühl und seine Augen waren hart wie Felsgestein, „Für den ersten Schultag tretet ihr mit eurer Moral für euer Haus schon ziemlich in den Rückstand. Fünf Punkte Abzug, für jeden von euch“
Sofort konnte ich spüren, dass er einen Fehler gemacht hatte. Waren die Slytherins vor mir schon zuvor durch die Zwillinge auf der Skala von gehässig zu mordlustig gewechselt, so knisterte die Luft jetzt praktisch vor dunkler Energie. Aufgebrachte Geister sandten knisternde, grüne Blitze in Richtung meiner Freunde. Keiner rührte sich.
„Na schön, wenn du unbedingt der Meinung bist“
Der Blonde seufzte fast, als er aus der Brusttasche seines Umhangs einen eleganten, schwarzen Zauberstab zog und dessen Spitze direkt auf mich richtete.
Sofort veränderte sich die Szene. Welcher meiner Freunde eben noch entspannt an der Treppe gelehnt oder lachend da gestanden hatte, stand nun voller Anspannung an der untersten Treppenstufe und selbst Lily, für die diese Welt ebenso fremd war, wie für mich, vielleicht sogar noch fremder, hielt ihren Zauberstab in der Hand.
„Wie niedlich“, bellte der junge Mann namens Antonin ein krächzendes Lachen und zog seinen eigenen Zauberstab, „Die Knirpse wollen sich doch tatsächlich mit mir anlegen“
Doch ich sah, wie Remus Roux vorsichtig antippte, dann Sirius eine Hand auf die Schulter legte und einen Schritt nach vorn trat.
„Na bitte, wie haben sogar einen Freiwilligen-...“, setzte Antonin an.
Doch anstatt seinen Zauberstab zu schwingen, holte er aus und warf Antonin etwas vor die Füße. Verwirrt glotzte die versammelten Slytherins auf das kleine, weiße Etwas hinab. Es war ein Stück Kreide.
Doch noch bevor in ihrer Gruppe erneutes Lachen anschwellen konnte, ging alles ganz schnell. 
„Waddiwasi!“
„Wingardium Leviosa!“
Mit einem hohen Zischen schoss die Kreide vom Boden empor, direkt in das Nasenloch von Antonin hinein. Der ließ vor Schreck und Entsetzen seinen Zauberstab fallen, presste sich die Hände aufs Gesicht und taumelte mit einem wütenden Aufschrei nach hinten.
Der linke Schuh des Blonden jedoch erhob sich Funken sprühend gut einen halben Meter in die Luft, riss seinen Träger von den Füßen und ging dann in Flammen auf.
„Jetzt Roselynn!“
Doch Rouxs Ausruf kam bereits zu spät. Ich raste mit Vollgas an Slytherins vorbei, meinen Zauberstab immer noch fest umklammert.
Die Gruppe meiner Freunde stob auseinander wie die Kugeln einer Schrotflinte. Während die Schreie des Blonden und Antonins noch durch die Halle gellten, waren die Gryffindors mit Marlene bereits die große Treppe hinauf und verschwunden. Die Hufflepuffs dagegen rasten die Treppen zu den Verließen hinab, Roux an der Spitze, und den Weg weisend, ich in ihrer Mitte. „Los jetzt, kommt schon, kommt!“, rief Roux, der das letzte Stück voraus geeilt war und uns allen den Deckel des Fasses auf hielt.
Ohne einen Blick zurück warfen wir uns alle durch das erdige Loch. Irgendjemand stolperte und als Roux den Deckel des Fasses hinter sich zuwarf, verlor auch er das Gleichgewicht und landete als Letzter auf unserem fluchenden Knäul aus Armen und Beinen, während sich die neugierigen Gesichter mehrere Hufflepuffs am oberen Ende der Treppe in den Tunnel schoben.
Keuchend, und in Elsters Fall, immer noch fluchend, rappelten wir uns nacheinander auf, lehnten uns mit den Rücken an die herrlich kühlen Wände oder falteten uns ächzend auf den Treppenstufen zusammen.
Eine Weile lang sagte niemand etwas. Die Hufflepuffs im Gemeinschaftsraum blickten immer noch neugierig zu uns hinab, jeder einzelne von uns schnaufte und schwitzte.
Dann drang ein leises Glucksen aus Felix Brust, ein goldener Ton in der hechelnden Stille.
Auch ich spürte, wie sich die Muskeln in meinem Bauch um ein seltsam drängendes Lachen verkrampften. Und als ich den Blick durch die Runde schweifen ließ, sah ich das Leuchten in ihren Augen und ihre zuckenden Mundwinkel.
Dann lachten wir alle los.
38. Kapitel
Die Hüter des Drachen
Bevor ich sonst noch viel tun konnte, bevor ich zu Erklärungen ausholen und mir irgend etwas ausdenken konnte, befahl Roux Annabell und Sue mich unter die Dusche zu stecken, schickte Elster und Emily eine der kuscheligen Sitzgruppen im Gemeinschaftsraum zu besetzen und nickte Felix dann zu, ihm noch einmal durch die Tür des Fasses zu folgen. 
„Was hast du vor?“, brachte ich gerade noch hervor, doch da hatten sich Sue und Annabell auch schon bei mir untergehackt und zogen mich Richtung Schlafsaal. 

Das heiße Wasser tat mir gut. Ich hatte gar nich bemerkt, wie tief die Kälte des Sees mir in die Glieder gefahren war. Der dichte Dampf und die an mir herab perlende Hitze erinnerten mich an Drachenfeuer und blaue Flammen. Die Seife roch nach Sandelholz und Lavendel und
die flauschigen Handtücher nach Zitronenvervene. 
Rosig wie ein Spätsommerapfel tappte ich aus dem Bad und entließ eine wohlriechende Duftwolke in den Schlafsaal. Annabell und Sue hatten auf mich gewartet und saßen in ihre Pyjamas gekleidet auf ihren Betten. Annabell lachte gerade so sehr, dass sie fast vom Bett kullerte. 
„Das ist nicht dein Ernst, oder?“
„Leider doch“, lächelte Sue verlegen, „Ich bin furchtbar schusselig“
„Rose, hat sie im Zug wirklich ihren Kakao aus der Nase geprustet?“, fragte mich Annabell kichernd, während ich versuchte mich hinter meinen Bettvorhängen zu verstecken, um mich umzuziehen.
„Ich hab geschlafen“, gab ich kleinlaut zu, „War ein anstrengender Tag“
„Auch egal“, ließ Annabell das Thema fallen, „Komm schon, zieh deinen Pyjama an, die Anderen warten schon auf uns!“
Ich hatte gerade nach einem frischen Schulumhang gegriffen und warf nun einen kritischen Blick um den Vorhang.
„Im Gemeinschaftsraum?“
Sue jedoch zuckte nur mit den Schultern.
„Ich hab auch einige aus den oberen Jahrgängen in Pyjamas gesehen“
„Na dann...“, murmelte ich kleinlaut und angelte meinen Pyjama von meinem Kopfkissen. „Wisst ihr was?“, fragte Annabell begeistert und ich hörte, wie sie in ihrem Koffer wühlte, „Ich werd dir die Haare flechten, Rose!“
„Was?“, blökte ich verwirrt und kippte dann fast zu Seite um, weil ich mitten im Einsteigen in meine Hose erstarrt war, „Warum?“
Annabell schien es jedoch kaum zu bemerken.
„Wenn du sie dann vorm Feuer trocknen lässt, dann hast du morgen Locken!“
„Locken?“, war alles, was ich heraus brachte.
„Naja, wohl eher Wellen, du hast schon dicke Haare“, lenkte Annabell ein und kickte mit dem Fuß den Deckel ihres Koffers zu, in den Händen zwei verschiedene Bürsten und eine kleine Dose.
„Wo bleibt ihr denn?“, Elster streckte den Kopf durch die Tür und warf uns fast vorwurfsvolle Blicke zu, „Rose, dein Essen wird kalt!“
„Essen?“
Wieder hackten sich Sue und Annabell bei mir ein und schleiften mich zurück in den Gemeinschaftsraum, wo Felix, jetzt ebenfalls im Pyjama, der Gruppe vor sich mit leuchtenden Augen etwas erzählte. Ich sah, dass sich mit Roux im gleichen Sessel die rothaarige Vertrauensschülerin räkelte und ihm kichernd zuhörte.
„... vier Tische, genau wie oben!“, Felix riss weit die Arme auseinander und kippte dabei fast von der Lehne des Sessels, „Und jede Menge Elfen!“
„Rose!“
Alle sahen auf, als Roux meinen Namen rief und ich bemerkte Erleichterung in seiner Stimme und auch in den Blicken der Anderen. Die Rothaarige sprang sofort auf.
„Roux hat mir alles erzählt“, ihre Stimme klang klagend, als sie mich in ihre Arme schloss, „Wie kann man nur so dumm sein?“
„Lass sie doch, Maya“, auch Roux stand nun bei uns und zog die Rothaarige sanft von mir fort, „Sie hatte einen aufregenden ersten Tag und sicher Hunger“
„Aber das Abendessen ist doch schon vorbei!“, platze ich heraus.
Roux Lächeln bekam eine neue Note.
„Das hält einen echten Hufflepuff nicht auf“
Und tatsächlich. Der kleine Tisch in der Mitte der Sitzgruppe war voll beladen mit Leckereien, ein ganzer, mit Honig glasierter Braten mit der köstlichen Soße, wie ich sie gestern schon beim Festessen probiert hatte. Außerdem eine Schüssel mit Rosmarin und Butter gebratener Kartoffeln und dann auch noch gegrillte Würste und gekochte Eier, ein Teller mit den Eclairs, von denen ich beim Frühstück heute morgen noch eines hatte probieren können und in die ich mich sofort verliebt hatte und auch einige Dinge, die ich noch nicht kannte.
„Das ist zu viel!“, rief ich entsetzt und die Runde brach in schallendes Gelächter aus.
„Die Hauselfen waren nicht zu bremsen“, sagte Roux, währen Maya mir eine Hand auf die Schulter legte und mich auf den Sessel zu schob, auf dessen Lehne Felix saß, „Als wir ihnen erzählten, du hättest heute gerade Mal ein eiliges Frühstück gehabt, hätten sie fast das ganze Festessen von gestern wieder aufgetischt“
„Wir haben ihnen gesagt, was du am liebsten hast!“, strahlte Felix und deutete auf den Braten und die Eclairs, „Damit auf jeden Fall was dabei ist, was du magst“
Erwartungsvolles Schweigen breitete sich aus. Alle lächelten mich an und ich... ich wusste nicht was ich tun sollte.
Nach nur einem Tag wussten sie, was ich am liebsten aß? Sie hatten mit mir und für mich gekämpft, hatten sich Ärger für mich eingehandelt und das, obwohl sie mich noch gar nicht kannten. Von diesen Leuten konnte ich mich nicht fern halten. Sie ließen es schlicht und ergreifend nicht zu.
Tränen schossen mir in die Augen und liefen über meine Wangen, bevor ich sie aufhalten konnte. „Roselynn!“
Sofort war Sue an meiner Seite, warf sich über die andere Lehne des Sessels und schlang ihrem Arme um mich.
„Hey...“, Felix Stimme war plötzlich nur noch ein verwirrtes Jammern, „Was ist... ich meine...“ „Ich glaube“, trat die rothaarige Maya hinter ihn und gab ihm einen kleinen Schubs, „Roselynn kann gerade gar nicht fassen, dass sie hier in so kurzer Zeit so gute Freunde gefunden hat“
„Ach, Rose“, auch Annabell trat zu mir an den Sessel, quetschte sich zu mir auf die Sitzfläche und schloss die Arme um mich.
Und ich war noch nicht einmal fähig ein Wort heraus zu bringen. Ein leises Schluchzen entkam meinen Lippen und sofort drückten Sue und Annabell fester zu.
„Kommt schon, wenn, dann müsst ihr das richtig machen!“, hörte ich Elster schimpfen, sah, wie sie Emily am Arm fasste, mit in meine Richtung zog und uns dann alle in eine große Umarmung einschloss, auch Felix, der von der Lehne zu Annabell und mir auf die Sitzfläche rutschte, „Und jetzt mal richtig fest!“
Mit lautem Japsen und Quietschen schnappten wir kollektiv nach Luft, als sie mit aller Kraft zudrückte. 
„Ich bekomm keine Luft!“, fiepte Sue an meinem linken Ohr.
Doch es ließ trotzdem keiner los.
Am nächsten Morgen kämmte ich durch meine Haare und sah zu, wie sie immer wieder in die kleinen Locken der aufgelösten Zöpfe zurück hüpften.
„Das steht dir gut!“, rief Annabell fröhlich und stürzte fast zu mir ans Bett, „Warte, jetzt noch ein Band rein!“
„Ich-... Annabell, ich will eigentlich nicht so auffallen...“, gab ich kleinlaut zu.
Doch ich hatte kaum eine Chance, mich zur Wehr zu setzen.
„Und denkt daran, wir lassen Rose nicht aus den Augen!“, kommandierte Annabell im Gemeinschaftsraum, wo wir auf Felix trafen.
„Hatten wir doch gestern noch abgemacht“, grummelte Elster, „Wir ham ́s schon nich vergessen“ „Ihr müsst wirklich nicht-“, versuchte ich es noch einmal, doch auch dieses Mal ließen mich meine Freunde nicht ausreden.
„Müssen wir wohl!“ 

Schon an der Treppe zu den Kerkern erwarteten uns Lily, Frank und Marlene. Wir kamen bis zur Treppe, wo auch Gideon und Fabian zu uns stießen. Und am Portal zur großen Halle warteten James, Sirius, Remus und Peter.
„Sie sind schon drin, glaube nicht, dass sie vor den Lehrern was versuchen“, brummte James ohne jedes Hallo, „Was habt ihr als erstes?“ 
„Zaubertränke mit den Slytherins“, antwortete Sue sofort.
„Dann seit vorsichtig“, knurrte Sirius fröhlich und ich sah, wir er in der Tasche seines Umhangs seinen Zauberstab fester umschloss, „Keine Lust, dass ich den ganzen Spaß verpasse, weil ich woanders Unterricht habe“
„Wie wäre es, wenn wir uns heute in der Bibliothek treffen“, warf Marlene sofort ein, „Dann kann euch Rose bei der Strafarbeit für Professor McGonagall helfen und wir schlagen ein paar nützliche Zauber nach“
„Woher weißt du denn von der Strafarbeit?“
„Aber warum denn noch mehr Zauber?“
„Sie kann doch nicht immer die Schuhe ihrer Gegner in Brand setzen! Es ist ein Schwebezauber! Und überhaupt macht es überall die Runde, ihr habt immerhin schon am ersten Tag eine Strafarbeit bekommen!“
„Hey, James! Wir waren sogar noch schneller!“
„Ab der Zweiten können wir dann ja wieder aufpassen“
„Hey!“
Mein Ausruf ließ sie endlich alle verstummen und auch, wenn es mich gar nicht so viel Atem gekostet hatte, konnte ich ein leises Keuchen nicht unterdrücken.
„Sagt mal habt ihr euch abgesprochen?“
„Was?“, fragte Lily verwirrt, „Worüber?“
„Ich glaube“, legte James mir einen schwere Arm über die Schulter und lächelte sein typisch charmantes Lächeln, „Wir sind einfach alle zu dem Schluss gekommen, dass du zu niedlich bist und wir auf dich aufpassen müssen. Nicht wahr, Remus? Und die Locken stehn ihr doch super, oder?“
„Niedlich?“, platze ich fast verärgert hervor, sah dann jedoch, wie Remus Kopf die Farbe einer reifen Tomate annahm und er das Weite suchte, um seinen Freunden Plätze an der Tafel der Gryffindors zu reservieren.
„In Ordnung“, ließ James lachend von mir ab, „In der Freistunde vor dem Mittagessen also in der Bibliothek. Und ihr lasst sie in Zaubertränke nicht aus den Augen, ja?“ „Jawohl!“, stimmte Sue ihm enthusiastisch zu, packte meinen Arm und strahlte. 

„Bitte hierher, Miss May. Der Platz hier vorne ist nur für sie, direkt neben Mister Bitterblue“ Professor Slughorn war, das konnte ich auf den ersten Blick sagen, ein Mann, der Annehmlichkeiten schätzte. Auch ohne vorher bei Sues Mutter im Laden gewesen zu sein, hätte ich den Stoff seines Umhangs als kostbar erkannt. Der Sessel hinter dem Lehrerpult, neben dem er stand, war aus Mahagoni geschnitzt und die dick gepolsterten Flächen mit dunkelgrünem Samt bezogen. Er hatte blondes, leicht krauses Haar, einen enormen Schnurrbart, der ihn aussehen ließ wie das Walross, dass ich einmal in einem Buch gesehen hatte, und Augen von einem eigenartig hellen, wachen Grün, dass mich an Stachelbeeren erinnerte. 
Außerdem verkörperte er an diesem Morgen die Erfüllung meines schlimmsten Albtraums. „Professor, ich hatte eigentlich gehofft-...“, setzte ich an und schob mich noch etwas weiter zu dem Tisch ganz hinten im Raum, an dem Sue bereits Platz genommen hatte.
Auch die anderen Hufflepuffs und meine Freunde blickten verwirrt, als Professor Slughorn mit zufriedenem Gesicht die Hand schüttelte. 
„Ach was, sie werden doch in diesen Stunden auf ihre kleine Freundin verzichten können“, winkte er mich mit fröhlichem Tadel heran, „Mister Bitterblues Vater ist Leiter der Vergissmich- Zentrale im Zaubereiministerium und“, nun wandte er sich an den jungen Schüler in der Bank direkt vor sich, „zu seiner Zeit schon ein hervorragender Brauer von Zaubertränken gewesen“ Professor Slughorn zwinkerte dem Schüler aufmunternd zu, schien mich über seine kleine Lobeshymne jedoch leider nicht vergessen zu haben.
„Nun kommen sie schon, Miss May, nicht so schüchtern“
Unter den Teils fast entsetzten Blicken der anderen Hufflepuffs und dem leisen Kichern der Slytherins, das Professor Slughorn völlig zu entgehen schien, schlicht ich durch den Gang zwischen den Tischen nach vorn. Ich brauchte keinen Blick auf das Wappen an der Vorderseite seines Umhangs zu werfen. Die Kapuze vom Umhang des Jungen war innen mit dem grün der Slytherins gefüttert.
Kurz noch erhaschte ich einen Blick auf kurze Haare, die selbst im schwachen Licht des Kerkers in der Farbe von fließendem Honig schimmerten, dann schob ich mich vorsichtig auf die Bank, meine Tasche wie einen Schutzschild vor die Brust gepresst.
„Wenn dann alle da sind...? Gut!“, rief Professor Slughorn und ließ gut gelaunt seinen Zauberstab durch die Luft schnippen, „Es freut mich sehr sie alle hier im ersten Schuljahr begrüßen zu dürfen! Ich bin Professor Slughorn und ihr Lehrer für Zaubertränke...“
Ich schaffte es nur mit halbem Ohr zu zuhören. Ich wusste, dass es dumm aussehen musste, wie ich da meine Tasche umklammerte. Als sich mir eine Hand entgegen streckte, zuckte ich unwillkürlich zusammen.
„Alan“, flüsterte der junge Slytherin neben mir und endlich schaffte ich es, ihm ins Gesicht zu sehen.
Er hatte ein schmales, aber weiches Gesicht und Augen von einem tiefen, warmen braun, wie von frisch gerösteten Kastanien. Ein sanfter Duft nach Spitzwegerich, frisch gebackenem Biscuit und Sommergräsern strich mir durch die Nase.
Vorsichtig löste ich meine verkrampften Finger von meiner Tasche und ergriff die mir dargebotene Hand.
„Roselynn“, piepste ich und wurde mit einem noch breiteren Lächeln und einem Händedruck belohnt.
„Auf gute Zusammenarbeit, Roselynn“
39. Kapitel
Intermezzo Zaubertränke
„Dann fangen sie Mal an!“
Anfangen? Aber womit?
Erschrocken wandte ich den Kopf nach vorn und fing den freudigen Blick von Professor Slughorn auf, der direkt auf Alan und mir lag. Alan ging besser damit um, dass er nicht zugehört hatte, er griff nach seiner Tasche, holte Feder und Pergament und eine hübsche kleine Waage hervor und gab mir, als er bemerkte, dass ich immer noch wie erstarrt da saß, einen Schubs mit dem Ellenbogen.
„Trank gegen Furunkel, ist ganz leicht“, nuschelte er, „Wir arbeiten eh zusammen, keine Panik“ Glaubte er etwa, dass ich Angst davor hatte einen Zaubertrank zu brauen.
„Nein, keine Sorge, ich-...“, fing ich an, unterbrach mich jedoch.
War gerade ohne meine Freunde, die ich erst seit zwei Tagen kannte? Fühlte mich unwohl, weil auf der Brusttasche seines Umhangs eine silberne Schlange glänzte? Hatte lediglich Vorurteile gegenüber einem Menschen, den ich nicht einmal kannte und benahm mich wie der größte Idiot? „... schaff das schon“, endete ich lahm.
„Na dann“, Alan lächelte und wandte sich dann seinem Pergament zu, um das Rezept von der Tafel ab zu schreiben.
Auch ich griff in meine Tasche und holte Feder und Pergament hervor, als Professor Slughorn an unseren Tisch trat.
„Miss May, sollten sie Probleme mit dem Brauen oder mit dem Englisch haben, dann fragen sie bitte, ich helfe ihnen gern“, lächelte er und obwohl ich keinen bösen Willen hinter seiner Aussage erkennen konnte, plusterte der Drache May sofort seine Schuppen und ließ das Feuer in seinem Rachen glühen.
„Danke, Professor, aber ich komme mit dem Englischen sehr gut zu Recht und es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Zaubertrank braue“, gab ich zurück und knallte mein Tintenfass auf den Tisch.
Neben mir hörte ich ein ersticktes Schnauben. Alan klebte praktisch mit der Nase über den noch glänzenden Wörtern auf seinem Pergament. Doch Professor Slughorn schien von meinem Ton ganz und gar nicht beleidigt zu sein. Im Gegenteil richtete er sich mit einem strahlenden Lächeln auf.
„So ist es richtig!“, rief er aus und wandte sich dann endlich den anderen Schülern zu.
Eine Weile versank der ganze Klassensaal in Schweigen, nur das Kratzen der Federn war zu hören. Doch in mir war aus der Glut, die niemals erlöschen wollte, eine kleine Flamme des Trotzes entwachsen.
Ich war die Erste, die ihre Feder bei Seite legte. Ich baute meine Waage auf, legte die Gewichte an die Seite und entfachte ein kleines Feuer unter dem Kessel zwischen mir und Alan, indem ich meine Fingerspitzen gegeneinander rieb. Der Zunder zwischen den Hölzern fing sofort Feuer und die Flämmchen tanzten auf das Holz. Zufrieden bemerkte ich den beeindruckten Blick meines Partners und das Lächeln von Professor Slughorn.
Als das Feuer genau die richtige Hitze erreicht hatte registrierten meine Ohren die Veränderung im Knistern der Flammen und zog das größte Stück Holz ein wenig zurück.
Doch bevor ich dazu kam mich nach den nächsten Zutaten umzusehen, zischte es in meinem Kessel und ich sah Alan, wie er genau sieben Wellhornschnecken in den lehren Kessel zählte und ein bitterer Geruch die Luft erfüllte.
„Nicht dein erster Trank, wie?“, lächelte er, wischte mit einem Tuch den Schneckenschleim von seinem Brett und zog dabei bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch.
„Zuhause habe ich dabei geholfen die Tränke gegen Drachenpocken und gespaltene Krallen anzurühren“, gab ich zu, während ich mit halbem Ohr auf das Zischen der Schnecken achtete. 
Der Geruch in meiner Nase war kein angenehmer und ich hatte diesen Trank auch noch nie gebraut, doch es konnte nicht viel anders sein als die Greifenleber anzuschmoren, bevor man das ganze mit Mondsteinpulver bestäubte und dann den Nieswurzextrakt darüber gab, damit die Leber nicht anbrannte. 
„Ich gehe Wasser holen“, war Alans Antwort, als er einen kurzen Blick in den Kessel warf, „Die sind gleich soweit“
Da hatte er Recht. Ich konnte es riechen und warf ihm einen anerkennenden Blick zu. Um nicht zurück zu stehen stand ich auf und trat an Professor Slughorns Pult. Meine Augen wanderten über die verschiedenen Zweige getrockneter Nessel. Schließlich hob ich einen davon an die Nase. Genau richtig. Ich konnte die dünnen Blätter unter meinen Fingern knistern fühlen, doch die Blätter hatten noch nicht den staubigen Geruch abgehangener Kräuter angenommen. Danach wählte ich sorgfältig einen der Schlangenzähne aus, der nicht zu hell war und in seiner Größe wahrscheinlich das passende Gewicht besaß. 
In meinem Rücken veränderte sich das Brutzeln.
„Alan, würdest du-...“, setzte ich an, doch meine Worte wurden von dem Zischen des Wassers unterbrochen, als Alan ein perfektes Maß in den Kessel stürzte.
„Gibst du mir bitte die Nesseln, Rose?“
Ich kam nicht umhin und musste grinsen.
Mit großer Sorgfalt und immer drei Mal mit, ein Mal gegen den Uhrzeigersinn zermalmte ich den Zahn in meinem Mörser und zählte dabei sich einhundertacht. Die getrockneten Nessel zerfielen unter Alans Fingerspitzen in feine Krumen und sofort wechselte der Sud mit den geschmorten Schnecken von einem dunkeln, etwas sumpfigen Waldgrün zu einem hellen Knospengrün.
„Und jetzt die-...“, begann Alan, doch da streute ich bereits in weiten Kreisen den gemahlenen Schlangenzahn über die hellgrüne Oberfläche. Kleine gelbe Punkte breiteten sich schnell in dem Grün aus und zogen sanfte Schlieren durch das Grün.
Unter dem Kessel zog Alan das Holz noch ein wenig weiter nach außen.
„In zwanzig Minuten dürften die Schnecken sich aufgelöst haben“
„Und bis dahin können wir die Stachelschein-Pastillen anrühren“, ergänzte ich.
„Und wann geben wir sie dazu?“, hakte Alan fröhlich nach.
„Wenn wir den Kessel vom Feuer genommen haben und der Trank auf Handwärme abgekühlt ist. Alan grinste, griff nach dem Messer auf seinem Schneidebrett und reichte es mir, mit dem Griff voran.
„Wohlan“ 

„Außergewöhnlich, wirklich sehr gut, Miss May, Mister bitterblue. Zehn Punkte, für sie beide“ „Danke, Professor!“
Ich erkannte eine leichte Röte auf Alans Wangen und seine Augen funkelten, als er mir einen Blick zuwarf. 
Von unserem gegenseitigen Können angefeuert hatten wir schnell versucht uns zu übertrumpfen. Alans unnachgiebige Art, seine Versuche mir immer einen Schritt voraus zu sein, hatten meinen Ehrgeiz geweckt. Trotz allem war der Trank vor uns das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Meine Mitschüler aus Hufflepuff schienen erleichtert zu sein, dass ich in Zaubertränke nicht ebenfalls zur Pyromanie neigte und einige Slytherins blickten wenig glücklich zu Alan und mir hinüber. Ich bemerkte jedoch den einen oder anderen verstohlenen Blick, der von Staunen und sogar Bewunderung sprach. Immerhin war unser Kessel nicht geschmolzen. 
„Ich wäre gestorben ohne dich!“, jammerte Sue immer noch, als ich an ihre Seite zurück kehrte, während Alan mir neugierig folgte.
„War doch nichts Großes dabei“, lachte Felix und klopfte ich ungeschickt auf die Schulter.
„Aber bei denen in der zweiten Reihe ist der Kessel geschmolzen!“, setzte Sue nach und verbargt ihre Gesicht hinter ihrer Tasche, „Die Furunkel sahen schlimm aus!“
„Und der Trank von Rose hat sie wieder verschwinden lassen, ist also alles halb so wild. Und es war ja nicht dein Kessel“, versuchte Felix sie weiterhin zu beruhigen, doch es hatte kaum einen Zweck.
„Es war ja nicht allein mein Trank“, warf ich schnell ein, bevor Sues nächstes Jammern mich übertönen konnte, „Leute, das ist Alan“
Auch Alan musste die kritischen Blicke von Felix, Anabell und Elster bemerkt haben, doch Sue war schneller.
„Vielen Dank, dass du so toll auf Rose aufgepasst hast!“, platze sie hervor und deutete sogar eine kleine Verbeugung an.
„Hey!“, schimpfte ich und zog automatisch eine Schnute, „Auf mich muss man nicht aufpassen“ „Nicht?“, fragte Emily mit einem Schmunzeln und dieses Mal war ich es, die sich hinter ihrer Tasche versteckte.
„Also ich glaube auch nicht, dass man auf sie aufpassen muss“, grinste Alan schief und kratzte sich verlegen hinterm Ohr, „Wenn sie so lebt, wie sie Zaubertränke braut...“
„Ich-...“, stotterte ich und schluckte schwer, „Entschuldige, hab ich was falsch gemacht?“ „Nein!“, kam die Antwort prompt und wieder war da dieses Lachen, das ich nach nur einer Stunde unwiderruflich mit Alan Bitterblue in Verbindung brachte, „Du bist große klasse! Ich freu mich schon auf die nächste Stunde“
Da traten zwei weitere Slytherins zu uns heran und ein Mädchen mit schmalem Gesicht und hellblondem Haar zupfte Alan am Ärmel.
„Es ist unhöflich seine Freunde nicht vorzustellen“, schalt sie ihn.
Doch bevor Alan irgend etwas tun konnte, hatte sie mir bereits die Hand entgegen gestreckt. „Sophie Lou. Und das“, sie zeigte hinter sich auf den hoch gewachsenen Jungen mit den dunklen Haaren, „ist Matthew“
„Tad“, korrigierte der Junge und reichte mir ebenfalls die Hand, „Ich unterbreche hier ja nur ungern, aber ich will nicht wirklich zu spät kommen“
Sue stöhnte auf.
„Wahrscheinlich haben James und Sirius schon wieder was angestellt, weil sie glauben es ist was passiert“
„Vermutlich“, gab ich zu.
Doch ich musste immer noch lächeln.
40. Kapitel
Dunkle Künste
Es war schön zu sehen, wie meine Freunde fröhlich lachten und über die Stunde diskutierten. Ich ließ mich ein wenig zurück fallen, sah ihnen zu und lächelte in mich hinein. Ich hatte wirklich ein paar wunderbare Menschen getroffen.
Erst da bemerkte ich die zusammen gesunkene Gestalt, die in aller Heimlichkeit ihre Sachen zusammen packte und an der Wand entlang Richtung Tür schlich. Und erst jetzt sah ich, dass ihm sein Umhang etwas zu groß und am Saum bereits zerschlissen war, als wäre er schon einmal getragen worden. Die Tasche bestand aus billigem Leder und der Schultergurt war nicht richtig vernäht. Ich sah genau, dass er demnächst reißen würde. 
„Hey, Severus“
Sofort ruckte seine krumme Nase in meine Richtung. Auch sein Haar hatte sich, seit er in Hogwarts war, nicht geändert. Es wirkte immer noch ölig und hing ihm in Strähnen ins Gesicht. Er sah blass und dünn aus, wie er da so allein vor der großen, dunklen Kerkertür stand.
Auch meine Freunde hatten jetzt angehalten und starrten und verwirrt an.
„Was willst du?“, schnarrte der junge Slytherin mit einer Missbilligung in der Stimme, von der ich nicht erkennen konnte, ob sie vielleicht nur gespielt war.
„Äh... ich wollte nur...“
Ich wollte nur, dass er auch glücklich aussah. Wenn schon ich von so wundervollen Menschen umsorgt und angelächelt wurde, warum dann er nicht?
„Deine Tasche“, brachte ich endlich heraus.
Sofort verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck.
„Hab gehört du hast gestern Abend einen Nichtschwimmerkurs besucht“, zischte er, während in seinen Augen das Gift spritzte und schwappte.
„Aber-... was hat das damit zu tun?“, stolperten mir die Worte aus dem Mund, „Ich wollte doch nur-... dein Gurt...“
Doch Severus ließ mich nicht ausreden.
„Lass mich in Ruhe“, blaffte er, richtete die Nase stolz nach oben und warf energisch seine Tasche zurück.
Wahrscheinlich war ich die Einzige, die das liebliche Singen des letzten Fadens hörte, als er riss. Es war erstaunlich, was für Geräusche selbst die winzigsten und alltäglichsten Gegenstände verursachen konnten. Noch während Severus einen langen Schritt nach vorn machte, schloss ich die Augen und lauschte dem winzigen Klagelied.
Mit lautem Bersten zerbrach Severus Tintenfass auf dem Boden, seine Pergamentrollen hüpften über den Stein, bis sie in der schwarzen Tinte kleben blieben und sich voll sogen. Die schwarzen Flecken fraßen sich wie eine Krankheit durch die sorgfältigen Notizen, färbten die Feder ein und auch die Haarsträhne, die, von einem dünnen Stück Schnur zusammen gehalten, dem ganzen Chaos hinterher gesegelt war und gerade eben am Rand der riesigen Tintenlache gelandet war. „Weg da!“
Sofort war Severus auf den Knien, seine Hose sog sich mit der Tinte voll. Während die anderen verblüfft über die heftige Reaktion immer noch da standen, sah ich, wie Severus die Haarsträhne liebevoll aus der Lache hob.
Schweigen füllte den Kerkerraum.
„Du kannst meine Notizen haben, ich hab alles mitgeschrieben“
Ich war schon dabei meine Tasche zu öffnen, da pfefferte mir Severus eine der vollgesogenen Rollen entgegen. Sie kam nicht sehr weit und landete mit einem nassen Geräusch vor meinen Füßen.
„Verschwinde endlich! Wärst du doch einfach in diesem blöden See ertrunken!“
„Na, na, Mister Snape, solche Äußerungen möchte ich in meinem Klassensaal nicht hören“ 
Sofort schoss Severus zu der tadelnden Stimme herum. Auch auf seinen Händen breitete sich nun die schwarze Tinte aus, schlängelte sich über seine Haut. Doch als er Professor Slughorns Miene sah, wurde sein Gesicht plötzlich leer und er wandte sich wieder dem verstreuten Inhalt seiner Tasche zu. 
„Komm, Rose“
Vorsichtig legte Felix mir eine Hand auf die Schulter und diesmal zögerte ich nicht ihm zu folgen. 

Sowohl Lily, als auch James, Remus und Sirius blickten besorgt zu uns hinüber, als wir uns, fast zu spät, auf den letzten freien Plätzen nieder ließen. Mir fiel fiel sofort auf, dass James mit Lily in einer Bank saß, Sirius mit Peter und der Platz neben Remus leer war. Auch der Platz neben Frank war leer und er winkte Sue lächelnd zu sich. 
„Geh schon“, schubste ich sie in seine Richtung und freute mich, sie beim Anblick ihres Freundes aus Kindertagen strahlen zu sehen.
Da packte mich auch schon jemand an den Schultern.
„Komm schon“, drückte mich Sirius auf die Bank zu Remus Linken, „Streber zu Streber“ 

Ich wollte noch etwas sagen, doch der dunkelhaarige Gryffindor hatte sich bereits wieder auf seinen Sitz neben Peter fallen lassen. Der kleine Junge in meinem Rücken wirkte mehr und mehr wie ein verängstigter Knuddelmuff. Als ich ihm vorsichtig zu winkte, wurde er sofort noch kleiner. 
„Keine Sorge“, raunte mir da eine warme Stimme zu, „Peter ist nur so nervös, weil er Angst hat, dass ihm Kampfzauber nicht liegen“
„Da ist er nicht der Einzige“, gab ich mit dem Versuch eines Lächelns zurück, denn ich erinnerte mich noch allzu gut an den Zauberkunst-Unterricht, „Aber wie habt ihr es geschafft, dass Lily neben James sitzt?“ 
„War ein hartes Stück Arbeit“, lächelte der Junge neben mir.
Und zum ersten Mal fielen mir die beiden dünnen, silbrigen Narben auf, die sich quer über seine linke Wange zogen. Auch schien er, obwohl er nach dem Festessen besser ausgesehen hatte, nun sehr müde zu sein. Die Schatten hatten sich in nur einer Nacht unter seine Augen zurück geschlichen und sein Lächeln hatte an Kraft verloren. Und da war noch etwas.
Die verschiedenen Nuancen seines Geruchs hatten sich von Süßholz, Bienenwachs und Frühlingssonne entfernt und ich roch, deutlicher denn je, den kalten Wind, die herben Kiefernnadeln und den feuchten Duft von Eisen.
Kaum etwas ließ die Viper in mir so sehr frohlocken wie dieser Duft. Er erinnerte sie an die Jagd, an das Fliegen mit meinen Brüdern und sie wollte sofort ihre Flügel ausstrecken. Eine Hetzjagd wäre jetzt genau das Richtige, alle meine Muskeln bis zum Äußersten treiben, das Gift in meinem Gaumen mit meinen Flammen entzünden, zubeißen, die Krallen tief in noch warmes Fleisch graben...
Mit einem lauten Klatschen schlug ich mir beide Hände über die Nase. Doch ich hatte Glück. Einzig Remus bemerkte mein Verhalten wirklich und er blickte mich ein wenig verwirrt und auch erschrocken an. Alle Anderen wandten die Köpfte zu der Tür am oberen Ende der schmalen Steintreppe, die sich genau in diesem Moment geöffnet hatte.
Eine Frau in fließenden Gewändern rauschte die Stufen hinab. Ihr Umhang schien aus Schuppen zu bestehen, schwarz, mit kupferner Kammusterung.
„Aber das ist doch...“, brachte ich gerade noch hervor, dann stockte mir den Atem.
„Guten Morgen, Schüler“, begrüßte uns die Hexe mit einer Stimme, die klang wie singender Stahl, als sie schließlich vor uns zum Stehen kam „Mein Name ist Professor Alastríona und ich bin für dieses Jahr eure Lehrerin im Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste. Ich kann euch auch jetzt schon sagen, dass ihr euch nicht an mich zu gewöhnen braucht, denn nach diesem Schuljahr werde ich wieder in meinen alten Berufsstand zurück kehren. Doch bis dahin werde ich euch mein Wissen und meine Erfahrungswerte zur Verfügung stellen“ 
Für einen Moment fiel Stille über den Klassenraum, während die Hexe langsam ihren Zauberstab zwischen den Fingern drehte und jeden von uns einzeln ansah.
Sie hatte blonde Locken, die wie Engelshaar um ihr blasses, spitzes Gesicht hüpften. Ihre Lippen waren voll und ein strahlend grünes Auge musterte hellwach jedes unserer Gesichter. Das linke Auge jedoch wurde von einer Augenklappe bedeckt, deren Form mich stark an das Udjat der Ägypter erinnerte. Das Horusauge, das vom Gott Thot geheilt und bei diesem alten Volk als Talisman für Schutz und Heilung verwendet wurde. 
Als der Blick ihres einzelnen Auges mich erreichte, glaubte ich fast ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Es war kein ermutigendes oder fröhliches Lächeln. Viel mehr kam es einer Herausforderung gleich, auf so subtile Weise, dass ich mir nicht erklären konnte, wie sie mir diesen Eindruck vermittelt hatte. 
„Außerdem werdet ihr recht schnell bemerken“, fuhr sie im gleichen, bestimmten Ton fort, „dass ihr, mit Ausnahme von heute, in meinem Unterricht eure Bücher nicht brauchen werden. Ich werde euch die nötige Praxis lehren. Die Theorie jedoch solltet ihr niemals außer Acht lassen und ihr werdet sie euch vor jeder Stunde erarbeiten. Ich werde mir auch nicht die Mühe machen eure Aufsätze zu kontrollieren. Ich werde genau erkennen können, wer vorab nicht geübt hat, macht euch da also keine falschen Hoffnungen. Ja, bitte?“ 
Erst jetzt bemerkte ich, dass Frank die Hand gehoben hatte. Er saß ganz entspannt da, sein Gesicht wie immer die Ruhe selbst. Sue neben ihm schien sich vor Spannung kaum noch rühren zu können.
„Bitte, Professor: Welchen beruf üben sie eigentlich aus?“ 
Erneut erkannte ich ein Lächeln auf Professor Alastríonas Gesicht, dieses Mal deutlicher. Es schien ihr zu gefallen, dass Frank sie ohne Furcht ansprach, während die Hälfte der Klasse wie versteinert da saß.
„Ich arbeite als Fluchbrecher bei Gringotts, falls ihnen der Beruf etwas sagt, Mister Longbottom“ Frank nickte bloß, während um mich herum ein kollektives Einatmen zu hören war. Sie kannte also bereits unsere Namen. 
Mich wunderte das nicht wirklich. Und als ihr einzelnes Auge erneut zu mir hinüber blitzte, traute auch ich mich, die Hand zu heben.
„Miss May“, sprach sie mich gerade heraus an.
„Sagen sie, Professor: Das Material, als dem ihr Umhang gefertigt wurde, ist doch die Haut einer peruanischen Viper, oder?“ 
Ein Raunen erhob sich um mich herum und ich spürte die erstaunten Blicke meiner Mitschüler schwer auf mir lasten. Doch das war mir egal. Ab dem Zeitpunkt, wo ich die Hände von meinem Gesicht genommen hatte, war mir der vertraue Geruch in die Nase gestiegen.
„Das ist richtig, Miss May. In Anbetracht ihrer Herkunft wundert es mich nicht, dass sie sie wiedererkannt haben. Ich muss jedoch meine Bewunderung für ihr scharfes Auge aussprechen. Miss May, wissen sie vielleicht auch, woher diese Drachenhaut stammt?“ 
„Sie wurde von einem Drachen namens Flamen abgeworfen, vor etwas mehr als sieben Jahren“, antwortete ich sofort und ohne nachzudenken.
Professor Alastríona nickte und ihr Lächeln wurde nur noch breiter.
„Sie kennen sich wirklich gut aus mit den Drachen in ihrem Zuhause. Und nun, wenn sie alle keine weiteren Fragen mehr haben?“
Und damit wandte sie sich der Tafel in ihrem Rücken zu.
„Flamen?“, flüsterte Remus neben mir, doch ich schüttelte den Kopf.
Ich hätte still bleiben sollen. Bis jetzt hatte mich niemand gefragt, warum ich am Vorabend in den See gesprungen war. Und die Tatsache, dass selbst Severus davon wusste, machte mir keine Hoffnungen, dass Roux es für sich behalten hatte.
Doch wie hätte ich meinen Freunden erklären sollen, dass Flamen nicht einfach nur ein Drache war, sondern, neben Volcanalis und Hold, mein jüngster, schwarz geschuppter Bruder?
41. Kapitel
Die Andere
Über die gesamte Stunde hinweg konnte man beobachten, wie die Augen der Schüler immer größer wurden und das Grün von Professor Alastríona strahlte immer kräftiger.
Sie erzählte uns von Kämpfen mit dunklen Zauberern, wie sie in die Pyramiden uralter Pharaonen geklettert war und die Tempel der Maya besucht hatte. Sie hatte die Kraft der Shinto Schreine erforscht und in Australien nach der großen Weltenschlange gesucht. 
„Haben sie sie gefunden?“, fragte Elster begeistert.
„Nicht die Schlange“, gab Professor Alastríona zu und wiegte mit einem Schmunzeln den Kopf, „Dafür ein anderes Geschöpf von gewaltiger Größe. Den Nundu“
Die Hälfte der Klasse schnappte voller Ehrfurcht nach Luft. Die andere Hälfte, und ich war froh, dass ich auch auf Remus Gesicht die gleiche Verwirrung sah, die ich verspürte, blickte wie ein einziges, großes Fragezeichen.
„Ich kann euch später im Jahr gern ausführlicher von ihm berichten. Der Nundu gehört zu den gefährlichsten Tierwesen der Welt und bringt mit nur einem Atemzug den Tod über ganze Dörfer“
Fast war ich ein wenig enttäuscht. Das konnte ein Drache auch.
Das Läuten der großen Schulglocken riss uns aus unserer Konzentration.
„Gut“, klatschte Professor Alastríona in die Hände, „Geschichten sind schön, aber für nächstes Mal bereiten sie bitte den Expeliarmus-Zauber vor. Lesen sie das entsprechende Kapitel im Buch und üben die Handbewegung. Das war's für heute“
Ich sah bei mehreren meiner Mitschülern die Hände zum Applaus nach oben zucken. Sie alle ließen sie, ein wenig peinlich berührt, entweder in ihren Umhängen verschwinden oder fuhren sich ungelenk durch die Haare oder über die Kleidung.
„Miss May? Auf ein Wort“
Sofort sahen meine Freunde mich voller Sorge an. Keiner von ihnen machte noch Anstalten, den Raum zu verlassen.
„Geht schon“, versuchte ich sie zu beruhigen, „Ich glaube, ich weiß worum es geht“
Sue nickte vorsichtig und die Hufflepuffs folgten ihr und auch Sirius und die anderen Gryffindors wandten sich ab.
„Rose?“
Ich zuckte noch einmal zurück.
Die ganze Stunde hatte Remus geschwiegen, doch ich hatte seine Blicke spüren können. Er hatte meine Reaktion vom Anfang der Stunde ganz sicher nicht vergessen.
Als ich mich umdrehte, war er der Einzige, der noch im Raum stand.
Auch wenn er gut einen halben Kopf größer war als ich, wirkte er in diesem Moment seltsam zerbrechlich. Ich entdeckte noch mehr Narben auf seiner Haut, die meine Augen zuvor großzügig übersehen hatten. Aber wie nur? Jetzt stachen sie so deutlich hervor, dass einzig akute und völlige Blindheit meine Unaufmerksamkeit entschuldigen konnte. Er war blass. Doch in seinen Augen... da war ein Funke. Als hätte ein Drache ihm einen Hauch seines Feuers geschenkt.
„Ja?“
„Ähm...“, es war niedlich, sofort schoss die Farbe in seine fahlen Wangen, „Also... kommst du dann auch zur Bibliothek?“
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Ohne mich kriegt ihr die Strafarbeit doch nie fertig“, witzelte ich.
Und sofort war da wieder dieses Lächeln. Dünn und scheu, fast ängstlich. Doch unauslöschlich. „Dann bis gleich“
„Bis gleich, Rem“ 
War das ein Aufflackern von Freude in seinen Augen gewesen? 

„Sie haben ein großes Talent“
Fast hatte ich vergessen, dass Professor Alastríona auch noch da war. Als ich mich umwandte, lehnte sie mit verschränkten Armen an ihrem Pult und schmunzelte.
„Was meinen sie?“
„Sie gewinnen schnell Freunde“, Professor Alastríona löste ihre verschränkten Arme, stützte die Hände auf die Tischplatte und musterte mich, „Würden sie die Brille absetzen, Miss May?“
Mein Gesicht musste ihr alles verraten haben, denn sie lachte glockenhell auf.
„Keine Sorge! Professor Sprout hat mich eingeweiht. Wie sie vielleicht mitbekommen haben, bin ich ein wenig in der Welt herum gekommen und sie hat mich gefragt, ob ich einen der Ihren schon einmal anderswo getroffen habe. Leider“, sie gab ein bedauerndes Seufzen von sich, „ist das nicht der Fall. Aber ich würde mir gern ein Bild von ihnen machen. Wenn ich, nach diesem Schuljahr, wieder nach Gringotts zurück kehre, dann werde ich auf meinen Reisen die Augen offen halten“
„Wirklich?“, platzte ich heraus und fühlte, wie mein Herz von unten gegen mein Zungenbein schlug.
Wieder lachte Professor Alastríona. Dabei sah sie irgendwie noch jünger aus.
„Wirklich“
Einen Moment noch zögerte ich, dann hob ich die Hände vorsichtig an meine Brille und zog mir das dünn Gestell von der Nase.
Eine Weile geschah gar nichts. Professor Alastríona stand einfach nur da. Ihr einzelnes Auge betrachtete jeden Zentimeter meines Gesichtes eingehen. Irgendwann nickte sie.
„Wunderschön. Ich danke ihnen, Miss May. Ach ja, richten sie ihrem Bruder doch bitte meine besten Grüße aus“
„Woher wissen sie davon?“, fragte ich mit offenem Mund.
Dass Professor Sprout sie eingeweiht hatte, erklärte einige und war eine wunderbare Geste, denn vielleicht traf Professor Alastríona ja tatsächlich einen anderen Erben Echidnas. Aber das?
„Ihre Miene hat sie verraten“, lächelte Professor Alastríona, „Wäre es einfach nur ein Drache aus ihrem Reservat gewesen, dann hätten sie sicher nicht halb so erschrocken ausgesehen. Und als sie dann auch noch den Namen und den Zeitpunkt des Abwurfes wussten, war es mir klar. Professor Sprout meinte, die hätten drei Brüder, von denen aber nur sie die Gabe der Verwandlung erhalten haben. Ich fragte nach der Art der Drachen, die sich in ihrem Geschlecht gekreuzt haben und war, das muss ich zugeben, erstaunt, als sie meinte, dass neben einem Opalauge auch eine Viper vertreten ist. Die Haut ihres Bruders hat mich vielleicht einige Galeonen gekostet, aber sie hat mich schon vor dem einen oder anderen bösen Fluch gerettet“
„Ich kann versuchen es ihm zu erklären...“, murmelte ich und setzte vorsichtig meine Brille wieder auf, „Ich weiß nur nicht ob er es versteht“
Wieder schwieg Professor Alastríona einen Moment.
„Es ist bestimmt nicht einfach, die Einzige seiner Art zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist ihre menschlichen Eindrücke ihrer Familie zu vermitteln. Ich hatte damals bei Mister Zoltán angefragt, um eine Drachenhaut zu kaufen, aus der ich mir einen Umhang fertigen könnte. Ich befürworte die Art, wie er seine Drachen hält. Es kostet zwar Geld einen Drachen so lange zu ernähren, doch da sie alle in regelmäßigen Abständen ihre Haut abwerfen, bekommt man dieses Geld fiel schneller zurück. Außerdem erhält es die Arten“
„Das sieht leider nicht jeder so“
Erinnerungen schwappten in mein Hirn, an die Ministeriums-Zauberer und einige andere Besucher, die ich über die Jahre im Reservat beobachtet hatte.
„Verkniffene, eingerostete Narren“, war alles, was Professor Alastríona dazu sagte, bevor sie sich von ihrem Pult abstieß, „Hätte ich damals gewusst, dass sie hinter diesen Mauern leben, hätte ich Zoltán gebeten mich einzulassen“, sie schüttelte den Kopf, „Ich jedenfalls bin sehr gespannt, wie sie und ihr magisches Blut auf die Flüche in meinen Unterricht reagieren. Keine Sorge, sollte etwas außergewöhnliches passieren, werde ich sie decken. Ich bin zwar ein Mensch, der Ehrlichkeit als hohes Gut achtet, doch solange sie nicht dazu bereit sind ihren Mitschülern ihre Geschichte zu erzählen, werde ich ihnen dabei helfen den Mantel des Schweigens über bestimmte Ereignisse zu werfen“
Wahrscheinlich konnte sie hören, wie mein Herz, einem Stein gleich, aus meiner Brust zu Boden kullerte.
„Ich-... also-... danke“
„Bitte. Und nun ab mit ihnen. Ihre Freunde warten bestimmt schon auf sie“ 

Natürlich verlief ich mich auf dem Weg zur Bibliothek und so bog ich völlig außer Atem in den Korridor ein, ohne zu wissen, was mich erwartete. Als ich jedoch die Tür erreichte, blieb ich wie angewurzelt stehen.
Ich musste eine ganze Weile so da gestanden haben. Wie lange konnte ich nicht sagen, doch dann tauchte der feurig sanfte Duft von Lily neben mir auf. 
„Kann man gar nicht beschreiben, oder?“
Ich schüttelte versuchsweise den Kopf. Er fiel mir immerhin nicht von den Schultern, also konnte es nicht so schlimm sein.
„Rose? Kommst du aus einer Zaubererfamilie?“
„Sowas in der Art...“, murmelte ich, „Aber meinen Vater hat uns verlassen und meine Mutter ist gestorben, als ich noch jünger war“
„Das tut mir leid“
„Mir auch“
Vorsichtig schob sich eine warme Hand in Meine und Lily drückte sanft meine Finger.
„Ich weiß, dass du Sev nur helfen wolltest“
Kurz musste ich nachdenken, wen sie wohl meinte.
„Achso, ja. Schön, dass es wenigstens Einem aufgefallen ist“
„Sein Leben war auch nicht einfach“, murmelte Lily.
„Glaub ich. Ändert nur nichts dran, dass er sich wie ein Idiot verhalten hat“
Einen Moment schwiegen wir, ehrfürchtig beim Anblick all der Bücher. Etwas lief über meine Wange. War das eine Träne?
„Ich hab ihn gesehen. Als er Sues Katze aus dem Korb gelassen hat“
Darauf sagte ich nichts. Mir fiel auch nicht wirklich etwas ein.
„Ich hab von Sue und Felix gehört, dass du einen der Slytherins kennen gelernt hast und, dass er echt nett war. Ich wäre so froh, wenn Sev sich solche Leute als Freunde suchen würde. Ich hatte so gehofft, dass wir im gleichen Haus landen“
„Du kannst immer noch für ihn da sein“, versuchte ich sie aufzumuntern.
„Aber nicht mehr so wie früher. Ich meine... ich kann James auch nicht ausstehen, aber Remus scheint nett zu sein und Peter tut mir leid, weil er immer so viel Angst hat. Und die anderen Hufflepuffs...“
„Sie sind schon wirklich einzigartig, oder?“, lächelte ich.
„Ja“, Lily kicherte, „Leider ist Sev davon nicht halb so begeistert“
„Ich glaube, er hat dich sehr gern“ 
„Ich weiß“
Nach einem kurzen Moment der Stille kicherte Lily erneut.
„Du und Remus, ihr passt echt gut zusammen“
„Wir kommst du darauf?“, fragte ich erstaunt.
„Keine Ahnung“, gab Lily zu, „Kommt mir einfach nu so vor. Sag mal... warum bist du gestern in den See gesprungen?“
„Subtil“, antwortete ich und hoffte, dass sie mein Gesicht nicht gesehen hatte.
„Wir machen uns alle große Sorgen. Selbst James und Sirius, die beiden Deppen“
„Das ist nett von euch, aber ich kann wirklich auf mich selbst aufpassen“, gab ich zurück.
„Das wissen wir“, beteuerte Lily und drückte erneut meine Finger, „Aber du musst nicht allein auf dich aufpassen. Dazu sind Freunde doch da“
„Würdest du akzeptieren wenn ich sage, dass ich es dir nicht erzählen kann?“
„Wäre schon schwierig, aber ich würde mir Mühe geben. Glaube allerdings nicht, dass es den Anderen auf Dauer reichen wird“Hufflepuff
Ich seufzte.
„Das befürchte ich auch“
„Ist es denn so schlimm?“
„Schlimmer“, gab ich zu.
Wieder folgte Stille. Dann hörte ich, wie Lily Luft holte.
„Weißt du was? Das glaube ich dir einfach nicht. Du bist viel zu freundlich und der Sprechende Hut hat dich bestimmt nicht umsonst nach Hufflepuff geschickt! Du bist eben... anders“
„Die Hexen, die Zauberer, die Muggel und die Andere...“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lily mir einen kritischen Blick zuwarf.
„Na komm. Remus hat gepetzt und du hast Recht, Sirius stirbt schon seit er sich hingesetzt hat lautstark wegen der Strafarbeit“
Mit einem Schmunzeln ließ ich mich von Lily durch die Regalreihen ziehen. 

„Guckt mal, wen ich gefunden habe!“, kündigte Lily unser Erscheinen in einem fröhlichen Singsang an und schob mich gleich auf den leeren Stuhl neben Remus zu.
„Was wollte die Alastríona?“, fragte James lautstark und wurde dafür von Marlene mit einem Zischen belohnt, leiser zu sein. 
„Sie interessiert sich für Drachen“, flüsterte ich, als ich mich gesetzt hatte.
„Stimmt ja...“, Sirius warf mir einen tiefen Blick zu.
„Ähm... ja“, ich verdrehte die Augen und machte mich daran meine Sachen auszupacken.
„Roux war übrigens eben hier“, teilte Annabell mir mit, während sie gedankenverloren an der Spitze ihres Federkiels saugte, „Wollte wissen, wie's dir geht“
„Ich hab vorhin in einem Buch einen Zauber gefunden, der Dinge explodieren lässt!“, begeisterte sich James, „Falls die Slytherins nochmal was versuchen“
„Meinst du nicht, die Schuhe ihrer Gegner mit einem Schwebezauber in Brand zu setzen ist genug?“, schnappte Marlene.
„Ja, James!“, ahmte Sirius Marlenes tadelnden Tonfall nach, „Wie kannst du nur!“
„Ich mag Dinge, die explodieren“, meinte Elster trocken.
„Da hast du's!“, ereiferte sich James und bemerkte erst im nächsten Moment was sich gesagt hatte.
Sofort brachen Remus, Lily und ich in Gelächter aus.
„Dann sind wir wohl die Einzigen, die sich um die Strafarbeit kümmern“, lächelte Remus mir zu, als die Anderen sich sofort weiter kabbelten, denn Sue und Frank waren schwärmend in Kindheitserinnerungen versunken und Felix diskutierte mit Emily über sein aufkeimendes Streichholz.
„Sieht so aus“, entgegnete ich und entrollt ein Pergament vor mir.
„Ich finde, das Lehrbuch hilft zwar, aber ich glaube ein oder zwei weitere Bücher könnten schon helfen“, merkte Remus an, als ich gerade mein Tintenfass aufschrauben wollte. 
„Ne Ahnung, wo die hier stehen?“, fragte ich und sah zu ihm hinüber.
„Ja!“, sofort schoss Remus auf die Füße und warf dabei fast seinen Stuhl um.
Sofort kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
„Also...“, setzte er erneut an, als ich mit einem Grinsen von meinem Stuhl aufstand, „Ich hab so eine ungefähre Ahnung“
„Du solltest dich öfters mit ihm unterhalten!“, blökte James aus seiner Diskussion mit Sirius, Marlene und Elster heraus, „Da kriegt er endlich mal Farbe!“
„Ach, halt doch den Mund, James!“, gab ich fröhlich zurück, nahm Remus bei der Hand und zog ihn zwischen die Regale.
„Danke...“, murmelte Remus, als wir außer Hörweite waren, „Sie können sich manchmal sogar benehmen“
„Hat wohl Seltenheitswert“, antwortete ich, ohne ihn anzusehen und studierte stattdessen betont die Buchrücken vor meiner Nase, „Also, wo sind jetzt dieser Bücher“
„Ähm... also, da müssen wir zurück...“
Sofort spürte ich die Hitze in meinen Wangen.
„Oh...“, machte ich nur.
Und diesmal war es Remus, der lachte.
„Kein Problem“
Mit einem kleinen Seufzen wandte ich mich wieder dem jungen Gryffindor zu und sah gerade noch, wie er eilig die Hand zurück zog.
„Deine Haare...“, beeilte er sich zu sagen und räusperte sich dann, „Also... die Locken stehn dir wirklich gut“
42. Kapitel
Visions of monsters
Wir verbrachten den ganzen restlichen Tag miteinander, inklusive des Abendessens.
Lily hatte keine Lust mehr auf die Aufteilung der Haustische, schnappte sich Teller, Besteck und Kelch vom Gryffindor Tisch und ließ sich zu Sue und mir auf die Bank plumpsen. Und selbst der schüchterne Peter folgte dem Beispiel seiner Freunde und schob sich zwischen uns Hufflepuffs. „Heute also wenig Schlaf für euch?“, fragte James mich in neckendem Tonfall.
„Ich komme damit klar“, gab ich selbstbewusst zurück.
„Wir sind morgen dran“, stöhnte Sirius, der seinen Stundenplan aus der Tasche gekramt hatte. „Also wir hatten ja wenigstens noch eine Freistunde davor“, versuchte Marlene zurück zu sticheln.
„Und hast du sie zum Schlafen genutzt?“, fragte Elster, „Nein. Du hast dich mit dem Dödel darüber gestritten, dass er die Schule nicht in die Luft jagt“
„Ich schlaf bestimmt ein“, stöhnte Sue, „Ich liebe meinen Schlaf!“
„Ich weck dich“, knuffte ich sie in den Arm und mit einem leisen Quietschen hüpfte Sue von der Bank hoch. 

Tatsächlich kehrten wir nach dem Abendessen noch in den Gemeinschaftsraum zurück und Emily und ich übten die Handbewegung für den Expeliarmus-Zauber, während Sue und Elster sich schlafen legten.
Dieses Mal nahmen wir uns mehr Zeit und so fanden wir den Astronomieturm tatsächlich pünktlich. Mit einem verschlafenen Winken begrüßte uns Marlene und stellte uns den hoch gewachsenen , blassen Jungen an ihrer Seite vor, der mir beim Frühstück bereits aufgefallen war. „Leute, das ist Elias. Elias, das sind Sue, Emily, Annabell, Elster, Felix und Roselynn“ 
Der große Junge nickte nur und ich spürte sofort, wie Sue neben mir etwas kleiner wurde.
„Freut mich“
Streckte ich die Hand aus.
Einen Moment musterte er mich, der Blick seiner scharfen Augen verriet keinerlei Anzeichen darüber, ob er sich freute oder nicht. Dann jedoch ergriff er meine Finger und schüttelte sie. 
„Hab gehört, du bist gut in Verwandlung“
„Dafür schlecht in Zauberkunst“, gab ich zu.
„Daran lässt sich arbeiten“, war die Antwort, er zog die Hand zurück und verfiel wieder in Schweigen.
Balserholz, Eichenrinde und Zitrone.
Wir alle zuckten zusammen, als sich über uns eine Falltür öffnete und eine hölzerne Leiter langsam in unsere Mitte schwebte.
„Kommen sie bitte nach oben“, rief uns eine ruhige Stimme zu und nach einem Moment der Unentschlossenheit erklomm Elias als Erster die Leiter. 

Die Aussicht war atemberaubend. Jedes Licht in Hogwarts war erloschen und der Wald und die Hügel in der Dunkelheit verschwunden. Einzig die Sterne am Himmel leuchteten in all ihrer Pracht und ich spürte das Kitzeln in meinen Augen, so sehr rührte mich der Anblick.
„Ich glaube, so gut habe ich die Sterne noch nie gesehen“, hauchte Sue ehrfürchtig. 
„Bei uns zu Hause sind sie fast genauso schön“, gab ich zurück, „Da bin ich nur nie so weit oben“
„Wenn sie sich bitte setzen wollen“
Die Hexe, die an einer der Zinnen lehnte und unserer Aufmerksamkeit bisher entgangen war, deutete mit einer weiten Bewegung auf die vielen, auf dem kalten Stein verteilten Kissen. 
„Noch brauchen sie ihre Teleskope nicht. Mein Name ist Professor Sinistra, ich bin ihre Lehrerin in Astronomie und heute Nacht werde ich sie ein wenig für das Firmament sensibilisieren, bevor wir uns nächste Stunde dem Studium der einzelnen Konstellationen zuwenden. Weiß einer von ihnen, warum wir Zauberer die Sterne so genau beobachten?“
Einige Hände wanderten zögerlich nach oben. 
„Ja, Mister Ainthworth?“
„Sie verraten uns die Zukunft“, hörte ich Elias schräg hinter mir mit fester Stimme sagen.
„Das stimmt. Auch wenn wir aus den Sternen nicht halb so viel lesen können, wie so manches Zauber- oder Tierwesen. Gerade die Zentauren, aber auch die Wassermenschen sind dafür bekannt, aus den Sternen die Zukunft zu lesen. Selbst Drachen wurden schon dabei beobachtet, wie sie lange und eingehend unser Firmament studierten“
Das konnte ich, in meiner inneren Stille, bestätigen. Meine Brüder und ich hatten gern die Sterne beobachtet und hatten als Lohn die verworrensten und buntesten Träume geerntet. Sie waren nicht immer schön gewesen und meistens erinnerte ich mich nicht wirklich an sie, doch ich hatte trotzdem immer irgendwie genossen.
Während Professor Sinistra anfing uns einige der berühmten historischen Ereignisse aufzuzählen, die durch die Sterndeutung vorausgesagt worden waren, schob ich mich zwischen Marlene und Elias an die Zinnen, lehnte mich an den kalten Stein und beobachtete das Himmelsvlies.
So weit von Zuhause entfernt, waren es doch die selben Sterne. Ich genoss ihr sanftes Flackern und wie sich vor meinen Augen immer neue Lichtpunkte aus der Dunkelheit schälten.
Kurz zögerte ich, doch es war auf jeden Fall zu dunkel. Mit einem leisen Klicken legte ich die Bügel meiner Brille zusammen und bettete sie in meinen Schoß.
Als Drache sah das Firmament ganz anders aus. Doch auch mit meinen menschlichen Augen sah ich Dinge, die anderen verborgen blieben. Dr. Imre hatte viele Nächte mit mir wach gelegen, zu zweit unter eine Decke gekuschelt, und ich hatte ihm geschildert, was ich sah.
Ohne die verzauberten Gläser spannen sich bald helle, silberne Linien von einem Lichtpunkt zum Anderen. Das Alphabet der Sterne begann seinen nächtlichen Tanz für mich. 

Stille umfing mich. War ich eingeschlafen?
Von Professor Sinistras Stimme war nichts mehr zu hören. Und die Kälte der Nacht hatte sich im dunstigen Grau des Morgens verdichtet. Wie hatte ich den Turm verlassen?
Vor mir erstreckte sich eine Lichtung. Das Gras stand hüfthoch, dicht und farblos und auf jedem Halm glänzten hunderte Tautropfen im Licht der sterbenden Nacht.
Ich versuchte mich zu bewegen, doch es ging nicht. Ich saß, immer noch, doch ich konnte den Stein der Zinnen nicht mehr in meinem Rücken spüren. Mein Körper schien mir nicht an diesen fremden Ort gefolgt zu sein.
Ein Rascheln zu meiner Rechten ließ mich aufhorchen. Eine Gestalt brach durch das Unterholz, fluchend zerrte sie an ihrem Umhang, der sich in den Dornen verfangen hatte.
„Remus!“
Der Klang meiner eigenen Stimme erschreckte mich. Ich war älter, eindeutig. Größer. Das Kind war aus meinen Zügen gewichen, ich hatte vollere Lippen, doch ansonsten hatte sich nicht viel verändert. Mein Haar war gleichbleibend weiß und lang, auch wenn es jetzt Locken warf. Und meine Augen schimmerten, ohne die Brille, in den hellen Morgen.
„Remus, wo bist du?“
Meine Stimme klang jetzt verzweifelter und mit dem Ärmel meines schmutzigen, zerfetzten Umhangs wischte ich mir das Blut aus dem Gesicht.
Da waren lange Risse in meiner Haut. Drei Stück, zogen sie sich quer über mein Gesicht, vom linken Auge bis hinab zur rechten Wange, über den Kiefer. Das Blut war bereits bis in den Kragen meines Hemdes gesickert und färbte das dunkle Grau schwarz.
Meine Hände zerrten ein letztes Mal an dem verhedderten Stoff, bis ich ihn mit einem Reißen frei bekam. Auch mein linker Ärmel war zerfetzt, ich sah Blut und ein weißes Schimmern. War das etwa mein Knochen?
„Rem! Bitte!“
Die ältere May stand da und lauschte. Dann wandte sie ruckartig den Kopf und auch ich konnte es hören. Ein röchelndes Keuchen, dass erst einem Knurren gleich kam, dann einem erstickten Heulen.
Mit einigem Lärm polterte eine Gestalt aus dem Gebüsch an der gegenüberliegenden Seite der Lichtung. Zuerst kam sie mir garnicht menschlich vor, dann jedoch wurde das Heulen zu einem verzweifelten Schrei. Die Gestalt bäumte sich auf und noch während die ältere May auf ihn zu rannte, erkannte ich das schmerzverzerrte, gepeinigte Gesicht von Remus.
Auch er war älter. Und sah noch viel schlechter aus, als ich ihn vom Abendessen in Erinnerung hatte.
Bevor ihn die ältere May auffangen konnte, kippte er vornüber ins feuchte Gras.
„Remus!“
Mit einem Schlag sah ich durch ihre Augen. Ich fiel neben der zitternden Gestalt auf die Knie, spürte die Schmerzen, die sie spürte.
Remus keuchte immer noch, sein gesamter Körper krampfte unter heftigen Schmerzen. Was noch von seinem Umhang übrig war, hing ihm in Fetzen von der Schulter und der Hüfte. Sein weiches, blondes Haar war länger geworden, hing ihm nun jedoch schweißnass in die zusammen gepressten Augen.
Unwillkürlich streckte ich die Hand aus und berührte seine bebende Schulter. Auch ihn hatte die Nacht gezeichnet. Als meine warme Hand seine eiskalte Schulter berührte, erschauerte er. 
„Rose...“, entkam es krächzend seiner Kehle.
Und obwohl er so furchtbar klang, spürte ich Erleichterung in mir aufsteigen.
„Alles gut, Rem“
Vorsichtig ließ ich mich neben ihm ins Gras sinken, doch als ich die zweite Hand nach ihm ausstreckte, zuckte er zurück und schob sich von mir fort. Ich konnte sehen, wie viel Kraft ihn das kostete, der sofort nahm seine blasse Haut die Farbe von Asche an.
„Nicht-...“, keuchte er, zerrte eine Hand unter seiner zitternden Brust hervor und hob sie mir warnend und abwehrend entgegen, „Es ist... noch nicht vorbei...“
„Natürlich ist es vorbei!“, brauste ich auf, „Du kannst dich mit mir unterhalten!“
Doch Remus vor mir schüttelte den Kopf.
„Er kämpft... immer noch...“
Und so ließ ich ihn gewähren.
Nach einer Weile löste ich meinen blutbefleckten, zerrissenen Umhang von meinen Schultern und legte ihn vorsichtig über seinen krampfenden Körper. Immer wieder schüttelte es ihn und er gab Geräusche tiefster Qual von sich. Doch bald verebbte das Krampfen und sein Atem wurde stiller und ruhiger.
„Wo sind... die Anderen?“
„Ich hab sie zum Schloss zurück geschickt“, antwortete ich sanft und als ich dieses Mal meine Hand nach seiner Schulter ausstreckte, ließ er zu, dass ich sie dort liegen ließ, „Rem. Du wirst dich erkälten“
Ein raues Lachen entwich seinen trockenen, blutverkrusteten Lippen.
„Ich glaube, das ist das geringste meiner Probleme“, hauchte er. 
„Aber es ist nicht das geringste meiner Probleme“, widersprach ich, „Komm schon“
Und damit schob ich einen Arm unter seinen dürren Leib und zog, doch als er versuchte mir zu helfen um sich aufzurichten, sackte er mit einem leisen Schrei wieder zusammen.
Entsetzt erkannte ich, dass sein linkes Bein in einem unnatürlichen Winkel abstand.
„Rem...“
„Ist schon gut“, hauchte er, die Augen immer noch geschlossen, „Nur eine Frage... war ich das selbst?“
Ich konnte nicht antworten, doch mein Schweigen schien ihm genug zu sein.
„War es so schlimm?“
„Der Blutmond hat dir nicht gut getan“, gab ich zu und brachte noch einmal all meine Kraft auf, um seinen Oberkörper in meinen Schoß zu ziehen.
Er stöhnte gepeinigt.
„Darauf wäre ich wohl auch noch gekommen...“, versuchte er es mit einem schwachen Witz und öffnete endlich die schattenumrahmten Augen.
Doch sein Blick, der erst müde und doch voll Frieden gewesen war, zerbarst in einem Schauer aus purem Horror.
„Rose!“
„Es ist nichts“, ergriff ich die Hand, die er mir panisch entgegen streckte, um mein Gesicht zu berühren.
Und ich schaffte es auch meinen anderen Arm um ihn zu legen, um ihn erneut daran zu hindern vor mir zurück zu weichen.
„Nur ein Kratzer“
Schmerzen schossen durch meinen Körper, als Remus sich gegen meinen Griff auflehnte und er dabei an meinen verletzten Arm stieß. Ich zischte, ungewollt, und sofort fand Remus Blick meinen zerfetzten Ärmel.
Tränen füllten seine Augen, quollen über und zogen weiße Täler in die schichten aus Schmutz auf seinen Wangen.
„Ich hab-... ich hab dich-...!“
„Es hat keine Wirkung auf mich, Remus“
„Aber-... ich habe-...“
„Ich hab dir das Bein gebrochen“, hielt ich dagegen, „Und ich befürchte, dass ist nicht das Einzige“
Doch Remus schien meine Bemerkung gar nicht zu hören. Anstatt sich weiter gegen mich zur Wehr zu setzen, zog sich sein gesamter Körper unter heftigem Schluchzen zusammen und seine Finger krallten sich verzweifelt in mein Hemd.
Wir blieben so, ich, die Arme sanft um ihn geschlungen, das Gesicht auf seine kalte Schulter gebettet. Er, zitternd und bebend, diesmal nicht vor äußerlichem, sondern vor innerem Schmerz. Mein warmer Atem strich über seine Haut, während sein Herz heftig gegen aus seiner Brust gegen meine Rippen pochte.
„Ich bin ein Monster...“, hörte ich ihn keuchen, als der erste Sonnenstrahl sich über die Bäume erhob und den Tau auf den Gräsern golden färbte.
„Keine Sorge“, murmelte ich und strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn und zog ihn noch etwas näher, „Ich auch“
43. Kapitel
Intermezzo in Hagrids Hütte
Die restliche Woche ging friedlich an uns vorbei. In Zaubertränke war Professor Slughorn wieder außerordentlich begeistert von Alans und meinen Leistungen gewesen, in Astronomie war ich kein weiteres Mal eingeschlafen, da ich wohl weißlich meine Brille aufgelassen hatte. Und in Zauberkunst waren dieses Mal keine Dinge explodiert. Den Expeliarmus Zauber beherrschte ich zwar nach der zweiten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste noch nicht gut, aber immerhin hatte ich es am Ende der Stunde zwei Mal hinbekommen Sue zu entwaffnen. Felix zeichnete sich derweil in Kräuterkunde aus. Egal welche Pflanze er anfasst, sie schienen fast schon nach seinem Fingerzeig tanzen zu wollen. Und Sue schaffte es mittlerweile nicht nur ihre Feder, sondern den gesamten Tisch schweben zu lassen. Der Unterricht nahm nun seine erste Pause und Sue, Felix und ich hatten den halben Samstag lang das Schloss erkundet und unsere Hausaufgaben damit auf die lange Bank geschoben. Jetzt war es schon Sonntag und wir saßen, halb konzentriert, halb herum albernd, um einen kleinen Tisch im Gemeinschaftsraum. 
Sue zog mich immer noch damit auf, dass ich sie in Astronomie ja hatte wecken wollen und dann selbst eingeschlafen war.
„Du hast so tief geschlafen, Marlene hat es gar nicht geschafft dich zu wecken“, kicherte sie immer noch. 
„Ich hab geträumt“, verteidigte ich mich.
Auch wenn ich mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnerte wovon. Ich vermutete stark, dass die Sterne mir etwas mitgeteilt hatten, was nun im schier endlosen Orbit meines Hirns verschwunden war. Ich konnte auch nicht sagen, dass die Vision einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen hatte. Ich fühlte mich nicht anders als sonst.
„Meinst du Remus geht es gut?“
„Das fragst du mich heute schon zum dritten Mal“, beklagte sich Sue hinter ihrem Bücherstapel hervor, „Ehrlich, Rose. Wenn du dir solche Sorgen machst, dann geh doch einfach Mal hoch und schau, ob du ihn findest. Oder James oder Sirius“
„Mh...“, machte ich nur.
Es war Abend. Das letzte mal gesehen hatte ich Remus beim Mittagessen. Die anderen Jungs waren auch nicht beim Abendessen gewesen, deshalb hatte ich mir keine großen Gedanken gemacht. Doch so im Nachhinein...
„Roselynn?“
Gedankenverloren blickte ich auf und erkannte den Wust aus schwarzen Locken sofort.
„Äh... was gibt's?“, fragte ich verwirrt und rückte mir möglichst unauffällig die Brille auf der Nase zu Recht.
„Sue hat mir erzählt du hättest eine Schwäche für die klassische Literatur der Muggel, ich-... hätte da vielleicht das eine oder andere Buch für dich“
Ich warf Sue einen irritierten Blick zu. Was Roux sagte stimmte zwar, aber wie kam sie dazu ihm solche Dinge über mich zu erzählen?
Ich bedankte mich artig, als Roux mir zwei abgegriffene Bücher in die Hände legte und sich dann verabschiedete. Anschließend warf ich Sue einen bösen Blick zu und auch Felix sah neugierig von seinem Aufsatz auf.
„Er hat gefragt!“, wehrte Sue sofort ab, „Ich glaube, er macht sich immer noch Sorgen um dich“ Ich seufzte, dann besah ich mir die Buchtitel.
„Faust von Goethe und Romeo und Julia von Shakespeare“, las ich laut vor.
„Soweit ich weiß, beides Klassiker“, gab Felix zurück.
„Hab noch nie davon gehört“, gab ich zu und legte die Bücher bei Seite.
„Goethe war deutscher Schriftsteller, Shakespeare war Engländer“, kommentierte Sue ohne aufzusehen. 
„Soviel wusste ich grade noch“, gab ich zurück, auch wenn das nur halb stimmte, denn von Goethe hatte ich bisher nichts gehört. 

Wie sich heraus stellte, sollten mir die Bücher dann doch noch helfen. Sue und ich hatten uns früh schlafen gelegt, um für die neue Woche gerüstet zu sein. Geholfen hatte es mir jedoch nicht. Ich war müde, doch der volle Mond schien viel zu hell auf mein Bett. Und auch Vorhänge halfen nichts. 
Mit einem kaum hörbaren Seufzen rappelte ich mich auf, entzündete die Kerze neben meinem Bett mit einem sanften Hauch und nahm mir das oberste der beiden Bücher.
Shakespeare.
Bald war ich so vertieft in die Lektüre, dass ich kaum etwas anderes mitbekam. Ich fand zwar die Entschlüsse und Taten der beiden Protagonisten etwas fragwürdig und manchmal auch einfach nur dumm, aber das alte Englisch gefiel mir. Die Sprache der Figuren hatte etwas an sich, das einen ergriff und fort riss. Fast so, als würde mein Selbst sich im hellen Schein des Vollmond auflösen. Und ich hatte keine Chance mich dagegen zu wehren. 
Bloß die Wortwitze fand ich etwas flach.
Ich kam bis zu der Stelle, an der Romeo sich auf den Friedhof schlich um seine angeblich verstorbene Geliebte ein letztes Mal zu besuchen, da schnappten meine Ohren ein Geräusch auf. Was war das gewesen? Ein tiefer Schrei? Ein Heulen, wie von einem Hund?
Sofort schoss ich aus dem Bett. Meine Ohren zuckten in alle Richtungen, doch meine Schlafsaalkameradinnen hatten selbst alle die Vorhänge ihrer Betten gegen den Mond zugezogen und schliefen friedlich. Desto länger ich lauschte, desto klarer wurde mir, dass ich das Geräusch aus weiter Entfernung durch mein Fenster gehört hatte. Für Sue und die Anderen war es also praktisch unhörbar.
Leise blies ich die Kerze aus und legte das Buch auf meinen Nachttisch zurück, dann kletterte ich barfuß auf den Deckel meines Koffers, hob behutsam den Riegel des Fensters und öffnete es. Sanfte Abendluft wehte zu mir herein. Der Wind kam aus Richtung des Waldes und trug zu viele, mir fremde Gerüche, als dass ich sie irgendwie hätte einordnen können.
Eine ganze Weile stand ich so da und lauschte. Nur ein paar Mal wiederholte sich das seltsame Jaulen, doch es war zu weit weg.
Irgendwie kam es mir bekannt vor, doch ich wusste nicht woher. Ich spielte auch mit dem Gedanken einfach aus dem Fenster zu klettern und ein wenig über das Gelände zu streifen, vielleicht sogar einen kleinen Ausflug zu machen. Im nächsten Moment schalt ich mich. Das war verboten. Und ich konnte mein Glück nicht überstrapazieren.
Doch erst, als am Horizont ein leichtes Grau den kommenden Morgen ankündigte, fand mein Inneres ein wenig Ruhe. Ich ließ das Fenster offen. Warum, das wusste ich nicht so genau.
Mit nackten, kalten Füßen kletterte ich zurück ins Bett, zog mir die Decke bis unters Kinn und schlief schließlich ein. 

Sue musste mich fast aus dem Bett rollen. Ich war so müde, dass ich kaum die Augen offen halten konnte.
„Was hast du nur die ganze Nacht gemacht?“, wollte sie wissen und ich hörte den Vorwurf in ihrer Stimme. 
„Gelesen...“, gähnte ich und rieb mir über die juckenden Lieder, „... der Mond... konnte nicht schlafen“
„Pass nur auf, dass du bei der McGonagall nicht einschläfst, sonst kriegst du gleich die nächste Strafarbeit“ 
„Als ob du nicht die gleiche Strafarbeit machen musstest wie ich“, knurrte ich zurück, „Wenn ich mich richtig erinnere, hast du sogar von mir abgeschrieben“
Sofort wurden Sues Wangen knallrot.
„Streitet euch nicht...“, stöhnte Emily, die uns angezogen aus dem Badezimmer entgegen tappte und dabei kein bisschen wacher aussah, „Ich hab auch schlecht geschlafen. Da wird man grantig“ Sue und ich seufzten, nickten uns dann jedoch versöhnlich zu. Eine Woche hatte vollauf gereicht um herauszufinden, dass die jeweils Andere von uns reichlich empfindlich auf Schlafentzug reagierte. 

Wir hatten gerade die Eingangshalle betreten, da kam eine große, bärtige Gestalt durch das offene Portal gestapft.
„Hagrid!“, rief ich aus und rannte dem Riesen fröhlich entgegen.
„Na, Roselynn?“, ich sah, wie sein Bart zuckte und konnte deshalb sein Lächeln erahnen, „Wie war`n die erste Woche?“ 
„Anstrengend“, gab ich verlegen zu.
„Aber doch auch schön, hoff` ich?“
„Natürlich!“, ruderte ich hastig zurück, „Es ist so viel passiert, weißt du, und ich hab rausgefunden, dass ich Verwandlung wirklich gut bin, dafür bin ich in Zauberkunst leider ganz grottig...“
Und obwohl ich so müde war, konnte ich meinen Mund nicht bremsen. In Windeseile hatte ich Hagrid meine ganze Woche umrissen. Doch ihn schien das nicht zu stören. Im Gegenteil. Er schien sich genauso für mich zu freuen, wie ich selbst.
„Hab gehört, du hast versucht schwimmen zu lernen“, schmunzelte er.
„Nicht du auch noch!“, jammerte ich, „Das war nicht mit Absicht!“
„Wenn`de mal wirklich schwimmen lernen willst, dann sach`ste mir Bescheid. Niemand kann so gut schwimmen wie die Wassermenschen bei uns im See un` ich versteh` mich ganz gut mit denen“, grummelte der Riese fröhlich.
„Wassermenschen?“
„`Türlich. Dumbledore gewährt hier vielen Wesen Unterschlupf. Großartiger Mann, Dumbledore“
„Stimmt...“, gab ich leise zu.
Jetzt wusste ich immerhin, welches Wesen mich bei meinem Sprung in den See so erschreckt hatte. Leider konnte ich Hagrids Begeisterung nicht teilen. Vielleicht lag es immer noch daran, dass ich Wasser einfach nicht mochte, doch der Wassermensch, dem ich begegnet war, war mir reichlich gruselig vorgekommen.
„Warum komm`ste nich mal auf nen Tee bei meiner Hütte vorbei?“, hörte ich Hagrid fragen. „Deine Hütte?“
„Klar, irgendwo muss ich ja auch leben“
Ich sah Hagrid hinter seinem Bart grinsen.
„Sehr gern!“, rief ich sofort.
Und da wurde mir bewusst, dass dies die erste Einladung war, die man mir jemals ausgesprochen hatte. Das erste Mal, dass mich jemand zum Tee einlud.
„Soll-... soll ich was mitbringen? Muss ich mir was besonderes anziehen?“
„Ach was, du bist doch mein Gast!“, grollte Hagrid ein tiefes Lachen, „Bist noch nich oft zum Tee eingeladen worden, oder?“
Sofort wurden meine Wangen heiß, doch Hagrids Lachen schwoll nur zu einer polternden Lawine an, deren Klang die ganze Halle füllte.
„Wann haste denn Mal Zeit?“, fragte er freundlich.
„Ich-... also, ich hab Dienstags immer eine Freistunde...“, stammelte ich.
„Dann kommst du doch einfach mal morgen bei mir vorbei, mh?“
„Ist das nicht zu früh?“, protestierte ich, „Ich will nicht, dass du wegen mir irgendwie in Zeitdruck gerätst!“
„Roselynn“, grummelte der Riese und beugte sich ein Stück zu mir hinab, „Es is nur ne Einladung zum Tee, kein Treffen vom Zaubergamot. Komm einfach rum, wenn dir danach is, ja?“
„Danke, Hagrid. Vielen Dank, wirklich“
Und ich meinte es auch so. Aus tiefstem Herzen.
„Na dann, bis morgen“, grollte Hagrid, legte mir kurz seine riesige Hand aufs Haar, sodass meine Welt für einen Moment in finsterste Nacht verfiel, dann stapfte er an mir vorbei und die Treppen nach oben.
Gerade wollte ich den anderen Hufflepuffs glücklich in die große Halle zum Frühstück folgen, da sah ich, wie James und Sirius am oberen Treppenabsatz um die Ecke bogen.
„Guten morgen!“, kam ich ihnen entgegen, „Sagt mal, habt ihr-...“
Genau in diesem Moment blieb ich wie angewurzelt stehen.
„Hab mir schon gedacht, dass du so ein Gesicht machen würdest“, James feixte und boxte mir freundschaftlich in die Seite, „Keine Sorge, dem Jungen geht's gut“
„Gut?“, platzte ich heraus und versuchte meine Panik zu verbergen.
„Ich hab gestern Abend zu viel gegessen“, versuchte Remus mich zu beruhigen, „Mir ist schlecht geworden und da bin ich in den Krankenflügel“
Doch seine Stimme war so dünn! Seine Haut so blass! Und der Geruch...
„Du warst doch gar nicht-...“, setzte ich an, verstummte jedoch, als ich etwas in Remus schattenumrahmten Augen aufflackern sah.
War das Angst gewesen?
„Ich bin spät dran gewesen und hab mich dann voll gestopft“, versuchte er es mit einem schiefen, peinlich berührten Lächeln.
„Ich kann sie schon verstehen“, murmelte da eine leise Stimme und mir wurde mit einem leichten Schrecken klar, dass ich Peter gerade das erste Mal wirklich sprechen gehört hatte, „Du siehst furchtbar aus. Und nur vom Übergeben holt man sich keine Platzwunde an der Stirn“
Ja, das Pflaster an der Stirn war wirklich nicht zu übersehen.
„Ich hab doch gesagt“, begehrte Remus auf und wirkte dabei fast ein wenig ungeduldig, „Ich bin hingefallen. Hab mich lang gelegt. Im Krankenflügel. Keine Sorge, Madame Pomfrey hat mich sofort wieder zusammen geflickt“
Und mit diesen Worten schob Remus sich an mir vorbei und stapfte die Treppe nach unten, James, Sirius und Peter hinterher, wobei mir Sirius noch einmal freundlich auf die Schulter klopfte.
Ich jedoch blieb auf der Treppe stehen. Atmete tief den Duft ein, den er hinterlassen hatte. Süßholz. Kalkstein. Bienenwachs. Frühlingssonne. Vielleicht ein Hauch von Kakao. Doch wo waren die Kiefernnadeln hin verschwunden? Der kalte Nachtwind? Das gesplitterte Holz, der Staub, das regennasse Fell?
Nur ein Geruch war geblieben, stärker als zuvor, viel zu stark, für eine einfache Platzwunde.
Er roch nach Blut. 

„Du scheinst dir ja wirklich Sorgen um ihn zu machen“
Ich hatte Hagrid auf dem Weg hinab zu seiner Hütte getroffen und so hatte er mich gleich mitgenommen. Kaum waren wir außer Hörweite anderer Schüler, da berichtete ich sofort, was mir gestern und heute alles an Remus aufgefallen war. Zumindest die Dinge, die ich als Mensch beobachten konnte.
„Er sieht schon besser aus heute, aber ich hab das Gefühl, dass da was nicht stimmt“, gab ich kleinlaut von mir, „Ich weiß auch nicht, ich hab so ein seltsames Gefühl“ 
„Wenn nich, dann frag ihn doch, ob er Hilfe will“
Gerade erreichten wir die sanfte Kuppe einer kleinen Anhöhe und Hagrid stiefelte ohne Weiteres den Weg weiter hinab. Ich jedoch blieb beim Anblick der kleinen Hütte, die sich direkt in den dunklen Schatten des Waldes schmiegte, sofort stehen.
„Was`n?“, fragte Hagrid, als er merkte, dass ich ihm nicht mehr folgte.
„Das ist dein Haus?“, fragte ich und bemerkte zu spät, wie blöde ich dabei klang.
„Klein aber fein“, verteidigte Hagrid sich sofort, doch ich konnte in seinen Augen sehen, dass ihn meine Reaktion verunsicherte.
„Es ist wunderschön!“, platze ich heraus.
Und es sah fast genauso aus wie meine Hütte, Zuhause, im Reservat.
„Wirklich?“, fragte der bärtige Riese erstaunt und es war echtes Staunen, kein eifern nach Komplimenten.
„Sieht fast so aus wie meine Hütte...“, gab ich zu und zog verlegen den Kopf ein.
„Na“, lachte Hagrid sein wundervolles, grollendes Lachen, „dann komm ma` mit rein. Mal sehn, ob` se dann immer noch aussieht wie deine Hütte“
Und während Hagrid Tee aufsetzte, streifte ich durch die Wunder seines Zuhauses und erzählte ihm nebenbei so viel von dem Meinen, wie ich es wagen konnte.
Da war Einhornhaar, von dem ich einen tiefen Atemzug nahm, Billywig-Stacheln und Äste von Bowtruckle-Bäumen. Ein bisschen Fell von einem Zentauren. Ich besah und befühlte und beschnupperte alles und Hagrid schien großen Spaß dabei zu haben mir all die kleinen Wunder seiner Hütte zu offenbaren. Schließlich bat er mich dann doch an den Tisch und stellte mir eine Tasse vor die Nase, in die ich gut und gerne meinen Kopf hätte stecken können.
„Hab nich so oft kleine Gäste wie dich“, schmunzelte er, als ich, um einen Schluck zu trinken, die Tasse kippte, anstatt sie hoch zu heben, „Aber da kann man wenigstens ordentlich tunken“
Und mit diesen Worten schob er mir einen Teller über den Tisch, der randvoll beladen war mit klumpigen Keksen, aus deren unebener Oberfläche so etwas wie Schokolade hervor schielte. „Wenn`de magst“, grollte der Riese.
„Danke!“, rief ich begeistert aus und griff einen der Kekse.
Er war deutlich schwerer als ich gedacht hatte und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass es nicht mit rechten Dingen zuging, als ich ein herzhaftes Stück aus der klumpigen Masse biss. Der Teig war hart, sehr hart sogar, und krachte zwischen meinen Zähnen, als würde ich Kiesel kauen. Doch mein Kiefer freute sich über die harte Arbeit.
So lecker das Essen oben im Schloss auch war, Eiscreme eignete sich nicht dazu das volle Potential eines Drachenkiefers auszuschöpfen und meine Muskeln hatten keinerlei Probleme durch eine fest gebackene Pastetenkruste zu beißen.
Aber diese hier...
„Lecker!“, begeisterte ich mich, als ich gerade einen steinharten Krümel Schokolade zermalmte, „Was sind das für Kekse?“
„Felsenkekse“, antwortete Hagrid glücklich und griff nun selbst zu, „Selbst gemacht. Neues Rezept!“
44. Kapitel
Das vornehme und gar alte Haus der Blacks
Ich überlegte wirklich, ob ich Hagrids Rat folgen und Remus nach seinem seltsamen Verhalten fragen sollte. Doch wie konnte ich ihm erklären, dass ich riechen konnte, dass er verletzt war und dass seine Wunden nun langsam heilten? Wie sollte ich diese seltsame Sorge erklären, die mich seit meiner ersten Nacht auf dem Astronomieturm umtrieb? Das Gefühl, als würde uns etwas verbinden, was noch gar nicht passiert war.
Schließlich gab ich es auf. Es gab kaum eine Möglichkeit eine solche Frage zu rechtfertigen. Außerdem traf ich ihn sowieso nicht mehr allein an.
Während Tage langsam in Wochen übergingen und ich meine Pyromanie in Zauberkunst dank Sue und auch dem schweigsamen Ravenclaw Elias bei jedem neuen Zauber von Neuem besiegte, schmiedeten Sirius, James, Remus und Peter die Ketten ihrer Freundschaft immer fester. Und bald verflog auch das Gefühl der Sorge um Remus. Nicht gänzlich. Doch so nervig die jungen Gryffindors ab und zu auch waren, so viel Ärger sie sich mit ihren Streichen und ihrem sonstigen Verhalten auch einhandelten… sie waren alle offenherzig, mutig und standen füreinander ein. 
Ab und zu nahmen sie mich in ihrer Mitte auf. Peter traute sich immer noch nicht wirklich ein Wort zu mir zu sagen, doch James war der festen Überzeugung meine Anwesenheit würde ihn irgendwann aus der Reserve locken. 
Sirius versuchte immer mal wieder mir schöne Augen zu machen, doch jeder Versuch endete schlussendlich in einem Lachanfall von einem von uns beiden.
Und Remus…
Nachdem wir unserer Hausaufgaben Herr geworden waren, hatte Sue und ich begonnen uns an den See zurück zu ziehen und Sue hatte begonnen mir das Zeichnen beizubringen. Es waren Stunden voll Frieden, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem James ebenfalls auf die Idee kam, das Gelände um Hogwarts zu erkunden. 
Es völlig egal wo genau sich die Jungen befanden. Auch wenn sie an der anderen Seite des Sees herum streunten, man konnte sie hören. Bis Sue irgendwann wutentbrannt ihren Zeichenblock in die wohl frisierten, zerzausten Haare von James donnerte und ihm eine rechte Standpauke hielt.
Während die beiden sich stritten, Sirius daneben stand und lachte und Peter nicht wusste, wohin mit sich selbst, kam Remus zu mir hinüber.
„Tut mir leid, das Ganze“
„Keine Sorge“, zuckte ich mit den Achseln, „Ich glaube es wurde sowieso Mal wieder Zeit, dass Sue sich ein wenig abreagieren konnte. Und James Holzkopf kriegt sich nicht so einfach klein, also ist er praktisch der geborene Boxsack für sie“
Das entlockte Remus ein Lachen.
„Stimmt schon“, grinste er, dann beugte er sich neugierig über meine Schulter, „Was wird das?“
„Nichts!“, beeilte ich mich zu sagen und versuchte den Block zu zu klappen.
Doch das ständige Menschsein legte langsam meine Sinne lahm und so hatte ich nicht bemerkt, wie sich Sirius auf meine andere Seite geschlichen hatte. 
Mit einer schnellen Handbewegung hatte er mir den Block entrissen.
„Na, sieh mal einer an“, staunte er unverhohlen, „Die sind echt nicht schlecht, Rose!“
„Gib es zurück!“, fluchte ich und rappelte mir auf, „Die sind noch nicht fertig!“
„Also… noch sind die von Sue aber besser“, kommentierte James, der, die fluchende Sue wie einen aggressiven Terrier am Arm, über Sirius Schulter hinweg meine Skizzen begutachtete.
„Findest du?“, fragte Sirius im Tonfall eines echten Fachmanns, „Also ich glaube, sie haben einfach nur verschiedene Stilrichtungen“
„Kommt schon“, ging Remus dazwischen, was ungewöhnlich war, denn ansonsten ließ er die beiden machen, was sie wollten und amüsierte sich über das Ergebnis, „Gebt die Sachen schon-…“
Doch er wurde von dem Laut des Schmerzes unterbrochen, den Sirius von sich gab.
Er ließ endlich meinen Block los, den ich auffing, während ich meinen Fuß von seinem Schienenbein zurück zog.
„Au!“, rief der Dunkelhaarige und rieb sich sein malträtiertes Bein, „Rose! Wenn du meine natürliche Schönheit zerstörst, mache ich dich höchstselbst dafür verantwortlich, wenn ich später keine Freundin abbekomme“
„Als ob sich Irgendeine freiwillig so einen Schnösel ans Bein bindet wie dich“, war meine Antwort und James kippte fast hinten über vor Lachen.
Merlin sei Dank hatte ich ihn daran hindern können weiter zu blättern. Denn während Sue sich auf die Darstellung von Gegenständen verstand, hatte ich mich an die Portraits von Menschen gewagt. Mein Drachengedächtnis zeigte mir die Bilder all jener die ich kannte wie eine Fotografie, doch war es mir ein tiefes Bedürfnis geworden, diese Bilder auf Papier übertragen zu können.
Leider war ich nicht annähernd so gut wie Sue, die mich immer wieder tröstete und ermutigte, dass Übung den meister machte. Und hätte Sirius gesehen, was meine Hand aus dem Bild seines Gesichtes und dem seiner Freunde gemacht hatte, wäre er entweder tödlich beleidigt gewesen oder hätte mich mein restliches Leben dafür ausgelacht. Oder beides.
Doch seit diesem Tag sorgte Remus dafür, dass seine Freunde sich etwas zurück hielten, wenn er uns unter dem Baum am See sitzen sah.

Leider war nicht alles so friedlich und lustig, wie an diesen Nachmittagen unter den raschelnden Blättern. Und nicht nur in meinem Leben.
Das Zaubereiministerium versuchte noch zwei Mal, sich an Kristóf zu wenden. Anschließend erreichte mich zum ersten mal direkt ein Brief.
Da ich immer noch im Verzeichnis der Drachen registriert war, verlangten sie Abgaben von mir, um meine Erhaltung zu bezahlen. Schuppen, Hörner, Blut, alles, was sich für gutes Geld verkaufen ließ. 
Das widersprach zwar meinem Verbot mich zu verwandeln, denn außer dem Blut konnte ich nichts davon spenden ohne zum Drachen zu werden, doch eine Einnahmequelle war eine Einnahmequelle. Vor allem, da das Ministerium ja gar nichts für meinen Erhalt bezahlen musste.
Erst, als an drei aufeinander folgenden Tagen gleich mehrere Eulen mit Mahnungen beim Frühstück auf mich hinab schossen, nahm das Ganze, in Form von Professor Sprout, ein Ende.
Ohne groß ein Wort mit mir zu wechseln, entwand sie meinen verkrampften Fingern die zerknitterten Briefe, bedankte sich bei mir und fügte hinzu, dass sie die Mitteilungen des Ministeriums wie abgesprochen an Professor Dumbledore weiterleiten würde.
Doch nicht nur ich hatte schwer zu tragen, wie ich bald heraus finden sollte.
Vielleicht wäre es mir früher aufgefallen, wenn ich darauf geachtet hätte.
Ich schrieb regelmäßig Briefe an Dr. Imre und Kristóf, die von beiden auch immer sofort beantwortet wurden. Sue und die Anderen schrieben an ihre Eltern und auch James, Remus und Peter erhielten regelmäßig Post.
Einzig Sirius wandte jeden Morgen verkniffen das Gesicht ab, wenn das laute Rauschen von Flügeln das Kommen der Eulen ankündigte. Das fiel mir später auf.

Ich war zu spät. 
Wenn ich Glück hatte würde das Professor Binns nicht auffallen, er hatte als Geist einiges an Konzentrationsfähigkeit eingebüßt. Vielleicht hatte er diese Macke ja aber auch früher schon gehabt.
Es war eine dumme Idee gewesen zwischen den Stunden in die Bibliothek zu gehen. Die vielen Bücher lockten mich und ich konnte ihrem Ruf kaum widerstehen. Leider fesselten mich ihre Geschichten häufig so sehr, dass ich den Beginn einer Stunde fast verpasste.
Da hörte ich es.
Ich wusste sofort, dass dieses Geräusch eigentlich zu leise war für die Ohren eines Menschen. Doch die Art des Geräusches, ließ mich meine Grundsätze, mich wie ein Mensch zu verhalten, einmal mehr über Bord werfen.
War da jemand am weinen?
Auf leisen Sohlen folgte ich dem Geräusch. Es tröpfelte durch den nächsten Korridor und schob sich in einer verzweifelten kleinen Lache unter der Tür einer Besenkammer durch. Zusammen mit dem Geruch nach dunkler Schokolade, Tannenharz, frischem Moss und Moschus.
Einen Moment zögerte ich. Doch der Geruch war einsam. Da war niemand sonst. Und er war mein Freund.
„Sirius?“, klopfte ich vorsichtig an das alte Holz.
Sofort erstickte das leise Schluchzen. Ich konnte ihn immer noch atmen hören und meine Nase kribbelte. Ich hatte ihn erschreckt und Adrenalin pochte durch seine Adern. Doch nur für ein paar Sekunden. Auch er hatte mich nun erkannt.
„Darf ich rein kommen?“, fragte ich leise.
„Gibt nichts Besonderes hier drin zu sehn“, versuchte Sirius mich abzuwimmeln und ich erkannte den Tonfall, den er immer auflegte, wenn er einen Witz erzählen wollte, „Ich such hier auch nur grade nach so einem lästigen Knuddelmuff. Hab vorhin ein friedliches Nickerchen gehalten schon hatte ich seine Zunge in der Nase“
„Klingt eklig“, gab ich mit einem leisen Kichern durch die Tür zurück, „Soll ich dir suchen helfen?“
Eine Weile antwortete er nicht.
„Hast du nicht Unterricht?“
„Doch“, gab ich zu und versuchte ein wenig so zu klingen als schmollte ich.
„Oha…“, kam es schwach von drinnen, untermalt von einem Schniefen, „Wenn unsere Frau Oberstreberin schon eine Stunde ausfallen lässt…“
Ich nahm das als Ja. Vorsichtig öffnete ich die Tür, schob mich hindurch und schloss sie wieder. Es war stockfinster, doch das war kein Problem für mich.
Zwischen alten Besen und Wischmopps eingeklemmt, das verriet mir meine Nase, saß Sirius vor mir auf dem Boden, seine Tasche auf einem umgedrehten Eimer.
Ich ging in die Hocke und schob mich neben ihn.
Eine ganze Zeit lang schwiegen wir. Immer wieder platzte ein leises Schniefen aus Sirius heraus, doch ich sprach ihn nicht darauf an, bis sich schließlich beruhigte und dann tief Luft holte.
„Du hast keine Eltern“
„Stimmt“, erwiderte ich steif, „Wie schön, dass dir das auch schon zu Ohren gekommen ist“
„Wer schreibt dir dann so viele Briefe?“
„Ich habe Brüder“, erklärte ich, immer noch ein wenig verletzt von seiner Direktheit, „Und Dr. Imre und Kristóf schreiben mir“
„Dr. Imre und Kristóf?“, hörte ich ihn fragen.
„Man könnte sagen, dass Dr. Imre mein Vormund ist“, versuchte ich zu erklären.
Das war zwar nicht ganz richtig, denn offiziell war ich selbst für mich verantwortlich und jetzt wo ich in England war hatte ich keine Ahnung, wer für mich Verantwortung trug. Vielleicht Dumbledore, da er mich aufgenommen hatte. Doch Zuhause kam Dr. Imre einem Vormund am nächsten.
„Und Kristóf leitet das Reservat, in dem ich wohne“
„Deine Eltern haben da gearbeitet?“
„Sozusagen…“
„Sozusagen?“
„Ist kompliziert…“
Wieder folgte Schweigen, dann ein Seufzen.
„Meine Eltern antworten mir nicht mehr“
Diesmal war es an mir zu schweigen. Ich verstand nicht.
„Warum denn nicht?“, fragte ich deshalb gerade heraus.
„Ich glaube sie hassen mich“, hörte ich Sirius neben mir flüstern und ein Rascheln, als er sein Kinn auf seine angezogenen Knie bettete, „Weil ich nach Gryffindor gekommen bin und nicht nach Slytherin“
„Wirklich?“, platzte ich heraus, „Aber das ist doch dumm!“
Sirius entwich ein Prusten.
„Ja, find ich auch… aber so ist es nunmal“
„Aber-…“, setzte ich an und unterbrach mich dann.
„Du hast sie doch gesehn“, seufzte Sirius müde, „Im tropfenden Kessel. Ich weiß, dass du dich erinnerst. Mein kleiner Bruder Regulus war ganz begeistert von dir“
„Mh…“, machte ich nur.
Ich wollte auf keinen Fall, dass er den Grund dafür ansprach, warum sein Bruder mich so interessant gefunden hatte. Ich benahm mich schon so nicht wirklich unauffällig. Doch anscheinend war mein Äußeres für Sirius mittlerweile völlig normal, denn er ging nicht weiter darauf ein.
„Die Blacks sind eine alte Familie. Alles Reinblüter. Und jetzt, wo sich da draußen so ein irrer aufspielt, wie wichtig die Reinheit des Blutes ist, fühlen sie sich natürlich ganz groß. Als wäre das Ego meiner Mutter nicht vorher schon total drüber gewesen…“
„Und was hat das jetzt damit zu tun, dass du in Gryffindor gelandet bist und nicht in Slytherin? Ich meine… der Sprechende Hut hat dich doch nach Gryffindor geschickt, also gehörst da doch hin, oder?“, fragte ich, immer noch verwirrt.
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass dir nicht aufgefallen ist, wie sie alle bei der Hausverteilung reagiert haben“, murmelte Sirius verdrossen, „Dir fällt doch sonst immer alles auf“
Sofort wurde mir heiß und kalt. Dass er das gemerkt hatte!
„Warum so still plötzlich?“, fragte er und es klang fast, als würde er lächeln.
„Das ist dir aufgefallen?“, fragte ich gequetscht.
„Mh… mir weniger. Remus findet es beeindruckend, wie du immer deine Umgebung absuchst, sobald du einen Raum betrittst. Er meint, das kommt vermutlich davon, dass du in einem Drachenreservat aufgewachsen bist…“
Das Letzte hing fast wie eine Frage in der Luft.
Verdammt! Natürlich war ich nicht die Einzige, der Sachen auffielen. Remus war praktisch dafür geschaffen! Diese Unschuldsmiene und dazu noch meine übertriebene Sorge um ihn hatten mich praktisch mit Blindheit geschlagen. Nur weil sie Menschen waren hieß das nicht, dass sie gar nichts sahen. Und anscheinend reichte das bisschen aus, um mich einigermaßen zu durchschauen. Und allein diese Sicht auf die Dinge entlockte mir ein Ächzen. War ich so viel besser als dieser verrückte Zauberer, wenn ich die Welt so sah?
Und doch… anscheinend hatte Remus mich gedeckt…
„Ja… kommt öfter vor, dass die Jungdrachen aus ihren Gehegen ausbüxen“, lachte ich verlegen, „Für die sieht dann auch meine Hütte aus wie eine Drachenhöhle…“
„Aha…“
Ich schwitzte. Die Geschichte war zwar durchaus wahr, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass Sirius sie mir abgekauft hatte.
„Alle Blacks waren in Slytherin“
Ich brauchte einen Moment um den Faden wieder aufzunehmen.
„Wirklich?“
„Is so ne Art Familientradition. Viele in Slytherin sind ziemlich stolz auf ihr reines Blut“
„Das hab ich aber auch schon in anderen Häusern erlebt“, wand ich ein, „In Gryffindor gibt es auch ein oder zwei, die damit ziemlich angeben. Und einer aus der Oberstufe bei uns in Hufflepuff hat die Nase da auch sehr weit oben“
„Ja“, meinte Sirius sauer, „Aber die meisten dieser Idioten wirst du in Slytherin finden. Dieser Typ, der da grade rumrennt und sie alle aufscheucht… Voldemort. Der war wohl auch in Slytherin“
Ich versuchte ja, keine Vorurteile zu haben. Und ich mochte Alan und Sophie und Tad. Aber den Angriff auf unser Reservat würde ich niemals vergessen. Und wenn ich mich so an die Oberstufler aus Slytherin erinnerte…
„Mistkerl“
„Du sagst es“, lachte Sirius kurz auf, „Das Problem ist, dass meine Eltern unbedingt seinen Idealen folgen wollen. Sie sind es Leid sich vor den Muggeln zu verstecken und bezeichnen sich als höhere Rasse. Und jeder, der nicht reinblütig ist…“
Sirius ließ den Satz unbeendet, doch ich konnte mir vorstellen, was er meinte und schluckte.
„Du musst dir da doch keine Sorgen machen“, kam es aus seiner Richtung der Dunkelheit.
„Naja…“, krächzte ich.
„Kein Reinblüter?“
Ich grummelte etwas Unverständliches.
„Du bist wirklich ´ne Nummer“, dieses Mal hörte ich, dass Sirius tatsächlich lächelte, auch wenn es noch ein wenig schwermütig klang, „Gibst nie wirklich was über dich Preis. Ich weiß, dass du aus Ungarn kommst und Brüder hast, aber keine Eltern. Ich weiß, dass du heraus gefunden hast, dass du eine Hexe bist, indem du es hast Hühner regnen lassen. Man hat dir angesehen, dass du mindestens genauso viel Schiss hattest wie ich, als du da die Stufen zum Hut hoch bist. Du bist gut in Verwandlung und schlecht in Zauberkunst und schläfst während Astronomie gern ein-…“
„Das war nur ein Mal!“, schnappte ich und hörte ihn im nächsten Moment kichern.
„Ich weiß. Wollte dich nur aufziehen“
Ich seufzte schwer.
„Was willst du denn wissen?“, fragte ich und zog selbst die Knie an.
„Wie wär's mit was Einfachem, für den Anfang. Welche Augenfarbe hast du?“
Na toll. Voll ins Schwarze.
„Blau“, blökte ich.
„Glaubst du wirklich, dass ich dir das abnehme?“
„Grün“, setzte ich nach.
„Jetzt wird's albern“
„Gelb, rot, pink, grau, such dir was aus!“, muffelte ich und vergrub mein Kinn im Ärmel meiner aufgestützten Arme.
„Klingt abenteuerlich“
„Unfall“, versuchte ich noch einmal einzulenken.
„Das mit deinen Augen oder auch der ganze Rest?“
„Welcher Rest?“, blaffte ich.
„Naja… deine Haare, seine Haut, die Tätowierungen…“
„Woher weißt du das denn schon wieder?“, platzte ich heraus.
„Um ehrlich zu sein… ich wusste nicht, ob es nicht vielleicht nur ein Gerücht ist und die Mädchen aus Hufflepuff dich nur noch ein bisschen interessanter machen wollten. Aber jetzt…“
„Scheiße…“, grollte ich.
„Mach dir nichts draus“, Sirius schubste mich leicht mit der Schulter, „Ich verrat´s keinem“
„Danke“
„Unter einer Bedingung“
„Und die wäre?“, fragte ich patzig.
„Du hast mir geholfen diesen Knuddelmuff zu finden“
Vor Überraschung lachte ich laut auf.
„Abgemacht!“
45. Kapitel
Flugübungen
Anfang November, es war inzwischen deutlich kälter geworden, kündigten sich gleich zwei große Ereignisse an.
Zum Einen teilte uns Professor Alastríona mit, dass sie wegen dringender Angelegenheiten für die nächste Woche nach London und anschließend nach China musste. Der Unterricht wurde durch freie Lernzeit ersetzt, in der wir alle bisher gelernten Zauber noch einmal aufarbeiten sollten.
Und zum Anderen erschien ein Blatt am schwarzen Brett unseres Gemeinschaftsraums.
„Flugstunden!“, quietschte Elster mir entgegen, als ich gerade den runden Raum betrat, „Wir haben ab nächster Woche Flugunterricht!“
Ich hatte sie selten so fröhlich und ausgelassen erlebt. Sie tanzte um mich herum, fasste meine Hände und wirbelte mich schwungvoll auf den nächsten Sessel zu, in dem ich, Merlin sei Dank, weich landete.
„Elster!“, rief Emily vorwurfsvoll und half mir wieder auf die Beine.
„Fliegst du so gerne?“, fragte ich meine aufgedrehte Freundin, während ich meinen Umhang wieder zurecht rückte.
„Ich liebe es!“, jauchzte sie und hüpfte uns allen voran aus dem Fass in den Gang hinaus.
„Das kann ja heiter werden“, kicherte ich, „Wir dürfen bestimmt nicht sofort fliegen. Und dann wird sie wieder grantig“
„Dann ist sie wieder normal“, wandte Annabell ein, „Könnt ihr denn schon fliegen?“
„Ein bisschen“, antwortete Sue und ich synchron und lachten dann über die Andere.
„Ich leider garnicht“, antwortete Felix betrübt, „Also… ich hab's versucht, aber ich glaube, ich bleibe lieber auf der Erde“
„Ach, komm schon!“, rief Emily fröhlich, „Das wird schon!“
„Mh…“, war Felix einzige Antwort.
„Hat denn einer von euch einen Besen?“, fragte ich, da ich mich gerade daran erinnerte, wie James mit seinem neuen Besen aus Qualitäten für Quidditch heraus stolziert war.
„Ich glaube, wir bekommen Besen von der Schule“, antwortete Sue, „Mein Vater meinte, die sind zwar nicht mehr ganz neu, aber ich glaube ich wollte mich als Anfänger auch nicht auf einen Rennbesen setzen“
„Wetten wir, Elster hat genau so einen Besen?“, fragte Annabell und stimmte dann in unser Lachen ein.
„Hast du einen?“, wandte sich Emily an mich.
„Zuhause hab ich manchmal einen Besen leihen dürfen, aber ich hab keinen eigenen“, gab ich zu.
„Würde mich nicht wundern, wenn du von uns allen die beste Fliegerin bist“, mutmaßte Felix.
„Wie kommst du darauf?“, fragte ich, fast entsetzt.
„Du hast so deine Art, dich zu bewegen“, antwortete Annabell an seiner Stelle, „Achtest immer genau darauf, wo du hintrittst. Ich hab dich noch kein einziges Mal eine falsche Trittstufe nehmen sehen oder stolpern oder jemanden auf den Fuß treten“
Darauf fiel mir leider auch nichts ein.
„Gib es doch zu“, legte mir Emily einen Arm um die Schultern, „Du kannst doch ganz bestimmt klasse fliegen“
„Ich bin nicht schlecht…“, lenkte ich ein.
„Wusst´ ich's doch!“, jubilierte Sue, „Du musst unbedingt bei den Auswahlspielen für die Quidditch-Mannschaft von Hufflepuff antreten!“
„Ihr habt mich doch noch gar nicht fliegen sehen!“, begehrte ich auf, „Elster ist bestimmt tausend Mal besser als ich!“
„Ja, als Treiber bestimmt“, kicherte Felix und erntete dafür eine Kopfnuss, denn Elster hatte hinter der nächsten Ecke auf uns gewartet.

Ab da waren Besen und Quidditch das Einzige, worüber wir Erstklässler sprachen. Viele hatten Lieblings-Teams oder Besen, die sie gern gehabt hätten.
Natürlich hatte nicht nur James seinen Traum-Besen, sondern auch Sirius und die beiden kabbelten sich die ganze Woche darum, wessen Besen wohl besser war.
Und dann kam der Montag. Am nächsten Tag fanden die ersten Flugstunden statt und die Spannung hatte ihren Höhepunkt erreicht.
„Ich fall bestimmt vom Besen!“, jammerte Sue, die, ihren Zeichenblock fest an die Brust gepresst, neben mir durch das Portal nach draußen schritt.
„Aber warum denn“, versuchte ich sie zu beruhigen, „Im Himmel gibt es keine Stolpersteine oder falsche Trittstufen, du wirst dich da oben bestimmt wie Zuhause fühlen“
„Dafür gibt es tückische Winde und Böen!“, jammerte Sue, „Ich hab alles darüber gelesen! Ich werd ganz bestimmt runter fallen“
Ich öffnete gerade den Mund, um ihr erneut zu widersprechen, da hörte ich lautes Lachen vom Portal.
Es war einer der letzten, sonnigen Tage, das lag einfach in der Luft. Die Blätter der Bäume hatten die Farben von Flammen angenommen und es zog viele Schüler nach draußen in die schwindende Wärme. Doch dieses Lachen kannte ich. Diese Verflechtung aus diebischer Freude und nahendem Unheil.
„Komm schon, Pete!“, rief James.
In der einen Hand hielt er seinen Rennbesen, mit der Anderen hielt er Peters Hand fest umklammert.
„Ich weiß nich…“, quiekte der junge Gryffindor verängstigt, als er stolpernd neben James zum Stehen kam, „Ich hab doch keine Ahnung vom Fliegen!“
„Deshalb bringen wir es dir ja bei“
Auch Sirius war da, er hatte seinen Besen in geübter Pose auf die linke Schulter gebettet.
„Das ist ein Kinderspiel, mach dir nich ins Hemd“
„Was machen die da?“, fragte Sue verunsichert und umklammerte ihren Zeichenblock noch fester.
„Ich habe eine dumpfe Ahnung und sie gefällt mir nicht“, gab ich zu.
Wo war bloß Remus?
„Mach dir keine Sorgen, Peter“
Da war er. Völlig entspannt folgte er seinen Freunden als Letzter durch das Portal.
„Du schaffst das schon. Einfach abstoßen, ein bisschen schweben und wieder runter mit dir. Du kannst nicht vor allem Angst haben“
„Die sind doch verrückt geworden!“, zischte ich leise, war aber so schockiert, dass ich mich nicht rühren konnte.
Die hatten doch nicht wirklich vor den schüchternen Peter auf einen ihrer Rennbesen zu setzen?
„Los jetzt!“, James nahm Peter seine Tasche ab und drückte ihm dafür seinen Besen in die Hand, „Bein drüber, Füße nebeneinander und abstoßen“
„O-okay…“, murmelte Peter, hob ein Bein und kippte beinahe zur Seite um, bei dem Versuch den Besen zu erklimmen.
„Was macht ihr denn da?“
Das war Lily. Zusammen mit Marlene hatte sie gerade das Portal durchschritten. Bei James Anblick und dem Bild von Peter, der mit schwitzigen Händen schief auf dessen Rennbesen saß, schoss ihr sofort das Feuer in die Wangen.
„Peter!“, rief sie und der kleine Junge zuckte so heftig zusammen, als hätte sie ihn geschlagen, „Komm da runter!“
„Lass ihm doch seinen Spaß, Evans“, grinste Sirius, „So schwer is das nicht“
„Vielleicht nicht für dich, Black!“, fauchte Lily, „Aber du kannst ja auch schon fliegen!“, und wandte sich dann an den völlig entspannten Remus, „Habt ihr denn den Verstand verloren? Remus! Das ist nicht dein Ernst!“
„Er sagt, er traut sich morgen im Unterricht nicht“, erwiderte der gelassen, „Dann sollte er es doch lieber probieren, solange keiner zusieht und er Noten dafür kriegt“
„Solange kein Sicherheitsnetz da ist, meinst du!“, rief Lily empört, „Er wird ich alle Knochen brechen!“
„Komm schon, Peter. Zeig Lily, dass du sehr wohl fliegen kannst“, hielt James dagegen.
„Also, ich weiß nich-…“, stammelte Peter, doch es war bereits zu spät.
James hatte ihm einen ordentlichen Klaps auf den Hintern gegeben und erschrocken machte Peter einen kleinen Hüpfer. Sofort beschleunigte der Besen.
„Wow…“, staunte James und hielt sich die Hand gegen die Sonne an die Stirn, „Das war Mal ein Start…“
„Ihr Vollidioten!“
Ohne weiter darüber nachzudenken ließ ich meine Sachen einfach fallen und rannte auf die gaffenden Jungs zu.
„Was regst du dich denn jetzt auch noch auf?“, beschwerte sich James, „Schau doch! Funktioniert wunderbar! Er is immer noch oben“
„Zwischen deinen Ohren dampft auch nur heiße Luft, James Potter!“, rief ich und stieß Remus bei Seite, der versuchte sich mir beschwichtigend in den Weg zu stellen, „Mann fliegt nicht mit dem Kopf nach unten!“
Mit einem Ruck entriss ich Sirius seinen Besen, schwang ein Bein über den glänzend polierten Stil und schoss in die Höhe.

Es war mein Glück, dass James Rennbesen mit einem ungeübten Flieger darauf nicht halb so schnell flog, wie er es eigentlich konnte. Sirius Modell war zwar um einiges schneller als der alte Besen von Kristóf, aber ich merkte bald, dass er seine Grenzen erreicht hatte und so dauerte es einen Moment, bis ich Peter eingeholt hatte. Ich hatte nicht einmal Zeit meinen ersten Flug nach Monaten zu genießen. Wenn Peter in dieser Höhe los ließ, noch dazu bei dieser Geschwindigkeit, dann konnte auch ich ihn nicht mehr auffangen.
Der Arme hing wie ein kleines Äffchen kopfüber von seinem Besen. Arme und Beine panisch um den elegant geformten Stil geknotet schrie er aus voller Lunge.
„Ich hab dich!“, rief ich, als ich endlich auf seiner Höhe angelangt war, löste eine Hand von Sirius Besen und griff nach Peters bockendem Fluggerät.
Sofort wurde der Besen langsamer und Peter schrie noch lauter, als der Besen ruckte.
„Is schon gut!“, rief ich gegen den Wind, während Peters Schreie in meinen Ohren dröhnten, „Alles ist gut, Peter! Ich hab dich!“
„Wir sind über dem Wald!“, brabbelte der verängstigte Junge und Tränen rannen in seine Haare, während er sich verzweifelt fest klammerte, „Über dem verbotenen-… Wald!“
Ein Schauer überlief mich.
Wie schnell war ein Rennbesen? Schnell genug, dass er uns so weit vom Schloss entfernen konnte, in nur wenigen Minuten?
Als ich vorsichtig den Kopf wandte, sah ich meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Hogwarts war nur noch eine ferne Silhouette, kaum größer als ein Spielzeughaus, und unter uns erstreckte sich das rauschende Meer dunkler Bäume.
Das würde Ärger geben.
„Wir sind nur über dem Wald, Peter“, versuchte ich ihn zu beruhigen, auch wenn es ein schwacher Versuch war, „Hier oben kann uns nichts passieren“
Eine eiskalte Lüge. Hagrid hatte mir zwar erklärt, dass die Thestrale von Hogwarts darauf abgerichtet waren keine Eule anzugreifen, aber ich war mir nicht sicher, wie es um Menschen stand. Und was hatte Hagrid noch einmal gesagt? Professor Dumbledore gewährt allen möglichen Wesen Unterschlupf? Nun, er hatte zumindest mir Obdach und Schutz gewährt, einem Drachen in Menschengestalt. Warum also nicht auch einem echten Drachen? 
Peter brabbelte etwas Unverständliches.
Langsam zog ich den Stil seines Besens ein wenig in die Höhe und brachte ihn damit zum Stehen.
„Meinst du, du könntest dich nach oben ziehen?“, fragte ich vorsichtig und atmete tief durch die Nase ein, „Dann könnten wir zurück fliegen. Du machst das sehr gut!“, fügte ich hinzu, doch Peter hatte beide Augen fest zu gepresst und die Knöchel seiner Finger waren weißer als meine Haare.
„Nicht?“
Ich erhielt keine verständliche Antwort.
„Warte, ich helf´ dir“, bot ich an und wollte gerade den Besenstiel loslassen, um mich ein bisschen nach unten sinken zu lassen und Peter wieder in eine aufrechte Position zu ziehen, da wimmerte der Junge auf.
„Nich loslassen!“
„Peter! So kann ich dir nicht helfen! Willst du bei mir auf den Besen?“
Wieder nur Gebrabbel.
Ich seufzte tief.
„Okay, hör mir zu. Ich fliege ganz langsam mit dir zurück, ja? Du darfst nur nicht loslassen“
Wieder ein Wimmern.
„Ich flieg auch ganz tief. Sollte was passieren landest du sofort in den Bäumen, wenn du dich dann irgendwie festhältst, dann fällst du nicht tief und ich hol dich da ab, ja?“
Dieses Mal klang das Wimmern mehr nach einer Zustimmung, zumindest bildete ich mir das ein.
„Na, dann…“, murmelte ich und drehte die Besen.

Ich musste wirklich sehr langsam fliegen. Sobald ich auch nur ein kleines bisschen schneller wurde als Spazierflug-Geschwindigkeit, fing Peter an zu weinen.
Er tat mir furchtbar leid.
Die Strecke, die wir zuvor in höchstens ein paar verschwommenen Minuten zurück gelegt hatten, schien nun endlos zu sein. Es gab selbst für meine scharfen Augen keinen Anhaltspunkt in der wogenden Masse des Waldes und so hielt ich einfach immer auf Hogwarts zu, doch das Schloss wollte kaum größer werden.
Gerade überlegte ich, ob ich vielleicht meine Brille absetzen und mit meinen Drachenaugen die Umgebung nach einer kleinen Lichtung oder etwas Ähnlichem absuchen sollte, damit wir landen und ich Peter richtig auf den Besen setzen konnte, da erkannte ich in der Ferne drei kleine Punkte am Himmel.
„Spar dir den Atem!“, rief mir James entgegen, als er schlingernd in der Luft vor mir zum Stehen kam, sein Besen war kaum mehr als ein alter Ast mit ein paar Reisigzweigen am einen Ende „Lily hat sich schon ausgetobt“
„Du bist so ein-…“, setzte ich an, doch Sirius unterbrach mich.
„Rose, ich verspreche dir, du darfst so viel mit uns schimpfen, wie du willst, wenn wir wieder auf dem Boden sind“
„Und plötzlich hast du dein Gehirn wieder, du Schwachkopf?“, brüllte ich, „Das war das Dämlichste was ich je gesehen habe!“
„Bei mir war es das Dämlichste, das ich seit gestern gesehen habe“, antwortete Remus, der nun auch endlich bei uns angelangt war und sofort unter Peter Position bezog, „Hey, Großer“
„Und du!“, schrie ich zu ihm hinab, „Ich hätte wirklich gedacht, dass-…“
„Roselynn!“, schrie er zurück, „Peter kann sich demnächst nicht mehr festhalten!“
„Ich weiß, du elender Flubberwurm!“, jammerte ich, „Aber er kriegt die Motten, wenn ich schneller fliege!“
„Wie gut, dass du uns hast“, grinste James und erntete dafür einen tödlichen Blick.
„Ihr seid meine persönlichen Poltergeister, das seid ihr!“
Mit betretener Miene reichte James Sirius ein Ende von einem dicken Knäul, dass er unter dem Arm gehalten hatte.
„Du steuerst und wir halten das Netz, ja?“, bat er und reichte ein zweites Ende an Remus.
„Wo habt ihr den Kram her?“, fragte ich, immer noch wütend.
„Aus der Besenkammer“, erklärte Remus betreten, „Als wir los sind haben Sue und Marlene gerade versucht einen Lehrer zu finden. Also sind wir in die Besenkammer eingebrochen“
„Woher wisst ihr überhaupt, wo das verdammte Ding ist?“, schnappte ich.
„Du würdest dich wundern, was wir mittlerweile alles über Hogwarts wissen“, grinste Sirius betreten.
Eine Windböe unterbrach meine aufwallende Schimpftirade und dieses Mal war der Aufschrei zweistimmig.
„Sag bloß“, wandte ich mich verzweifelt an den kreidebleichen Remus, „dass du nicht fliegen kannst!“
„Das ist mein zweites Mal auf einem Besen“, gab der junge Gryffindor zu.
„Dafür machst du dich echt gut!“, versuchte James seinen Kammeraden aufzumuntern.
„Klappe, Potter!“, fauchte ich, „Remus, gib mir das Netz und du lenkst Peter. Wenn einer von euch fällt, können wir euch auffangen“
Und so bildete ich das Schlusslicht unserer kleinen Karawane. James, Sirius und ich banden das Netz an unseren Besen fest und Remus hielt sich tapfer an seinem und Peters Besen fest. Wirklich schnell waren wir nicht, aber ich fühlte mich jetzt wenigstens ein bisschen besser und auch Peter wimmerte etwas leiser.
Gerade glaubte ich drei weitere Punkte im größer werdenden Schatten von Hogwarts ausmachen zu können, die über den Wald hinweg auf uns zu flogen, da hörte ich das Rascheln unter uns.
„Jungs…“, setzte ich an und blickte hektisch von einem dunklen Baumwipfel zum Anderen, „Ich glaube, wir sollten Mal ein bisschen höher fliegen…“
„Ich weiß nicht, ob Peter das schafft“ setzte Remus an, „Er-…“
Dann sprang einer der Bäume zu uns empor. 
Haarige, armdicke Beine schlugen von links gegen meine Seite, alle schrieen und ich verlor das Gleichgewicht. Mein Besen, immer noch an das Netz geknotet, rutschte mir zwischen den Beinen hindurch und schon hatte die riesige Spinne mich zwischen ihre Beißzangen geschoben. Acht glitzernde Augen funkelten für einen Moment im hellen Tageslicht, dann kippte sie vornüber und ließ sich zwischen die Blätter und Nadeln der Bäume ins Dunkel des Waldes zurück fallen.
46. Kapitel
Intermezzo zur Bedeutung von Hogwarts
Professor Minerva McGonagall ließ sich nicht zu einem Fluch hinreißen, nachdem sie das Gestammel der Jungen endlich entschlüsselt hatte. Doch sie war verdammt nah dran.
„Pomona“, sprach sie ihre Kollegin an, auf deren Besen ein ziemlich erschöpfter Schüler zitterte, „Bitte bring Mister Pettigrew und seine Freunde zurück zum Schloss und übergib sie dort der Aufsicht einer anderen Lehrkraft. Und dann geh bitte zu Hagrid und erklär ihm die Lage“
„Alles?“, fragte Professor Sprout ein wenig erstaunt.
„Ja“, bestätigte Professor McGonagall kühl, „Alles. Ich befürchte, wir werden Miss May nicht so ohne weiteres finden und Hagrid kennt sich am besten im Wald aus. Was das Ministerium an dieser Stelle zu sagen hat interessiert mich nicht. Es geht hier immerhin um die Sicherheit einer unserer Schülerinnen“
„Ich muss gestehen“, entgegnete Professor Sprout mit grimmigem Gesicht, „Ich freue mich auf den Moment, an dem sie es versuchen“
„Professor!“, meldete sich da einer der Schüler zu Wort, „Was war das für ein Ding?“
„Das, Mister Lupin, war, so wie sie es mir beschrieben haben, eine Acromantula. Noch genauer, eine riesige, fleischfressende Giftspinne, die auch gern Menschen erbeutet“
Sie sah sofort, wie der Junge noch um einige Nuancen blasser wurde. Und tatsächlich tat es ihr gerade nicht einmal leid.
„Vielleicht sehen sie alle jetzt ein, was ihre geliebten Streiche anrichten können. Da Strafarbeiten ja anscheinend keinerlei Wirkung auf sie zeigen. Wir können an dieser Stelle nur auf die Fähigkeiten von Miss May vertrauen und auf ihr Glück“
„Es tut uns Leid“
„Ihre zusammen fabulierten Entschuldigungen höre ich mir später an, Potter“, erwiderte Professor McGonagall scharf, „Und beten sie um ihretwillen, dass Miss May nichts zugestoßen ist“
„Kommen sie“, rief Professor Sprout die junge Schar zusammen, „Und sie, Mister Pettigrew. Ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn sie sich am Besen festhalten könnten und nicht an mir“

„Was hat das alles zu bedeuten, Minerva?“, fragte der kleine Professor Flitwick, der sich nur mit einiger Mühe auf seinem Besen hielt, während sie langsam zum Grund des Waldes hinab sanken.
Manche Menschen waren eben nicht fürs Fliegen geschaffen.
„Ihnen ist doch bestimmt schon aufgefallen, Filius, dass Miss May eine ganz besondere, junge Hexe ist, nicht wahr?“, setzte Professor McGonagall an und zog ihren Zauberstab, „Nun… dieses feurige Talent, das sie vor allem in ihrem Unterricht zeigt, wie ich hörte, liegt ihr praktisch im Blut“

Die Hälfte des Gemeinschaftsraumes sprang auf die Füße, als Sue durch das Fass in den runden Raum trat. Die Spuren der Tränen auf ihrem Gesicht verrieten allen Anwesenden genug.
„Sue…“
Emily hastete auf das weinende Mädchen zu und nahm sie in den Arm. Sue schluchzte los, kaum hatte sie das Gesicht in Emilys Umhang vergraben.
„Sie haben nur ihren Umhang gefunden“, brachte sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, „Sie suchen sie überall, aber sie können sie nicht finden! Und-… und-… an dem Umhang-… da war Blut…“
Die Sprache der Trauer, war das Einzige, was den Raum erfüllte.
Nicht nur die Erstklässler von Hufflepuff waren noch wach, auch einige aus den oberen Stufen. Roux und Maya hatten das gesamte Haus mobilisiert, wer über siebzehn war, oder zumindest Vertrauensschüler, der war immer noch mit leuchtendem Zauberstab auf dem Schlossgelände unterwegs. Sie durften zwar den Wald nicht betreten, doch sie riefen unentwegt, in der Hoffnung, dass Roselynn sie hören konnte und liefen immer wieder die Grenze des Waldes ab. Vielleicht verscheuchte der Lärm ja sogar einige der wilden Kreaturen davon?
Praktisch alle Lehrer, auch die Hauselfen und selbst die Geister, das ganze Schloss war auf der Suche.
Einige der Jüngeren hatten versucht heraus zu finden, was für Kreaturen der Wald beheimaten konnte und die Chancen ausgerechnet, wie Roselynn gegen sie bestehen würde.
„Sie setzt bestimmt den halben Wald in Brand“, schniefte Marlene, „Wartet´s nur ab. Gleich rollen hier die Löschzüge an…“
Sie und Elias waren von Felix und Elster mit in den Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs geholt worden, nachdem Marlene, beladen mit schlauen Büchern und ohne eine Möglichkeit etwas für Roselynn zu tun, in der Eingangshalle zusammen gebrochen war.
„Wenn sie die richtigen Kräuter findet könnte sie sich heilen…“, murmelte Alan, der mit hängenden Schultern in einem der weichen, gelben Sessel hockte.
Auch er hatte sich ihrer Truppe angeschlossen, nachdem er zugeben musste, dass die meisten Slytherins sich nicht von Roselynns Lage betrüben ließen.
„Dummkopf!“, rief Annabel und drosch mit ihrem liebsten Schal auf seinen Kopf ein, den sie schon den ganzen Abend bearbeitete, „Sie ist nicht verletzt! Sie packt das! Sie ist immerhin in einem Drachenreservat aufgewachsen!“
„Sie beherrscht einen guten Schildzauber“, fügte Elias kühl hinzu, „Außerdem-… ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich so einfach klein kriegen lässt“
Alle blickten hoffnungsvoll in sein blasses, ernste Gesicht. Wenn schon Elias, der sonst so schwarzdenkerisch durch die Welt marschierte, den Glauben nicht verloren hatte, dann war da doch sicher noch Hoffnung.
Ein unregelmäßiges Klopfen ließ sie alle zusammen fahren. Sue löste sich von Emily und blickte erschrocken durch den kurzen Gang, dann hörten sie alle, wie einer der Fassdeckel aufklappte und ein Rauschen, wie von einer Flutwelle, gefolgt von lautem Geschrei.
„Was macht ihr hier?“
Elster war an Emily und Sue vorbei gestapft und hatte das Fass geöffnet. Gerade sickerte der letzte Essig durch die Steinfugen davon und ließ James, Sirius, Remus und Peter völlig durchnässt und am Boden liegend zurück. Sie sahen aus wie sehr seltsames und übel riechendes Strandgut. Hinter der Ecke des Ganges lugten Lily, Frank, Gideon und Fabian hervor.
„Die Jungs meinten, sie wüssten, wo euer Gemeinschaftsraum ist“, rief Lily und tappte vorsichtig über die nassen Steine auf sie zu.
„Ihr hättet einfach klopfen sollen“, murrte Frank und half Peter und Remus auf die Beine, „Ich hab euch doch gesagt, dass da garantiert ein Schutzmechanismus eingebaut ist“
„Wäre doch viel cooler gewesen, wenn wir einfach rein spaziert wären…“, murmelte Sirius schwach.
„Klappe, Black“, schnauzte Lily, doch es hatte seinen Enthusiasmus verloren, „Dürfen wir rein kommen? Ich weiß, es ist verboten, aber-… Die Anderen sind alle schlafen gegangen oder noch draußen. Es ist kaum auszuhalten, oben im Turm sieht man dauernd ihre Zauberstäbe leuchten und man hört sie rufen-…“
„Kommt rein“, seufzte Elster, „Sollen sie uns braten wie die Hühner“
Dankbar tappten die jungen Gryffindors die schmale, erdige Treppe hinauf in den Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs. Einige Jungen erbarmten sich und ließen James, Sirius, Remus und Peter ihre Duschen benutzen und gaben ihnen trockene Kleider. Währenddessen zogen sich alle in die Sessel zurück. 
Sue saß in Franks Schoß und Gideon gab sich die größte Mühe, sie und Marlene aufzuheitern. Annabell versuchte das Gleiche mit Lily und brachte sogar Elster dazu sich dafür von ihr frisieren zu lassen. Emily diskutierte leise mit Elias und Alan über die Unterrichtsstunden der letzten Wochen und wie nützlich all das Gelernte Roselynn sein würde. Und irgendwann verschwanden Felix und Fabian noch einmal nach draußen und kehrten mit zwei Tabletts voll Kakao, Tee und Kaffee für die Älteren zurück.
„Die Küche ist praktisch leer“, berichtete Felix, „So viele Hauselfen, wie da sonst sind… sie müssen sie einfach finden“
Betretenes Schweigen folgte.
Es war mitten in der Nacht. Die Sonne war schon vor einigen Stunden untergegangen.
James und Sirius saßen wie die getretenen Hunde vorm Feuer, Peter hatte sich zu Annabell und Lily gesetzt. Einzig Remus hockte etwas Abseits neben einer Kommode an die Wand gelehnt und ließ seinen Kakao kalt werden.
47. Kapitel
Die Gefundene
Eine Gestalt stapfte durch den Wald. Ihre Füße steckten in Stiefel, groß wie Mülltonnen und sie hatte eine Armbrust entspannt auf die Schulter gelegt, die einer Belagerungswaffe gleich kam.
Trotz ihrer Größe bewegte sich die Gestalt sehr leise. Doch sie war schon zu weit entfernt, als dass sie die Rufe der Schüler am Waldrand noch hören konnte.
Ab und zu blitzten Augen in der Dunkelheit, Fell und Schuppen raschelten, doch das brachte den Riesen nicht aus der Ruhe. Er wusste genau, wo er sich befand und was um ihn herum geschah. 
Ob sie die Welt auch so sah? Ihm hatte das Riesenblut große Kraft und gewisse Instinkte geschenkt. Leider, hatte er manchmal das Gefühl, hatte es ihn auch dümmer gemacht.
Er seufzte.
„Hallo, Bane“
„Was habt ihr da in unseren Wald gelassen?“
Banes Bogen knarrte unter der Spannung von Banes Muskeln. Hagrid jedoch ging einfach weiter.
„Antworte!“, brüllte Bane ihm hinterher und galoppierte mit scharfen Hufen ein paar Schritte vorwärts, „Was ist das für ein Ding?“
„Sie ist kein Ding“, brummte Hagrid mit zusammen gezogenen Augenbrauen, „Sie ist eine Schülerin“
Darauf blieb Bane einen Moment still und auch Hagrid war stehen geblieben.
Er sah, wie sich der Ausdruck von Unglaube auf Banes Gesicht zu einem seltsam gezwungenen Lachen verzerrte, während er den Bogen entspannte.
„Das ist nicht dein Ernst? Wie viele Tierwesen will euer sogenannter Schulleiter denn noch an seiner sogenannten Schule aufnehmen?“
„Ich weiß nicht was du meinst“, grollte der Riese und sein Ton wurde nun deutlich unfreundlicher, „Nur, dass Roselynn etwas besonderes ist. Das Blut eines Drachen fließt in ihren Adern, aber sie ist genauso eine Hexe“
„Dieses Ding?“, fragte Bane ungläubig, „Es wäre besser, sie von ihrem Leid zu erlösen! Sie gehört nicht dazu. Sie ist weder Mensch noch Tier. Ganz sicher werden die Drachen sie nicht akzeptieren und wollt ihr sie wirklich den Menschen aussetzen, wenn die erkennen, was sie ist?“
„Lass sie das Mal selbst entscheiden“, knurrte der Hagrid und schob sich mit einem leichten Schulterzucken die riesige Armbrust auf der Schulter zu Recht, „Und jetzt raus mit der Sprache, Bane. Wo ist sie?“
„Hat dein kleiner Freund es dir nicht verraten?“, fragte der junge Zentaur gehässig und tänzelte nervös auf der Stelle, „Wegen seiner Brut schläft keiner von uns mehr friedlich“
„Und ihr habt schon einige seiner Kinder getötet, tu nicht so unschuldig! Ich weiß, dass ihr sie jagt! Aber das ist eure Sache. Aragog lässt sich jedenfalls nicht vertreiben“
„Aber wenn es stimmt, was du sagst, dann hat einer seiner Brut eine Schüler angegriffen“, erwiderte Bane, „Kommen sie jetzt nicht, die Hexen und Zauberer aus dem Schloss, um unseren Wald nieder zu brennen?“
„Der Wald ist für Schüler verboten“, antwortete Hagrid steif, „Hier gibt es keine Regeln, die ihr Leben schützen“
„Und das kümmert dich nicht?“, fragte Bane belustigt und entspannte seinen Bogen.
„Natürlich kümmert es mich“, antwortete Hagrid geduldig, „Deswegen bin ich ja hier“
Eine Pause entstand zwischen den beiden. Hagrid schwieg, doch man konnte spüren, wie es in ihm kochte. Bane scharrte nervös mit einem Vorderhuf und schließlich gab er auf.
„Nimm sie bloß mit, Hagrid. Selbst die Spinne ist vor ihr davon gelaufen, als sie gesehen hat, was ihr da ins Netz gegangen ist“
Hagrid nickte, dann wandte der Zentaur sich um und Hagrid folgte ihm zwischen die dunklen Bäume.

Hagrid sah die leichten Spuren in der weichen Erde. Krallenabdrücke, die eilig die Erde aufgerissen hatten. Doch weiter war von der jungen Drachin nichts zu sehen.
„Sie ist nicht weiter gegangen?“, fragte er.
„Nein“, antwortete der Zentaur, der sich vor Bane in seinem Rücken aufgebaut hat, „Sie ist voller Angst und traut sich nicht zu uns herunter“
„Kein Wunder“, murmelte der Riese und legte vorsichtig seine Armbrust ins kalte Gras, „Sie hat in ihrem Leben noch nicht einmal einen Zentauren gesehen“
„Die Bowtruckles mögen sie sehr“, antwortete Firenze.
Der Zentaur stand so unbewegt, als beobachtete er die Sterne. Und nicht nur er. Einige dutzend Tierwesen hatten sich um die Lichtung herum versammelt. Viele trauten sich nicht aus dem Schatten heraus, verharrten zwischen den Bäumen, glitzernde, funkelnde Augen in der Dunkelheit. Nur einige, wenige hatten es gewagt und standen nun im hohen Gras der Lichtung. Und nie zuvor hatte Hagrid sie alle so friedlich beisammen gesehen.
Da waren natürlich die Zentauren, von denen nur Firenze die Lichtung betreten hatte. Zwei Augurey saßen, mit schimmerndem Gefieder, ihnen gegenüber in einem Baum. Nicht weit von ihnen entfernt erkannte Hagrid die acht funkelnden Augen einer Acromantula aus Aragogs Brut, still und unbewegt. Ein Schwarm Billywigs hatte sich friedlich auf einigen langen Gräsern nieder gelassen, wie riesige, blau funkelnde Tautropfen. 
Hagrid sah die grinsenden Gesichter von Klabberts in den Bäumen, die doppelten Ruten von Crups im Gras, er sah einige vereinzelt durch die Schatten hüpfende Diriclaws und Doxys, die von den Ästen herunter mit den Beinen baumelten. Gnome liefen gickelnd umher, Feen schwirrten durch die Luft, Knarle saßen neben Knieseln, eine Herde Einhörner strahlte im Licht des abnehmenden Mondes und sogar die Wampuskatze, die von den Cherokee vor einigen Jahrzehnten zur Bewachung der Waldgrenzen hergebracht worden, saß unter dem Baum und blickte starr, aber ruhig, empor.
Man hatte keine Eule zum Reservat schicken wollen, um das Ministerium nicht auf den Plan zu rufen und Dumbledore hatte ihm versichert, dass Roselynn auch in ihrer Drachengestalt all ihre menschlichen Sinne besaß. Doch das war nun nicht mehr seine einzige Sorge.
Vorsichtig schob er einen Fuß durch die hohen Gräser. Zwei der Billywigs schwirrten surrend empor, ließen sich jedoch anderswo wieder nieder. Und so näherte sich Hagrid dem Baum, bis er, an der völlig friedfertigen Wampuskatze vorbei, den Stamm erreichte.
Er kannte diesen Baum. Es war ein Bowtrucklebaum und ab und an bat ihn Professor Kesselbrand einige von ihnen für seinen Unterricht einzufangen. Einmal war sogar der Zauberstabmacher Mister Olivander persönlich in Hogwarts vorstellig geworden und Hagrid hatte ihm geholfen, einige der Zweige zu schneiden. Die Bowtruckles kannten ihn, oft kamen sie direkt herunter, um sich über sein Erscheinen zu beschweren, wenn sie ihn sahen. Doch nicht so heute Nacht.
„Ay, Roselynn“, brummte der Riese nach oben zwischen die dick bemoosten Äste, „Wird langsam Zeit, dass du wieder mit zurück kommst“
Im ersten Moment geschah gar nichts, dann jedoch sah er, wie sich in der Baumkrone etwas bewegte. Rindenstücke und kleine Äste begannen zu rascheln und Hagrid wurde schlagartig klar, dass es sich bei der Wölbung oben am Stamm nicht etwa um eine Wucherung durch einen abgebrochenen Ast oder einen Blitzschlag handelte, sondern um einen zitternden, zusammen gerollten und von Bowtruckles bedeckten Drachen handelte.

„Du hast da immer noch einen“, lachte der Riese und fischte noch einen Bowtruckle aus meinen Haaren. 
Das kleine Wesen strampelte wütend, als Hagrid es vorsichtig mit zwei riesigen Finger packte. Seine scharfen Krallen versuchten die dicke Haut zu durchdringen, doch Hagrid schien das ebenso wenig auszumachen, wie das Streicheln einer Feder. Mit freundlichem Glucksen setzte er den Bowtruckle an den Stamm seines Baumes, wo er wütend die Faust schwenkte. Meine Ohren konnten immer noch ein leises Piepsen hören, von Worten, die selbst für einen Drachen zu leise und zu hoch waren.
Mit eingezogenem Kopf grub ich mein Kinn tiefer in Hagrids Maulwurfsfell-Mantel. Er war eindeutig über mich informiert worden. Nicht nur, dass er beim Anblick des Drachen keinerlei Verwunderung gezeigt hatte, nein, er hatte dem Drachen direkt den Mantel übergelegt und sich dann höflich umgedreht.
„Ich glaube, sie wollten, dass ich bleibe“, murmelte ich leise, „Sie fanden einen Drachen als Schutz für ihren Baum wohl nicht schlecht…“
„Könnte mir auch was schlechteres vorstellen“, grollte Hagrid und ich merkte, dass er leise lachte, „Aber nu´ sollten wir mal wirklich zum Schloss zurück. Die Anderen suchen überall nach dir. Ach ja, Professor McGonagall hat übrigens deinen Zauberstab un´ deine Brille gefunden“
Langsam zogen sich die Tierwesen von der Lichtung zurück. Ich musste einen ganz schönen Aufruhr veranstaltet haben, dass sie sich alle versammelt hatten.
„Dann wissen alle Bescheid?“
„Nein“, schmunzelte Hagrid, „Nu´, Professor Flitwick und ich wissen jetz Bescheid. Professor McGonagall dachte wohl, dass es bei uns am sinnigsten is. Sie und Professor Dumbledore hatten große Hoffnungen, dass ich dich finden würd´“
Ich bemerkte den Stolz in seiner Stimme und obwohl mein Herz wie eine angeschossene Seemöwe auf den Boden geklatscht war, als ich Hagrid erkannt hatte, freute ich mich ein bisschen für ihn.
Dann schluckte ich.
„Meinst du, ich darf mich noch verabschieden?“
„Verabschieden?“, diesmal hatte ich Hagrid völlig aus dem Konzept gebracht, „Von wem denn verabschieden?“
„Ich hab mich verwandelt“, flüsterte ich nun schon fast, „Ich hab die Regeln gebrochen. Ich darf mich nicht verwandeln“
Da donnerte ein Lachen wie eine Lawine über die Lichtung, erst leise, dann immer lauter.
Erschrocken hob ich den Kopf und sah, dass Hagrid den Kopf zurück geworfen hatte und aus voller Kehle lachte. Es dauerte einige Minuten, bis er sich die Tränen aus den Augen wischen konnte und seine andere Hand nach mir ausstreckte. Doch anstatt mich zu greifen oder mir auf die Schulter zu klopfen, griff er in eine der vielen Taschen seines Mantels und zog einen leuchtend, rosafarbenen Regenschirm hervor.
„Un´ ich darf nich zaubern“, grollte er immer noch, während ein paar Funken aus der Spitze des Schirms schossen, „Wir verraten´s einfach keinem, mh?“
„Das heißt… ich darf bleiben?“, quetschte ich hervor.
„Dass es dir gut geht bedeutet, dass Dumbledore für diesen Potter und seine Freunde nochmal ein Auge zu drückt“, brummte Hagrid und dieses Mal klang er nicht mehr so fröhlich, „Die können froh sein, dass du nich so wehrlos bist, wie alle denken“
„Aber-…“, setzte ich an, doch in meinem Kopf wurde mir schwindelig, „Das war doch nur-… nur ein dummer Jungen Streich!“
„Jep, aber hätte es wen anders getroffen als dich, wäre dieser jemand jetz vermutlich tot“, erwiderte Hagrid sachlich, „Wir Halbwesen dagegen sind nich so leicht umzubringen“
Ein Moment der Stille folgte, in der Hagrid peinlich berührt die Armbrust auf seiner Schulter zu Recht rückte.
„Dachte, das wüsstest du“, brummte der Riese, „Professor Dumbledore meinte-…“
„Ich wusste es!“, beeilte ich mich zu sagen, „Also, dass du anders bist. Ich hab-… also am Geruch. Ich kenne ihn nur nicht“
„Hätt´ mich auch gewundert“, war Hagrids Antwort und ich merkte, wie er sich wieder entspannte, „Ich´m-… bin ´n Halbriese“
Ein Riese also. Ja, das passte.
Genau wie bei mir zeigten sich auch bei Hagrid einige Merkmale seiner anderen Persönlichkeit. Die Größe natürlich, wahrscheinlich war er auch resistenter gegen Magie und er war furchtloser, das ganz sicher. Wahrscheinlich konnte er von Glück sprechen, dass in seinem Temperament ganz Mensch zu sein schien, denn Riesen, das wusste ich, wurden schnell wütend.
Während ich noch darüber nachdachte, spürte ich Hagrids Blick schwer auf mir ruhen und mir wurde klar, dass er auf eine Antwort wartete.
„Also-… so richtig halb bin ich nicht“, schniefte ich, „Meine Eltern waren beide Drachen, aber irgendwie bin ich dann dabei heraus gekommen. Meine Brüder sind alle normal, aber-…“
Ich verstummt.
„Halb oder ganz… is´nich leicht, wenn man anders is“, entgegnete Hagrid mit einem weisen Nicken, „Weisste was? Du kommst ab jetz einfach immer Mal wieder bei mir vorbei, dann können wir uns drüber unterhalten, wie anders sein so is. Muss auch gestehen, dass ich ´nen bisschen neugierig bin“, hörte ich ihn schmunzeln, „Also, Drachen… die sin´ schon toll“
Und dabei trat ein so verträumter und schwärmerischer Ausdruck in seine Augen, dass ich lachen musste.

„Aus´m Weg!“
Mit mir in den Armen stürzte Hagrid aus dem Wald. Kurz bevor wir die Baumgrenze erreicht hatten, waren wir uns einig geworden, dass es so besser war. Außer seinem Mantel trug ich nichts am Leib und warum sollte ich mich einfach mitten im Wald ausgezogen haben? Noch dazu trug ich keine Brille und es wäre wirklich augenfällig gewesen, hätte ich das ganze Abendteuer völlig unbeschadet überlebt.
Deshalb hatte Hagrid seinen Mantel wie eine riesige Decke um mich geschlungen und bis auf ein paar weiße Haarsträhnen, war nun nichts mehr von mir zu sehen.
Ich gab mir trotzdem Mühe, so ruhig und flach wie möglich zu atmen und mich ja nicht zu bewegen.
Stimme wurden laut, ich hörte Menschen rufen.
„Hagrid hat sie!“
„Hagrid hat sie gefunden!“
„Aus´m Weg!“, brüllte Hagrid erneut und er klang dabei so ernst und fast schon bedrohlich, dass ich fast selbst zusammen zuckte, „Sie muss in den Krankenflügel“
„Hagrid!“, diese Stimme kannte ich, doch ich hatte sie noch nie zuvor in solcher Panik gehört, „Lebt sie? Was ist passiert?“
„Sie lebt und jetz´ weg da, Jaques. Deine Bemühungen in Ehr´n, aber sie brauch jetz Ruhe“, endete der Riese etwas sanfter“
„Hagrid!“, auch diese Stimme kannte ich und ich roch auch den vertrauten Duft und die Ingwerplätzchen, außerdem Erde und Kräuter, was mich darauf schließen ließ, dass auch Professor Sprout anwesend war, „Wo hast du sie gefunden?“
„Hatten Glück“, grollte der, „Die Acromantula hat ´se eingesponnen. Hab ´se vertrieben und sie aus´m Netz geschnitten, aber sie brauch bestimmt ´nen Gegengift“
„Poppy wird wissen, was zu tun ist“, ich konnte Professor McGonagall fast nicken sehen, „Alle Schüler zurück in ihre Häuser! Danke für ihre Hilfe, teilen sie den anderen bitte mit, dass Miss May gefunden wurde!“
48. Kapitel
Die Einladung
„Eine Wunde vom Stich der Acromantula in der Schulter und Bisspuren im linken Arm, außerdem leichte Verätzungen an der Hüfte und mehr geprellte Knochen, als ich aufzählen möchte“, informierte Madame Pomfrey Professor McGonagall am nächsten Morgen über meinen Zustand, „Ein Gegengift war allerdings nicht von Nöten, Miss May hat sich praktisch selbst geheilt“
Was nicht ganz stimmte. Das Skelewachs hatte scheußlich geschmeckt.
„Es geht mir schon viel besser“, gab ich also wahrheitsgemäß zu Protokoll und wurde mit zwei durchdringenden Blicken belohnt.
„Sie werden trotzdem noch ein paar Tage hier bleiben, nur zur Sicherheit“, widersprach Professor McGonagall.
„Aber es geht mir gut!“, jammerte ich.
„Es geht hier nicht nur um ihre eigene Sicherheit!“, ergänzte Professor McGonagall streng, „Es geht auch darum die anderen Schüler und ihre Freunde darüber hinweg zu täuschen, dass ihre Regenerationskraft im wahrsten Sinne des Wortes magisch ist“
Nach diesem geballten Wortschwall zupfte sich Professor McGonagall ein bisschen peinlich berührt den Ärmel ihres Umhangs glatt und spitze dann die Lippen.
„Das Ministerium und das Reservat sind gleichermaßen nicht über diesen Vorfall unterrichtet worden“, wandte sie sich erneut an mich, „Und die Tatsache, dass sie einigermaßen heil aus dem ganzen Schlamassel heraus gekommen sind, hat Professor Dumbledore dazu veranlasst, keinen Marschbefehl an ihre Freunde aus meinem Haus auszusprechen. Und ausnahmsweise weiß ich nicht, wie ich dazu stehe“, sie rümpfte mit angesäuerter Miene die Nase, „Doch ein solches Verfahren würde ganz sicher die Aufmerksamkeit des Ministeriums auf sich ziehen und da wir dies um jeden Preis verhindern wollen…“
Sie ließ den Satz unbeendet.
„Danke, Professor“
„Nicht sie sollten sich bedanken, Miss May“, quiekte der kleine Professor Flitwick, der gerade mit Professor Sprout den Krankenflügel betrat, „Es ist wohl eher an Potter, Black und Lupin sich bei ihnen zu bedanken. Dank ihrem beherzten Eingreifen ist der jungen Mister Pettigrew mit nicht mehr als einem Schrecken davon gekommen“
„Sie wollten ihm doch nur helfen“, versuchte ich verzweifelt dagegen zu halten, „Ja, es war dumm, aber Peter hat solche Angst vorm Fliegen… sie wollten nicht, dass er eine schlechte Note bekommt!“
„Über ihre Beweggründe können die drei sich bei ihren Strafarbeiten Gedanken machen“, blockte Professor Sprout meinen Versuch, für die drei Gryffindors Partei zu ergreifen, ab, „Professor Dumbledore jedoch hat den Regeln für Erstklässler nun das Verbot eines eigenen Besens hinzu gefügt, in der Hoffnung, dass sich so etwas in zukünftigen Generationen nicht wiederholt“, und mit diesen Worten stützte sich Professor Sprout mit eindringendem Blick auf das Gitter am Fußende meines Bettes, „Haben sie einen eigenen Besen, Miss May?“
„Nein, Professor!“, entgegnete ich sofort erschrocken.
Brachten mich meine Flugkünste jetzt etwa doch in Schwierigkeiten?
„Dann sollten wir ihnen schleunigst einen besorgen“, war alles, was Professor Sprout antwortete, bevor sie sich wieder aufrichtete und in die Hände klatschte, „Ich werde ihn außerhalb des Trainings gern für sie verwahren, doch es wird dringend einmal Zeit, dass wir den anderen Häusern zeigen, das auch das Haus Hufflepuff mit dem nötigen Mumm und Können ausgestattet ist, um den Pokal zu holen!“
Ich sah ein leises Lächeln über die Gesichter der Professoren Flitwick und McGonagall huschen, als sie das Feuer in Professor Sprouts Augen auflodern sahen bei diesen Worten.
Ich jedoch verstand nur Bahnhof.
„Was-… was meinen sie, Professor?“
„Für welche Position sie sich am besten eignen, das werden wir noch heraus finden. Das Auswahl-Spiel ist in vier Wochen, bis dahin findet sich sicher ein Besen für sie“
„Aber Professor!“, rief ich aus, denn ich verstand immer noch nicht, worauf sie hinaus wollte, „Was für ein Auswahl-Spiel denn?“
„Das Auswahl-Spiel für die Quidditch-Mannschaft von Hufflepuff natürlich!“, erwiderte Professor Sprout mit eiserner Miene, „Eine so gute Fliegerin werde ich mir ganz sicher nicht entgehen lassen“
„Findest du nicht, Pomona, dass Miss May für einen solchen Sport noch etwas jung ist?“, fragte Madame Pomfrey, die mit unglücklicher Miene das aufkeimende Leuchten in meinen Augen bemerkte, „Es gab dabei in den letzten Jahren schon einige Verletzte“
„Ich glaube“, wiegelte Professor Sprout sie ab und lächelte dann, „unsere junge Miss May hier hält das schon aus“

„Ihr habt was?“, platzte ich heraus, als ich in die grinsenden und verbeulten Gesichter von Sirius und James blickte.
„Sie meinte, sie kann uns nicht rein lassen“, erklärte Sirius, dem Blut aus der Nase auf seinen Umhang tropfte.
Selbst seine Lippe war aufgeplatzt.
„Es sei denn“, ergänzte James, dessen linkes Auge langsam zu schwoll, „Wir sind verletzt“
„Auf diesen Augenblick habe ich schon seit Wochen gewartet“, näselte Sirius selig und schlug seinem Freund schwungvoll auf die Schulter.
„James Eine zu verpassen?“, schnappte ich, „Ja, dazu hätte ich auch nicht übel Lust!“
„Aber nicht doch“, widersprach James an Sirius Stelle und wandte sich dann wieder an den dunkelhaarigen Schönling, „Es war mir eine große Ehre, Mister Black“
„Ganz meinerseits“, schüttelte der ihm in gequetschtem Ton die Hand.
„Und Remus und Peter?“, fragte ich mit leichtem Entsetzen nach, „Denen habt ihr doch hoffentlich nicht auch eine verpasst“
„Peter schlagen?“, fragte James mich und trotz seines zu geschwollenen Auges konnte ich den gespielten Horror in seinem Blick erkennen, „Das wäre ja, als würde man einen Welpen treten!“
„Und keiner von uns hat sich getraut, Remus eine rein zu hauen“, kicherte Sirius, wobei er sich eilig an die Nase fasste, nachdem noch mehr Blut daraus hervor spritzte.
Sprachlos atmete ich einige Male ein und aus.
Ich hatte die Stimmen der Jungen vor dem Krankenflügel gehört und auch die Stimme Madame Pomfreys, die ihnen den Eintritt verweigert hatte. Es war noch vor dem Frühstück und ich hatte mich gerade wieder in die Kissen zurück sinken lassen und vom Quidditch träumen wollen, da hörte ich, wie James Sirius gegenüber einen Misstrauen erweckend einsichtigen Ton anschlug.
„Würdest du, Sirius?“, hatte er seinen Freund gefragt.
„Aber nur allzu gern“, hatte der erwidert.
Dann folgte ein Geräusch, als hätte jemand ein rohes Steak an die nächste Wand geklatscht und ein Aufschrei von Madame Pomfrey.
James hatte einen leisen Fluch ausgestoßen und dann, mit einem „Auf einem Bein kann man nicht steh´n“, war darauf ein zweites, klatschendes Geräusch gefolgt, in dem meine feinen Ohren ein unangenehmes Knirschen wahrnahmen.
Kurze Zeit später hatte Madame Pomfrey die beiden mit saurer Miene in den Krankenflügel geführt.
„Jetz sag, schon, wie geht´s dir?“, fragte James, doch ich erkannte, dass die Ungezwungenheit in seiner Stimme mehr als nur brüchig war.
„Klasse“, entgegnete ich mit rollenden Augen, „Es macht total viel Spaß von einer Riesenspinne gebissen und dann in ein Nest mit noch mehr Riesenspinnen geschleppt zu werden“
„Wie viele waren's denn?“, fragte Sirius unsicher.
„Mehr, als du dir vorstellen magst“, antwortete ich und sah zufrieden, wie Sirius schwer schluckte.
Ein Moment der Stille folgte, in der beide Jungen bedrückt auf ihre Hände starrten.
Es war James, der als Erster wieder den Blick hob.
„Es tut uns leid, Roselynn. Uns allen“
„Ja, selbst Peter tut es leid“, ergänzte Sirius eilig, „Und das, obwohl er ja gar nichts dafür kann“
„Remus hat die ganze Nacht nicht geschlafen“, ergänzte James in bitterem Ton, „Er hat noch nicht Mal was von der Schokolade haben wollen, die wir extra für ihn aufgehoben haben“
Wieder folgte Stille, dann seufzte ich und brachte ein kleines Lächeln zu Stande.
„Ich hab dich übrigens besiegt, James“, entlockte ich dem jungen Gryffindor einen verwirrten Blick, „Du hast doch immer angegeben, wenn sie dich bei den Flugstunden sehen, dann nehmen sie dich sofort in die Hausmannschaft auf“
Einen Moment lang starrten die beiden Jungen mich einfach nur an, dann fiel bei Sirius der Groschen.
„Nicht dein Ernst!“, platzte er voller Begeisterung heraus und musste sich gleich wieder die Nase fest halten.
„Willst du mir nen Drachen aufbinden?“, fragte James, das eine Auge so groß und rund wie eine Murmel.
Ich kicherte.
„Vielleicht?“

Über den Morgen verteilt kamen noch mehr meiner Freunde und auch einige andere Mitschüler, um mich zu besuchen. Madame Pomfrey war nicht glücklich darüber, doch die Aktion von James und Sirius hatte sie noch nicht verdaut, deshalb ließ sie sie ein.
Kurz nachdem sie also James und Sirius zusammen geflickt hatte, stürmte Sue in den Krankenflügel, gefolgt von gefühlt dem halben Haus Hufflepuff.
Sie alle sahen müde aus und nachdem Sue sich wieder von mir gelöst hatte, gab Elster ihr den Becher mit Kaffe zurück, an dem sie mit angeekeltem Gesicht immer wieder nippte. Überhaupt hatten sie alle ihr Frühstück zu mir nach oben verlagert. Gideon und Fabian, die kurz nach den Hufflepuffs eintrafen, waren sogar so weit gegangen und hatten zwei Platten mit Würstchen, Toast, Eiern und karamellisierten Tomaten mitgebracht, die fröhlich in der Runde herum gereicht wurden.
Und in kleinen Grüppchen trafen schließlich auch Roux, Lily, Marlene, Elias, Remus, Peter und als Letzter Alan und seine Freunde Sophie und Tad ein.
Fast alle hatten mir etwas vom Frühstück mitgebracht, mehr, als ich jemals hätte essen können und so aßen und lachten wir, bis Sirius Nase wieder gerade und James Auge wieder abgeschwollen war und die Schulglocke zum ersten Mal geläutet hatte.
So wie er der Letzte war, der gekommen war, war Allen auch der Letzte der ging. Mit ein bisschen verlegener Miene legte er mir einen dunkelgrünen Umschlag zu dem restlichen Essen, Roux Büchern und der Schokolade, die Remus mir geschenkt hatte, auf den Nachttisch.
„Was ist das?“, fragte ich verwundert.
„Ähm… Professor Slughorn hat mich gebeten, dir das zu geben. Er meinte, ich zitiere: Eine so außergewöhnliche junge Hexe, die sich auch noch derartig für ihre Mitschüler einsetzt, hat das hier mehr als verdient“
„Aber war ist das?“, fragte ich und leichtes Unbehagen stieg in mir auf, als ich die Hand nach dem Umschlag ausstreckte.
Alan jedoch hielt mich mit einer leichten Berührung auf.
„Eine Einladung zu einer Party“, erklärte er und verzog dann das Gesicht, „Mein Vater hat mich davor gewarnt. Er meinte, Professor Slughorn hätte diese Partys schon früher ausgerichtet. Er lädt immer nur Schüler ein, die er für vielversprechend hält, später mal eine große Karriere zu haben. Er-… sammelt sie sozusagen. Er nennt es den Slug-Club. Wenn keine Partys stattfinden, dann wenigstens ein exklusives Dinner pro Woche…“
„Oh…“, war alles, was mir dazu einfiel.
„Du-… darfst die eine Begleitung aussuchen, mit der du hingehst und alles“, ergänzte Alan und ich sah, wie seine Wangen langsam Farbe annahmen, „Wir dürfen uns sogar bis Mitternacht außerhalb unseres Hauses aufhalten und alles und es wir Essen geben und-… und ich bin sicher es werden eine Menge unangenehmer Fragen gestellt…“
Alans Wortschwall versiegte, doch mir entging nicht, dass ihn das Letzte mindestens genauso ängstigte wie mich.
„Wer-… wer kommt denn noch?“, fragte ich, mein Hals plötzlich so trocken wie Schmirgelpapier.
„Niemand aus unserem Jahrgang“, antwortete Alan und sah darüber ebenso wenig glücklich aus wie ich, „Wir sind die Einzigen aus der Ersten. Die Anderen sind alle schon in der Dritten oder älter“
„Bei Merlin…“, seufzte ich.
„Mister Bitterblue!“, ließ ein Ausruf mich und Alan zusammen zucken.
Madame Pomfrey hatte den Kopf aus ihrem Büro gereckt und warf Alan einen wütenden Blick zu.
„Es ist ja schön, dass sie sich so um Miss May sorgen, aber wenn sie sich deshalb bemüßigt fühlen den Unterricht zu schwänzen, werde ich nicht umhin kommen ihrem Haus Punkt ab zu ziehen!“
„Ich bin schon unterwegs!“, packte Alan schnell seine Tasche, „Entschuldigung, Madame Pomfrey!“
Frank war ein netter Kerl, doch er war Sues bester Freund, sie kannte ihn viel besser. Was würde sie dazu sagen, wenn ich ihren besten Freund auf eine Veranstaltung einlud, bei der sie nicht dabei sein durfte? Felix war zu schüchtern, einen der Zwillinge zu fragen wäre dem Anderen gegenüber unfair gewesen. Und so sehr ich die Jungs aus Gryffindor aus mochte, so sehr wünschte ich mir derzeit ein wenig Abstand zu ihnen. Roux war viel älter als ich und außerdem Vertrauensschüler, es wäre komisch gewesen ihn zu fragen. Elias war der Einzige, der bei unangenehmen Fragen nicht nachgeben würde. Doch so gut kannte ich ihn noch nicht. Andererseits…
Gerade hatte Alan die große Flügeltür zum Krankenflügel erreicht, da rief ich noch einmal seinen Namen.
„Ja?“, fragte er ein bisschen außer Atmen und ich musste lächeln darüber, wie schnell sein Herz schlug.
„Gehst du mit mir zu dieser Party?“
Einen kurzen Moment hörte ich, wie Alans Herz einen erleichterten Hüpfer lang aussetzte, bevor sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.
„Gern!“
49. Kapitel
Intermezzo mit den Kranichen
Es dauerte eine geschlagene Woche, bis mich Madame Pomfrey aus dem Krankenflügel entließ. Offiziell war ich durch das Gift der Acromantula immer noch geschwächt, weshalb ich ihre Beweggründe verstand. Doch ich ärgerte mich auch darüber, so viel vom Unterricht zu verpassen. 
Zwar brachten mir meine Freunde jeden Tag ihre Aufzeichnungen vorbei und kein Einziger von ihnen vergaß es auch nur einen Tag mich zu besuchen, doch wenn sie nicht da waren, langweilte ich mich zu Tode.
Als meine Mitschüler aus Hufflepuff erfuhren, dass ich für die Hausmannschaft spielen würde und noch dazu mit Alan zu der exklusiven Party des Slug-Clubs eingeladen war, gerieten alle ganz aus dem Häuschen. Auch wenn ich ihnen erst einmal erklären musste, was der Slug Club überhaupt war. Doch ich bemerkte sehr wohl, dass nicht alle diese Freude teilten.
Roux wirkte fast ein wenig besorgt und fragte sogar, ob ich nicht zu jung für solche Partys sei. Fabian sprach sein Misstrauen gegenüber Alan aus, was ihm jedoch eine Kopfnuss von seinem Zwillingsbruder einbrachte, der meinte, man müsse mir schon Vertrauen entgegen bringen.
Und dann Remus.
Die anderen Gryffindors waren sehr schnell wieder mit mir warm geworden. Zwar achtete James und Sirius penibel darauf mich mit Samthandschuhen anzufassen, sie beklagten sie jedoch auch lautstark über ihre endlosen Strafarbeiten und kamen die ganze Woche nach jeder Verwandlungsstunde zu mir, damit ich ihnen mit ihren Hausaufgaben half. Selbst Peter hatte sich endlich ein bisschen entspannt und schaffte es sogar, ab und an mit mir zu sprechen.
Remus jedoch wirkte alles andere als glücklich. Ich bemerkte, wie der Geruch nach nassem Fell, gesplittertem Holz und Eisen um ihn herum wieder stärker wurde und, dass er mir nie richtig in die Augen sah. Ob das immer noch daran lag, dass er sich wegen meines Sturzes in den Wald schuldig fühlte, oder an etwas Anderem, das konnte ich nicht sagen.
Bis zu dem Moment, an dem er mich in dem Kleid sah.
„Es ist eine Party!“, hatte mir Sue jauchzend widersprochen, nachdem sie das riesige Paket zusammen mit Annabell und Frank am Donnerstag in den Krankenflügel geschleppt hatte, „Und Maman meinte, du wirst hinreißend darin aussehen!“
„Wie kommst du überhaupt dazu bei deiner Mutter ein Kleid für mich zu bestellen?“, maulte ich mit verschränkten Armen.
„Ich habe es nicht bestellt“, widersprach mich Sue mit leicht schnippischem Ton, „Meine Mutter und ich waren einfach beide der Meinung, dass du in keinem deiner Kleider auf eine Party gehen kannst. Und wir müssen es wissen“
„Diese Schule tut dir nicht gut“, murrte ich, „Du entwickelst viel zu viel Selbstvertrauen“
„Jetzt hör auf zu jammern“, verdrehte Sue die Augen und zog den Vorhang vor mein Bett, „Wenn man dich zur Freundin hat wird es ohnehin nie langweilig“
Ich hörte Frank noch lachen, während Annabell und Sue mir aus meinem Pyjama halfen. Und als ich das Kleid schließlich sah, musste ich ihr Recht geben.
„Maman meinte, du könntest ein wenig Farbe vertragen“, ergänzte Sue und beobachtete zufrieden meine verblüffte Miene.
„War das nicht furchtbar aufwendig?“, platzte ich heraus, „Wie hat sie das überhaupt bis heute fertig bekommen?“
„Mit Zauberei“, lachte Sue und schwang dabei selbst ein bisschen verliebt ihren Zauberstab, woraufhin Funken aus der Spitze stoben und wir eilig mein Bettlaken abklopften, um sie zu löschen, „Also mit Zauberei geht das ganz gut“
Bei dem Kleid handelte es sich um ein wunderschönes, sonnengelbes Sommerkleid. Es hatte einen hohen, runden Ausschnitt und kurze Ärmel, der schwingende Rock reichte mir bis zu den Knien und ein dünner, roter Gürtel betonte meine kaum vorhandene Taille.
„Naja, Maman macht eben häufiger Party-Kleider für erwachsene Frauen“, gab Sue zu, als es ihr ebenfalls auffiel.
Doch das, was mich an dem Kleid am meisten begeisterte, waren die Stickereien. Der gelbe Stoff war über und über mit Kranichen bestickt, die vor einigen, den Hintergrund andeutenden orangen Zweigen und Blüten, in den gelben Himmel aufstoben.
„Es ist wunderschön“, gab ich leise zu, als ich so an mir herunter blickte.
„Du siehst echt klasse aus, Roselynn“, hauchte Annabell, „Wenn wir dir dann noch die Haare in Locken hoch stecken-…“
„Nicht zu viel!“, unterbrach ich sie eilig, „Ich habe keine Lust, dass mich alle anstarren“
„Ich glaube, da hast du schon verloren“, erwiderte Annabell mit einem Kichern und musterte noch einmal mich und das Kleid.
„Sagt mal“, tönte es da fröhlich über den Vorhang, „Bin ich jetzt nur mitgekommen, um mir euer Gekicher anzuhören, oder bekomme ich das Kleid jetzt auch Mal zu sehen? Sue erzählt mir schon die ganze Woche davon!“
„Jaja“, antwortete Sue, doch was genervt hätte klingen sollen, klang eher fröhlich.
Mit Schwund zog sie den Vorhang bei Seite. Doch da stand nicht mehr nur Frank.
„Bei Merlins Unterhosen…“, gaffte Sirius, der zu beeindruckt war, um sein immer charmantes Lächeln aufrecht zu erhalten.
„Wie gut, dass mein Vater mir einen Anzug hat machen lassen“, schluckte Alan, der hinter der Gruppe junger Gryffindors stand, „Ich dachte, ich gehe einfach in meiner Schuluniform…“
„Alan Bitterblue!“, schimpfte Sue sofort los, „Wie kannst du nur auf eine solche Idee kommen? Immerhin ist das eine Party!“
Doch ich hörte gar nicht mehr richtig zu. James ließ noch ein paar anzügliche Komplimente fallen, die Peters Kopf die Farbe einer reifen Tomate annehmen ließen, Sirius lachte und Alan versuchte peinlich berührt Sue wieder zu beruhigen. Doch Remus starrte mich nur an. Dann drehte er sich um und verschwand wortlos durch die Tür.
„Remus?“
Eilig schlüpfte ich zwischen James und Sirius hindurch, doch als ich durch die Tür in den Gang rannte, war Remus schon verschwunden.
„Hätte nich gedacht, dass es ihn so trifft“
Ich zuckte zusammen, als Sirius neben mich in den Gang trat.
„Was ist los mit ihm?“, fragte ich verzweifelt, „Warum ist er so seltsam?“
„Weißt du das nicht?“, fragte Sirius mich verblüfft, während die Anderen hinter uns im Krankenflügel immer noch stritten, „Er wollte mit dir zu der Party“
„W-… Was?
Sirius verzog das Gesicht und lehnte sich mit verschränkten Armen an die steinerne Wand des Ganges.
„Das hat er uns zwar eigentlich im geheimen erzählt, aber so wie er sich anstellt wird das nie was“, grummelte er, „Remus mag dich gern. Er redet ständig von dir und ist fast gestorben, als du in den Wald abgestürzt bist. Professor McGonagall hat ihm damit drohen müssen ihn an seinen Besen zu fluchen, sonst wäre er dir sofort hinterher“
„Aber wieso will er mit?“, fragte ich schwach, doch Sirius zuckte darauf nur die Schultern.
„Wir haben gesehen, wie Professor Slughorn Alan die Einladungen gegeben hat. Er meinte, dass man gern jemanden mitbringen kann, dass es ein großer Abend und viel Spaß machen wird. Klar, James und ich würden auch gern auf so ne Party“, diesmal lächelte Sirius frech und ich konnte es mir nicht verkneifen, ihm gegen den Arm zu boxen, was ihn zum lachen brachte.
„Ich werd mit ihm reden“, seufzte ich und schlich wieder zurück Richtung Krankenflügel, wo nun auf Madame Pomfreys Stimme nach ihrer verschwundenen Patientin laut wurde.
„Mach das, sonst heult er uns wieder Nächte lang die Ohren voll“

Aber natürlich war es nicht so einfach. Als ich am nächsten Tag aus dem Krankenflügel entlassen wurde, war Remus nicht beim Frühstück.
„Wir haben doch später noch Verwandlung und Verteidigung gegen die dunklen Künste mit den Gryffindors“, ächzte Sue, die zwei Gießkannen Wasser neben mir her schleppte, während ich den Karren mit dem Drachenmist allein zog.
Ich musste mir große Mühe geben, gelegentlich zu ächzen und zu stöhnen, denn eigentlich fand ich gar nicht, dass der Karren so schwer war. Sue jedoch hatte ihn nicht einmal in Bewegung setzen können.
„Warum machst du dir Sorgen?“
„Ich weiß nicht“, gab ich zu, „Ich hab das Gefühl, dass er mir aus dem Weg gehen wird“
Und das entsprach tatsächlich der Wahrheit. Denn dieses seltsame Gefühl, dass mich schon vor einigen Wochen gequält hatte, war zurück gekehrt. Als wüsste ein kleiner Teil von mir eine Wahrheit, die grauenvoll und traurig war und die mich in ständige Unruhe versetzte.
„Dann sprich bitte so bald wie möglich mit ihm“, stöhnte Sue und stellte japsend die Gießkannen ab, um die Tür zum Gewächshaus zwei zu öffnen und grinste dann, „Dann hab ich auch endlich wieder meine Ruhe“
„Soll ich Alan absagen und stattdessen Remus fragen?“, sprach ich endlich aus, was mir schon seit dem Vortag im Kopf herum schwirrte.
Sue blieb abrupt stehen, Wasser klatschte auf den Boden, als ich gegen sie stieß.
„Findest du nicht, dass das ein bisschen gemein wäre“, fragte sie und wir beide beobachteten, wie Alan liebevoll eine frisch eingepflanzte Blume auf die Ablage am Fenster stellte.
„Ich-… es ist nur-… Remus…“
„Jaja, Remus“, ächzte Sue und schleppte die Gießkannen endlich bis zu den Pflanztischen, „Aber jetzt sag Mal ganz ehrlich: was ist da zwischen dir und Alan?“
„Wir sind Freunde“, antwortete ich sofort und ohne nachzudenken.
„Freunde, ja?“, fragte Sue und zog skeptisch eine Augenbraue hoch, „Sieht er das denn genauso?“
Auch darüber brauchte ich nicht lange nachzudenken.
„Ja. Wir sind Freunde“
Und das konnte ich auch tatsächlich mit Gewissheit sagen. Alan verhielt sich mir gegenüber, genauso wie er sich Sophie gegenüber verhielt. Sein Herzschlag bleib gleichmäßig und es kribbelten nicht übermäßig viele Hormone in meiner Nase.
„Sue, ich weiß, dass es dumm ist zu versuchen es allen Recht zu machen. Aber-… Alan ist der Einzige, mit dem ich da hingehen kann, weil er ohnehin da sein wird“
„Was hast du denn für Befürchtungen wegen dieser Party?“, fragte Sue, die nun die Schaufel packte und Drachenmist in Eimer klatschte, „Es ist doch nur eine Party!“
Doch auch da hatte ich bedenken. Natürlich, weil Alan gesagt hatte, dass Professor Slughorn bei solchen Angelegenheiten gern viele Fragen stellte. Doch es war noch zusätzlich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich hatte mittlerweile unfreiwillig einige Bekanntschaft in der Schule erlangt. Jetzt auch noch in diesen elitären Club eingeladen worden zu sein, nachdem ich erst seit einem Monat an der Schule war, machte es nicht leichter. Lucius Malfoy und seine Gruppe älterer Slytherins hielten sich zwar zurück, doch manchmal erreichten auch mich die Gerüchte, weshalb ich so seltsam aussah und natürlich wurden wegen meinen Zauberkunst-Talenten immer noch Witze über mich gemacht.
„Erde an Roselynn!“
Ich blinzelte mehrmals, dann wurde die Welt wieder scharf.
„Mann, dir ist echt nicht zu helfen“, seufzte Sue und drückte mir zwei Eimer Drachenmist in die Hände.

Doch ich sollte, zumindest in einer Sache, Recht behalten.
Remus achtete in Verwandlung penibel darauf, nicht in meine Nähe zu kommen und in Verteidigung gegen die dunklen Künste saß er wie eine Statur neben mir, bis es an die praktischen Übungen ging, wo er sich eilig Peter als Partner suchte.
„Also was jetzt sein Problem ist“, stöhnte Sirius, dem ich nach einem ziemlich gelungenen Beinklammer-Fluch wieder auf die Beine half, „Kann ich dir auch nicht sagen“
Auch James und Peter war Remus Verhalten ein Rätsel. Und das einzig seltsame, das mir an ihm auffiel, war, dass die Gerüche nach Eisen und Tannennadeln den warmen Duft von Frühlingssonne, Kalkstein und Bienenwachs völlig zu überdecken begannen.
„Verhält er sich denn irgendwie anders als sonst?“, fragte ich, als Sirius mir auf die Beine half, nachdem ich neben den Kissen gelandet war. Sein Beinklammer-Fluch war allerdings nicht ganz so stark gewesen, weshalb ich mich hatte abfangen können.
„Meinst du anders im Sinne von noch nervöser, übervorsichtig, ungesellig und leicht zu erschrecken?“, fragte Sirius und verzog betont konzentriert die Miene, „Nein, nicht anders als sonst“
„Ist er echt immer so?“, platzte ich heraus, während ich betont unauffällig zu ihm und Peter hinüber schielte.
„Nein, eigentlich nicht“, gab Sirius zu, machte einen kleinen Schlenker aus dem Handgelenk und sofort zog es mir die Beine zusammen, „Du glaubst ja gar nicht, was ihm manchmal für Streiche einfallen!“
„Oh doch, irgendwie schon“, ächzte ich und setzte mich wieder auf.
Nach dem Unterricht ergriff Remus die Flucht. Ich sah ihn den ganzen Tag nicht mehr.
50. Kapitel
Ein Versprechen
Den ganzen Samstag über hatte ich nicht einmal eine Chance über Remus und sein seltsames Verhalten nachzudenken. Eine Woche an Lernstoff und Hausaufgaben nachzuholen und nebenbei immer wieder Leute zu erklären, dass es mir, ja, wieder gut ginge, beanspruchte meine volle Konzentration.
Später am Abend traf ich in der großen Halle auf Alan, mit dem ich mich für kurz vor acht am nächsten Abend in der im Gang für Zaubertränke verabredete. Remus war nirgendwo zu sehen.
„Warum trefft ihr euch denn nicht in der großen Halle?“, maulte Lily, die sich beim Essen zu mir gesetzt hatte, sehr zum Leidwesen von Severus, der sich wortlos an den Slytherin-Tisch zurück zog, „Ich hab dein Kleid noch gar nicht gesehen!“
„Habt ihr Streit, ihr beiden?“, fragte ich stattdessen und nickte zu Severus hinüber, der sich nun neben Lucius Malfoy und seinen Freunden niederließ.
Ohne hinzusehen gefror Lilys Miene zu einem Eisklotz.
„Er ist eingeschnappt, weil ich die Leute aus seinem Haus fast alle nicht leiden kann“, grummelte sie und stocherte in ihren Bratkartoffeln herum, „Und, weil Potter mir immer noch an den Versen hängt. Ich meine, was kann ich denn dafür?“, platzte sie heraus und schwenkte mit unverhohlenem Ärger ihre Gabel, woraufhin sie einen älteren Ravenclaw am Nachbartisch mit einer Bratkartoffel bewarf und sich hastig entschuldigte.
„James ist eigentlich gar nicht so ein mieser Typ, wenn man ihn Mal kennen gelernt hat“, versuchte ich sie zu beschwichtigen, nachdem sie sich wieder gesetzt hatte.
„Ja, klar, Peter auf seinen Rennbesen zu setzen und dafür zu sorgen, dass du in den verbotenen Wald abstürzt und von einer Riesenspinne überfallen wirst war wirklich eine noble Geste von ihm“, kochte Lily und merkte, dass ich an dieser Stelle nicht weiter kam.
„Wie geht´s denn eigentlich Remus?“, versuchte ich deshalb betont unauffällig das Thema zu wechseln.
„Remus?“, fragte Lily verblüfft und hielt darin inne, ihre Bratkartoffeln ich Püree zu verarbeiten, „Was soll mit ihm sein?“
„Ach nichts“, seufzte ich.
„Hey“, richtete Lily die Zinken ihrer Gabel auf mich, „Was ist da los, mh? Erzähl´s mir“
„Das ist dumm…“, versuchte ich sie abzuwiegeln, „Sue hält mich schon für verrückt deswegen“
„Ich habe einem Jahr erfahren, dass der ganze Unsinn, der ständig um mich herum passiert, Realität ist und bin vor nicht Mal zwei Monaten an einer Schule für Hexen und Zauberer aufgenommen worden, wo ich doch eigentlich an die Junior High in Cokeworth gehen wollte!“, hielt Lily eisern dagegen, „Erzähl mir nichts von dummen Geschichten. Das alles hier ist verrückt! Ich meine, wär hat denn auf seinem Schulhof einen Wald in dem es Riesenspinnen gibt? Oder einen See mit einem Kraken, der mehrere hundert Meter lang ist? Das schlimmste, was ich mir für die Schule vorgestellt habe war, dass mir in Chemie mal ein Glaskolben platzt, stattdessen schmilzt Frank in Zaubertränke einen Kessel nach dem Anderen!“
„Die bist ein bisschen ein Streber“, rutschte es mir heraus, nachdem sie ihren Monolog geendet hatte, doch mein Kommentar brachte Lily nur zum lachen.
Sie pickte eine Kartoffel mit ihrer Gabel auf und schleuderte sie in meine Richtung, wodurch mich das ölgebratene Nachtschattengewächs an der Wange traf.
„Du doch auch“, kicherte sie, „Also. Remus“
„Es ist nur so ein Gefühl“, versuchte ich meinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, „Sirius meinte, er wollte mit mir zu der Party morgen. Aber ich hab Alan absichtlich gefragt, weil er ja eh da sein wird“
„Was hast du mit dieser Party?“, fragte Lily, „Freu dich doch Mal…“
Doch es klang eher schwach, fast so, als könne sie meine Bedenken doch ein wenig verstehen.
„Alan meinte, sein Vater war auch schon auf diese Partys eingeladen. Da werden unfassbar viele Fragen gestellt“, gab ich kleinlaut zu.
„Verstehe“, murmelte Lily und matschte weiter in ihren Kartoffeln herum, „Ich meine, für uns ist das in Ordnung, du wirst schon deine Gründe haben… aber es wird schon schwieriger, das Professor Slughorn zu verdeutlichen“
Fast wäre ich aufgesprungen und ihr um den Hals gefallen.
„Meine Herkunft und meine Vergangenheit sind kein Thema für eine Party“, stöhnte ich, „Und ich wollte meine Freunde nicht in eine solche Lage bringen. Ich meine, wie viel weißt du über Remus?“
„Nicht viel“, gab Lily zu und zog kurz die Augenbrauen hoch, „Er mag Schokolade“
„Eben!“, beharrte ich, „Es ist unangenehm Dinge von sich preisgeben zu müssen, weil ein Lehrer danach fragt. Alan ist auch eingeladen und er ist darauf vorbereitet, auch wenn es ihm genauso wenig Spaß zu machen scheint wie mir“
Lily seufzte und schob mit unschlüssiger Miene ihren Teller von sich.
„Da kann ich dir leider auch nicht helfen. Hast du versucht mit Remus zu reden?“
Mein Blick schien ihr alles zu sagen.
„Is ja gut. Ich wollt nur gefragt haben“
„Er geht mir aus dem Weg…“
„Vielleicht…“, überlegte Lily da laut und ein träumerischer Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, „Er hat dein Kleid schon gesehen, oder?“
„Ja“, antwortete ich verwirrt.
„Aber wenn er mit dir auf diese Party gehen wollte… Triff dich mit Alan in der Eingangshalle!“
„Damit mich alle anstarren können?“, platzte heraus, „Auf keinen Fall!“
„Jetzt hab dich nich so“
„Ich hab mich nich“, hielt ich dagegen, „Es macht überhaupt keinen Sinn sich in der Eingangshalle zu treffen! Die Gemeinschaftsräume der Slytherins und der Hufflepuffs sind beide im Kerker, warum sollen wir extra noch hoch kommen?“
„Das wirst du schon sehen“, flötete Lily fröhlich, stand auf und verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern.

Auch den nächsten Tag verbrachte ich mit Lernen und Hausaufgaben. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn der Abend überhaupt nicht gekommen wäre. Vielleicht, wenn ich einfach ganz vertieft in meine Aufgaben war und mich hinter meinen Büchern versteckte, konnte ich später so tun, als hätte ich die Party wegen des Lernens verpasst?
Doch das wäre unfair gegenüber Alan gewesen. Außerdem hatte ich ohnehin keine Chance, denn um kurz nach sechs schob Annabell meine Bücherstapel bei Seite und kommandierte mich in unseren Schlafsaal.
„Schöne Locken brauchen Zeit“, war ihre Aussage, bevor sie mich duschen schickte.

„Ich kann so nicht da hoch gehen!“
„Natürlich kannst du“, protestierte Elster halblaut und lugte um die Ecke in die Eingangshalle, „Er ist auch noch gar nicht da“
„Wir sind ja auch viel zu früh!“, zischte ich zurück, wir haben grade Mal viertel vor!“
„Dafür hat sich da schon ein ganz schöner Fanclub versammelt“, kicherte die junge Hufflepuff und ließ mich damit erblassen, „Das war ein Witz“
In dem Moment sah ich, wie Lily die Treppe nach unten in die Halle polterte, dicht gefolgt von Marlene.
„Was macht sie da?“, fragte ich irritiert, dann packte Elster mich am Handgelenk.
„Keine Zeit für Erklärungen!“
Mit eisernem Griff zog sie mich aus dem Gang. 
„Wir haben es!“, keuchte die Rothaarige, als sie in der Mitte der Halle mit uns zusammen stieß und drückte mir eilig ein Buch in die Hand, „Und Abgang!“
„Hey!“, rief ich ihnen nach, als sie mit Elster in Richtung Kerker davon rannten, „Was soll das denn?“
Doch ich war nicht die Einzige, die rief.
„Lily!“, tönte eine Stimme vom oberen Geländer der Treppe und ich sah Remus, der sich völlig außer Atem darüber beugte und der Rothaarigen nach blickte, „Gib es zurück!“
Dann fiel sein Blick auf mich und auf das Buch in meinen Händen.
Ich seufzte und ließ die Schultern hängen.
„Ist das zufällig deins?“, fragte ich mit betretener Miene.
„Ich-… äh-… ja“, rief Remus zurück und ließ dann ebenfalls die Schultern hängen, „Warte, ich komm runter“
Es dauerte gefühlt eine Ewigkeit, bis er die Treppe endlich hinter sich gebracht hatte. Er sah nicht gut aus. Seine Haut war fahl, seine Wangen eingefallen und sein Haar glänzte matt. Selbst seine Augen, das konnte ich sagen, obwohl er versuchte den Kopf gesenkt zu halten, hatten einen trüben Ton angenommen.
„Was auch immer sie sich dabei gedacht hat“, seufzte er, als er das Buch von mir entgegen nahm, „Aber… danke dafür“
„Kein Problem“, antwortete ich und setzte dann schnell nach, „Ist alles in Ordnung?“
„Bin nur müde“, entgegnete er und sofort kitzelte meine Nase, wie von tausend Ameisen.
„Klingt aber nicht so“, brachte ich hervor.
Ich erhielt keine Antwort.
„Remus, ich weiß, dass du gern auf diese Party gegangen wärst-…“, setzte ich an, doch sofort wandte Remus sich von mir ab.
„Ich muss wirklich ins Bett“
„Jetzt warte doch Mal!“
Unwillkürlich streckte ich die Hand aus und erwischte seinen Arm. Einen Moment blieben wir so stehen. Er, eindeutig gefangen zwischen dem Wunsch sich los zu reißen und zu verschwinden, andererseits dem Verlangen dazu sich umzudrehen. Ich, hin und her gerissen zwischen dem Schrecken und dem Gefühl, seinen Arm sofort los lassen zu müssen und dem Wunsch, es auf gar keinen Fall zu tun.
„Es tut mir leid, dass ich dich nicht gefragt habe“, sagte ich schließlich, „Ich dachte nur nicht, dass du da rein passt“
„Klar, hab schon verstanden“, erwiderte er, ohne mich anzusehen und entwand seinen Arm langsam meinem Griff, „Ich hab ganz sicher nicht so einen schicken Anzug wie Alan Bitterblue“
„Was?“, platzte ich völlig dämlich heraus, „Was hat das mit dem Anzug zu tun?“
Wahrscheinlich war es diese Frage, die ihn dazu bewog stehen zu bleiben.
„Ich-… dachte es geht um-…“
Eine seltsam kurze Handbewegung machte alle weitere Bewegung überflüssig. Mir war vorher auch schon aufgefallen, dass sein Umhang geflickt und etwas älter war. Vielleicht sogar etwas älter und geflickter als der von anderen Schülern, die gebrauchte Umhänge trugen. Doch wirklich ins Bewusstsein gerufen hatte ich es mir nie.
„Vielleicht hab ich dich ja nicht gefragt, weil du mit dafür verantwortlich warst, dass ich von einer Riesenspinne in den verbotenen Wald entführt wurde“, antwortete ich deshalb schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Aber-…!“, platzte er heraus und hob endlich den Blick, „Das-… wollte ich doch nicht!“
Sein völlig entsetzter Blick war es, der mich zum lachen brachte. Und seine verwirrte Miene machte es danach nicht besser. Ich musste so sehr lachen, dass ich, mir den Bauch haltend, nach vorn einknickte. Remus verstand das völlig falsch, war mit zwei Schritten an meiner Seite und legte mir eine Hand auf die Schulter.
„Alles okay?“, fragte er besorgt.
„J-… ja!“, japste ich und wischte mir die Lachtränen unter der Brille fort, „Du-… du hättest grade-… dein Gesicht sehen sollen!“
Und endlich, endlich entspannte er sich.
„Tut mir leid, das Ganze“, murmelte er, als ich mich halbwegs beruhigt hatte.
„Muss es nicht“, kicherte ich immer noch, „Aber glaub mir, so toll, wie alle sagen, sind die Partys nicht“
„Woher weißt du das?“, fragte er verblüfft, „Das ist doch die Erste, oder?“
„Alan“, antwortete ich ihm, „Er hat mich gewarnt, dass ich mir ein paar Antworten zu Recht legen sollte. Eigentlich sind diese Partys nämlich nur eine riesen Fragestunde von Slughorn um auszuloten, wer später Mal eine große Karriere hinlegt. Ich wollte das keinem meiner Freunde antun, deshalb hab ich Alan gefragt. Er ist doch ohnehin da“
„Achso“, flüsterte Remus, wurde dann rot und nahm eilig die Hand von meiner Schulter.
„Aber sag Mal…“, konnte ich es mir nicht verkneifen und schielte zu ihm hinauf, „Warum dachtest du ich frage dich, ob du mit mir auf diese Party gehst?“
Sofort begann das sanfte Rot auf seinen Wangen zu leuchten wie ein Warnschild.
„Wer-… wer hat gesagt, dass ich das wollte?“, fragte er und kratzte sich verlegen hinterm Ohr.
„Sirius“, antwortete ich ehrlich, „Und du, gerade eben“
„Dass er nie seine Klappe halten kann…“, hörte ich Remus leise murmeln und gab ihm deshalb einen Klaps auf die Schulter.
„Ist mir so lieber“, gestand ich, „Ich dachte schon, du hast plötzlich was gegen mich“
„Nein, nein…“, seufzte Remus und ließ den Arm sinken, „Ich-… fand du warst sehr mutig, als du Peter hinterher geflogen bist. Und du bist wirklich klasse in Verwandlung und auch in Verteidigung gegen die dunklen Künste“
„Dafür bin ich in Zauberkunst grottig“, erinnerte ich ihn.
„Schon“, lächelte er, „Aber… ich hatte gehofft, dass wir vielleicht-… vielleicht Freunde werden könnten“
„Ich dachte, das wären wir“, entgegnete ich verblüfft.
Gerade in diesem Moment fing meine Nase einen neuen Duft auf.
„Du siehst fantastisch aus, Roselynn“
„Danke“, antwortete ich Roux, der aus dem Gang zu den Kerkern zu uns hinüber geschritten war.
„Sue hat wirklich nicht übertrieben…“, murmelte er und lächelte, als er das Kleid und meine hochgesteckten Locken musterte, „Aber ich dachte, ich schau es mir nochmal selbst an“
„Merlins Bart!“, tönte es da durch die Halle und ich zuckte fast zusammen, „Fabian, das musst du dir ansehen!“
„Bitte…“, jammerte ich und drehte mich hastig um, „Sprich doch leiser!“
„Warum denn?“, fragte Gideon, der, dicht gefolgt von seinem Bruder, aus der großen Halle kam, „Ist doch kein Geheimnis, dass du auf diese Party gehst. Also, ich bin ja schon ein wenig gekränkt, dass du mich nicht gefragt hast, ob ich mit dir hingehe“, zwinkerte er mir zu und ich rollte mit einem Stöhnen die Augen.
„Du siehst toll aus“, hielt Fabian gegen die Spötteleien seines Bruders Stand.
„Danke dir“, antwortete ich und zupfte verlegen an einer Locke herum.
„Roselynn?“
Das war Alan, der im Gang zum Kerker aufgetaucht war. Er trug einen schicken Smoking, das Jackett hatte sogar einen Schwalbenschwanz. So etwas hatte ich bisher nur bei Dr. Imre gesehen. 
„Können wir?“, fragte er und streckte galant den Arm aus.
„Klar!“, antwortete sich und während Roux mit einem Lächeln Richtung große Halle marschierte und die Zwillinge lachend die Treppe erklommen, wandte ich mich noch einmal an Remus.
„Lass uns doch morgen zusammen lernen, ja?“
„Gern“, lächelte er und mit diesem Versprechen drehte ich mich hastig zu Alan um und ergriff den mir dargebotenen Arm.
„Du siehst hinreißend aus“, kommentierte er, während er mich wieder die Treppen hinunter führte.
„Hast du das geübt?“, stichelte ich und erntete dafür ein Lachen.
„Vielleicht?“
51. Kapitel
Der Slug-Club
Schon, als ich die Tür zu Professor Slughorns Büro durchquerte, wusste ich, dass dies ein grauenhafter Abend werden würde.
„Ah, da sind ja unsere jüngsten Sprösslinge!“, wandte sich Professor Slughorn glücklich von dem älteren Schüler ab, mit dem er gerade gesprochen hatte, „Darf ich ihnen allen vorstellen? Mister Alan Bitterblue und, sie kennen sie bestimmt, Miss Roselynn May! Beide sind ausgezeichnete Schüler in meinem Fach und, wie ich hörte, ist Miss May auch anderweitig sehr begabt“
Das schelmische Zwinkern, das er mir schenkte, sollte mir wohl ein Lächeln entlocken und deshalb zog ich zwangsweise meine Mundwinkel nach oben. Allerdings hatte ich nicht vor, dem hoch gewachsenen Schüler mit den weißblonden Haaren neben ihm eine Chance für eine Demütigung zu bieten. Deshalb fügte ich eilig hinzu.
„Das ist sehr freundlich von ihnen, Professor. Ich habe aber auch meine Schwächen“
„Ach“, wedelte Professor Slughorn meine Einwände mit der freien Hand fort, während er mit der anderen sein Sherry-Glas abstellte, um an unsere Seite zu eilen, „Hat die nicht jeder? Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie kläglich ich meiner Zeit in Astronomie versagt habe. Die Sterne, wissen sie, haben mir noch nie besonders viel zu sagen gehabt“
„Wie gut“, fügte der Weißhaarige hinzu, der am Tisch stehen geblieben war und nun an seinem Glas mit Feuerwhiskey nippte, „dass Miss May auch in diesem Punkt träumerische Leichtigkeit besitzt“
Ein leises Lachen war aus einer Ecke des Raumes zu hören und in meiner Kehle hob ein Knurren an. Wie, zur Hölle, konnte er davon wissen? Ich schluckte es herunter und stellte mir vor, dass ich meine Fangzähne noch besaß und offenbarte ein strahlendes Lächeln.
„Ja, es ist erstaunlich, was einem das Firmament alles erzählen kann“
„Davon müssen sie mir unbedingt berichten!“, rief Professor Slughorn aus und legte mir eine fürsorgliche Hand auf die Schulter.
Alan musste von meinem Arm ablassen, denn der Professor schob mich fast schon mit Gewalt auf den runden Tisch zu, auf dem sich schon allerlei Platten mit Häppchen und anderen Aperitifs türmten.
„Sie sitzen hier, meine Liebe“, schob er mich auf einen Stuhl zu, der direkt rechts neben Einem stand, der prunkvoll verziert und mit dicken, grünen Polstern überzogen war. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lucius Malfoy das Gesicht verzog. Vermutlich war dies einmal sein Platz gewesen und obwohl ich wusste, wie gefährlich dies alles für mich werden konnte, genoss ich doch diesen kleinen Triumph.
„Mister Bitterblue, bitte neben sie. Meine Damen!“, wandte sich Professor Slughorn an die anwesenden Schüler, „Meine Herren! Bitte, setzen sie sich“, griff dann nach seinem Sherry-Glas und hob es uns allen in einer feierlichen Geste entgegen, „Auf einen gelungenen Abend!“
Die Älteren klatschten höflichen Applaus, deshalb hoben auch Alan und ich schnell die Hände. Dann ließ Professor Slughorn sich mit einem leisen Prusten auf das ächzende Mobiliar sinken.
„Meine Liebe“, wandte er sich wieder an mich, „Ich hoffe, ich habe sie nicht aus ihrer Erholung heraus an meinen Tisch gelockt. Nicht, dass wir sie überanstrengen“
„Keine Sorge, Professor“, versuchte ich meinen Lehrer für Zaubertränke zu beruhigen, „Madame Pomfrey hat mich schon Freitag morgen aus dem Krankenflügel entlassen“
„Nun, dann mag ich mir um ihren körperlichen Zustand keine Sorgen machen“, nickte Professor Slughorn weise und stopfte sich angelegentlich die Serviette in den Kragen seines Umhangs, „Doch wie steht es um ihren geistigen Zustand? Ein solches Ereignis hat doch sicher seine Spuren hinterlassen“
„Nein, mir geht es gut“, antwortete ich, erstaunt, dass sie jemand für meinen geistigen Zustand interessierte und setzte dann, wegen Professor Slughorns verblüffter Miene nach, „Ich bin bei Drachen aufgewachsen, Professor. Sie können um einiges scheußlicher sein, als eine Riesenspinne. Und um auch um einiges wundervoller“
„Womit wir ja gleich beim Thema wären“, setzte Lucius Malfoy sein Glas neben einem Teller mir direkt gegenüber ab und setzte sich mit einem kleinen Lächeln, dass mir gar nicht gefiel, „Miss May, man hat ja schon so allerlei über sie gehört, doch nichts wirklich Konkretes. Ich muss gestehen, dass ich neugierig bin. Wie kommt es, dass eine hübsche, junge Dame wie sie in einem Drachenreservat aufgewachsen ist?“
Ich hatte es gewusst. Professor Slughorn mochte schlimm genug sein, doch ich hatte gewusst, dass Lucius Malfoy mir die Blamage vor seinen Freunden und den brennenden Schuh nachtragen würde. Anscheinend war nun der Zeitpunkt für seine Rache gekommen.
„Meine Eltern lebten in diesem Reservat“, gab ich ehrlich zu und hoffte, dass er so berechenbar sein würde, während ich meine Serviette auf meinem Schoß ausbreitete.
„Und jetzt?“, fragte Lucius Malfoy und nippte erneut übertrieben entspannt an seinem Whiskey, „Was machen ihre Eltern heute? Sie müssen doch stolz sein, dass sie es nach Hogwarts geschafft haben“
Erwischt!
„Das hoffe ich immer“, antwortete ich mit stockender Stimme, die fast etwas wenig brüchig war für meinen Geschmack, „Sie sind leider nicht mehr am Leben“
Sofort hüllte Schweigen den Tisch und ich sah das leichte Zucken in Lucius Malfoys Gesicht. Zuerst glaubte er, einen herrlichen kleinen Schwachpunkt in meiner Fassade gefunden zu haben, in dem man bohren und mir Schmerzen bereiten konnte. Dann jedoch realisierte er die eisige Stille, die seine Frage herauf beschworen hatte. Tatsächlich legte Alan mir genau in diesem Moment eine tröstende Hand auf den Arm und ich hätte ihn küssen können dafür.
„Nun-…“, stammelte Professor Slughorn, „Das tut uns allen sehr leid, Miss May. Ich bin mir sicher, ihre Eltern wären sehr stolz. Mögen sie in Frieden ruhen“, wurde seine Stimme dann wieder etwas kräftiger und er warf Lucius Malfoy einen warnenden Blick zu, „Wollen wir mit den Vorspeisen beginnen?“
Und er griff sogleich nach einem Tablett, auf dem kleine Ecken aus Toast mit je einem Häufchen aus glänzenden, orange-roten Kügelchen angerichtet waren, gekrönt mit einer Dillspitze, die an dieser Stelle wohl kaum als Gewürz durchging. 
„Canapé, Miss May?“
Doch schon als er das Tablett zur Hand genommen und es in meine Richtung geschwenkt hatte, flüsterte mir eine leise Stimme ins Ohr.
„Kaviar. Das ist Fischrogen, dieser hier vermutlich Lachs“
„Vielen Dank, Professor“, lächelte ich und nahm mir eine der kleinen Ecken.
„Aber gern, Miss May“, wurde ich ebenfalls mit einem Lächeln belohnt, bevor der Professor das Tablett zu der älteren Ravenclaw an seiner Linken reichte.
Alan unterdrückte ein kleines Grinsen und griff nach einem Krug, um uns beiden Kürbissaft einzuschenken.

Professor Slughorn war es, der die Konversation wieder in Gang brachte. Wir waren nur wenige Gäste, deshalb sprach meistens nur einer von uns und eigentlich beantworteten wir eher die Fragen des Professors und sprachen zu ihm. Selten stellte auch einer der anderen Schüler eine Frage. So hielten Alan und ich uns höflich bedeckt.
Wie sich heraus stellte, war die Ravenclaw zu Professor Slughorns Linken, Cassandra Akow, eine wahre Seherin und deshalb ein Ass in Wahrsagen. Auch wenn sie selbst bescheiden zugab, dass ihr Talent nur sehr gering war. 
Neben ihr saß ein Junge namens Dirk Cresswell, dessen Vater hervorragende Beziehungen zu den Gobblins hatte und der uns, auf Professor Slughorns Bitte hin, alle damit überraschte, wie er Töne von sich gab, die fast wie eine knarrende Sprache klangen.
Dann kam Emma Vanity, die derzeitig amtierende Kapitänin des Quidditch-Teams von Slytherin, ihr gegenüber Lucian Grey, der Kapitän von Gryffindor. Beide warfen sich regelmäßig giftige Blicke zu und vermieden es, sich miteinander zu unterhalten.
Dann natürlich Lucius Malfoy, der, laut Professor Slughorn, hervorragend in Verteidigung gegen die dunklen Künste war und dessen Familie innige Beziehungen zum Ministerium hegte. Außerdem seine Begleitung, eine schüchterne Slytherin, deren Mutter im Sankt Mungo tätig war und die selbst Heilerin werden wollte. Professor Slughorn musste sie schließlich stoppen, nachdem er sie auf ihren Wunsch angesprochen hatte und sie der ganzen Gemeinschaft einen Vortrag über die Behandlung von Drachenpocken hielt. Als selbst ich langsam die Farbe wechselte, bremste er sie liebevoll, aber bestimmt aus.
Auch Alan wurde befragt und es wurden einige Scherze darüber gerissen, ob er sich denn noch an seinen Vater, den Vergissmich, erinnern konnte. Alan nahm diese kleinen Spötteleien gelassen auf, doch ich konnte hören, wie schnell sein Herz schlug, als Professor Slughorn auf seinen Vater zu sprechend kam.
Ich erkannte auch eine weitere Hufflepuff am Tisch, Luisa Orchid, die neben Alan saß und sich eine ganze Weile mit uns unterhielt, als sie mich, und schließlich auch Alan, als Freunde von Felix wieder erkannte.
„Er hat das gleiche Leiden wie ich“, kicherte sie fröhlich in ihr Weinglas, „Bei uns sprießen eben die Blumen aus dem Pult, wenn wir ein Igel in ein Nadelkissen verwandeln sollen“
„Aber bitte, Miss Orchid, diese Gabe als Leiden zu bezeichnen!“, tadelte Professor Slughorn, „Was für großartige Dinge sie mit ihrem Können noch vollbringen werden!“
„Oh, ich habe schon einige vollbracht“, gab sie zu und kniff die Mundwinkel zusammen, um nicht zu lachen, „Deshalb gibt es im dritten Stock ein Klassenzimmer, das man nicht mehr betreten darf“
Sofort wandte sich Professor Slughorn einem anderen Thema zu, das ihm weit gelegener zu sein schien.
„Wir haben noch Canapés! Möchte noch jemand? Nein?“
Und so zog er das Tablett glückselig zu sich selbst heran.
„Teufelsschlinge“, zuckte Luisa schuldbewusst mit den Achseln, „War ja keine Absicht, aber Maxwell hätte mich eben nicht so sehr ärgern sollen“
Der Name klang zwar gefährlich, sagte mir jedoch nichts. Alan jedoch wurde sofort um einige Nuancen blasser.
„Oh, keine Sorge“, beeilte sich Luisa ihren Wein zu schlucken und ihn zu beruhigen, „Es ist ihm nichts passiert. Es gibt alle paar Jahre den Einen von uns“, sinnierte sie und warf mir einen vielsagenden Blick zu, „Immer in Hufflepuff. Man meint, wir Dachse wären friedlich und knuffig, aber man sollte uns nicht bedrängen“
Ich kniff verlegen die Lippen zusammen. Ich wusste, dass sie auf Felix anspielte, er konnte wirklich naiv sein und war manchmal einfach zu freundlich. Doch was wäre gewesen, hätte jemand Luisa Orchid in diesem Moment gesagt, mit wem sie da sprach? Oder besser, mit was…
Außer Dirk Cresswell und Cassandra Akow saß noch ein dritter Ravenclaw am Tisch, der wie Lucius Malfoy in seinem letzten Jahr war und drei ältere Geschwister hatte, die alle bereits höhere Ämter im Ministerium bekleideten. Und noch zwei Gryffindors. Sie, eine wahre Meisterin in Zauberkunst, ließ zur großen Freude von Professor Slughorn einen Schwarm goldener Vögel aus ihrem Zauberstab brechen, die ein fröhliches Liedchen trällerten, bevor sie in einem Schwall aus goldenen Blüten zerbarsten, die sich auflösten, als sie unsere Teller berührten. Er, sein Vater war ein Fluchbrecher bei Gringotts, erzählte nach dem etwas holprigen Start den ganzen Abend die aufregendsten Geschichten. Leider saß er auf der anderen Seite von Lucius Malfoy und so konnte ich mich kaum an den Gesprächen beteiligen, ohne ihn quer über den Tisch anzuschreien.
Es war beim Nachtisch, als Lucius Malfoy zum zweiten Schlag gegen mich ausholte.
„Miss May, sie wollten dem Professor noch berichten, wie die Sterne zu ihnen sprechen“
„Tatsächlich!“, rief der Professor aus und alle Unterhaltungen verstummten sofort, „Da ich ja selbst ein Leidtragender der Astronomie war, müssen sie mir unbedingt davon berichten, wie es ist, in diesem Fach eine Begabung zu besitzen“
„Nun…“, zögerte ich. 
Doch was hatte ich zu verlieren.
„Ich träume, manchmal. Es sind ganze Szenen aus der Zukunft, nicht bloß aus meiner. Manchmal auch aus der Zukunft von Menschen, die mir nahe stehen oder nahe stehen werden. Meistens vergesse ich sie, aber wenn der Moment dann kommt, erkenne ich sie sofort wieder“
„Dann haben sie also eine ähnliche Begabung wie unsere liebe Miss Akow hier!“, begeisterte sich Professor Slughorn, „Eine Verwandlungskünstlerin und eine Hellseherin!“
„Dann dürfte ihnen der Begriff des Animagus etwas sagen, Miss May“, sprach Lucius Malfoy weiter, „Haben sie, die sie so ein großes Talent in diesem Fach besitzen, denn schon einmal versucht, etwas an ihrer eigenen Gestalt zu verändern? Nichts verbotenes, natürlich. Vielleicht ihre Augenfarbe?“
Sofort spuckte der Drache May in mir Gift und Galle. Jemand hatte mich verraten! Jemand hatte meine Augen gesehen, als ich auf dem Astronomie-Turm meine Brille abgenommen hatte und hatte es dieser Schlange erzählt! Doch wer war dazu fähig? Sue ganz sicher nicht, das konnte ich mir nicht vorstellen. Allein der Gedanke stach mir wie ein Messer ins Herz. Doch der einzig andere Mensch, der sonst in meiner Nähe gewesen war…
„…Elias“, wisperte ich.
„Wie bitte?“, fragte Professor Slughorn.
„Ich sagte“, hob ich die Stimme und richtete den Blick direkt auf Lucius Malfoy, „Dass es ließe sich machen. Aber das würde ich zuerst mit Professor McGonagall absprechen. Ich habe erst hier in Hogwarts erkannt, dass ich diese Gabe besitze und sie ist wirklich eine ausgezeichnete Lehrerin“
„Nun seien sie doch nicht so Bescheiden, Miss May“, lachte Professor Slughorn, „Immerhin sind sie auch eine hervorragende Schülerin in ihrem zarten Alter“
„Tatsächlich“, ergänzte Lucius Malfoy die Worte des Professors mit einem ebenso charmante Lächeln, „Ist mir aufgefallen, dass sie ein erstaunliches Verhalten an der Tag legen“
„Wie meinen?“, fragte ich und versuchte meine fröhliche Miene aufrecht zu erhalten, doch ich spürte, wie Alan vorsichtig mein Knie mit den Fingerspitzen streifte.
Doch ich schob seine Hand fort. Diese Kampf konnte, nein, wollte ich allein gewinnen.
„Sie beobachten die Menschen. Fast so, als… stünden sie über ihnen“
„Nicht über ihnen, Mister Malfoy“, widersprach ich sanft und legte mein Besteck auf meinem Teller ab, „Höchstens am Rand der Menge. Sie interessierten sich so für meine Herkunft… nun, nachdem meine Eltern gestorben waren, mein Vater an Schwindsucht, meine Mutter ermordet von dunklen Zauberern, nahm mich der Direktor des Reservats unter seine Fittiche. Ich durfte mich, ab einem gewissen Alter, versteht sich, im ganzen Reservat frei bewegen. Doch das ist mit Drachen als Haustieren nicht ganz so einfach, nicht wahr? Ich habe mir also eine gewisse Vorsicht angeeignet und ich muss zugeben, dass es mir am Anfang schwer fiel, mich in die Gesellschaft der Zauberer einzufügen. Deshalb studiere ich sie, um mich anzupassen. So, wie es jeder tut“
Eine kurze Pause folgte auf meine Rede, die vorsichtig von Professor Slughorn beendet wurde.
„Miss May, das ist eine ganz außergewöhnliche-…“
„Geben sie uns doch ein Beispiel ihrer Studien“, unterbrach ihn Lucius Malfoy und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, „Ich bin mir sicher, wir alle hier brennen darauf noch mehr von ihren Talenten zu sehen“
Emma Vanity lachte verhalten in ihre Serviette und auch Malfoys Begleitung rang sich ein Lächeln ab. Doch es wirkte unecht.
„Mister Malfoy, ich glaube, wir haben Miss May für den heutigen Abend genug beansprucht…“, versuchte Professor Slughorn die Situation zu retten, doch ich wandte mich ihm zu und zauberte mein strahlendstes Lächeln auf mein Gesicht.
„Aber nicht doch, Professor. Wenn Mister Malfoy gern eine Kostprobe von meinem scharfen Auge haben möchte…“
Mit einer, wie ich hoffte, eleganten Bewegung schnickte ich meine Serviette von meinem Schoß auf und tupfte mir damit über den Mundwinkel, dann faltete ich sie und legte sie feinsäuberlich auf die weiße Tischdecke. Ein winziger Klecks der heißen Kirschen, die zuvor zu der Mouse au Chocolate serviert worden waren, färbte das weiß des seidenen Tuches blutig rot.
„Sie versuchen sich gelassen zu geben, Mister Malfoy. Doch eigentlich spielen sie ein Spiel mit mir, denn sie versuchen, mich auch der Reserve zu locken“
Mit einem leichten Nicken in seine Richtung erhob ich mich und sofort schnellte Alan nach oben. Alle anderen männlichen Gäste blieben sitzen und sofort schoss die Hitze in seine Wangen. Doch ich legte ihm nur beschwichtigend eine Hand auf die Schulter und er setzte sich wieder.
„Die Art und Weise, wie sie das Haar zurück werfen, soll darauf hinweisen, wie entspannt sie sind und, dass sie sich ihrer Schönheit bewusst sind. Die vielen Ringe an ihren Fingern, sowie ihre fast völlig in schwarz und weiß gehaltene Kleidung soll auf ihren höheren Stand als Reinblütiger hinweisen, doch sie haben für die beiden Hauptspeisen zwei der Messer vertauscht, weshalb ich annehme, dass sie Zuhause nicht oft mit ihrer Familie speisen, da sie zwar geübt in der Etikette sind, sie aber nicht oft umsetzen müssen“, mit sanften Schritten ging ich hinter Alan vorbei um den Tisch und niemand sagte ein Wort, „Diese kleine Geste eben, wie sie gekonnt die Kuppe ihres Daumens an ihre Unterlippe setzen, soll einen nachdenklichen Eindruck vermitteln, so als wollten sie mir aufmerksam zuhören. Tatsache ist, davon gehe ich aus, dass sie früher an ihren Fingernägeln gekaut haben und diese Geste ein Überbleibsel dieser schlechten Angewohnheit ist, die sie sich damit abgewöhnt haben, dass sie ihre Nägel besonders kurz tragen, obwohl das eigentlich nicht chic ist. Auch ihre Begleitung haben sie sich nach den Äußerlichkeiten ausgesucht, denn es herrscht keinerlei Spannung zwischen ihnen. Sie ist hübsch und hat eine vielversprechende Zukunft vor sich, doch sie bevorzugen es, wenn Frauen schweigen und haben sich mehrmals genervt die Lippen mit ihrer Serviette abgetupft, als sie sprach, um ihren Unmut zu verbergen“
Ich stand nun direkt hinter ihm. Er achtete darauf, sich nicht umzudrehen, doch meine Sinne arbeiteten auf Hochtouren. Langsam beugte ich mich über seine Schulter und ich wusste, dass mich in diesem Moment das kalte Blut des Drachen durchströmte.
„Es hat sich, trotz ihrer gefassten Miene ein Schweißfilm auf ihrer Stirn gesammelt. Denn sie können nicht fassen, wie genau ich sie durchschauen konnte. Aber seien sie unbesorgt. Ich bin nur ein kleines Mädchen mit einem guten Auge“
Einen Moment geschah gar nichts, dann schoss Lucius Malfoy von seinem Stuhl empor und pfefferte seine Serviette auf den Tisch.
„Komm, Ottilie! Das müssen wir uns nicht weiter antun!“
Er kam bis zur Tür, bis er merkte, dass seine Begleitung ihm nicht gefolgt war.
„Ottilie!“, donnerte er und der Schweiß auf seiner Stirn fing seine Haare ein, sodass sie ihm nass in die weit aufgerissenen Augen hingen.
Für einen Moment herrschte wieder Stille. Dann…
„Ich möchte bleiben, Lucius“, entgegnete die junge Frau leise, „Miss May hat nur das getan, wozu du sie aufgefordert hast. Und ein gutes Auge ist eine Gabe, die ein Heiler besitzen sollte. Nur so kann man auch die kleinsten Kleinigkeiten an jeder Erkrankung und jedem Fluch bemerken und seinen Patienten damit zu einer Zukunft verhelfen“
„Große und wahre Worte!“, lobte Professor Slughorn, der nun ebenfalls aufgestanden war und Lucius Malfoy mit einer galanten Geste wieder an den Tisch bat, „Bitte, Mister Malfoy. Es ist ein wundervoller Abend gewesen und ich muss zugeben, dass Miss May mich ein bisschen beeindruckt hat, auch wenn ich hoffe“, er zwinkerte mir zu, doch es wirkte nicht mehr ganz so schelmisch gelassen wie zuvor, „dass sie diesen Trick nicht an mir versucht“
„Natürlich nicht, Professor. Ich versuche von meinen Mitschülern zu lernen, das ist alles. Da ist ja immer noch die Sprachbarriere, wissen sie. Ich versuche auch aus dem Verhalten meines Gegenübers den Sinn der Worte zu verstehen, um mich nicht gänzlich zu blamieren. Aber sie haben Recht, vielleicht gehen ich dabei etwas zu weit“
„Da haben sie es, Mister Malfoy!“, jubilierte Professor Slughorn schon fast über meine Einsicht, „Nun lassen sie uns den Abend doch weiter genießen“
Und so blieb ihm nichts anderes übrig.
Auch ich ging langsam zu meinem Platz zurück und Alan erhob sich, um mir den Stuhl zu Recht zu rücken, während ich Platz nahm. Als er sich setzte, sah ich ein Leuchten in seinen Augen, wie ich es noch nie gesehen hatte.
Auch alle Anderen am Tisch hatten den Vorfall schnell verdaut und wandten sich wieder dem Nachtisch, ihren Gesprächen oder der neuesten Erzählung von Professor Slughorn zu.
Alle, außer einer.
Cassandra Akow saß mit weit aufgerissenen Augen da, den Löffel in der verkrampften Hand wie eine Stoßwaffe. Ihr Blick huschte von Einem zum nächsten im Kreis, dann noch einmal. Es war fast, als würde sie zählen. Kurz nur stellten sich mir die feinen Härchen in meinem Nacken auf, dann jedoch beugte sich Alan zu mir hinüber.
„Beeindruckend“, flüsterte er, so leise, dass gerade ich es noch hören konnte.
„Ich hatte damit gerechnet“, gab ich wispernd zu, „Sue meinte, ich bewege mich anders, ich bin nun Mal vorsichtig. Und ich war mir sicher, dass er versucht mich bloß zu stellen“
„Das ändert nichts an der Tatsache…“, ließ er den Satz unbeendet und wandte sich wieder seine Mouse zu.
Ich warf noch einen kurzen Blick zu Cassandra Akow, doch die trank unbeeindruckt von ihrem Butterbier, fast so, als wäre überhaupt nichts gewesen. Aber nur fast.
Der Vorteil daran, als etwas geboren worden zu sein, dass den Menschen ähnlich, aber ganz sicher nicht menschlich war? Man studierte sie, bis man sie in und auswendig kannte, nur um einer von ihnen zu werden.
52. Kapitel
Verraten
„Roselynn, wir kommen zu spät, wenn du weiter trödelst!“
„Ich-...“, brachte ich noch hervor, bevor mich ein Gähnen unterbrach, „trödele doch gar nicht...“ „Tust du wohl!“, schimpfte Sue mit mir und stemmte energisch die Hände in die Hüften, „Wann bist du überhaupt zurück gekommen? Zehn Uhr? Elf?“
„Irgendwann nach Mitternacht...“, murmelte ich und quälte auch mein linkes Bein in die Strumpfhose.
„Ungeheuerlich...“, schimpfte Sue und wechselte zu verschränkten Armen, „Dass Professor Slughorn überhaupt keine Rücksicht auf seine Schüler nimmt!“ „Du hast ungeheuerlich gesagt“, kicherte ich und versuchte dann, wieder ernst zu werden und stand endlich, mit einem Seufzen, auf, „Die Anderen sind fast alle in höheren Klassen. Viele haben heute morgen die Erste frei“ „Du aber nicht!“, donnerte Sue, packte erst ihre Tasche, dann Meine und griff mich schließlich bei der Hand, „Komm jetzt! Du willst doch garantiert auch sehen, wie es Remus geht“
„Remus?“, schreckte ich empor, „Ist was passiert?“
„Was? Nein!“, entgegnete Sue, „Du hast doch die letzten Tage von niemand Anderem mehr gesprochen“
„Wir haben uns gestern vor der Party noch unterhalten“, erzählte ich, während ich hinter Sue in den Gemeinschaftsraum stolperte und erneut ein Gähnen unterdrückte, „Wir sind heute zum Lernen verabredet“
„Und? Gab es einen besonderen Grund für all diesen Blödsinn?“
„Ich glaube, er kam sich einfach nur ungenügend vor“, antwortete ich, „So hab ich es zumindest verstanden“ „Na, siehst du? Viel Luft um nichts. Und jetzt schwing die Beine, ich will noch frühstücken!“ 
Noch auf dem Weg die Treppe hinauf in die Eingangshalle trafen wir auf Alan, Sophie und Tad. Seine beiden Freunde sahen frisch aus, wie der junge Morgen, doch Alan hatte, genau wie ich, leichte Ringe unter den Augen.
„Na, gut ins Bett gekommen?“, fragte Alan und versuchte sich an einem Lächeln. 
„Du hast mich noch bis zu meinem Fass gebracht. Dachtest du, ich bin auf dem Flur bis zum Schlafsaal eingeschlafen?“
„Müde genug warst du“, gluckste er, „Das war aber auch ne Nummer, mit der du Lucius Malfoy da abservierte hast. Er lässt im Gemeinschaftsraum immer ziemlich seinen Reinblüter-Status raushängen und ehrlich gesagt geht er mir damit auf die Nerven“ 
„Es hat aber auch seine Vorteile, ein Reinblüter zu sein“, entgegnete da Tad, „Der soziale Status. Die Anerkennung“
„Wirklich?“, fragte ich und verzog das Gesicht, „Über so etwas machst du dir Gedanken?“ „Natürlich! Du etwa nicht?“ 
Ich wollte gerade antworten, da kamen James, Sirius und Peter aus der großen Halle auf mich zu gerannt. Alle drei waren völlig außer Atem.
„Rose!“
„Die schon wieder...“, brummte Tad und verdrehte die Augen, „Reinblüter ohne ein Gefühl für ihren Stand. Kommt“, wandte er sich an Sophie und Alan, „Lasst uns gehen“ 
„Tut mir leid“, beeilte Alan sich noch zu sagen, bevor er seinen Freunden hastig folgte.
„Ist Alan auch so?“, fragte Sue und ihre zusammen gezogenen Augenbrauen signalisierten noch deutlich mehr Missfallen, als über meine Trödelei.
„Nein, eigentlich nicht...“, murmelte ich, dann traf mich James wie ein Klatscher.
„Rose!-...“, schrie er mir mitten ins Gesicht, um dann fest zu stellen, dass ihm für weitere Worte die Luft ausgegangen war. 
Die Hände auf meinen Schultern abgestützt, hing er an mir und keuchte, als wäre er gerade einem Chinesischen Feuerball davon gerannt. Sirius und Peter kamen ebenfalls knapp vor mir zum Stehen, die Hände auf die Knie gestützt schnauften und ächzten sie, immer wieder japsend um Worte ringend. 
„Was ist denn los?“, brachte ich gerade noch hervor, bevor die Hexe May das Kommando verlor. Sirius hatte sein Hemd falsch herum an. Peter trug noch seine Pyjama-Hose und James Haare standen nicht in der üblich gewollten Manier ab, sondern fast so, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen. 
Und dann ihre Gerüche...
„Ist-... etwas mit Remus?“, fragte ich stockend und mit meiner Selbstbeherrschung ringend. „Er ist-...“, keuchte James und schaffte es endlich, den Kopf zu heben.
Was ich zuvor gerochen hatte, loderte in seinen Augen wie kalte Flammen.
„Weg!“ 
Alles schaltete ab. Meine Sinne ließen mich im Dunkeln zurück.
Was war bloß los? Woher kam dieses seltsame Gefühl? Fast so, als wäre etwas von mir fort gerissen worden. Ein Teil von mir, der jetzt fehlte. Und dieser Teil, das wusste ich, war gerade in scheußlicher Gefahr.
„Was meinst du damit, er ist weg?“, hörte ich Sue dumpf eine Frage stellen.
„Wir sind-... heute Morgen aufgestanden und-... da war er-... nicht da!“, fiepte der völlig erschöpfte Peter, „Einfach verschwunden! Wir-... haben keine Ahnung-... wo er ist und die Lehrer-... können-... es uns auch nicht sagen!“
„Ward ihr schon im Krankenflügel?“, versuchte Sue logisches Denken walten zu lassen, „Er ist doch schonmal nachts in den Krankenflügel gegangen, oder nicht?“
Doch Sirius schnellte nach oben, packte nun seinerseits ihre Schultern und fast schüttelte er sie. „Natürlich waren wir im Krankenflügel!“, brüllte er die ganze Halle zusammen, „Er ist weg! Verschwunden! Hat sich einfach in Luft aufgelöst!“
„Aber-...“, stammelte ich, während James immer noch vor mir nach Atem rang, „Er kann Hogwarts doch nicht einfach so verlassen haben. Oder?“
„Er war gestern Abend noch richtig gut drauf“, ließ James endlich meine Schultern los und schob sich das schweißnasse Haar aus der Stirn, „Er meinte, er hätte sich mit dir ausgesprochen und dass ihr für heute verabredet seid“
„Das sind wir auch“, gab ich zu, „Wir wollten uns zum Lernen treffen“
„Wir würden uns ja nicht so viele Sorgen machen“, erzählte Peter mit hoch rotem Kopf, „wenn er nicht gesagt hätte, dass er sich heute mit dir trifft. Er war so fröhlich, deshalb...“
„Er würde dich nie einfach so sitzen lassen“, ließ Sirius nun auch endlich von Sue ab, die völlig verängstigt da stand, „Er mag dich wirklich gern, weißt du?“
„McGonagall will uns auch nichts sagen“, setzte James nach, „Sie meint, wir sollen uns keine Sorgen machen und keine Fragen stellen“
„Es-...“, schluckte Sue und ich bewunderte ihren Mut, als sie Sirius vorsichtig eine Hand auf den Arm legte, „Es ist ja erst früh am Morgen. Vielleicht hat ihn irgend ein Lehrer zu sich gerufen oder, keine Ahnung, er hat wichtige Post von zu Hause bekommen. Wenn er wirklich mit Roselynn verabredet ist, dann wird er schon kommen. Wartet es doch einfach ab“
Sirius quittierte ihren scheuen Versuch mit einem mehr als gequälten Lächeln, nickte ihr aber dankend zu.
„Was ist denn mit euch los?“
Das war Marlene, die da gerade mit Lily die Treppe in die Eingangshalle hinab stieg. 
„Ihr seht ein bisschen... seltsam aus“, gab Lily zu und musterte vor allem James mit einer gehörigen Portion Misstrauen, „Heckt ihr wieder was aus?“
„Nein, Evans“, murmelte James und richtete sich mit gesenktem Kopf die Brille, „Weißt du, ich bin nicht nur bloß ein kompletter Idiot. Manchmal mache ich mir sogar Sorgen um meine Freunde...“ 
Und damit zog das Trio ab, wieder die Treppe nach oben. Vermutlich, damit Peter sich eine richtige Hose anziehen konnte.
„Jetzt mach nicht so ein Gesicht“, versuchte Sue mich zu beruhigen, „Remus taucht schon wieder auf. Er ist ein Gryffindor. Die geraten dauernd in Schwierigkeiten“ 
„Und was bin ich dann?“, fragte ich leise.
„Ein Dachs mit Persönlichkeitsstörung?“, mutmaßte Lily, die nun an unsere Seite trat, „Hey, jetzt erzähl schon! Wie war die Party?“
„Ganz großartig...“, murmelte ich, denn ich bemerkte genau in diesem Moment eine Gestalt, die sich an uns vorbei in Richtung der Treppe schieben wollte, „Sue, ich hab keinen Hunger... Wir sehn uns bei Verwandlung“
„Aber-... Warte!“
Doch ich war ihr bereits entwischt und eilte ebenfalls die Treppen nach oben.
Die Fährte war deutlich. Ich hatte keine Ahnung, welchen Unterricht er jetzt hatte, doch der Drache May war gut darin geworden, sich die Korridore und Geheimgänge des Schlosses zu merken. Und gerade war mein Inneres deutlich in Aufruhr. Alle Sinne arbeiteten auf Hochtouren. Ich bemerkte sofort, dass ihm der Unterricht egal war. Er hatte bemerkt, dass er verfolgt wurde und floh, weiter die Treppen nach oben. Und als ich bemerkte, dass er am zweiten Stock vorbei hastete, bog ich ab. 
„Elias, so ein Zufall, nach dir habe ich gesucht“, breitete sich ein herzliches Lächeln auf meinen Lippen aus, als ich durch die Tür des dritten Stockes auf den Treppenabsatz trat.
„Aber-... wie-...?“, keuchte er und seine Augen waren groß und weit wie Seen.
„Es ist Montag“, verschwand das Lächeln, „Aber wie schön, dass du schonmal zugibst, dass du mir aus dem Weg gehen wolltest“ 
Und ich atmete einmal tief ein. Es war mir egal, ob er es bemerkte.
„Solltest du nicht eigentlich auf dem Weg zum Kerker sein? Für Zaubertränke?“
„Wie-... woher-...?“, setzte er an und ich bemerkte durchaus das Entsetzen in seinem Gesicht. Doch in diesem Moment genoss ich es.
„Das ist meine Sache“
Und das stimmte. Wer sonst in diesem Schloss konnte wohl gerade mit einem Atemzug die Düfte aller ihr bekannter Ravenclaws unter hunderten Schülern heraus filtern und ihrer Spur gedanklich folgen?
„Aber wo wir schonmal dabei sind-...“, begann ich.
Da schlug das Entsetzen in Elias Blick in Panik um. Sein ganzes, sonst so gelassenes Auftreten schmolz dahin wie eine Kerze in meinem Atem.
„Es tut mir leid, Rose! Wirklich!“
„Dann warst es also tatsächlich du!“, zischte ich und mein Gesichtsausdruck ließ Elias noch ein bisschen blasser werden, „Was hast du ihm noch alles erzählt?“
„Dass du in Geschichte der Zauberei sehr aufmerksam bist, mehr nicht!“, hob Elias abwehrend die Hände und ließ dabei seine Tasche fallen, Pergament segelte daraus hervor und Tinte floss in dicken, kleinen Bächen über die Stufen hinab, „Rose, bitte, wir haben nur zwei Fächer zusammen!“ 
„Hör auf mich Rose zu nennen!“, diesmal war meine Stimme ein echtes Fauchen, „Du warst damals nicht dabei, aber dieser arrogante Arsch hat Mal versucht mich zu verfluchen und ich verdanke es nur meinen Freunden, dass er es nicht geschafft hat! Was hat er dir dafür versprochen?“ 
Einen Moment herrschte Stille zwischen uns. Ich roch und hörte, wie sich Schüler dem Treppenhaus näherten, doch die Treppe, die sie in den ersten Stock geführt hätte, war noch im Zweiten.
„Nichts“, brach es schließlich aus Elias heraus und er ließ mit verzerrtem Gesicht die Hände sinken, „Nichts hat er mir dafür versprochen“ 
Ich spürte das unwiderstehliche Verlangen, die Krallen auszufahren, sie durch seine Haut zu stoßen und die Wärme und Weichheit seiner pochenden Organe in meinen Fingern zu spüren. „Warum dann?“, knurrte ich.
Die Muskeln in meinen Armen und in meinem Rücken zuckten. Wann war ich in die Kauerstellung gewechselt? 
„Die Malfoys sind Freunde meiner Eltern!“, versuchte Elias verzweifelt sich zu erklären und wurde, wenn möglich noch blasser, „Er ist viel älter als ich! Und er ist ein Reinblüter!“
Allein als ich das Wort hörte würgte ich ein angewidertes Fauchen hoch, das durch meine zusammen gebissenen Zähne wie ein Spotzen klang. 
„Ich kann dieses Wort nicht mehr hören! Sag, was würdest du noch alles tun, nur weil ein Reinblüter es dir gesagt hat? Ich bin Einer! Wenn ich sage, spring über dieses Geländer und brich dir den Hals, würdest du es tun? Was hast du gesehen in der Nacht auf dem Astronomie-Turm?“ Mittlerweile war Elias grau im Gesicht. 
„Nicht viel!“, japste er und Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn, „Nur-... nur deine Augen waren ganz weiß und-... und du hast gemurmelt...!“
„Was?“, entwich mir plötzlich mein ganzer Atem, „Was hab ich gemurmelt?“
„Nur einen Namen! Wirklich!“, jammerte Elias und hielt sich die Hände schützend vor sein Gesicht. 
„Was für einen Namen?“, sprang ich nach vorn und packte seine Schultern, „Elias! Was für einen Namen?“
„Remus! Du hast-... du hast den Namen von diesem Lupin aus Gryffindor gemurmelt!“, wand sich Elias verzweifelt in meinem Griff. 
„Sag mir bitte, dass du das Malfoy nicht verraten hast...“, flehte ich tonlos.
Doch Elias zitterte nur unter meiner Berührung und meine Augen brannten.
„Elias!“
„Nein!“, platzte der plötzlich heraus und riss sich von mir los und Tränen rannen über seine Wangen, „Ich hab ́s ihm nicht gesagt! Hass mich ruhig, ich hab es schon erwartet! Es tut mir leid!“ 
Und damit packte er seine Tasche und rannte die Stufen wieder hinab, die Scherben seines zerbrochenen Tintenfasses klimperten über die Steinstufen und Pergamentrollen segelten durch das Geländer hinab ins Treppenhaus.
„Elias?“, hörte ich Sue rufen, als er sie fast um rannte, um zwischen ihnen und den anderen hindurch zu gelangen. 
Er achtete nicht auf sie, schirmte das Gesicht mit dem Ärmel seines Umhangs ab und war auch schon in Richtung Eingangshalle verschwunden.
„Komisch...“, hörte ich Sue noch zu Lily sagen, dann erspähte sie mich und winkte fröhlich, „Hey, Rose! Hast du vergessen, dass Montag ist? Da führt der Gang im Zweiten in den dritten Stock!“ 
Ihre Stimme klang munter und hallte wie eine Feuerglocke in meinen Ohren.
Als ich vorsichtig die Hände seitlich an meinen Kopf hob, spürte ich, dass sie spitz geworden waren und auch die Struktur kleiner Schuppen. Meine Finger wanderten weiter über mein Gesicht, über meinen schmerzenden Kiefer. Meine Fingerkuppen glitten über die scharfen Kanten meiner spitz zulaufenden Reißzähne. Wanderten über meine Wangen, meine Schläfen und hoch zu meiner Stirn, wo ich zwei dicke Buckel spürte, direkt über meinen Augen.
Als ich vorsichtig den Riemen meiner Tasche zu Recht rückte, kratzen meine Krallen über das weiche Leder.
„Ich komme!“, rief ich und stieg langsam die Treppen hinunter, tief atmend, bis die Schmerzen langsam nach gelassen hatten.
53. Kapitel
Kein guter Tag
Und ab da wartete ich.
Zu Verwandlung tauchte Remus nicht auf. James, Sirius und Peter, die nun halbwegs richtig angezogen waren, auch wenn Sirius sein Hemd immer noch auf Links trug, fragten sowohl am Anfang und während, als auch am Ende der Stunde nach ihm. Schließlich drohte ihnen Professor McGonagall mit Strafarbeiten.
Ich konnte mich nicht konzentrieren. Fast wie in Zauberkunst setzte ich fast dauernd meine Teetasse in Brand, was schon eine Leistung war und wo sie doch eigentlich eine Maus werden sollte. Doch niemand platzte durch die Tür herein und zeigte anklagend mit dem Finger auf mich. Würden sich die Ministeriusmzauberer überhaupt mit der Tür aufhalten? Was, wenn sie einfach durchs Fenster kamen. Was, wenn sie mich nicht einmal fort brachten? So, keine Sorge, der böse Drache ist tot, ihr könnt euch alle wieder beruhigen…
Das Läuten der Schulglocke hallte in meinen Ohren wie der Donner eines nahenden Sturmes.
„Sonst bin ich anderes von ihnen gewohnt, Miss May“, tadelte Professor McGonagall, als sie meine schwarz gebrannte Teetasse vom Tisch zauberte, während Lily vor mir Mühe hatte ihre weiße Maus mit dem zarten chinesischen Porzellanmuster im Fell am ausbüxen zu hindern und Sue etwas zweifelnd auf ihre befellte Tasse starrte.
„Komm, Rose“, nuschelte sie und nahm mit einem Seufzen ihre Tasche auf, „Sonst kommen wir noch zu spät“
Doch ich rührte mich nicht. 
Wie leicht konnte ich sterben? Als Mensch? Bei meiner Mutter hatte es ein dutzend Ministeriumszauberer gebraucht. Doch sie war auch von ihren Schuppen beschützt worden. Bis zu dem Moment-…
Ich konnte nicht. Ich konnte den Raum nicht verlassen.
Wenn Elias schon Lucius Malfoy, gegen seinen Willen, wie er behauptet hatte, von meinem Verhalten im Unterricht erzählt hatte, wie lange würde er vor seinen Freunden verheimlichen, dass ich Schuppen und spitze Zähne und Hörner besaß?
Er hatte sich vor mir gefürchtet. So, wie sich schon alle immer vor mir gefürchtet hatten. Selbst Kristóf und Dr. Imre, das wusste ich, hatten mich gefürchtet. Ich hatte es ihnen nie verübelt.
„Stimmt etwas nicht, Miss May?“
Das war wieder Professor McGonagall. Ich schaffte es nicht einmal zu schlucken. Ich öffnete den Mund, spürte ein Krächzen, das jedoch auf meiner Zunge erstarb. 
Langsam stemmte ich mich von meiner Bank hoch. Meine Hand griff nach meiner Tasche und hob sie hoch. Wie einen Schild vor die Brust gepresst, wankte ich damit bis zur Tür, rang nach Atem, doch meine Lungen verweigerten ihre Arbeit.
Einen Schritt. Dann noch einen.
Ohne aufzusehen, schritt ich aus dem Klassensaal hinaus. Schüler schwatzten und liefen an uns vorbei. Wie schnell verbreitete sich die Nachricht, dass ein Drache unter ihnen lebte?
„Rose… was ist denn los?“
Das war Lily. Sie hatte sich von der Gruppe Gryffindors gelöst, mit denen sie gerade Richtung Treppe gelaufen war. Die Berührung ihrer Hand an meinem Arm brannte wie Feuer.
„Sag Mal, atmet sie?“, fragte da Sirius entsetzt und machte eilig zwei Schritte auf mich zu.
„Sei nicht albern!“, fauchte Lily, „Natürlich atmet sie, wie sollte sie sonst-…“
Dann unterbrach sie sich.
Mein Sichtfeld wurde kleiner. Da waren Schüler der ersten Klasse, die gerade den Gang betraten. Zwei von ihnen waren Ravenclaws. Sie redeten leise mit ein paar Slytherins. Doch ich verstand kein Wort. Ein dumpfes, pochendes Rauschen füllte meine Ohren.
„Roselynn, du kannst doch nicht einfach aufhören zu atmen!“, platzte Lily heraus und schlug mir heftig auf den Rücken.
Ihr Schlag hatte mehr Kraft, als man einer so zierlichen Person zugetraut hätte. Sehr viel mehr.
Japsend schnappte ich nach Luft.
„Guter Schlag, Evans!“, lobte James.
„Klappe, Potter!“
„Ist alles in Ordnung bei dir?“
Das war Fabian, der nun Lilys Platz einnahm, während sie sich lautstark mit James stritt.
Die Ravenclaws warfen uns einen neugierigen Blick zu und liefen dann mit den Slytherins vorbei, die uns keine Beachtung schenkten.
„Ich-… weiß es nicht…“, keuchte ich ehrlich.
„Du siehst fast aus wie ein Geist“, bemerkte Gideon beunruhigt.
Nur dass ich mich gerade ganz und gar nicht tot fühlte. Meine Sinne überschlugen sich und sendeten alle gleichzeitig Signale. Die Panik war kurz davor die Kontrolle zu übernehmen.

Und ich wartete.
Noch nie war eine Zauberkunst Stunde bei mir so ruhig gewesen. Ich schaffte es nicht einmal irgend etwas in Brand zu stecken. Stattdessen geschah einfach gar nichts. Und obwohl Professor Flitwick mein Versagen am Ende der Stunde als eine deutliche Verbesserung lobte, begannen meine Freunde sich nun wirklich Sorgen um mich zu machen.
Allein Gideon und Fabian, die Sue und mich nach Zauberkunst abpassten, war es zu verdanken, dass ich zum Mittagessen überhaupt in der großen Halle war. Denn als ich mich auch nur ein bisschen zur Wehr setzte, hob Fabian mich einfach hoch, warf mich über die Schulter und rannte so schnell er konnte. Als er mich im Bogen zur großen Halle wieder absetzte, war ich leicht grün im Gesicht und er völlig außer Atem, doch immer noch am kichern.
Nicht nur die Hufflepuffs nötigten mir in der halben Stunde Essen auf. Gideon und Fabian saßen, wie meine persönliche Leibgarde, an meiner Seite. Zuerst überlegten sie, mir die Nase zu zu halten, damit ich den Mund öffnete. Doch Lily drosch Gideon für diesen Vorschlag ein Buch über den Schädel und erinnerte die beiden daran, dass ich schon nach Verwandlung nicht besonders gut im atmen gewesen war. Daraufhin bemühte sich vor allem Fabian mit vielen Schmeicheleien und kleinen Tricks und brachte mich immerhin dazu ein paar Löffel Suppe zu essen und zehn Minuten auf einem Stück Brot zu kauen.
Die Halle war wie immer. Niemand geriet in Panik, niemand schrie oder sprang von seiner Bank auf. Lucius Malfoy schenkte mir überhaupt keine Beachtung,, als er und sein Fanclub an uns vorbei zu ihren Plätzen gingen. Von Elias fehlte jede Spur und Marlene saß etwas verloren da, am Rand einer Gruppe, und kritzelte mit zusammen gezogenen Augenbrauen auf eine Pergamentrolle, zwei Bücher vor ihrer Nase aufgeschlagen. Auch James, Sirius und Peter waren nirgendwo zu entdecken. Remus natürlich auch nicht. Und vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, doch Lily, die so aufbrausend und stark zu wirken versuchte, war an diesen Tag ebenfalls zittrig und sehr viel weniger feurig, sodass sie sich sogar leise mit Severus versöhnte, der sich am Portal für seinen letzten Faux Pas entschuldigte.
Und dann kam Geschichte der Zauberei. Mit den Ravenclaws.
Elias saß an seinem Platz wie ein geprügelter Hund, den Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Nase so dicht wie möglich über seinem Pergament. Marlene versuchte ihn zu begrüßen und ihr Lächeln war scheu, aber warm. Doch es drang nicht durch den Nebel, der ihn umgab. Er stank nach Angst. 
Als Professor Binns durch die Tafel zu seinem Pult schwebte und begann, seine Litanei von letzter Stunde fort zu setzen, musste sie aufgeben. Er rührte sich die ganze Stunde nicht. Nicht einmal, als Marlene ihn sanft anstieß und ihn fragte, ob er ihre Notizen später abschreiben wolle. Und als die Schulglocke Professor Binns verwirrt aufblicken sah, war Alan bereits durch die Tür in den Korridor verschwunden und Marlene blinzelte verwirrt, bevor sie sich mit glitzernden Augen daran machte, ihre Sachen ein zu packen.

Und ich wartete.
Angestrengt versuchte ich, mich an das zu erinnern, was Professor Binns erzählt hatte. Da ich die ganze Stunde nur auf Elias Hinterkopf gestarrt hatte, waren meine Notizen mehr als nur dürftig. Doch es fiel mir schwer, nicht jedes Mal zusammen zu zucken, wenn jemand sich dem Tisch näherte, den ich mir in der Bibliothek gesucht hatte.
Ich wusste, dass er nicht kommen würde. Doch das hielt mich, trotz allem, trotz dem ganzen, verworrenen Tag, nicht davon ab, es zu hoffen. 
Eine Fliege summte verirrt zwischen den Regale umher. Schüler liefen an mir vorbei und warfen mir neugierige Blicke zu. Niemand setzte sich zu mir.
Durch ein nahes Fenster konnte ich sehen, wie die Sonne immer tiefer sanken. Eine Eule stieg über dem verbotenen Wald auf und im See plantschte der Riesenkrake. Ich sah auch Hagrids Hütte und dachte daran, ihn bald einmal wieder zu besuchen. 
Als die Strahlen der Sonne golden und lang über die leere Pergamentrolle vor mir fielen, rollte ich sie zusammen und schraubte mein Tintenfass zu. Ich war so müde. Selbst der Drache in mir war müde. Nicht einmal Angst drang noch zu mir durch.

Im Gemeinschaftsraum traf ich auf Sue und Felix, die auf dem Weg zum Abendessen waren. Sie interpretierten meine Miene richtig und überredeten mich, noch einmal mit ihnen nach oben zu kommen, um heute wenigstens eine Kleinigkeit zu essen. Ich trottete meinen Freunden einfach hinterher in die große Halle, wo wir uns mit einem tiefen Seufzen an unsere Plätze setzen.
James, Sirius und Peter saßen mit hängenden Köpfen da und starrten auf ihre Teller. Sue jammerte über ihre befellte Tasse aus Verwandlung und Felix seufzte, dass ihre Tasse wenigstens in die Kategorie der Fauna eingeteilt werden konnte. Seine Maus wäre grün und von Kaktus-Stacheln bedeckt gewesen.
Elias war schon wieder nicht am Ravenclaw Tisch und so sehr Marlene es auch versuchte, sich auf das Buch vor ihrer Nase zu konzentrieren, konnte man doch genau sehen, dass ihre Augen sich nicht bewegten. 
Alan saß unglücklich neben Sophie und Tad, die sich angeregt mit einigen anderen Slytherins unterhielten und ich sah, dass auch Lily der Gruppe ab und an zweifelnde Blicke zu warf. Severus schien zwar nicht wirklich an dem Gespräch beteiligt zu sein, hörte jedoch mit verklärtem Blick zu.
Nicht einmal der sonst so fröhliche Frank konnte diesem Tag etwas Gutes ab gewinnen und kam auch nicht zu uns an den Tisch, um die unglückliche Sue mit ein paar lockeren Witzen wieder auf zu muntern. Sein Blick haftete an einem Mädchen an seinem Tisch und fast hatte ich das Gefühl, als wollte er jede ihrer Bewegungen für immer in sich aufnehmen.
Auf dem Rückweg passte Fabian mich in der großen Halle ab. Er war allein, eine wahre Ausnahmesituation bei den Zwillingen, und fragte, wie es mir ginge.
„Ich weiß es nicht…“, wiederholte ich müde meine Antwort vom Morgen.
„Wenn-… wenn ich irgendwas tun kann…“, setzte er an, brach dann jedoch ab.
„Das ist sehr nett von dir“, antwortete ich und versuchte mich an einem Lächeln, „Es war… irgendwie kein guter Tag“
Als Fabian nickte, wandte ich mich ab, um Sue und Felix zu folgen, die an der Treppe auf mich warteten.
„Ich wäre gekommen!“
Verwirrt drehte ich mich zu dem rothaarigen Jungen um, dessen Wangen anscheinend seine Haare zu übertrumpfen versuchten. Nervös fummelte er am Träger seiner Tasche herum.
„Lupin. Ich-… also ich an seiner Stelle wäre gekommen“

Wir waren fast am Korridor zur Küche angekommen, als ich einen mir bekannten Geruch aufschnappte.
„Ich-… komme gleich nach“, brachte ich noch hervor, bevor ich Sue und Felix einfach stehen ließ.
„Aber wir haben doch gleich Nachtruhe!“, rief Felix mir hinterher, doch ich überhörte ihn.
Ich folgte dem Duft weiter, fast bis zum Klassenzimmer für Zaubertränke, wo meine erschöpften Ohren langsam das leise Schluchzen auffingen.
Ob sie mich bemerkte oder nicht, sie sah nicht auf, als ich vorsichtig vor ihr in die Hocke ging.
„Lily…“
Als sie meine Stimme hörte, wurde ihr Schluchzen nur noch lauter. Zusammen gekauert saß sie hinter einer Rüstung, ihre Tasche vor die Brust gepresst und ein Blatt Papier halb zerknüllt und tränenfeucht in den Händen.
Vorsichtig setzte ich mich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. Langsam und wimmernd kippte sie zur Seite und vergrub weinend das Gesicht in meinen Haaren.
Leise murmelnd griff ich nach ihrer verkrampften Hand und sie ließ zu, dass ich das zerknüllte Papier aus ihren Fingern zog. Es war ein Brief, geschrieben mit wütender, eiliger Hand. Der Autor hatte fast das Papier zerrissen, so fest hatte er mit den Stift darauf eingedrungen. Die Buchstaben pressten sich durch die Fasern, trugen Zorn und Schmerz und Tränen mit sich.
Beim Lesen flogen mir Beleidigungen um die Ohren, ganze Paraden an Schimpfwörtern tanzten mit kaum verborgener Enttäuschung Walzer. Sie tanzten zu einer Musik gegen die Zaubererwelt und die Zauberer und Hexen, die darin lebten, gegen die Magie, gegen Zauberstäbe und Hogwarts und all das Phantastische, das mich hierher gelockt hatte. Und jedes Wort warf mit Steinen nach einem Namen.
Lily.
Unterschrieben war der Brief nicht. Er endete auf dem schlichten Satz, dass der Autor nichts mehr von ihr hören wolle.
Ein letztes Mal für diesen Tag bemühte ich alle meine Sinne. Ein feuriges Duft stieg von dem Papier auf. Doch er war etwas anders, als der von Lily, auch wenn sie sich fast perfekt überlagerten. Er formte ein Bild vor meinen Augen. Das Gleis Neundreiviertel, zwei glückliche Erwachsene und ein Mädchen, in dessen Gesicht nicht ein bisschen Freude oder Stolz oder auch Trauer zu lesen war. Nur… Zorn.
„Es tut mir leid, Lily“, brachte ich hervor und legte den Brief neben mir auf den steinernen Boden.
„Er ist-… er ist von-…“, japste Lily, doch ich drückte sie nur kurz an mich, als ihr der Atem schwand.
„Ich weiß“, entgegnete ich, „Und du schleppst ihn schon den ganzen Tag mit dir rum, hab ich Recht?“
Darauf erhielt ich keine Antwort, doch das bisschen Ich, das nach einem Tag voller Angst und Enttäuschung in mir noch übrig geblieben war, zog sich schmerzhaft zusammen.
„Ich hab nur auf mich geachtet… es tut mir so leid Lily. Ich hab es nicht gemerkt“
„Wehe dir!“, schniefte Lily da und zog sich von mir zurück, „Wenn du dir Mal keine Sorgen um Andere machst… das sollten wir in den Kalender eintragen!“
Das entlockte mir das erste Mal an diesem Tag ein leises Lächeln.
„Wenn du meinst…“, antwortete ich schwach.
„Ich meine!“, begehrte Lily auf, beruhigte sich jedoch wieder, als sie mein erschrockenes Gesicht sah, „Ich weiß gar nicht, wie du das aushältst, dir dauernd Sorgen zu machen“
„Ich mache mir nicht dauernd-…“, begann ich, brach dann jedoch ab.
Marlenes Gesicht erschien in meinem Kopf. Was ich Elias angetan hatte, war schließlich auf sie zurück geschlagen. Sie verstand sich gut mit ihren Mitschülern aus Ravenclaw, das wusste ich. Doch Elias und sie hatte etwas verbunden. Etwas, das ich nun zerstört hatte.
„Siehst du!“, schnaubte Lily, „Du machst es schon wieder. Man sieht es dir im Gesicht an!“
„Entschuldige…“
Doch darauf warf Lily nur die Arme in die Luft.
„Du bist wirklich furchtbar! Wir machen uns alle Sorgen um dich und das Einzige, was du tust ist, dir Sorgen zu machen, weil wir uns Sorgen machen und dich ständig zu entschuldigen!“
„Ich will nicht, dass ihr euch Sorgen um mich macht!“, versuchte ich sie abzuwehren, „Das-… also das, worum ich mir Sorgen mache… ihr könnt daran nichts ändern. Ich bin nunmal so… wie ich bin-…“
Sofort stiegen wieder Tränen in Lilys Augen auf, doch sie wedelte nur wild mit den Händen.
„Wehe, du versuchst jetzt wieder dich zu entschuldigen!“, protestierte sie.
Und so schwieg ich.
Sich die Augen reibend lehnte sich Lily schließlich neben mich an die Mauer. 
Und so saßen wir dort, im schummrigen Zwielicht, Schulter an Schulter. Die Lilie, die Rose und das Blatt, mit dem Duft nach Petunien, zwischen uns.

Wie ich später in den Schlafsaal zurück gekommen war, daran erinnerte ich mich nicht mehr. Doch an das Heulen, das meine Ohren aufschnappten, erinnerte ich mich noch am nächsten Morgen.
Mein Bett, sonst eine warme und gemütliche Festung gegen all das Böse in der Welt, kam mir diese Nacht wieder kalt und fast schon bedrohlich vor.
Wäre von der Aufregung und der Angst des Tages noch etwas übrig gewesen, wäre nun wohl der Moment gekommen, mich durch eines der Fenster auf die Ländereien zu schleichen und dem Drachen einen Moment der Freiheit zu erlauben. Doch die jaulenden und knurrenden Töne, die den Anderen, wie schon beim letzten Mal, verborgen blieben, kamen fast einer Warnung gleich.
An Schlaf war nicht zu denken.
Und so kletterte ich über meinen Koffer in die Nische beim offenen Fenster, genoss den kühlen Herbstwind, der fast schon ein wenig nach Winterkälte roch und beobachtete die bleichen Blätter im Licht des Vollmonds, wie sie über das Gras tanzten. Kleine Geister, die am Morgen, im Licht der Sonne, wieder entflammen würden.
Der Gedanke an ihn schmerzte in meiner Brust, doch vielleicht, so hoffte ich, während den Stunden meiner Wache, bis am Morgen die Sonne wieder über den Wald kletterte und ich mich in mein Bett verkroch, hatte wenigstens Remus einen besseren Tag gehabt als der Rest von uns.
54. Kapitel
Lügner
Am nächsten Morgen verriet mir der Blick in den Spiegel, dass ich heute auf sehr dünnem Eis stand. Während die Hexe gewacht hatte, hatte der Drache geschlafen. Meine menschliche Hülle sah dünn und blass aus. Meine Augen lagen tiefer als sonst, umhüllt von dunklen Schatten, und der Opal in meinen Augen schimmerte heller, als der Vollmond der vergangenen Nacht. 
Mit einem Stöhnen schob ich meinen Umhang zu Recht und setzte die Brille auf.
„Mit Verlaub, Roselynn...“, meinte Annabell, die sich auf ihrem Bett die Haare kämmte, „Du siehst furchtbar aus“
„Danke...“
Selbst meine Stimme kam einem Knurren gleich.
„Sue hat mir erzählt, dass du gestern nichts gegessen hast“, tadelte sie mich weiter, „Dabei bist du schon ziemlich dünn“
Das stimmte. Ich traute mich kaum, beim Essen so viel zu nehmen, wie ich eigentlich Hunger hatte. Stattdessen orientierte ich mich daran, wie viel die Menschen um mich herum aßen. Un trotzdem wurde ich noch als Vielfraß bezeichnet.
„Willst du nicht Mal zu Madame Pomfrey?“, fragte Elster besorgt, die Annabells gehört hatte.
Ich zuckte nur mit den Schultern, nahm meine Tasche und verließ ohne die Anderen den Schlafsaal.
Sue war noch nicht einmal wach, doch eine heftige Unruhe hatte mich aus meinem kurzen Schlaf geweckt.
Das Essen. Das Beobachten. Ja, es hatte etwas mit dem Beobachten zu tun. Ich beobachtete die Menschen und versuchte, ihr Verhalten zu kopieren, mich ihnen anzupassen. Dadurch bemerkte ich Dinge. Doch... etwas war mir entgangen. Ich wusste es. Da war eine Lücke in meinem Puzzle, und diese kleine Lücke verwehrte mir den Blick auf das gesamte Bild.
Doch ich kam nicht darauf, was es war.
„Guten Morgen, Roselynn“
Ich hatte gerade den Gemeinschaftsraum erreicht, als Rouxs Stimme mich von der Tür zu den Jungen-Schlafsälen grüßte.
Der hatte mir gerade noch gefehlt. Nicht, weil ich ihn nicht mochte, doch ich merkte, dass mir heute gute Laune zu wieder war und außerdem war Roux ein viel zu guter Beobachter. Hunderte Male hatte ich mittlerweile seinen Geruch eingeatmet und versucht etwas besonderes, etwas andersartiges daran zu finden. Es war fast unheimlich, wie gut er darin war, einem auch noch das kleinste Geheimnis zu entlocken, mit seinem Charme und seiner unfassbaren Liebenswürdigkeit. Doch nichts. Er war nur ein Mensch, der gut darin war, andere zu beobachten.
„Morgen“, brummte ich.
„Du hörst dich aber gar nicht gut an“
Da war sie. Die Sorge.
Lilys Worte hatten mich darüber nachdenken lassen. Die Loyalität der Hufflepuffs. Die Sorge. Immer um andere. Nie, oder nur selten, um sich selbst. War es das, was uns ausmachte?
„Es geht mir gut“, versuchte ich ihn abzuwehren und setzte mich wieder in Bewegung.
„Hey“
Er war schnell. Mit langen Schritten war er an meiner Seite und ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. Doch er schien es zu spüren. Die Kälte, die heute von mir ausging. Er hatte also noch nichts davon gehört, sonst hätte er sich nie getraut mich zu berühren. Doch nun zog er die Hand zurück.
„Wir wissen alle, dass du in letzter Zeit viel durchgemacht hast... und wenn du Hilfe brauchst- ...“
„Nein, danke!“, unterbrach ich ihn scharf und fast hörte ich den Drachen in meinen eigenen Worten zischen, „Ich komme alleine klar. Ich bin nicht halb so zerbrechlich, wie ihr alle denkt“ „Niemand hält dich für zerbrechlich, Roselynn“
Das ließ mich stutzen. Hatten sie nicht alle gesagt, sie wollten mich beschützen? Ich sei zu niedlich, zu tollpatschig, um allein durch ́s Leben zu kommen? 
„Wenn du's unbedingt wissen willst“, antwortete Roux, als ob er meine Gedanken lesen konnte und diesmal musste ich ihn ansehen, musste in seine dunklen Augen sehen und, wieder einmal, die schwarzen Locken bewundern, die so tief schimmerten, wie der Neumondhimmel, „Wir, also... deine Freunde und ich... wir wissen, dass etwas an dir... anders ist“ 
„Wovon-... redest du?“, brachte ich krächzend heraus, doch mitten im Satz brach meine Stimme auf verräterische weise.
Der Gemeinschaftsraum war noch leer. Doch wie viele Ohren hörten wirklich zu?
„Es ist... ein unbestimmtes Gefühl... In deiner Nähe fühlt man sicher. Als würde etwas... größeres über einen wachen. Als könnte nichts und niemand auf dieser Welt einem etwas anhaben“, Roux trat noch einen weiteren Schritt an mich heran. Er war gute zwei Köpfe größer als ich und starrte mit durchdringendem Blick auf mich hinab, „Aber... wenn man dich besser kennt, dann merkt man, dass dieses Große dich zu erdrücken scheint. Du trägst die Last ganz allein. Aber so funktioniert das nicht, Roselynn. Du kannst uns nicht ewig aus deinem Leben raus halten. Wir wollen dich beschützen. Vor dir selbst. Und wenn du nicht mit mir reden magst“, und bei diesen Worten trat er wieder zurück und die Luft um mich herum schien plötzlich weit und kalt und einsam zu sein, „Dann mit jemand anderem. Jemandem, dem du mehr vertraust, als mir“ Mit einem zurückhaltenden Lächeln nickte er mir zu, dann schritt er an mir vorbei und ich hörte den Deckel des Fasses hinter mir zuschlagen. 
Oh ja... ich musste dringend mit jemandem reden. Und ich wusste auch genau mit wem. 
„Jedes Mal wie ein sauberer Schnitt durch ́s Trommelfell...“, gähnte Felix, als er den Gemeinschaftsraum betrat.
Gerade hatte ich die kleine Pergamentrolle am Bein des goldenen Uhus fest gebunden und das schimmernde Tier hüpfte bereitwillig auf meinen Arm, damit ich ihn zum Fenster tragen konnte. „Ich versteh immer noch nicht, wie du ihn so einfach hoch heben kannst“, schüttelte Felix den Kopf und trat vorsichtig hinzu, „Er ist riesig!“ 
„Hier“
Ich streckte den Arm aus, auf dem der goldene Uhu saß und Felix zuckte ein wenig zurück.
„Nun nimm ihn schon“, seufzte ich, packte Felix Hand und zog seinen Arm in die Gerade.
Mit einem leisen Klappern des Schnabels wechselte der Uhu von meinem Arm auf Felix und plusterte dort zufrieden sein Gefieder aus, was Felix zusammen zucken und die Hand vor die Augen halten ließ.
„Angsthase!“, kicherte Sue und schloss die Tür zu den Mädchen-Schlafsälen hinter ihr, Annabell, Emily und Elster, „Der tut dir nichts“
„Er ist so leicht!“, stammelte Felix, der vorsichtig die Hand sinken ließ.
„Leicht wie ein Huhn“, kicherte Elster und dann an mich gewandt, „Wem schreibst du? Du hast doch erst vor zwei Tagen einen Brief von zu Hause gekriegt“
„Aber sie war doch auf der Party“, erinnerte Annabell sie.
„Ich dachte, so spannend war's nicht“, wunderte sich Elster und warf mir einen fragenden Blick zu.
„War's auch nicht“, entgegnete ich und hielt dem Uhu wieder meinen Arm hin.
Am Fenster gab ich ihm noch einen kleinen Kuss auf die Schnabelspitze, den er mit sanftem Knabbern an meiner Nase erwiderte. Dann breitete er die Schwingen aus und flog in den Morgen.
Es würde ein anstrengender Tag werden. Das wurde mir spätestens dann klar, als ich den Gemeinschaftsraum mit den Anderen verließ. Der Drache hatte keine gute Laune, war ausgeschlafen und spreizte die Flügel, während die Hexe nur schlafen wollte. Und all seine Sinne waren hellwach und liefen auf Hochtouren. 
Und da, in der Eingangshalle, schwebte mir sein Geruch entgegen.
„Rose?“, fragte Emily, als ich kurz stehen blieb.
„Nichts“, gab ich zurück, „Hab nur überlegt, ob ich mein Zaubertrankbuch mitgenommen habe“, und schloss mich ihnen eilig wieder an.
„Schau Mal!“, zischte Sue, als wir die große Halle betraten, „Da ist er?“
„Wer?“, fragte ich verschnupft und sah absichtlich in eine andere Richtung.
„Tu nicht so“, grummelte Sue und versuchte mir einen Ellenbogen in die Seite zu stoßen, verfehlte aber ihr Ziel und kippte beinahe zur Seite um.
Ausnahmsweise war ich nicht schnell genug. Doch ein Anderer fing Sue rechtzeitig auf, bevor sie gänzlich das Gleichgewicht verlor.
„Du siehst scheiße aus, Rose“, war Gideons einfacher Kommentar, als er sie wieder auf die Füße stellte.
„Danke...“, knurrte ich erneut und meinem Tonfall konnten alle Anwesenden meine Stimmung entnehmen. Annabell zog warnend die Augenbrauen hoch und machte sich auf den Weg zum Hufflepuff Tisch.
Doch immerhin, bis jetzt war immer noch niemand in Panik geraten und schreiend vor mir davon gelaufen.
„Soll ́n wir fragen gehn?“, meinte Gideon, als auch Sue, die sich mit einem Lächeln bei ihm bedankt hatte, zum Frühstück abwandte.
„Was meinst du“, fragte ich kühl.
„Das weißt du genau“, entgegnete Fabian, der an diesem Morgen genauso angriffslustig zu sein schien wie ich.
Sein Blick war fest auf Remus gerichtet, der neben Peter saß, Sirius und James gegenüber.
„Und was soll das bringen?“, erwiderte ich und verschränkte die Arme.
„Vielleicht gibt er uns einen Grund ihn daran zu erinnern, wie sich ein Gentleman zu benehmen hat?“, fragte Gideon grinsend.
Ich seufzte.
„Lasst mich das machen. Aber danke“, war meine einzige Antwort.
„Wie du meinst“, brummte Fabian, „Aber wir sind ganz sicher nicht weit weg“
Gerade wollten die Worte aus mir heraus platzen, dass Remus kein Kapitalverbrechen begangen hatte. Doch ich schluckte sie wieder hinunter. Die ganzen Tage, in denen er mich ignoriert hatte. Die Tatsache, dass er zugelassen hatte, dass Sirius und James Peter auf einen Rennbesen setzten. Es auch noch lustig gefunden hatte. Und dann gestern...
„Regeln sind da, um gebrochen zu werden“, grinste James gerade, als ich ihrer Gruppe langsam näher kam.
Remus sah bei diesen Worten nicht einmal auf. Er roch wieder normal, doch ein Duft war geblieben. Ich hatte das Gefühl, in der Zeit rückwärts gewandert zu sein. Er roch wieder nach frischem Blut. Und bildete ich mir nur ein, dass er auch etwas schief saß? Fast so, als hätte er Schmerzen...
„Nichts ist gemacht, um gebrochen zu werden“, belehrte er den verwuschelten Gryffindor und blätterte in aller Ruhe eine Seite um.
„Piñatas“, entgegnete Sirius.
„Knicklichter“, seufzte Lily, die am Tisch der Ravenclaws mit dem Rücken zu James und Sirius saß.
Begeistert drehte Sirius sich zu ihr um, um ihr einen High Five anzubieten, doch Lily drehte sich nicht einmal um. 
Gerade wollte James sich ebenfalls zu ihr umdrehen, vermutlich, um wieder einmal einen unfassbar charmanten Kommentar fallen zu lassen, da bemerkte er, wie ich hinter Remus stehen blieb und seine Gesichtszüge entgleisten zu einer Fratze zwischen Lachen und Entsetzen.
„Versprechen?“ 
Sofort schoss Remus Kopf nach oben.
Einen Moment lang rührte sich keiner von uns, dann räusperte Remus sich und schloss langsam sein Buch. Um seine Hand schlang sich ein dünner Verband.
„Roselynn, ich-...“, dann brach er ab.
„Es war keine Absicht, Rose!“, platzte James heraus und mehrere Köpfe wandten sich uns zu. „Dich hat keiner gefragt, Potter“
„Rose...“, seufzte Sirius, während Peter sich neben Remus ganz klein machte, doch ich streckte einen erhobenen Zeigefinger aus und brachte ihn damit zum Schweigen.
„Wenn du mir etwas zu sagen hast, Rem, dann jetzt“
Wieder räusperte Remus sich, ich sah, wie die Hand mit dem Verband langsam in der Tasche seines Umhangs verschwand.
„Also ich... es tut mir sehr Leid, Rose. Ich hab gestern... ganz früh am Morgen weißt du, ihr alle habt noch geschlafen, also praktisch noch in der Nacht... einen Brief gekriegt, von zu Hause. Meine Mutter, sie... ist krank geworden und im Sankt Mungo hat man sich Sorgen gemacht und sie hat nach mir gefragt...“
Desto länger Remus redete, desto mehr spürte ich, wie die Hitze in mir aufstieg. Sie traf auf das Kribbeln in meiner Nase und es kostete mich alle Selbstbeherrschung nicht in das Niesen des Jahrhunderts auszubrechen.
„Gut“, war meine einzige Antwort.
ich verschränkte die Arme, dann ließ ich sie recht hilflos wieder an meine Seite fallen.
„Na schön“
Dann drehte ich mich auf dem Absatz um und rauschte Richtung Eingangshalle.
„Rose!“, rief Remus und ich hörte, wie er versuchte aufzustehen. Anscheinend konnte er das Bein nicht weit genug heben und fiel, denn ich hörte, wie die Bank laut über den Boden polterte, Peter erschrocken aufschrie und auch, wie Remus unsanft auf dem Boden landete.
Doch ich drehte mich nicht um. 
In Zaubertränke begegnete mir Professor Slughorn mit der üblichen, zuckrigen Freundlichkeit, die er seit der Party nur langsam wieder her gestellt hatte. Doch er schien mir meinen kleinen Auftritt bereits verziehen zu haben und äußerte die ganze Stunde mehrmals, wie sehr er doch um mich besorgt war und dass ich jederzeit und mit allem an ihn heran treten konnte. 
Ich bedankte mich artig und versuchte mich zu konzentrieren.
Warum traf es mich so sehr, dass Remus mich anlog? Ich log doch selbst den ganzen Tag.
Ich konnte es mir nur damit erklären, dass ich seine Lüge als Beweis dafür sah, dass er mir nicht vertraute. Und das verletzte mich. Immerhin, das hatte er selbst gesagt, wollten wir Freunde sein. Und es war auch keine einfache, kleine Lüge gewesen. Es hatte ihn alles gekostet diese Worte hervor zu stottern, mit diesem dünnen Gespinst die riesige Wahrheit zu verstecken. Doch die Anderen schienen ihm zu glauben.
Oder wollten es zumindest.
In Verteidigung gegen die dunklen Künste wurde es noch schlimmer.
Schon vor dem Klassensaal fingen Sirius und Peter mich ab, um mir zu erklären, dass es Remus furchtbar leid tat, dass er im Krankenhaus von einem kranken Patienten angefallen worden und dabei verletzt worden sei. Sie trugen den ganzen Sermon mit solcher Beharrlichkeit vor. Für sie war es di Wahrheit. Und ich beneidete sie darum, dass ihre Sinne so stumpf waren und ihnen nicht all das verrieten, was sie ohnehin nicht wissen wollten.
Ich schob mich müde zwischen den beiden hindurch, doch da spürte ich, wie mich jemand am Umhang packte. Es war, zu meinem großen Erstaunen, Peter, der seine weichen Finger wie Krallen in meinen Ärmel grub.
„Du weißt doch, wie das ist, oder, Roselynn? Manchmal passieren eben dumme Dinge. Er kann nichts dafür, aber er macht sich riesige Vorwürfe. Und das machst du auch ständig!“
Verblüfft starrte ich den kleinen, pummeligen, sonst so ängstlichen Jungen an. Anscheinend hatte ich, mal wieder einen Menschen falsch eingeschätzt, nur weil er nicht war wie ich.
Professor Alastríonas hatte die anderen bereits in den Klassensaal gerufen und wandte sich nun mit verschränkten Armen in unsere Richtung.
„Mister Pettigrew, es ist ja schön, dass sie so sehr an Miss May hängen, doch ich fürchte, das kann ich nicht als Grund gelten lassen, sie beide von meinem Unterricht zu befreien“ „Entschuldigung, Professor!“, entgegneten Peter und ich wie ein kleiner Kinderchor und Peter ließ sofort meinen Ärmel los, um noch vor mir durch die Tür zu schießen, wie ein runder Pfeil. Während Professor Alastríonas zwischen den Pulten auf die Tafel zu schritt, redeten und lachten noch alle Schüler aufgeregt, setzten sich an ihre Plätze und warteten.
Remus jedoch stand, still wie eine Statur, den Blick fest auf mich gerichtet. Es schien ihm Schmerzen zu bereiten, er belastete nur das linke Bein. Doch er blieb stehen, bis ich mich gesetzt hatte. Erst dann ließ er sich mit einem leisen Ächzen sinken.
„Roselynn, ich-...“, setzte er an, doch ich hob die Hand und unterbrach ihn damit, als Professor Alastríonas sich vor ihrem Pult elegant und schwungvoll umdrehte.
„ich habe beobachtete, dass noch nicht alle so erfolgreich mit ihren Beinklammerflüchen waren. Deshalb werden wir die Stunde heute damit beginnen und uns erst in einer halben Stunde mit dem neuen Thema beschäftigen. Also los!“
Und als sich alle wieder erhoben hatte, schwang sie ihren Zauberstab und die Tische und Bänke hüpften fröhlich an die Wand. Stattdessen kullerten die altbekannten Kissen zu uns heran.
„Also ich-... du musst nicht mit mir... ich meine...“, stotterte Remus und wurde sehr blass im Gesicht.
„Du fängst an“, antwortete ich, schnappte mir die Kissen und legte sie hinter mich.
Als Remus zögerte, rollte ich wie genervt mit den Augen.
„Na los“
Und fast glaubte ich, so etwas wie Erleichterung und auch etwas Farbe in Remus Gesicht zu sehen.
Wir waren eben beide Lügner .
55. Kapitel
Der Mond am Ende der Welt
„Ich war unfair…“, jammerte ich zwischen zwei Bissen, während Hagrid mir mit einem Lächeln den Teller mit den Felsenkeksen näher heran schob und sich dann wieder dem Teekessel zuwandte.
Die Kekse waren noch warm und er hatte mir eine zweite Ladung versprochen, ganz für mich allein, die er gerade in den Ofen geschoben hatte. Und bei Merlin, ich war hungrig wie ein Rudel Bergwölfe.
Beim Mittagessen war der goldene Uhu zurück gekehrt und hatte, auf der Rückseite meiner Nachricht, Hagrids gekritzelte Antwort überbracht, dass er sich darauf freuen würde, wenn ich ihn heute nach meiner Flugstunde besuchen würde. Ich hatte zwar später Astronomie und ein wenig Schlaf hätte mir wohl gut bekommen, doch mein Verlangen mit Hagrid zu sprechen war viel größer. Auch, wenn ich während der Flugstunde einmal fast vom Besen gefallen war vor lauter Müdigkeit.
Doch ich war nicht die Einzige gewesen. James hatte Remus auffangen müssen. Der Sturz wäre zwar nicht tief, aber trotzdem schmerzhaft gewesen. Und trotz allem, war Remus erst durch den lauten Pfiff und das Schimpfen von Madame Hooch wach geworden.
Sie war es auch gewesen, die mir, für das Testspiel in einer Woche, einen Katalog für Besen überreicht hatte und mir geraten hatte mich zu beeilen.
„So wie ich sehe, haben sie ein scharfes Auge und sind Recht klein“, hatte sie mich gemustert, „Als Sucher wären sie da natürlich perfekt“
Jetzt stellte Hagrid einen riesigen Becher Tee vor mir ab, an dem ich mir in meiner Hast die Zunge verbrannte.
„Aber du hast es wieder gut gemacht“, brummte er beschwichtigend, „Hab ja selbst gesehn, dass er humpelt“
Oh ja, ich hatte mich die ganze Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste erst von Remus mit einem Beinklammer-Fluch und später mit einem Kitzel-Fluch bearbeiten lassen. Dabei war ich so oft neben die Kissen gefallen, dass mir nun alles weh tat.
„Ja, schon…“, murmelte ich verlegen und hielt endlich darin inne, die Kekse in mich hinein zu schlingen, „Aber es war unfair heute morgen. Ich sollte nicht wütend auf ihn sein. Er kann nichts dafür, dass man mich nicht belügen kann“
„Wäre dir manchmal lieber, mh?“, fragte der Riese nachdenklich und ich nickte.
„Es ist ätzend! Und bringt mir außerdem überhaupt nichts! Ich meine, Remus ist jetzt schon zwei mal einfach so verschwunden und einen Tag später plötzlich wieder aufgetaucht. Er verhält sich komisch, er riecht seltsam und er lügt wie gedruckt. Aber ich werde einfach nicht schlau daraus!“
„Wirklich nicht?“, fragte Hagrid und ein Felsenkeks knirschte und knackte zwischen seinen Zähnen, als er weiterhin nachdenklich ins Leere starrte.
Ich stutze. 
„Warum… was meinst du?“
„Kommt dir das nich irgendwie bekannt vor?“, brummte Hagrid mit hoch gezogenen Augenbrauen und trank einen Schluck Tee, „Verhält sich seltsam, kann nich einfach so die Wahrheit sagen und riecht, wie du sagst, anders als ein normaler Mensch. Erinnert mich an wen“
Mich erinnerte das an niemanden, den ich kannte. Doch weiter wollte Hagrid sich nicht ausführen, ganz egal wie sehr ich auch bohrte und bettelte.
„Du hast doch nen Katalog von Madame Hooch gekriegt, nich? Wegen ´nem Besen?“
„Ich hab keine Ahnung von Besen…“, murrte ich und knabberte schon wieder am nächsten Keks, „Und die kosten alle ein Vermögen!“
„Haste nich ´nen bisschen was gespart?“, fragte Hagrid erstaunt und schenkte mir Tee nach, „Als Drache kannste doch bestimmt Mal, ich weiß nich, Blut spenden oder so…“
„Nicht mehr“, brummelte ich und legte genervt den Keks bei Seite, „Da ich jetzt offiziell als Hexe anerkannt wurde und keine Abgaben mehr leisten muss, darf ich auch nichts mehr verkaufen“
„Abgaben?“, platzte Hagrid heraus, „Sach bloß, du musstest noch Abgaben leisten, nachdem du dich das erste Mal verwandelt hast!“
„Natürlich“, antwortete ich, erstaunt über seine heftige Reaktion, „Das britische Ministerium hat auch danach gefragt, als ich hier ankam. Jeder Drache in den Reservaten lebt entweder wegen der Erhaltung seiner Art oder wegen den Produkten, die er abwirft. Ich weiß, dass Kristóf es anders macht, aber in den meisten Reservaten tötet man die Peruanischen Vipern nach dem ersten Schuppenwechsel. Da bringen sie, im Vergleich zu den Zuchtkosten, das meiste Geld“
Hagrids dunkle Augen musterten mich einen Moment lang, dann stellte er seinen Becher mit großer Vorsicht auf dem Tisch ab.
„Sie ham´s versucht, oder? Bei dir, mein ich“
„Und bei meinen Brüdern auch“, nickte ich und starrte auf das abgewetzte Holz der Tischplatte, „Als wir ungefähr sieben waren. Im ersten Jahr härtet das Schuppenkleid noch vollständig aus, danach dauert es fast sechs Jahre, bis sich darunter ein Neues bildet und die alten Schuppen abgeworfen werden. Ich hatte das allerdings noch nie…“
Und ich war wirklich froh darum. Meinen Brüdern schien es nichts ausgemacht zu haben, doch irgendwie hatte es seltsam ausgesehen, wie sich die steinharten Schuppen einfach so aus ihrer Verbindung zueinander gelöst hatten. Klimpernd und klingend waren sie zu Boden gefallen, ein Regen aus Schuppen. Und es war nicht ungefährlich neben einem Drachen im Schuppenwechsel zu stehen, wenn der sich grade schüttelte, weil die alten Schuppen so unangenehm juckten.
Die alten Schuppen verloren mit der Zeit ihren Glanz. Sie waren ein Schutzpanzer, hatten eine Aufgabe und waren nicht nur Schmuck. Wir waren ja keine Pfauen. Doch meine Eigenen waren zwar noch so hart wie früher, doch mittlerweile stumpf und matt, das wusste ich. Noch ein paar Jahre und ich wäre des schmuddeligste Drache, den es je auf Erden gegeben hatte. Doch daran konnte ich nunmal nichts ändern. Anscheinend durchliefen die Erben Echidnas keinen Schuppenwechsel.
„Mein Bruder… Hold. Bei seinem Schuppenwechsel war etwas anders. Ihm fielen damals alle schwarzen Schuppen aus und er bekam stattdessen Weiße. Das Ministerium war gar nicht glücklich darüber. Sie dachten, wenn sie uns nur weg sperren und sie und mich voneinander trennen, dann bleibe ich das einzige Problem aus unserem Gelege. Als Hold dann die Farbe wechselte und Volcanalis neben Gift auch noch Feuer spuckte… Kristóf und Dr. Imre haben alles gegeben. Am Ende haben sie stattdessen unsere Mutter getötet, damit keine Gefahr besteht, dass sie nochmal Eier legt“
„Un´ euer Vater?“, fragte Hagrid.
„Weg gebracht. Ich hab keine Ahnung, wo er heute ist. Aber ich weiß, dass meine Brüder bei Kristóf in Sicherheit sind. Und wenn ich irgendwann eine richtige Hexe bin, dann gehe ich zurück und werde sie beschützen. Ich werde einfach ihr Wächter! Dann kann ihnen niemand etwas antun!“
In Hagrids Augen spiegelte sich ein besonderer Glanz, als ich mit meiner kleinen Rede geendet hatte. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich aufgestanden hatte. Und ich war tatsächlich auch ein bisschen außer Puste.
Hagrid stattdessen erhob sich ebenfalls, zog sich seine riesigen, mit Blumen bestickten Backhandschuhe über und wuschelte mir, auf dem Weg zum Ofen, durch mein schneeweißes Haar.
„Du wirst großartig sein. Ganz egal, was du machst“

Am Abend kehrte ich nachdenklich ins Schloss zurück. Dieser kleine Schwenk in die Vergangenheit war, trotz der Sachlichkeit, mit der ich davon hatte erzählen können, anstrengend und traurig gewesen. Und was hatte Hagrid nur gemeint? Verhielt sich seltsam, konnte die Wahrheit nicht sagen. Wenn Remus dauerhaft anders gerochen hätte als jeder Mensch, dann hätte ich vermutet, dass auch er eine Art Halbwesen war. Doch dieser dauernde Wechsel… und noch dazu waren diese Gerüche zwar wilder als bei Menschen, doch nicht unbedingt ungewöhnlich. Sirius roch ab und an nach nassem Hundefell und James nach dem frisch geschnittenen Geweih eines Hirschs. Kristóf schnitzte gern Horn-Pfeifen. Und Lily konnte, wenn sie wütend war, riechen wie ein ganzer Strauch schärfster und feurigster Chilischoten
In der großen Halle war gerade das Abendessen aufgetragen worden und obwohl ich die Felsenkekse fast ganz allein gegessen hatte und ich auch noch ein großer Beutel in meiner Tasche befand, stürmte ich erleichtert an meinen Platz. Heute würde ich Mal richtig satt werden!
Während ich mir also ein halbes Hühnchen und eine riesige Portion Kartoffel auftat, warf ich einen nervösen Blick zum Ravenclaw-Tisch und verschluckte mich fast an meinem Kürbissaft.
Elias saß wieder neben Marlene. Und er lächelte sogar, wenn auch sehr bemüht. 
Fast, als hätte er bemerkt, dass ich ihn ansah, wandte er den Kopf.
Sein Blick fror. Sein ganzer Körper wurde starr wie ein Brett, doch er versuchte weiterhin mich direkt anzusehen.
Und dann, kaum merklich, schüttelte er den Kopf.
„Jetzt zeig schon!“
Ich ließ einen kleinen Schrei los und fiel fast rückwärts von der Bank, doch sofort hatte ich zwei paar Hände im Rücken. Es waren Gideon und Fabian, die sich grinsend hinter mir aufgebaut hatten und mich nun wieder auf die Bank hoben.
„Wir freuen uns auch, dich zu sehen“, witzelte Gideon, „Aber jetzt zeig schon, für welchen Besen hast du dich entschieden?“
Ach ja. Die beiden waren ja dabei gewesen, als Madame Hooch mir den Katalog gegeben hatte.
„Ich hab noch keinen ausgesucht…“, nuschelte ich verlegen, denn auch einige der Hufflepuffs, sowie Sue, Annabell und Elster verfolgten unser Gespräch neugierig.
„Was?“, platzte Fabian heraus, „Aber warum denn nicht?“
„Ich hab doch keine Ahnung von Besen“, gab ich kleinlaut zu.
„Wie kann man so gut fliegen und keine Ahnung von Besen haben?“, blökte James vom Gryffindor-Tisch und überschlug sich fast, so hektisch sprang er von seiner Bank auf.
Doch Sirius war schneller.
Schnell wie ein Wiesel schob er sich zwischen Sue und mich auf die Bank, wobei Sue fast, wie ich zuvor, nach hinten kippte. Gideon fing sie mit einer Lässigkeit auf, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan.
„Also, ich hab einen Komet 2-60! Der hat den besten Horton-Keitch-Bremszauber, den du je gesehen hast! Aber mein Vater hat noch einen Eichschaft 79, den solltest du mal sehen, damit kann man einen Ozean überqueren!“
„Der Eichschaft ist ja gut und schön“, platzte James dazwischen und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass Schüsseln und Kelche hüpften, „Aber damit kann man doch kein Quidditch spielen!“
„Du brauchst auf jeden Fall was mit einem guten Polsterunsgzauber“, gab Gideon zu bedenken, „Ansonsten bist du nämlich ganz schnell im Ar-…“
„Gideon!“, platzte Sue dazwischen, doch er lachte nur und gab ihr einen Klaps auf die Schulter.
„Sei doch nicht so prüde, Sue“, kicherte Elster.
„Wie wär's mit einem Sauberwisch 5? Alle Quidditch-Mannschaften fliegen heute entweder auf einem Sauberwisch oder einem Komet“, erklärte mir Fabian.
Sofort wurde der Katalog aus meiner Tasche geholt und ich war plötzlich eingequetscht zwischen vier, völlig Besen vernarrten Jungen, die alle über mehr Fachwissen zu verfügen schienen, als ich jemals haben würde. Zusammen konnten sie vermutlich die gesamte Quidditch Historie zusammen fügen.
„Da, das ist meiner!“, grinste James und hämmerte mit seinem Finger auf eine der wenigen Seiten des Katalogs, die in Hochglanz und Farbe gedruckt worden waren, „Der Nimbus 1001!“
„Der Besen, auf den du Peter gesetzt hast?“, fragte ich mürrisch und sofort erschien ein verlegenes Rosa auf James Wangen.
„Naja… also ich-…“
Dann jedoch brach er ab.
Sue hatte neugierig die Seite umgeblättert und auf der folgenden Doppelseite, Hochglanz und in Farbe, präsentierte sich uns ein Besen, wie ich noch keinen vorher gesehen hatte.
„Sie-… sie haben einen Neuen rausgebracht?“, stotterte James und wirkte dabei so geschockt, als hätte ihm jemand gesagt, seine Großmutter sei gerade von einem Drachen gefressen worden. 
Und gleichzeitig strahlten seine Augen gefährlich hell.
„Der Nimbus 1500“, las Sue laut vor und zog den Katalog näher zu sich heran, „Der neueste und schnellste Rennbesen der kommenden Jahrzehnte. Findet ihr nicht, dass die ein bisschen angeben?“
„Nein!“, plärrten die Jungen im Chor.
„Ließ weiter!“, drängte Gideon und Sue zog kurz erschrocken den Kopf zwischen die Schultern, räusperte sich dann jedoch.
„Der Name unserer Best-Serie leitet sich vom lateinischen Nimbus, also Heiligenschein oder Ruhm ab, denn nichts anderes werden sie mit diesem hervorragenden Rennbesen ernten. Wie schon bei seinem Vorgänger besteht der Schaft aus poliertem und gehärtetem Mahagoni, Neuheiten finden sich jedoch in den Borsten und vor allem in der Zauber-Konstellation, die auf diesen Besen gewirkt wurde. Der Horton-… also, der Horton-Kä-…“, murmelte sie, dann pfefferte sie den Katalog entnervt auf den Tisch, „Wer soll das denn noch verstehen? Das ist doch alles nur Fach-Kauderwelsch!“
„Das mag ja sein, aber ich glaube, hier hat jemand seinen Besen gefunden“, grinste Sirius breit und stupste mich gegen die Schulter. Ich jedoch bemerkte es überhaupt nicht.
„Kauft ihr gleich ordentliche Knieschoner dazu“, ließ sich eine neue Stimme vernehmen, die auch mich aus meiner Trance weckte.
Remus stand, mit kritischem Blick, hinter unserer Gruppe und betrachtete das Bild des Nimbus 1500, als hätte der Besen ihm persönliches Unrecht angetan.
„Ach, Remus“, seufzte James und legte dem Jungen freundschaftlich einen Arm um die Schulter, „Du hast doch keine Ahnung vom Quidditch. So ein Besen, ja… der trägt dich… bis ans Ende der Welt!“
Bei diesen Worten verzog Remus unmerklich das Gesicht, als hätte er einen Cocktail aus Zitronen und gesalzenen Sardinen geschluckt.
„Und du fliegst doch überhaupt nicht gern“, setzte Sirius nach und wedelte Remus Bedenken bei Seite.
„Ich werde nicht dabei sein, wenn sie sich auf so ein Ding setzt“, knurrte Remus und schüttelte wütend James Arm ab, „Ihr wisst genau, was beim letzten Mal passiert ist!“
„Das war eine Spinne“, jammerte James, der abrupt wieder Farbe im Gesicht hatte, „Der Besen hatte gar nichts damit zu tun!“
Remus jedoch schnaubte nur und stapfte wütenden Schrittes davon.
Die Anderen sahen ihm verwundert nach. 
„Was ist denn mit ihm los?“, fragte Emily verwirrt und sichtlich besorgt.
„Seine Mutter ist immer noch krank“, erklärte Peter leise, der sich bis jetzt so sehr im Hintergrund gehalten hatte, dass selbst ich ihn nicht bemerkt hatte.
„Außerdem geht ihm am Ende des Monats häufig die Schokolade aus“, erläuterte James mit einem Schulterzucken, „Da hat er immer schlechte Laune“, und wandte sich dann mit den Anderen wieder der Beschreibung des Nimbus 1500 zu. 
Ich jedoch schielte Remus weiter aus dem Augenwinkel hinterher, so sehr, dass es fast schmerzte, und konzentrierte mein volles Gehör auf seine Atmung und seinen Herzschlag. Was war nur los mit ihm?
Kurz vor der Schwelle zur Eingangshalle blieb er dann tatsächlich noch einmal stehen. Sein Herzschlag war beschleunigt, fast so, als würde er rennen.
„Ich will aber nicht, dass du bis ans Ende der Welt fliegst…“

Elias hielt deutlich Abstand zu mir, als die Hufflepuffs und die Ravenclaws zusammen die Treppen zum Astronomie-Turm erklommen.
Ich hatte bei der Bestellung des Besens ein bisschen ein Geheimnis daraus gemacht, denn ich wollte nicht, dass meine Freunde wusste, wie viel Geld ich eigentlich besaß. Zumindest jetzt noch nicht. Spätestens, wenn der Nimbus ankam, wussten sie es ohnehin. 
Ich war also nach dem Essen zu Madame Hooch nach oben zum Lehrer-Tisch geeilt und hatte ihr und der vor Freude strahlenden Professor Sprout von meiner Entscheidung berichtet. Daraufhin hatten mir beide, gleichzeitig, was etwas anstrengend gewesen war, einen Brief diktiert, den ich an Qualitäten für Quidditch senden sollte, mit meiner Unterschrift und einem weiteren Brief, dass sie das Geld dafür aus meinem Verlies nehmen durften.
In dem Brief an Gringotts erwähnte ich noch einmal deutlich Hooksails Namen und stattete ihn mit einer persönlichen Notiz aus, die ihm liebe Grüße bestellte. Professor Sprout, die über Kopf mit gelesen hatte, damit ich auch alles richtig schrieb und der Besen ja rechtzeitig zum Probespiel da sein würde, zog dabei ein wenig erstaunt die Augenbraue hoch. Wahrscheinlich hatte kaum jemals jemand einem Kobold in einem Brief liebe Grüße ausgerichtet.
Oben auf dem Turm war es mittlerweile bitterkalt, doch der Himmel sternenklar. 
„Wunderschön“, hauchte Sue, während sie ihre Nase tief in ihrem gelben und schwarzen Hufflepuff-Schal vergrub.
„Stimmt“, antwortete ich mit einem leisen Lächeln, während ich mein Astronomie Buch im gedimmten Licht einer Laterne und dem des abnehmenden Vollmonds auf der Suche nach einer Karte durchblätterte. 
Ob ich mit meinem Besen, diesem Besen, der mich bis ans Ende der Welt tragen konnte, wohl auch bis zum Mond kam?
Da rutschte mir das Buch halb aus der Hand und ich unterdrückte ein Fluchen, als sich eine der Karten mehrfach entfaltete und dabei einige unschöne Knicke bekam.
„Was machst du denn?“, zischte Sue und nahm eilig die Laterne von den Zinnen, um mir mehr Licht zu spenden.
Ich wies sie nicht darauf hin, dass das Mondlicht meinen Augen völlig ausreichte.
„Sorry…“, murmelte ich und wollte die Karte gerade wieder zusammen falten, als ich erkannte, was darauf abgebildet war.
Die verschiedenen Mondphasen, darunter eine Tabelle des Zyklus der vergangenen und der noch kommenden Monate. Eingetragen waren Neumonde, Halbmonde und auch Vollmonde, natürlich. Doch irgend ein kleiner Teil von mir versuchte meine Aufmerksamkeit zu erringen.
Vollmond. Ein Kreis. Ein… Zyklus…? 
Konnte es Halbwesen geben, die praktisch nicht ständig Halbwesen waren? Deren ganzes Leben in immer währenden Kurven verlief? Mal menschlich, mal tierisch? 
Wenn ich müde war, wenn es der Hexe Roselynn an Kraft fehlte, wenn ich wütend war oder sehr traurig, dann versuchte der Drache May das Steuer zu übernehmen. Desto schlimmer die Situation, desto einfacher wurde es für ihn. 
Was wäre also, wenn Remus von all dem verschont geblieben wäre? Wenn Müdigkeit, Trauer, Schmerz, Wut… wenn das alles ihm nichts anhaben konnte? Ihn jedoch irgend ein natürlicher Umstand regelmäßig seinem inneren Tier näher brachte. Und ihn dann auch wieder davon entfernte?
Ein natürlicher Umstand, wie… etwa der Vollmond?
56. Kapitel
Intermezzo wie verhext
Ich hatte mir fest vor genommen, direkt am nächsten Morgen, am besten noch vor dem Frühstück, in die Bibliothek zu gehen. Denn wenn es Halbwesen gab, deren zweite Gestalt einem Zyklus unterlag, dann musste es darüber irgend welche Aufzeichnung geben. Ganz sicher!
Ich hatte es schon schwer genug mich ständig unter Kontrolle zu haben. Vielleicht stieß ein solcher Zyklus einen sogar über seine Grenze hinaus! Vielleicht musste man sich verwandeln, ganz gleich wie stark der menschliche Teil auch war.
Doch, natürlich, kam es anders.
Ich versuchte vor mir selbst zu entschuldigen, dass ich verschlafen hatte, indem ich mich daran erinnerte, dass es sehr kalt gewesen war und wir auch erst sehr spät ins Bett gekommen waren. Doch ich nahm mir fest vor, das Mittagessen ausfallen zu lassen, um in die Bibliothek zu gehen.
Leider kam es anders. 
Gerade wollte ich mich von meinen Freunden verabschieden, da kam uns Roux entgegen, der mit ein Sandwich in die Hand drückte und meinte, Professor Sprout würde in den Gewächshäusern auf mich warten. Ich aß also brav das Sandwich, wunderte mich, was Professor Sprout von mir wollte und war gleichzeitig Mal wieder erstaunt, wie umsichtig Roux war, mir ein Sandwich zu machen, weil er wusste, dass ich das Mittagessen verpassen würde.
Wie sich heraus stellte, hatte Professor Sprout ebenfalls daran gedacht. Eine ganze Platte Sandwiches stand auf einem der Pflanztische, genauso wie eine Kanne Tee und zwei Becher. Die Sandwiches waren allein für mich und ich konnte, besser, wollte wirklich nicht nein sagen.
Und dann unterhielt sich Professor Sprout mit mir über Quidditch. Wie viel ich schon über das Spiel wusste. Welche Position ich wohl bevorzugen würde. Ob ich schon ein Besen-Pflege-Set für einen so tollen Besen hätte. 
Beim letzten verschluckte ich mich an meinem Tee. So etwas wie ein Besen-Pflege-Set hätte ich Kristófs kleiner Hütte niemals Platz gefunden, auch wenn er seinen Besen sehr liebte und ihn immer vor Drachenflammen versteckt hielt.
Immerhin, dachte ich mir, wenn auch schon etwas halbherzig, dass ich ja nach Kräuterkunde noch in die Bibliothek gehen konnte.
Als Sue mich dann in der Eingangshalle, wo ich mich grade die Treppe nach oben schleichen wollte, zurück rief, wunderte es mich nicht wirklich.
„Was ist denn mit den Hausaufgaben?“
„Ich-… ähm… wollte gerade in die Bibliothek deswegen“, versuchte ich es ein letztes Mal.
„Brauchst du nicht“, strahlte sie mich an, als ob sie mir grade mein verfrühtes Weihnachtsgeschenk überreichen wollte, „Ich hab sie schon gestern ausgeliehen!“
„Oh…“, war alles, was mir dazu einfiel.
„Ich hatte gedacht, dass du dich wenigstens ein bisschen freust“, schmollte Sue sofort los, „Immerhin hab ich eine halbe Stunde lang alle Bücher zusammen gesucht“
„Ich freu mich auch!“, beteuerte ich sofort, denn ich wusste, dass sie hinter ihrem Schmollen grundsätzlich ihre Enttäuschung verbarg, „Aber ich-…“
„Dann auf!“, unterbrach sie mich, packte mich an der Hand und schleifte mich in Richtung Kerker, „Außerdem darf man in der Bibliothek nichts essen und ich bin mir sicher, Felix hat schon wieder ganz viel Knabberkram aus der Küche stibitzt!“
Und damit hatte sie mich. Seit ich in Hogwarts darauf achtete, bei den Essenszeiten nicht zu viel zu mir zu nehmen und damit aufzufallen, konnte man mich praktisch mit einem Kartoffelchip bestechen vom Astronomie-Turm zu springen.
Ich konnte ja auch morgen noch in die Bibliothek gehen.

Und es war wie verhext.
Am nächsten Tag erwachte ich gerade noch rechtzeitig, denn nach der Schlemmerei vom Vorabend hatte ich vergessen meinen Wecker zu stellen. In der Eingangshalle traf ich auf Alan, der mich zum Frühstück an den Slytherin-Tisch einlud, in Zaubertränke erhielten wir beide dann eine weitere Einladung von Professor Slughorn, diesmal für den Samstag, damit wir Montags nicht so müde wären. Immerhin waren ja Montags die Probespiele für die Quidditch-Mannschaften, zwinkerte er mir zu. Ein ungezwungenes Abendessen, nicht mehr.
Alan und ich wussten, was uns bevor stand, doch diesmal hatte ich ein bisschen Hoffnung, dass das letzte Essen Professor Slughorn davon abhalten würde, mir all zu viele Fragen zu stellen. Und bevor Alan, der sich bereits räusperte und versuchte die richtigen Worte zu finden, sich weiter bemühte, fragte ich ihn, ob wir nicht wieder zusammen hingehen wollten, was ihn sichtlich erleichterte.
Sue bekam natürlich Wind davon und während des Mittagessens belagerte sie mich, wie mein nächstes Kleid aussehen sollte, während sie einen schier endlosen Brief an ihre Mutter schrieb. Ich versuchte sie davon abzuhalten, doch Fabian kam mir dabei in die Quere, da er sich sehr für Sues Ideen aussprach.
„In nur einem Tag?“, versuchte ich mich an den letzten Strohalm zu klammern.
„Das schafft Maman doch mit Links“, wehrte Sue ab, ohne überhaupt mit dem Schreiben aufzuhören, „Du kannst doch nicht zwei Mal im gleichen Kleid gehen“
„Warum denn nicht?“, jammerte ich, doch sie überhörte mich.
Danach kamen die Flugstunden, gefolgt vom Abendessen, das ich wahrnehmen musste, weil ich beim Mittagessen kaum etwas gegessen hatte, da ich ja versucht hatte Sue daran zu hindern an ihre Mutter zu schreiben. Und schließlich wieder Astronomie, weshalb ich es gleich aufgab am nächsten Morgen früh aufstehen zu wollen.
Kräuterkunde verlief ereignislos, in Verwandlung verwandelte ich meine Teetasse in eine süße kleine Maus und sollte deshalb danach an einer Amsel üben, um sie in einen Kelch zu verwandeln.
Wieder einmal fielen James, Sirius und Remus durch Unaufmerksamkeit auf, doch dieses Mal gehörte auch Peter dazu, denn Professor McGonagall wunderte sich erst sehr, wie aufmerksam sie alle sich Notizen machten, nur um dann fest zu stellen, dass die Jungen sich eindeutig mit etwas Anderem beschäftigten.
Nach Verwandlung sprinteten die jungen Gryffindors in Richtung Bibliothek und ich wollte ihnen gerade nach eilen, als mir einfiel, dass es vielleicht keine so gute Idee war vor Remus nach einem Buch über Halbwesen zu suchen.
Doch es war immerhin Freitag. Nach Verteidigung gegen die dunklen Künste kam das Wochenende und es würde sich doch, bitte endlich, einmal Zeit finden, dass ich in die Bibliothek kam!

Der Schrei kam eindeutig von Sue. Und ich war auch die erste an ihrer Seite, knapp vor Professor Alastríona.
„Was ist passiert?“, bellte sie den völlig verwirrten Frank an.
„Ich-… ich weiß es nicht, Professor! Sie ist-… ich meine, der Zauber-…“
Professor Alastríona hörte ihm schon gar nicht mehr zu. fachmännisch untersuchte sie Sues Arm, der, und bei diesem Anblick drehte sich mir der Magen um, nicht ganz so gerade war, wie er sein sollte.
„Sie hat das Gleichgewicht verloren“, war Lily plötzlich an meiner Seite, „Sie hat fast ihren Zauberstab fallen lassen und wollte ihn auffangen“
Typisch Sue, eigentlich. Doch bisher war immer mindestens eine Person nah genug gewesen, um sie rechtzeitig aufzufangen. Es war eigentlich ein Wunder, dass es so lange gedauert hatte, bis sie sich einmal ernsthaft weh tat. Und anscheinend hatte Fortuna heute genug gehabt.
„Mister Longbottom, bitte heben sie sie hoch. Sie muss in den Krankenflügel“
„Jawohl!“, rief der junge Gryffindor und hob seine Freundin aus Kindertagen mit einer Zärtlichkeit auf, als bestünde sie aus Glas.
Ohne weitere Worte packte ich sofort Sues Tasche und eilte ihm und Professor Alastríona hinterher.

„Es juckt“
„Du sollst nicht dran kratzen“
„Aber es juckt!“
„Es hilft doch eh nicht! Es ist der Knochen, nicht die Haut“
„Danke für das Bild“
„Gern geschehen“
Auch wenn mir die Vorstellung, jetzt, wo sich dazu ein Bild in meinem Kopf formte, genauso wenig gefiel.
„Sie bleibt über nacht“, kommandierte Madame Pomfrey und nickte Professor Alastríona zu, die sich daraufhin entfernte, ohne Anstalten zu machen Frank oder mich wieder zum Unterricht zurück zu beordern.
„Kann ich dir was besorgen?“, fragte Frank nervös und hibbelte neben Sues Bett herum, als stünde er auf heißen Kohlen.
„Ich-… also—-„, nuschelte Sue, von der ich wusste, dass sie solche Angebote nie gern annahm, weil sie anderen keine Mühe bereiten wollte.
Und Frank war so durch den Wind, dass er sicherlich die Treppen nach unten gefallen wäre.
„Ich geh schon“, lächelte ich ihnen deshalb zu und machte den Hocker neben Sues Bett für Frank frei, „Ich weiß immerhin, wo die Küche ist“
Beide strahlten bei diesen Angebot, auch wenn Sue noch ein wenig nörgelte, wie viel Aufwand es war, von hier bis zu Küche und wieder zurück zu laufen. Doch ich wehrte sie sanft ab und log, dass ich ohnehin ein wenig Bewegung vertragen könnte.
Das und einen kurzen Gang in die Bibliothek?

Wo ich James, Sirius, Remus und Peter gerade noch rechtzeitig sah, bevor sie mich entdeckten. Sie saßen zwar in einer kleinen Nische verborgen, doch ich wusste, dass sie mich trotzdem bemerken würden. Also hatten die vier tatsächlich Professor Alastríonas Abwesenheit genutzt und sich aus dem Staub gemacht. Aber warum bloß?
Mir jedoch blieb nichts anderes übrig, als mich wieder davon zu schleichen.
Aus der Küche brachte ich Kürbissaft und heißen Kakao und ein ganzes Buffet an Süßigkeiten mit, denn als die Hauselfen hörten, dass ich etwas kleines zu Essen für meine Freundin im Krankenflügel wollte, waren sie sofort ganz aus dem Häuschen und keine zwei Minuten später war ich beladen mit ganzen zwei Picknickkörben.
„So viel?“, platzte Frank heraus, als ich die beiden Körbe auf das Fußende von Sues Bett wuchtete.
„Die Hauselfen haben sich fast überschlagen“, lachte ich war wieder einmal froh darüber, dass der Drache mir auch ein bisschen seiner körperlichen Kraft schenkte, selbst als Mensch.
Und so picknickten wir im Krankenflügel. Und nicht nur wir.
Eine Gryffindor aus dem vierten Jahr und ein Ravenclaw aus dem sechsten gesellten sich uns bald hinzu und schließlich schlich sich sogar die Slytherin aus dem dritten Jahr langsam an unsere Gruppe heran, bis Frank, der sich langsam wieder etwas beruhigt hatte, vor allem, da Sue ihren Arm bereits wieder bewegen konnte, sie herzlich zu uns einlud.
Und über den Nachmittag und Abend vergaß ich die Bibliothek. Wir lachten viel, über die Geschichten, wie sie alle hierher gekommen waren, über Geschichten, die sie schon früher hierher gebracht hatten und dann über alles Andere, was uns sonst noch so einfiel.
Später kamen auch noch die anderen Hufflepuffs und Gryffindors und auch Marlene in den Krankenflügel und das Ganze erinnerte mich so sehr an meine eigene Situation, als Hagrid mich aus dem Verbotenen Wald gerettet hatte, dass ich fast weinen musste. Es war schön zu sehen, wie alle zusammen standen, ganz egal, wem es gerade schlecht ging.
Als uns am späten Abend Madame Pomfrey fast schon gewaltsam aus dem Krankenflügel kehrte, entschuldigte ich mich noch einmal, um in den letzten Minuten vor der Nachtruhe doch noch einmal in die Bibliothek zu schlüpfen.
Wo ich James, Sirius, Remus und Peter fand.
Sie saßen mittlerweile in einem Gebirge aus Büchern und zerknülltem Pergament, Remus Ohr war schwarz, weil er sich seinen Federkiel dahinter geklemmt hatte und es musste etwas wirklich wichtiges sein, an dem sie arbeiteten, denn ich hatte sie noch nie so lange so konzentriert gesehen. Außerdem hatte Sirius einen Tintenfleck im Gesicht, der seine Makellosigkeit doch sehr störte und ich wusste, unter normalen Umständen wäre ihm so etwas sofort aufgefallen. Spätestens dann, wenn James versuchte ihn damit aufzuziehen.

Am nächsten Morgen wurde Sue gerade rechtzeitig entlassen, um beim Frühstück dabei zu sein und zu sehen, wie ein neues Paket ihrer Mutter direkt vor mir landete. Ich machte mir derweil etwas Sorgen, da noch immer keine Rückmeldung, oder gar der Besen, von Qualität für Quidditch eingetroffen war.
Und fast bekam ich das Gefühl, Madame Pomfrey hatte ihren Arm etwas zu gut geheilt, denn ihr Griff, als sie mich in Richtung Gemeinschaftsraum und Mädchen-Schlafsaal zerrte, um das neue Kleid anzuprobieren, kam mir etwas fester vor als sonst.
Dieses Mal handelte es sich, ganz im Sinne eines entspannteren, kleinen Abendessens, um ein schwarzes Neckholder Petticoatkleid. Vorne am Dekolleté und an den Seiten leuchteten Einsätze aus sonnengelbem Stoff mit blauem und schwarzem Karomuster, ganz im Stil des Hauses Hufflepuff.
Annabell war begeistert und selbst Elster sprach sich sehr für das Kleid aus, da ihr unsere Hausfarben darin sehr gut gefielen. 
Die vollkommene Vereitelung meines Plans, bis zum Abend doch noch irgendwie in die Bibliothek zu kommen, kam von Sue, die Annabell davon erzählte, dass ich wieder mit Alan auf die Party ging.
Danach ließen sie mich beide nicht mehr vom Haken. Entweder machten sie irgend etwas mit meinen Haaren und wunderten sich, wie wenig sie auf die verschiedenen Mittelchen und Spangen und Haarbänder von Annabell reagierten, oder sie fragten mich über Alan aus, wobei ich ihnen da nur unbefriedigend wenig sagen konnte.
„Aber ihr geht doch miteinander, oder?“, fragte Annabell entsetzt, „Wieso weißt du dann so wenig über ihn?“
„Wir gehen zusammen zu Slughorns Partys, ja“, wiederholte ich nun zum gefühlt siebten Mal, „Aber wir sind-… wir sind bloß Freunde!“
Ganz davon abgesehen, dass ich zwar Romeo und Julia gelesen hatte, mich jedoch noch nicht bereit dafür fühlte, mit elf Jahren meine erste Beziehung zu führen. Das klang alles furchtbar kompliziert. Und ein kleiner, gemeiner Teil von mir erinnerte mich auch stetig daran, dass Augen ohne Pupille und Iris, sowie Schuppen und Klauen und potentiell giftiger Speichel nicht unbedingt als anziehend galten.
57. Kapitel
Orchidee und Phönixfeder
Wie sich heraus stellte verstand Professor Slughorn unter einem kleinen Abendessen ein riesiges Buffet, genau wie beim letzten Mal, nur mit weniger Leuten. Und da es keine wirkliche Party war, waren Alan und ich die Einzigen, die zusammen ankamen. 
Erst später, nachdem ich Alan bereits zugesagt hatte, war mir aufgefallen, dass ich keinen einzigen Gedanken darauf verwendet hatte, nicht vielleicht Remus zu fragen, ob er mich begleiten wollte. 
Irgend etwas passte da nicht. Ich konnte mit Anderen gut befreundet sein und er hatte ebenfalls Freunde, doch zusammen schienen wir keine gute Mischung zu sein. Vermutlich wäre absolute Ehrlichkeit die Lösung gewesen, doch wer wollte behaupten dazu jetzt schon bereit zu sein?
Lucius Malfoy hatte die Gelegenheit ergriffen und sich seiner Begleitung vom letzten Mal entledigt. Sie tat mir leid. Ich konnte mir vorstellen, dass auch sie sich das alles anders vorgestellt hatte, doch die Tatsache, dass sie gegenüber Malfoy Courage gezeigt hatte, schien Professor Slughorn nicht davon überzeugt zu haben, dass sie Teil seiner elitären Gruppe werden sollte. 
Malfoy hingegen tat einfach so, als wäre ich gar nicht da, doch auf eine verbissene Art, die es mir möglich machte, mich wenigstens ein bisschen zu entspannen. Anscheinend hatte Elias sein Rückgrat wieder gefunden und Malfoy war die Munition ausgegangen. 
Ich musste wirklich dringend mit Elias sprechen. Blieb nur noch die Frage, wie ich so ein Gespräch einfädelte… Davon abgesehen, dass er mir so gut er konnte aus dem Weg ging, schien er wirklich Angst vor mir zu haben. Vielleicht war es ja auch besser, mich einfach ruhig zu verhalten, damit er sich erst einmal entspannen und merken konnte, dass ich ihm nichts Böses wollte. Vielleicht wartete ich einfach Weihnachten ab?
Neben der Wahrsagerin Cassandra Akow, die ein wenig nervös reagierte, als sie mich sah, war auch Luisa Orchid wieder am Tisch. Und es noch eine Neuerung in der Gästeliste.
„Lily!“
Ich konnte fast sehen, wie Lily das Herz wieder zurück in die Brust hüpfte, als sie mich sah.
Sofort sprang ich auf, um sie zu begrüßen. Alan sprang ebenfalls auf, der Höflichkeit halber. Lucius Malfoy blieb sitzen und Professor Slughorn lachte darüber, dass er es geschafft hatte, mich so freudig zu überraschen. Dann erhob er sich selbst, griff vorsichtig Lilys Finger und hauchte einen Kuss darauf.
„Meine liebe Miss Evans, wie schön, dass sie Zeit für einen alten Zausel wie mich gefunden haben“
„Danke für die Einladung, Professor“, lächelte Lily tapfer.
„Aber ich bitte sie!“, posaunte Professor Slughorn laut und geleitete Lily mit weit schwingenden Bewegungen zum Platz an seiner Rechten, „Professor Flitwick singt ein Lied in den höchsten Tönen von ihnen! Und auch mir ist nicht entgangen, wie groß ihr Talent ist“
Ich saß dieses Mal zu Professor Slughorns linker Seite. Vermutlich eine Art Degradierung für meinen Auftritt beim letzten Mal, doch damit kam ich gut zu Recht. Außerdem saß Lily so neben der gut gelaunten Luisa und schien sich daher nicht mehr ganz so unwohl zu fühlen.
„Ich liebe dein Kleid, Roselynn!“, rief sie mir über Professor Slughorn zu, der Lily immer noch Komplimente machte und dabei zufrieden mit seinem Walross-Schnurrbart wackelte.
„Danke!“, rief ich zurück, „Sues Mutter hat es gemacht“

Der Abend verlief ruhig, fast schon entspannt, bis zum Dessert.
Professor Slughorn prahlte mit seiner neuesten Entdeckung, Lily, und ich konnte mich ihm an vielen Stellen anschließen. Das brachte auch mir anscheinend wieder ein paar Pluspunkte ein, sodass Professor Slughorn sich mir gegenüber wieder ein wenig erwärmte. Mir jedoch gefiel das zarte Rosa auf Lilys Wangen und das strahlende Grün ihrer Augen viel besser.
Ungemütlich wurde es erst, als Professor Slughorn Lily nach ihrer Familie fragte. Mittlerweile hatte Lily oft genug mitbekommen, was so mancher von Hexen oder Zauberern hielt, deren Eltern Muggel waren. Und Professor Slughorn schien den plötzlichen Umschwung der Stimmung nicht bemerkt zu haben, weshalb er auch noch nach Geschwistern fragte und sich darüber beklagte, dass Petunia Evans nicht auch eine so wundervolle junge Hexe sein konnte, wie ihre Schwester.
Gerade versuchte ich mir etwas zu überlegen, um ihn von Lily abzulenken, denn ich roch, dass Lily gerade sehr nah am Wasser stand, da ergriff Lucius Malfoy das Wort.
„Das wäre ja noch schöner, wenn Hogwarts plötzlich nur noch von Muggelstämmigen überflutet wäre. Wie sollen echte Hexen und Zauberer sich dann noch behaupten?“
Alan kannte mich gut genug. 
Bevor ich von meinem Stuhl hoch schießen konnte, warf er sich zur Seite und schlug dabei meine Hand zurück, die gerade zum Gürtel des Kleides geschossen war, um meinen Zauberstab zu ziehen. Unsere beiden Stühle polterten zu Boden, mein Kelch klimperte und verspritzte Kürbissaft, dann verlor Alan das Gleichgewicht und warf mich mit sich um.
„Lieber Himmel!“, rief Professor Slughorn, doch ihr hörte noch ein anderes, leise gemurmeltes Wort.
„Orchideus“
„Was ist denn mit ihnen geschehen?“, tadelte Professor Slughorn, als Alan eilig und mit vielen Entschuldigungen von mir herunter krabbelte.
Professor Slughorn half mir auf, zog seinen Zauberstab und die umgefallenen Stühle und mein Kelch kehrten an ihre Plätze zurück. Der Kürbissaft verschwand aus unseren Kleidern und der Tischdecke.
„Ich-… habe mich erschrocken“, stammelte Alan hastig musterte mich, als hätte er Angst mir etwas gebrochen zu haben, „Eine Spinne-… ich dachte, ich hätte-…“
Doch weiter kam er nicht, denn Cassandra Akow zog die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Die Hand auf dem Mund kippte sie halb nach vorne auf ihren Teller und im ersten Moment dachte ich, sie hatte eine Art Krampf. Dann wurde mir bewusst dass sie einen heftigen, aber vollkommen stummen Lachanfall erlitt.
„Miss Akow!“, rief Professor Slughorn sie empört zur Ordnung, doch Cassandra schüttelte nur hilflos den Kopf und hob schwach eine Hand, um ihre anhaltende Unpässlichkeit zu unterstreichen.
Verwirrt sah ich mich nach dem Grund ihrer Erheiterung um und erstarrte.
Ich hatte genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich brach jetzt, sofort, in schallendes Gelächter aus oder ich tat gar nichts und riskierte damit innerhalb der nächsten Minute den qualvollen Tod durch Platzen zu sterben.
„Ja, wirklich sehr witzig“, versuchte Lucius Malfoy das Gespräch wieder aufzunehmen und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab, während er Alan und mir einen vernichtenden Blick zuwarf.
Derweil wackelte die kleine Orchidee auf seinem Kopf fröhlich hin und her.
Professor Slughorn blinzelte mehrere Male in seine Richtung. 
Die kleine Blüte erhob sich, mitsamt Blatt und Stil, direkt aus Malfoys Haaren und färbte sogar einige Strähnen grün ein, als wären sie Wurzeln. Die Blüte selbst war von einem satten pink und auf ihrem dünnen Stil so riesig, dass sie die ganze Zeit hin und her baumelte, sobald er sich auch nur ein bisschen bewegte.
Vorsichtig räusperte sich Professor Slughorn und rückte seine Fliege zu Recht.
„Miss Orchid… haben sie etwas damit zu tun?“
„Ich?“, fragte Luisa fast schon ein wenig zu vorwurfsvoll, „Ich bitte sie, Professor! Das wäre kindisch und absolut unangemessen“
„Da haben sie Recht“, grummelte der Professor und noch bevor Malfoy realisierte, was vor sich ging, schnippte der Professor mit den Zauberstab in seine Richtung und die Blüte verpuffte, allerdings in einem kleinen Schauer aus rosa Glitzerstaub, der ab da Malfoys Haare bedeckte.
Cassandra Akow starb immer noch an ihrem Lachanfall, Lily schien zu versuchen sich in ihrem Kelch zu ertränken, Luisa Orchid zwinkerte mir zu und Alan entschuldigte sich kurz, um sich frisch zu machen, was mich ein bisschen an eine pikierte alte Dame erinnerte, bis ich ihn kurze Zeit später und zwei Flure weiter lachen hörte.
Professor Slughorn richtete sich erneut die Fliege, schob seinen Zauberstab zurück in die Innentasche seines Jacketts und bot mir erneut meinen Stuhl an.
Ich setzte mich und von da an lobte mich der Professor den ganzen Abend für mein Interesse an allem anderen, was sich um mich herum befand, denn ich durfte einfach nicht nach vorn schauen. Er interpretierte mein Verhalten als großes Interesse an seinen Sammlungen.

Etwas später am Abend folgten Luisa, Alan und Lily mir eilig in die Besenkammer neben der Küche, wo wir so sehr zu lachen anfingen, dass es keinen von uns auf den Beinen hielt.
„An dir“, japste Luisa und schlug mir schwungvoll auf den Rücken, „ist eine Gryffindor verloren gegangen!“
„Diesen Moment“, keuchte Alan und fächelte sich hektisch mit der Hand Luft zu, während er seinen Hemdkragen lockerte, „werde ich auf ewig in Ehren halten…“
Lily blieb stumm. Sie schien es noch sehr viel mehr Mühe gekostet zu haben sich zu beherrschen und jetzt konnte sie vor lauter Lachen kaum noch atmen.

Auch der nächste Morgen begann mit Gelächter. Nachdem wir alle von Elsters schrillem Wecker aufgescheucht worden waren, uns ausreichend beschwert und den Schlaf aus den Augen gerieben hatten, berichtete ich von Lilys Neuaufnahme in den Club und Lucius Malfoy als Blumenkasten.
„Kann jemand dem Mädchen bitte einen Preis verleihen?“, kicherte Elster haltlos und klammerte sich an den Pfosten ihres Bettes.
„Also ich könnte jetzt ein Frühstück vertragen“, wischte sich Sue die Lachtränen aus den Augen, „Wer kommt mit?“
„Dann muss ich mich ja anziehen“, beklagte sich Annabell und zog sich noch einmal die Bettdecke über den Kopf.
„Wie wär's mit Malen, Rose?“, wandte sich Sue an mich, nachdem Emily beschlossen hatte die neue Haarpflege auszuprobieren, die ihre große Schwester ihr mit der Post geschickt hatte und die angeblich die Farbe wechseln sollte, und Elster ihren Wecker reparierte, denn sie beim Aufwachen vor Schreck an die nächste Wand gepfeffert hatte.
„Erst Frühstück, bitte“, gähnte ich.
Sechs Stunden Schlaf waren einfach nicht genug, aber für ein gutes Frühstück war ich immer zu haben. Und vielleicht waren auch noch nicht so viele Schüler in der großen Halle, dann konnte ich wenigstens ordentlich zulangen. Sue schien es nicht zu stören, dass ich so viel aß.
„Ich hol meinen Block!“, begeisterte Sue sich und hüpfte zu ihrem Koffer.
Zufrieden schlüpfte ich in in eine weihnachtlich weinrote Kordhose und zog dazu einen dunkelgrünen Pullover an. Ich brauchte nicht aus dem Fenster zu sehen, um zu wissen, dass es heute Nacht geregnet hatte und es auch noch sehr kalt war.
„Nimm den dicken Mantel“, riet ich Sue, dann machten wir uns beide auf in die große Halle.

„Was bist du denn so hibbelig“, fragte Sue, als sie von ihrem Block aufsah.
Gerade zeichnete sie eine Anordnung aus einer Schüssel mit Obst, ihrem Kelch und ihrem Teller, mit den Krümeln ihre Frühstücks darauf. Dazwischen lag ihre Katze Silver und schlief.
ich bewunderte immer noch, wie getreu Sue Stilleben und Landschaften zeichnen konnte. Selbst Tiere fielen ihr erschreckend leicht, doch sie übte sich trotzdem weiter darin.
„Use it or lose it“, hatte sie mir einmal gesagt.
Portraits jedoch lagen ihr überhaupt nicht. Und genau das war der Punkt, an dem ich einsetzte. Denn Stilleben waren mir einfach… zu still.
„Der Besen…“, nuschelte ich, während ich auf den täglichen Auftritt der Eulen wartete, „Qualität für Quidditch hat sich immer noch nicht zurück gemeldet“
„Warum hast du nichts gesagt?“, fragte Sue ohne aufzusehen, „ich hätte Papa fragen können, ob er Mal vorbei geht“
„Ach, ist schon gut“, lehnte ich sanft ab, doch mir schoss die Hitze in die Wangen bei der Vorstellung Monsieur Malkins so durch die Gegend zu scheuchen.
Ich beschloss also das Thema zu wechseln.
„Wie findest du's?“
Blinzelt hob Sue den Blick und betrachtete die Zeichnung auf meinem Block. Vor mir stand ein kleiner Handspiegel auf dem Tisch. Die Möglichkeit, dass Sirius die alten Portraits von ihm, James, Peter und Remus und all unserer anderen Freunde hätte sehen können, war mir eine Lehre gewesen, weshalb ich vorerst an mir selbst übte.
„Die Haare werden immer besser“, lobte Sue, kniff dann jedoch die Augen zusammen, lehnte sich ein wenig nach vorn und betrachtete in kurzem Abstand die Skizze und mein Gesicht.
„Was ist?“, fragte ich verwirrt und drehte den Block eilig zu mir herum.
„Deine Augen…“, murmelte Sue und zog die Augenbrauen zusammen, „Ich finde immer, das, was meinen Zeichnungen Leben einhaucht, sind die Augen“, und sie drehte ihren eigenen Block, um mir eine perfekte Zeichnung von Silver zu präsentieren, der sich, anders als in der Realität, gerade eine Pfote putzte. 
Das eine Auge, das dem Betrachter zugewandt war, schimmerte hell im Licht und ließ die Bleistiftkatze fast lebendig aussehen.
Ich warf einen weiteren Blick auf die Zeichnung und sofort krampfte sich mein Magen zusammen. Ich hatte gezeichnet, was ich gesehen hatte.
Eilig blätterte ich in meinem Block zurück und erkannte, dass ich wirklich überall nur die Spiegelungen meiner Brille gezeichnet hatte.
„Ich dachte ja, das ist so eine Macke von dir“, gab Sue zu, „Dass du einfach nicht gerne Augen zeichnest oder einfach nicht gut darin bist und dem so ausweichst. Aber man sieht deine Augen durch die Brille ja wirklich nicht“
Scheiße.
„Ich kann kein Licht vertragen“, beeilte ich mich zu sagen, „Die Gläser sind getönt“
„Aber man kann deine Augen wirklich garnicht sehen“, protestierte Sue, legte ihren Block bei Seite und versuchte durch die Gläser meiner Brille zu schauen. 
Ich sah, wie ihr Blick immer wieder automatisch in eine andere Richtung wanderte. Doch je länger sie sich konzentrierte, desto näher kam ihr Blick mir.
Es waren die Eulen, die mich retteten.
Wir beide stießen einen erschrockenen Schrei aus und Silver sprang fauchend vom Tisch. Wir hatten die Ankunft der Posteulen schlichtweg nicht bemerkt und so landete das riesige Paket direkt vor unseren Nasen und erschreckte uns dabei fast zu Tode.
Und ich erschreckte mich gleich noch einmal, als Gideon und Fabian wie aus dem Boden gewachsen neben mir auftauchten.
„Pack schon aus!“, verlangte beide aufgeregt.
Mit immer noch zitternden Fingern löste ich erst einmal den Brief vom Bein des riesigen Kanada-Uhus, der vor meinem Teller gelandet war und das kleine, goldene Huhn, das plötzlich neben ihm saß, mit großen Augen begutachtete und verärgert mit dem Schnabel klakerte, als wollte er sagen, dass eine richtige Eule sich so nicht zu verhalten hatte.
Es war die Quittung von Qualität für Quidditch, beigefügt eine kleine Notiz aus Gringotts, die mir mitteilte, dass sie von höchster Stelle die Anordnung erhalten hatten, das Geld für den Besen aus einem mir unbekannten Verlies abzuheben. Ganz unten ein Satz in krakeliger Handschrift.
Grüße an die Herrin Echidna.
„Meinst du Professor Sprout hat dir den Besen geschenkt?“, fragte Sue, die über Kopf mitgelesen hatte und nun doch ein bisschen aufgeregt war, auch wenn sie steif und fest behauptet hatte, dass Rennbesen nichts für sie wären.
Eilig steckte ich den Brief in meine Hosentasche. 
„Ich glaube nicht“, schüttelte ich den Kopf und wandte den Blick zum Lehrer-Tisch, „Sie kann doch nicht einfach einer Schülerin-…“
Da sah ich, dass der Stuhl in der Mitte des Tisches ausnahmsweise besetzt war.
Dort saß Professor Dumbledore, Halbmond-bebrillt und silberhaarig und prostete mir mit seinem Kelch und einem kleinen Lächeln zu.
„Aufmachen! Aufmachen!“, grölten die Zwillinge los und klatschten.
Und wer an einem Sonntag so früh wach war, der kam zu uns an den Tisch und rief und klatschte mit ihnen.
Langsam löste ich die Knoten der gewachsten Schnüre, die das Pergamentpapier um den Besen hielten. Schon als es nur ein kleines bisschen verrutschte, kam der polierte Stil zum Vorschein und ein allgemeines Seufzen ging durch die Menge.
Schnell streifte ich auch den Rest des Papiers ab.
Geschwungen, glatt und schimmernd wie die Feder eines Phönix lag der Besen vor uns auf dem Tisch und das Rufen und Klatschen erstarb.
Der Stil war gerade so geschwungen, dass ich mich perfekt darauf legen konnte. Vorne war in goldenen Lettern der Name des Besen eingraviert.
Nimbus 1500.
Kurz vor den Borsten umschlag ein goldener Ring den Stil, der die beiden Metallbügel sicher am Besen befestigte. ich wusste, dann man darauf seine Füße ablegen konnte, damit sie nicht einfach lose unter einem in der Luft baumelten. Nicht nur, dass man damit schneller wurde, Madame Hooch hatte uns auch erklärt, wie fatal ein Treffer durch einen Klatscher an den Beinen sein konnte, denn so verlor man schnell das Gleichgewicht und war wahrscheinlich für den Rest des Spiels nur noch Zuschauer. Natürlich wusste ich, dass sie Bügel nicht wirklich aus Gold bestanden, doch der Glanz des Metalls blendete mich fast. Selbst die dunklen Borsten des Besens schimmerten und waren zu einem pinselartigen Bündel zusammen geflochten worden.
„Ich hab gehört, für die Borstenhalterung benutzen sie Einhornhaar“, hauchte Gideon und strich vorsichtig über die silbrigen Fäden, die sich um die Borsten schlangen und sie in Position hielten.
„Ja, wirklich ein formidabler Besen“
Alle Schüler zuckte zurück. Madame Hooch und Professor Sprout waren vom Lehrer-Tisch zu unserer Gruppe gestoßen und Madame Hooch musterte den Besen mit ihrer üblichen, nichts sagenden Miene, die bei ihr fast schon Ekstase gleich kam. Professor Sprout schien mindestens auf ihre anderthalbfache Größe gewachsen zu sein.
„Wie ich sehe haben sie ein Hose an“, wandte sich Madame Hooch an mich, „Und gefrühstückt haben sie auch. Ab aufs Feld mit ihnen. Wir können sie nicht morgen zum Probespiel schicken, ohne, dass sie wenigstens ein Gefühl für ihren Besen bekommen haben“
„Können wir mitkommen, Rose?“, fragte die Zwillinge sofort wie aus der Pistole geschossen.
„Ich will auch mit!“, schoss Sue von ihrer Bank hoch.
„Ich kann sie schwerlich daran hindern“, lenkte Madame Hooch ein, „Wenn Miss May nichts dagegen hat?“
Doch ich starrte immer noch auf meinen Besen hinab.
Mein Besen…
58. Kapitel
Quidditch
Nebelfetzen hingen noch auf den Tribünenplätzen und sammelten sich zu einem silbrigen See unten auf dem Feld, als ich am nächsten Morgen dort ankam. Ich wusste, dass ich viel zu früh war.
Eilig schwang ich ein Bein über den Stil meines Nimbus 1500 und schon war ich in der Luft.
Fliegen.
Höher und immer höher stieg ich, bis die Türme des Quidditch Feldes unter mir nur noch die Größe von Spielfiguren hatten. Dann hielt ich an, blieb einfach in der Schwebe, ohne mich anstrengen zu müssen. Ich löste meine behandschuhten Hände vom Stil meines Besen. Die Füße hinten auf die Halterungen gelegt, hockte ich da, mit Sues Pudelmütze, die sie mir geliehen hatte, und meinem liebsten, rostroten Schal ums Gesicht gewickelt.
Hier oben herrschte völlige Stille. Die Luft war dünn hier oben und winterkalt und golden. Gerade lugte die Sonne über die Berge hinter dem verbotenen Wald. Sie setzte, Blatt für Blatt, das Herbstlaub in Brand. Das wollige Grau und das Mitternachtsblau flüchteten sich in die Schatten der Bäume und machten Platz für die Ouvertüre des Tages. 
Jeder Regentropfen der vergangenen Nacht spiegelte eine ganze Welt wieder, jeder Baum brannte lichterloh, während der Wind in ihren Zweigen sang. Von hier oben konnte ich sogar die peitschende Weide sehen, die sich gelangweilt ein gelbes Blatt nach dem nächsten von den Zweigen schüttelte.
Ein dunkler Schatten formte sich in der Mitte des Sees, wurde größer und noch dunkler, bis sich der glänzende Kopf des Riesenkraken aus dem Wasser erhob. Ich war mir nicht sicher, ob er mich sehen konnte, doch ich winkte ihm begeistert zu, während er langsam eine Runde durch den See kraulte.
Ich sah auch Hagrid, der gerade in seinem Maulwurfsfellmantel durch sein Gemüsebeet schritt und die Kürbisse begutachtete, die er für Halloween heran zog. Jeder Einzelne war so groß wie ein Wagenrad, doch es gab auch ein paar Kleine und er war nicht müde geworden mir zu erklären wo welcher Kürbis das Schloss am einunddreißigsten Oktober schmücken würde. Die Hauselfen, so hatte er mir erzählt, waren jetzt schon dabei sich auszudenken, wie man die schönsten und gruseligsten Grimassen hinein schnitzen konnte und Hagrid war in den Wald gegangen, um die Feen zu fragen, ob sie nicht ihre Schönheit in den Laternen zur Schau stellen wollten.
„Sach ihnen, dass sie eine Bühne haben, jede ganz für sich allein, un´ schon sin´ sie hin und weg“, hatte er gelacht.
„Sie vermissen das Fliegen, nicht wahr?“
Ich erschreckte mich nicht. In der Stille dieses Morgens hatte ich Madame Hoochs pochendes Herz und ihren ruhigen Atem zu mir hinauf fliegen gehört. Ihre silbrig weißen Haare glänzen in der Morgensonne wie von Frost überzogen und hier oben formte ihr Atem kleine, weiße Wölkchen in der Luft.
„Ja, sehr“
„Warum haben sie sich dann zuvor keinen Besen gekauft?“
Ich sah zu ihr hinüber. Auch sie saß, wie ich, die Hände in den Tasche ihres Umhangs vergraben, die Füße hinten auf die Halterung ihres Sauberwischs gelegt, da, und beobachtete, wie die Sonne langsam ihre Wanderung über das Himmelsvlies begann.
„Sie sind so teuer. Und ich hatte ein bisschen Angst, dass ich es dadurch zu sehr vermissen würde“, gab ich zu.
„Sie brauchen sich nicht so geheimnisvoll auszudrücken“
War das da etwa ein Lächeln?
„Professor Sprout hat mich über sie informiert, damit ich mir von ihnen und ihren Flugkünsten eine Meinung machen konnte. Noch während wir nach ihnen gesucht haben, sollte ich überlegen, ob die Tatsache, dass sie ursprünglich einer anderen Spezies angehört haben, sie vom Spiel disqualifizieren könnte“
„Und?“, fragte ich vorsichtig.
„Und sie wären heute Morgen nicht hier, wenn ich mich dagegen entschieden hätte. Vielleicht haben sie als Drache das Fliegen im Blut. Doch jetzt, in diesem Moment, sind sie kein Drache, Miss May. Sie sind eine Hexe. Ob man nun schon mit zwei Jahren auf einem Spielzeugbesen durch Haus geflogen ist oder sich hier das erste Mal getraut hat, am Ende sind wir alle gleich. Das ist das Wundervolle an Hogwarts. Man braucht kein Talent, um etwas zu wollen. Doch solange man etwas wirklich will, kann man es erreichen. Egal, als was man geboren wurde“
Ruckartig wandte sie mir den Kopf zu und ihre leuchtend bernsteinfarbenen Augen bohrten sich tief in mich hinein.
„Eine Sache, Miss May. Würden sie ihre Brille abnehmen?“
Kurz schreckte ich vor dem Gedanken zurück. Doch wer sollte uns hier oben schon sehen?
Mit leisem Klacken legten sich die Bügel meiner Brille an die Gläser.
Und die Welt war eine Andere.
„Was sehen sie“
„Die Sterne“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „Und die Tautropfen auf dem Gras“
„Das ist beeindruckend. Ich sehe nur das Glitzern der Tautropfen und die Sterne kann auch ich am Tag nicht mehr sehen“
Sofort wandte ich meiner Lehrerin den Kopf zu. Wenn ich genau hinsah… ganz genau…
„Federkiele“, seufzte Madame Hooch, doch ihre Stimme klang nicht unglücklich dabei, „Ein Grund, warum ich mein Haar immer kurz getragen habe. Früher, als ich hier noch Schülerin war, haben sie mir vorgeworfen ich sähe damit jungenhaft aus. Die hatten ja keine Ahnung, wie schwer es ist Federkiele zu frisieren“
„Sie sind hauchdünn!“, flüsterte ich ehrfurchtsvoll und merkte erst da, dass ich unwillkürlich ein wenig näher heran geflogen war.
Sofort waren meine Hände wieder an meinem Besenstil und ich lenkte ihn zurück, doch Madame Hooch warf nur den Kopf zurück und lachte ich den jungen Morgen.
„Meine Mutter hatte noch Federn“, gab sie zu, dann wandte sich ihr Kopf ruckartig dem Boden zu, „Ich glaube, unsere Morgenvorstellung ist vorbei, Miss May“
Ich nickte und setzte meine Brille wieder auf.
„Wollen sie ihren Mitschülern nicht zeigen, womit sie gestern ihre Freunde erschreckt haben?“, fragte sie da und ein fast schon schelmischer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dann beugte ich mich nach vorn, schmiegte meinen Körper ganz eng an den Stil meines Nimbus und kippte ihn einfach nach vorn, bis er senkrecht nach unten zeigte.
Der Besen beschleunigte.

Als ich knapp zwanzig Meter über dem Erdboden die meine bisherige Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, hörte ich die ersten Schreie. Kleine Gestalten in Schutzkleidern mit ihren Hausfarben zeigten mit ausgestreckten Armen nach oben. Ich hörte lautes Fluchen von den Jungs und auch quietschendes Schreien von den Mädchen, dann zog ich den Besen nach oben.
Er folgte meinem Befehl mit Leichtigkeit. Einen Moment lang spürte ich, wie es meinen Magen in die andere Richtung schleuderte. Da war dieser kurze Moment, irgendwo zwischen Vorwärts und Rückwärts, kein richtiges Bremsen, aber auch keine Beschleunigung, in dem der Besen völlig still stand, nur knapp einen halben Meter von der Erde entfernt. Dann raste der Besen mit atemberaubender Geschwindigkeit wieder in die Höhe.
Jubelrufe und lautes Klatschen ließen mich aufschauen.
„Sehr gut Rose!“
„Zeig´s ihnen!“
Da waren sie. Sue und Felix und Annabell, Emily, Elster, Roux und sogar Maya. Selbst Luisa Orchid war da, zusammen mit noch einigen anderen Hufflepuffs. Und nicht nur sie applaudierten. Bei den Gryffindors grölten und brüllen sich James, Sirius, Frank, Gideon und Fabian die Lunge aus dem Leib. Lily und Peter hingegen saßen, die Hände um ihre Sitze verkrampft und die Gesichter bleich wie Pergament da und starrten immer noch an die Stelle, knapp über dem Boden, wo sie mich wohl schon in einer unschönen Pfütze hatten liegen sehen. Und, ich konnte es kaum fassen, selbst Remus war da! Er war noch zwei Nuancen blasser als Lily und Peter und um die Nase bereits leicht grün.
„Du jubelst für die Falschen!“, protestierte Tad laut neben Alan, der, wie meine anderen Freunde, aufgesprungen war und mir pfeifend applaudierte.
„Sei kein Spielverderber!“, brüllte Sophie zurück und pfiff laut und gellend durch die Finger, „Das war großartig!“
Vorsichtig dirigierte ich meinen Besen näher an die Gryffindor-Tribüne, nahm Sues Mütze ab und stülpte sie ihrer Besitzerin lachend bis über die Ohren.
„Danke fürs leihen!“
„Beim nächsten Mal nimmst du mich mit da hoch!“, rief sie und ich reckte ihr einen Daumen entgegen, als ich mich eilig wieder Madame Hooch und den anderen Team-Anwärtern zuwandte und neben ihnen auf dem matschigen Gras landete.
„So, meine Damen, meine Herren. Miss May hat ihnen schon einmal eine gute Vorführung gegeben, was ich am heutigen Morgen von ihnen erwarte“, blaffte Madame Hooch, als ich mich neben die anderen Schüler stellte.
Sie alle waren älter als ich, da man sich eigentlich erst ab der zweiten Klasse als Spieler bewerben konnte. Einige starren mich fast schon wütend, andere ängstlich und wieder andere sogar bewundernd an. Viele versuchten gar kein Gesicht zu machen, doch ich konnte aus jedem Einzelnen lesen, wie aus einem Buch.
„Miss May, gehen sie und ziehen sie sich ihre Schutzausrüstung an. Mister Dodge, Mister Hubert, gehen sie und holen sie die Kiste“
In aller Eile huschte ich zurück in die Umkleidekabine und riss mir fast Schal und Mantel vom Leib. Madame Hooch hatte die übliche Schutzausrüstung für mich mit einem Schrumpfzauber verkleinert, damit sie mir nicht um die Ohren flog, sobald ich vom Boden abhob.
Doch so sehr ich mich auch beeilt hatte, als ich zurück kam, stand die Kiste bereits neben Madame Hooch und mir schoss die Hitze in die Wangen, als mir bewusst wurde, dass alle nur noch auf mich warteten.
Madame Hooch jedoch zückte völlig ungerührt ihren Zauberstab und gab der Kiste dann einen ordentlichen Tritt.
Der Deckel sprang auf und sofort schossen vier Bälle daraus hervor, wie von einer Schleuder geschossen. Im gleichen Moment jedoch schwang Madame Hooch den Zauberstab und goldene Funken stoben daraus hervor. Die Funken waren schneller als die Bälle.
Mit einem letzten Schwenk ihres Zauberstabes hoben die Funken auch noch einen großen, ledernen Handschuh aus der Kiste, der der schwebend seinen Platz in der Aufreihung hinter Madame Hooch einnahm.
Der Quaffel schwebte einfach friedlich und riesig in der Luft, bei den Klatschern jedoch hatten die Funken mehr zu tun. Wie Hunde, die Schafe trieben, scheuchten sie die beiden angriffslustigen Bälle zurück, bis diese sich, einer mit, einer gegen den Uhrzeigersinn, umkreisten, nicht jedoch ohne regelmäßig einen Ausbruchsversuch zu starten. Und mit dem Schnatz hatte der Zauber dann tatsächlich Probleme. Es sah fast aus, als würde der kleine Ball die Funken immer wieder hin und her reißen und ab und an schien es fast so, als wäre er entkommen, bevor sie ihn zurück trieben.
„Wer sich auf eine bestimmte Position bewerben will, der stellt sich bitte an die entsprechende Position. Wer sich noch nicht entschieden hat, der bleibt stehen und wir werden sehn, wofür ihr taugt. Und von euch Treibern“, rief sie über die Schulter, als sich einige Schüler sofort den beiden fauchenden Bällen zuwandten, „Wer sich jetzt schon ausknocken lässt, der darf selber zusehn, wie er vom Platz kommt!“
Ich schluckte. Fliegen, ja, das war die eine Sache… doch sich dabei auch noch auf ein Spiel und die entsprechenden Bälle zu konzentrieren, das war etwas ganz Anderes!
Neben mir waren nur drei weitere Schüler stehen geblieben, zwei Gryffindors, einer aus der vierten, einer aus der dritten Klasse und eine unsicher wirkende Ravenclaw.
„Los, du machst das, Susan! Roselynn, lass dich nicht unterkriegen!“, schallte da ein Ruf von der vierten Tribüne zu uns hinab.
Marlene stand da, weit über das Geländer gelehnt und die Fäuste schwingend, während sie rief. Und hinter ihr stand Elias, der sie nervös am Kragen ihres Mantels gepackt hielt.
Die junge Ravenclaw neben mir richtete sich ein wenig auf, fast so, als hätte Marlenes Anfeuerungsruf sie ein wenig aufgepumpt.
„Wir fangen von links an!“, holte mich Madame Hoochs Stimme aufs Spielfeld zurück, „Die Sucher und die aus der Grau-Zone! Die anderen auf die Tribune!“

Als die Sonne fast den Höhepunkt ihrer Wanderung erreicht hatte, war ich durchgeschwitzt und von einer dicken Schicht aus Schlamm überzogen.
Jetzt wusste ich, warum sich fast alle Schüler auf die Positionen verteilt hatte und nur wir vier in der Grau-Zone übrig geblieben waren. Die beiden Gryffindors hatten eindeutig Spaß daran, die Ravenclaw, Susan, und mich hatte es jedoch vollkommen unvorbereitet getroffen. Wer sich für eine Position entschiede hatte, durfte dem Training zusehen, bis seine Position an der Reihe war. Wer sich jedoch nicht entschieden hatte, der machte bei allem mit.
Innerhalb der ersten Stunde hatte ich sehr schnell eines fest gestellt: als Sucher eignete ich mich überhaupt nicht!
Denn selbst mit der Brille ergab sich ein gewaltiges Problem: Ich sah zu viel! Während sich alle menschlichen Spieler darauf konzentrieren konnten auf etwas Glitzerndes zu achten, schmerzten mir bald die Augen. Für mich glitzerte alles! Die Wassertropfen auf den Grashalmen, die Ohrringe, Halsketten und Uhrgläser der Zuschauer. Hatte ich den Schnatz einmal gesehen, konnte ich ihm recht mühelos nachjagen, doch bis dahin brannten und tränten mir die Augen, bis ich gar nichts mehr sah.
Es half auch nichts, sich überhaupt nicht auf den Schnatz konzentrieren zu wollen, denn dann verschwamm auch mein Sinn für meine Umgebung, was schlussendlich dazu führte, dass ich fast mit einem Torpfosten kollidierte. Vor Schreck rutschte ich vom Besen. Ich fiel nicht sehr tief, doch ich hatte eine ordentliche Geschwindigkeit gehabt und so zog ich eine tiefe Furche quer durchs hintere Ende des Spielfeldes.
Sofort war Madame Hooch an meiner Seite, meinen Besen in der freien Hand.
„Wieder aufsteigen, oder unten bleiben, May?“
„Aufsteigen!“, antwortete ich sofort durch einen Mund voller Gras und Erde hinweg.
Mit einem Nicken schwang Madame Hooch die Hand mit dem Zauberstab und der Schlamm verschwand, zumindest von meiner Brille. Dann warf sie mir den Besen zu und ich schwang ein Bein darüber.
„Sie machen bei der nächsten Runde wieder mit. Als Sucher kann man sie jedenfalls nicht gebrauchen“
Und auch wenn ich bereits selbst zu dieser Feststellung gekommen war, klangen diese Worte hart in meinen Ohren und bis schließlich die Hüter dran waren, saß ich zwischen Marlene und Fabian auf der Tribüne, matschte meinen Sitz voll und beschmierte alle, die mir zu Nahe kamen.
Als Hüter stellte ich mich nicht schlecht an, mein natürlicher Jagdinstinkt schaltete sich sofort ein, als ich etwas in meine Richtung fliegen sah und ich erntete großes Lob von Madame Hooch und meinen Mitspielern.
Als Treiber wiederum versagte ich völlig.
Ein Drache brauchte keinen Stock um zu jagen. Es machte mir zwar großen Spaß den fauchenden und Bällen nach zu jagen, die mich immer wieder zu attackieren versuchten, doch ich hatte Hemmungen sie auf meine Mitschüler los zu lassen und musste regelmäßig der Versuchung widerstehen den Schläger einfach fallen zu lassen und den Klatscher mit der bloßen Hand in die Richtung zu schlagen, in der ich ihn haben wollte.
„Das ist kein Softball, Miss May!“, brüllte Madame Hooch zu mir nach oben.
Am Ende ließ ich den Schläger tatsächlich los, mitten im Schwung, woraufhin er einen weiten Bogen flog und Tad fast am Kopf traf. Doch Alan wiederholte seine Heldentat vom Samstag Abend, warf sich auf seinen besten Freund und der Schläger traf mit einem kaum zu überhörenden Tock auf seinen Sitz.
„Vom Platz, Miss May!“, gellte Madame Hoochs Schrei übers Feld.
„Mach dir keinen Kopf“, versuchte Sue mich aufzumuntern, während ich mir mürrisch trockenen Matsch aus dem linken Ohr pulte, „Es gibt ja noch eine Position. Und als Hüter warst du echt klasse!“
„Man sollte dir nur wirklich nie einen Schläger geben“, kicherte Fabian.
Dafür kassierte er von mir einen Schlag gegen die Schulter, der ihn rückwärts vom Sitz warf, woraufhin Gideon einen Lachanfall erlitt.
„Ich weiß nicht, ob mir das reicht“, maulte ich verdrossen, „Das ganze Spiel nur um diese doofen Ringe zu kreisen…“
„Du bist doch sonst so stur“, meinte Frank erstaunt, „Und immerhin: du wärst im Spiel!“
„Geduld war nie Roselynns Stärke“, kommentierte Sirius von hinten mit einem Schulterzucken.
„Woher willst du das denn wissen?“, fauchte ich und bewarf ihn mir einem Stein, den ich vorne aus der trockenen Schlammschicht an meinem Umhang geprökelt hatte.
Er traf den Schönling nicht direkt, sauste jedoch knapp über seinem Scheitel dahin und wirbelte einige Haare auf.
„Sie hat meine Frisur zerstört!“, sprang Sirius erbost auf, die Hand flach auf den Kopf gepresst, dann wandte er sich an James, „Sie hat mich skalpiert!“
„Miss May!“, rief da Madame Hooch vom Spielfeld, „Letzte Position!“
Genervt schnappte ich mir meinen Besen, legte mir den Stil über die Schulter und stampfte krümelnd zur Treppe.

„Ich muss zugeben, ich glaube auch nicht, dass sie sich als Hüter machen würde“, flüsterte Gideon Sue ins Ohr.
„Warum denn nicht?“, schnappte die junge Hufflepuff zurück, „Und warum flüstern wir überhaupt?“
„Irgendwie hab ich immer das Gefühl, dass sie einen hört“, gab Gideon zu und schüttelte dann den Kopf, „Aber darum geht´s nicht. Du warst noch nie bei einem richtigen Quidditch-Spiel dabei, oder?“
Erstaunt schüttelte Sue den Kopf, dass ihre kastanienbraunen Locken wild durch die Gegend hüpften und beobachtete, wie ihre beste Freundin zum letzten Mal das Spielfeld betrat, wo sich nun auch noch einige andere Menschen in Schutzkleidung versammelt hatten.
„Bei der Weltmeisterschaft hat es schon Tote gegeben“, erklärte Gideon eilig, während Madame Hooch ihren Spielern Anweisungen zu brüllte, „Quidditch ist brutal. Wenn du dir da mal was brichst, ist das so, als würdest du, keine Ahnung, frühstücken. Einfach völlig normal! Ein Spiel ohne mindestens einen Verletzten ist fast schon kein Quidditch mehr. Du musst für deinen Posten alles geben, ansonsten… ist es einfach kein Quidditch. Wenn dich ein Klatscher mitten im Gesicht trifft“, und bei diesen Worten überhörte er Sues erschrockenes Fiepen, „Dann darfst du danach nicht einfach sagen, ja, danke, war ein tolles Spiel Leute, ich bin dann Mal raus. Du musst dafür-…“
„Brennen“, beendete Fabian den Satz seiner Bruders und rappelte sich hinter seinem Sitz halb auf, während er sich die schmerzende Schulter rieb, „Leben und sterben“
„Findet ihr das nicht ein bisschen zu dramatisch?“, quietschte Sue leise.
Unter ihnen hatten sich die Quidditch Mannschaften jetzt aufgestellt. Eine kleinere Besetzung der originalen Teams der Häuser. Ein Hüter, ein Treiber und zwei Jäger des gegnerischen Teams, dazu ein Treiber aus dem eigenen Team. Die Jäger wurden aus den Anwärtern gestellt.
Besorgt beobachtete Sue, einer der Klatscher in die Höhe schnellte und Madame Hooch den Quaffel in die Hand nahm, die Pfeife im Mund.
„So ist Quidditch“
Das war Frank. Mit offenem Mund starrte Sue zu ihrem Freund aus Kindertagen empor. In seinem Gesicht erkannte sie nichts, doch er hatte beide Hände auf den Knien zu Fäusten geballt.
Dann ertönte der Pfiff und die Spieler, sowie ein weiterer Hufflepuff und May stießen sich vom Boden ab.

Mit einem beißenden Fauchen flog der Klatscher nur Zentimeter vor meinem Gesicht vorbei, in seinem Windschatten der erste der gegnerischen Jäger. Und von der anderen Seite, das wusste ich, kam der Zweite.

„Roselynn!“
Erschrocken sprang Sue von ihrem Sitz auf. Vor ihrem inneren Augen wurde Roselynn gerade die cremige Füllung für ein leckeres Jäger-Sandwich.
Doch es blieb nicht einmal Zeit für einen anständigen, andächtigen Moment der Stille.

Wie eine Welle füllte der Jubel das Stadium. Ich hörte, wie Madame Hooch mit weiteren Pfiffen den Rest der Teams aufs Feld scheuchte und einen kurzen Moment sah ich das Aufblitzen des goldenen Schnatzes. Doch der konnte mir jetzt egal sein.
Mein Besen schien mit meinem Körper verwachsen zu sein! Da war nur noch der Wind und die Spieler und die Jagd! Die köstliche, atemberaubende, herrliche Jagd. Und gerade hatte ich die Beute!
Den Quaffel fest unter den linken Arm geklemmt, schnellte mein Besen weiter vorwärts, während ich verkehrt herum, wie ein kleines Äffchen, daran herunter baumelte. Hinter mir hörte ich das Geräusch von Fleisch und Schutzkleidung, die gegeneinander klatschten.
„Hier!“, brüllte ich Rubick zu, dem zweiten Jäger der Hufflepuffs.
Mit einem Salto schwang ich mich wieder auf meinen Besen und nutzte den Schwung, um den Quaffel direkt in seine Richtung zu schleudern. Er fing ihn gekonnt und schoss damit nach vorne, die benommenen Jäger von Ravenclaw auf Fersen.
Ich jedoch gab wieder Gas.
Mittlerweile war auch der zweite Klatscher im Spiel und auch der zweite Treiber von Ravenclaw, ein massiger Typ in dessen Hand der Schläger wie ein Stöckchen aussah. Mit brutaler Gewalt verpasste er dem nächsten Klatscher einen Schlag, der ihn direkt in meine Richtung schleuderte. Doch anstatt dem zischenden Geschoss auszuweichen, drehte ich meinen Besen aus dem Flug heraus einmal um die eigene Achse und während der Klatscher wie ein Querschläger vom Stil meines Besens abprallte, schoss ich weiter, den anderen Jägern hinterher.
Gerade hatten die Ravenclaws Rubick fast eingeholt, flog im Zick, Zack hin und her wie ein Hase, doch sie waren zu zweit und kamen ihm immer näher. Da ließ er sich und seinen Besen plötzlich ganze zwei Meter nach unten sacken und ich wusste sofort, was er vor hatte.
Anstatt also weiter auf ihn zu zu halten, zog ich eine weite Kurve nach links, hin zur Mitte des Spielfelde, fing den Quaffel, den er zwischen den Beinen der Ravenclaws hindurch gespielt hatte, schoss weiter nach vor und schleuderte den feuerroten Ball mit aller Kraft und allem Schwung direkt auf den Hüter von Ravenclaw zu.
Der Ball traf ihn direkt in die Brust, presste ihm alle Luft aus den Lungen und schleuderte ihn und seinen Besen direkt durch den mittleren Ring.

Natürlich war es nur ein Testspiel gewesen.
Am Ende gewann Hufflepuff mit Einhundertsiebzig Punkten zu null gegen Ravenclaw.
Rubick und ich hatten gerade einmal genug Zeit für ein zweites Tor gehabt, bevor Elster den Schnatz gefangen hatte. 

59. Kapitel
Schätze
Die Proteste der Zwillinge, dass Elsters Eingriff ins Spiel absolut regelwidrig gewesen war, prallten an der jungen Hufflepuff ab wie Kieselsteine an Drachenschuppen.
Madame Hooch zeigte sich begeistert von ihrem Fang und bot Elster sogar an, sich auf einen Besen zu setzen und es in der Luft noch einmal zu versuchen, doch Elster lehnte dankend ab. Von der Tribüne aus war es ihr ein Leichtes, doch auf einem Besen fühlte sie sich noch lange nicht zu Hause. Trotzdem bot ich ihr zusätzliche Flugstunden vor dem Quidditch-Training an, denn wer, noch dazu im Sitzen, einen so kleinen Ball so gut fangen konnte, der musste einfach Sucher für Hufflepuff werden.
„Aber nur auf den Schulbesen!“, scheute sie vor meinem Nimbus zurück und lachte dann auf, „Mit dem da seh ich nach nur einer Sekunde aus wie du!“
Im ersten Moment verstand ich sie nicht, denn das Adrenalin rauschte immer noch durch meine Adern. Dann blickte ich an mir hinab und stimmte ebenfalls in ihr Lachen ein.
Fröhlich hüpfte Sue den anderen voran zur Treppe, stolperte natürlich, doch Frank hatte bereits ihren Arm gefasst und zog sie wieder in die Gerade. Die anderen Hufflepuffs folgten ihr.
„Saubere Leistung, Rose“, schlenderte James an mir vorbei und boxte mich gegen meine Schulterpolster.
„Ja, gut gemacht“, grinste Sirius, zwinkerte und boxte mir ebenfalls auf die Schulter, während er zur Treppe lief.
„Das war toll“, hauchte der kleine Peter, der einen Moment zögerte, doch dann hielt ich ihm die Hand hin, in die er begeistert einschlug.
Fehlte ja nur noch Einer.
„Wie du siehst bin ich noch da“, kam ich ihm zuvor und drehte mich um.
Sofort wurde Remus rot.
„Ich-… also ich-…“, er räusperte sich umständlich, doch ich schnippte nur ein Stück trockenen Schlamm in seine Richtung.
„Hab dich auch lieb“, winkte ich, drehte mich um und machte mich auf zu den Umkleiden, um zu duschen.

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug. Ab jetzt waren meine Tage mit drei Mal Quidditch-Training die Woche noch voller, dazu kam das Training mit Elster und Professor Slughorns regelmäßige Abendessen. Dann noch die Hausaufgaben, meine Besuche bei Hagrid und immer dann, wenn ich auch nur ein bisschen unbeschäftigt aussah, diskutierten Fabian und Gideon mit mir über berühmte Strategien und Flugmanöver beim Quidditch. Und auch, wenn ich nie zuvor so viel durch die Gegend gerannt und geflogen war, waren es doch die schönsten Wochen meines bisherigen Lebens.
Immer wieder kamen Briefe aus Ungarn, Mal von Dr. Imre, mal von Kristóf. Und auch die anderen Drachen-Wächter schickten Briefe und kleine Pakete mit Dingen aus der Heimat.
Am schönsten jedoch waren die Fotos. Dr. Imre war anscheinend dazu übergegangen den Berichten des Reservats Fotografien hinzu zu fügen. Jedoch schoss er ab und an auch Fotos, die er mir mit seinen Briefen mit schickte. Fotos von meinen Brüdern, die auf den magischen Bildern flogen oder neugierig den seltsamen Apparat begutachteten, von den Drachen des Reservats, den anderen Wärtern, die fröhlich in die Kamera winkten und auch von Kristóf, der alles andere als glücklich aussah. Im nächsten Brief von Kristóf übersandte er mir dann ein Rache-Bild von Dr. Imre, der mit Drachenmist verkrusteter Hose auf seinen Spaten gelehnt mitten in einem Haufen Drachendung stand und aus voller Kehle über Kristóf zu lachen schien. 
Während also meine Mitschüler Plakate von ihren liebsten Quidditch-Mannschaften oder magischen Bands neben ihren Betten hängen hatten, begann ich aus den Bildern von zu Hause eine kleine Collage zu erstellen. Sorgfältig klebte ich jedes einzelne Foto über meinem Nachtschränkchen neben mein Bett, die Bilder von Kristóf und Dr. Imre in der Mitte.
„Ist das dein Zuhause?“, fragte Emily fasziniert und betrachtete die vielen Bilder, nachdem ich einen ganzen Abend damit zugebracht hatte, sie alle richtig zu sortieren und aufzuhängen.
„Jep“, lächelte ich stolz und betrachtete mein Werk aus zwei Schritten Entfernung.
„Warum schaut der eine Mann denn so böse?“, fragte sie verwundert und beugte sich tiefer über das Bild von Kristóf.
Ich kicherte.
„Der guckt immer so“
„Aha“, murmelte Emily und wandte sich dann dem Foto von Dr. Imre zu, „Und der hier? Ist das dein Vater?“
„Emily!“, schoss Sue nach oben, die bis dahin entspannt auf ihrem Bett gesessen und gezeichnet hatte und schaute die junge Hufflepuff böse an.
„Sorry!“, jammerte Emily sofort los und ihre neu gefärbten Haare wechselten von einem schamvollen Rosa zu einem traurigen blau, das dann fast schwarz wurde, „War keine Absicht… ich hab's vergessen-…!“
„Alles gut“, lächelte ich und trat an ihre Seite, um ebenfalls auf das Foto zu blicken, „Ist fast richtig. Manchmal wünsche ich mir, dass er tatsächlich mein Vater wäre“
Darauf fiel weder Sue noch Emily noch etwas ein und die beiden ließen mich in Frieden. Ich jedoch saß noch die halbe Nacht wach, laß in den neuen Büchern, die Roux mir geliehen hatte und betrachtete immer wieder die Bilder von zu Hause.

Nur das mit der Bibliothek klappte immer noch nicht so…
Allein wenn ich überlegte noch einmal nach einem Buch über Halbwesen zu suchen, fand ich dort James, Sirius, Remus und Peter, vergraben in einem Berg aus Büchern und Pergament, sodass ich mein Unterfangen bald aufgab. Immerhin verhielt sich Remus jetzt wieder einigermaßen normal und wer wusste schon, ob seine Mutter nicht vielleicht doch krank war und mir meine Nase nur einen Streich gespielt hatte.
Zumindest wollte ich das glauben. 
Die Vier verhielten sich außergewöhnlich still dieser Tage, was wohl nicht nur mir, sondern auch Professor McGonagall auffiel, die diesen Umstand jedoch mehr beunruhigend fand, als ihre ständigen Streiche. 
Im Gegensatz dazu versuche Professor Flitwick sich nicht anmerken zu lassen wie enttäuscht er davon war, dass ich wieder begann in seinem Unterricht Feuer zu legen.
So flog der Oktober dahin, bis Hagrid schließlich eine Kürbisse erntete und die Feen aus dem Wald in Hogwarts Einzug hielten.
Die kleinen, leuchtenden Geschöpfe waren hochgradig an mir interessiert, verließen immer wieder ihre Kürbislaternen, wenn ich vorbei lief und zupften mir an den Haaren herum, bis meine Freunde dazu über gingen, sie mit ihren Taschen und Umhängen zu verscheuchen. Danach waren sie beleidigt und kamen nicht mehr heraus.
Einige Hufflepuffs, Sue und mich eingeschlossen, wurden von den Hauselfen sogar dazu eingeladne uns beim Kürbischnitzen zu beteiligen. Außerdem tropften wir Kerzen, in die wir mit kleinen Messern Grimassen schnitzten und sahen derweil zu, wie die Hauselfen wahre Kunstwerke an Essen zauberten.
Da gab es essbare Spinnen, gemacht aus Nüssen und Karamell, die se so verzauberten, dass die herum liefen und richtig lebendig aussahen! Außerdem hohle Schrumpfköpfe aus Kuchen und Schokolade, die sie mit Süßigkeiten füllten und denen sie die gruseligsten Gesichter verpassten. Dann natürlich noch alles, was man mit Kürbis so anfangen konnte, Tartes und Kuchen und Suppen und Eintöpfe, außerdem jede Menge Snacks, wie Würstchen im Schlafrock und Datteln im Speckmantel und Muffins aus Nudeln mit Spinat oder Ei oder gegrilltem Gemüse und noch so viel mehr, dass Sue und ich gar nicht mehr mit kamen.
Und dann kam sie, die gruseligste aller Gruselnächte.
Der Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs war mit Papiergirlanden geschmückt worden, die natürliche Kürbisse zeigten oder Skelette oder Geister. Die richtigen Hogwartsgeister warn in Hochstimmung und der fette Mönch hatte uns stolz gezeigt, wie er seine Schlüsselkette ölte, damit sie auch so richtig schaurig rasselte. Überall standen Schüssel mit noch mehr Süßigkeiten herum und die Kürbislaternen sahen eine besser aus als die nächste. Selbst einige der Pflanzen, die von der Decke hingen, waren dem Anlass entsprechend verziert und mit Flatterbändern geschmückt worden, oder mit Zaubern zum Blühen gebracht worden, sodass der ganze Raum von süßem Duft erfüllt war. Für mich war das Letzte leider nur halb so schön. So viel süßer Duft auf so engem Raum stach mir leider sehr in der Nase, sodass ich entweder aufs Atmen verzichten oder den Gemeinschaftsraum an diesem Tag meiden musste.
Ich beschloss also, es Mal wieder mit der Bibliothek zu versuchen.
Es war Sonntag und das Schloss dümpelte bis zum Festessen am Abend friedlich vor sich hin. Umso lauter war der Knall, der mir aus dem Gang der Bibliothek plötzlich entgegen scholl.
Als ich hastig um die Ecke bog, stürzten James, Sirius, Remus und Peter gerade aus dem Türbogen, alle vier mit Ruß im Gesicht und zerzaust abstehenden Haaren.
„Taktik drei, Männer!“, schrie Sirius, dann gab er Gas.
„Halt, Sirius, dass kannst du nicht machen!“, schimpfte Remus und heftete sich, einen Moment zu spät, an Sirius Fersen.
„Remus!“, rief James ihnen hinterher und setzte sich dann ebenfalls eilig in Bewegung, „Das ist Taktik vier!“
Fast wäre Sirius in mich hinein gerannt. In seiner einen Hand, das konnte ich gerade noch sehen, bevor er mich an den Schultern packte, schwelte ein mehrfach gefaltetes, angekohlten, ziemlich großes Stück Pergament.
„Schatz, du musst uns den Rücken frei halten!“, rief er, dann waren die drei auch schon um die nächste Ecke verschwunden.
In der Bibliothek zeterte Madame Pinns vor sich hin und von der anderen Seite des Ganges kam, mit langen Schritten Professor McGonagall auf den zitternden Peter zu geschritten, der allein zurück geblieben war.
„Hat er mich grade wirklich Schatz genannt?“, brachte ich noch hervor, bevor die Hauslehrerin von Gryffindor ihren Schüler erreichte.
„Mir war fast so, als hätte ich Mister Black gehört“, schnaubte sie und musterte Peters angekohltes Gesicht, „Wo ist er?“
„Macht Zeug“, piepste Peter und streckte dabei mutig den Rücken durch.
„Es ist erstaunlich, wie wenig mir allein zwei so kurze Wörter gefallen können“, entgegnete Professor McGonagall kühl und lugte um die Ecke in die Bibliothek, „Wo ist Mister Lupin?“
„Versucht Sirius davon abzuhalten Zeug zu machen“, piepste Peter, Schweißperlen auf der Stirn.
„Mister Potter?“, fragte Professor McGonagall knapp und schürzte bereits die Lippen.
„Versucht Remus davon abzuhalten Sirius davon abzuhalten Zeug zu machen“
„Ich verstehe“, verschränkte Professor McGonagall und verschränkte auf nahezu todbringende Weise die Arme, „Und was machen sie hier, Mister Pettigrew?“
„Ich soll sie davon abhalten James davon abzuhalten Remus davon abzuhalten Sirius davon abzuhalten Zeug zu machen…“
Das Ende war etwas leise und kurzatmig, da Peter schlicht die Luft ausgegangen war.
„Und sie?“, hob Professor McGonagall den Blick, „Was mache sie hier?“
„Ich bin der Schatz, der Peter den Rücken frei hält, während er sie davon abhält James davon abzuhalten Remus davon abzuhalten Sirius davon abzuhalten Zeug zu machen. Im Grunde halte ich sie also auch davon ab-…“, ich stockte und ließ den Rest in der Luft hängen.
Allerdings musste ich es Professor McGonagall doch sehr hoch anrechnen, dass sie mich bis hierher hatte ausreden lassen. Zwar zog sie die Augenbraue hoch, ließ sich jedoch nicht zu einem Kommentar hinreißen.
„Brennt dort drinnen etwas?“, fragte Professor McGonagall und sah zu Peter, warf jedoch auch mir noch einmal einen kurzen Blick zu.
„Nein, Professor!“, antworteten wir beide im Chor.
„Ist etwas beschädigt worden?“
„Nein, Professor“, antwortete diesmal nur Peter.
„Dann waschen sie sich bis heute Abend am besten gar nicht erst das Gesicht und wir stellen sie als Dekoration an ihren Haustisch. Und nun gehen sie. Alle beide“, winkte Professor McGonagall uns energisch fort, während sie sich zwischen uns hindurch schob und die Bibliothek betrat.
„Danke“, fiepte Peter atemlos.
„Keine Ursache“, antwortete ich.
Einen Moment blickten wir uns noch an, dann rannten wir aneinander vorbei und machten, dass wir weg kamen.
Als ich schließlich im Gang vor der Küche ankam, musste ich anhalten. Ich konnte einfach nicht mehr Laufen und gleichzeitig so heftig lachen.

Wie zu erwarten, war das Festessen ein echtes Wunderwerk.
Manche Schüler hatte lustige Dinge aus magischen Scherzartikelläden mitgebracht, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Die Tische hinauf und hinunter knallte und ploppte es, lustige Hüte und magische Haut-Sticker lagen für alle bereit und um die Kerzen und Kürbisse an der sternengeschmückten Decke der großen Halle flogen Schwärme an echten Fledermäusen. Während des Essens landete eine davon versehentlich auf Professor Dumbledores Hut. Er jedoch pflückte sie nur herunter, wie eine flauschige, reife Frucht, und fütterte sie über das restliche Festessen mit gebackener Banane.
Es war ein guter Abend. Und wie sich heraus stellte, hatte Peter sich tatsächlich nicht das Gesicht gewaschen.
60. Kapitel
Höchste Gefahrenstufe
Irgendwann im November, das hörte ich von Sirius, verschwand Remus erneut, von einem Dienstag Abend bis zum Mittwoch morgen. Wie es ihm danach ging und in welcher Verfassung er sich befand, konnte ich nicht mit eigenen Augen sehen, denn Mittwoch hatten die Hufflepuffs keinen Unterricht mit den Gryffindors. Und bis auf wenige Ausnahmen, waren die Vier auch immer noch häufig in der Bibliothek oder gar nicht aufzufinden, weshalb ich sie nur selten zu Gesicht bekam.
Ich jedoch hatte anderes zu tun.
Das Hufflepuff-Team bereitete sich auf sein erstes Spiel gegen Ravenclaw vor, weshalb das Training nun vier Mal die Woche statt fand. Manchmal schaffte ich es aus den Duschen nur ganz knapp bis hoch in den Astronomie-Turm und Sue und Felix mussten mich auf den Rückweg stützen, damit ich nicht im Gehen einschlief.
Mitte November wurde Hogwarts dann von einer Front aus Eis und Schnee überrollt. Über nur wenige Tage fror der See komplett zu und Hagrid musste mich beruhigen, dass der Riesenkrake darunter ein schönes Winterschläfchen hielt und es ihm sehr gut ginge, ich musste mir also keine Sorgen machen.
Die Halloween Dekoration war verschwunden und wurde Anfang Dezember ersetzt von nie schmelzenden Eiszapfen, Schnee, der von der Decke fiel aber nie den Boden berührte und Schneemännern, geschmückten Tannenbäumen mit Feen an den Spitzen, Mistelzweigen und glitzernden Girlanden.
Sue, Fabian, Sirius und James versuchten mir, Remus und Peter das Schlittschuhfahren bei zu bringen, was jedoch gar nicht so einfach war. Peter und ich trauten uns schon einmal gar nicht bis auf das Eis hinaus und Remus hatte tatsächlich überhaupt kein Talent zum Schlittschuhfahren. Als ich mich zu sehr über ihn lustig machten, warf er einen Schneeball nach mir und entfachte damit die größte Schlacht, die Hogwarts bisher gesehen hatte. 
Als wir am Abend alle geduscht, in trockenen Kleidern und mit einem heißen Kakao noch einmal alle in der großen Halle zusammen kamen, brachte Hagrid gerade mehrere Meter hohe Tannen in die große Halle, die vom kleinen Professor Flitwick durch Zauberei mit funkelnden Schneekristallen, Feen und roten und goldenen Kugeln geschmückt wurden.
„Fahrt ihr über die Ferien nach Hause?“, fragte Sue die versammelte Mannschaft.
Annabell, Emily, Elster und Felix nickten, genauso Frank, Sirius, James, Peter und Remus. Lily nickte ebenfalls, wirkte dabei jedoch nicht ganz so enthusiastisch. Ich wusste, dass sie Mal wieder Streit mit Severus hatte und nur deshalb James Gesellschaft ertrug. Außerdem hatte ihre Schwester seit ihrem letzten Brief auf keine einzige Eule mehr geantwortet.
Gideon und Fabian jedoch schüttelten den Kopf.
„Wir fahren zu unserer Schwester“, erzählte Fabian fröhlich, „Sie hat letztes Jahr geheiratet!“
„Seitdem sind wir auch Onkel Gideon und Onkel Fabian“, prahlte Gideon stolz.
„Das wusste ich gar nicht!“, rief Frank aus und stellte seine Tasse ab, „Herzlichen Glückwunsch!“
„Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“, fragte Emily aufgeregt.
„Ein Junge“, erzählte Fabian, „Er heißt William Arthur. Aber wir nennen ihn nur Bill. Er ist letztes Jahr im November geboren“
„Dann hatte er ja letztens Geburtstag!“, quietschte Sue und ihre Augen funkelten.
„Du magst kleine Kinder, kann das sein?“, fragte ich sie.
„Klar!“, rief sie und rüttelte so heftig an meinem Ellenbogen, dass ich mir meinen Kakao über die Knie schüttete, „Die sind so unfassbar niedlich!“
„Der Zweite ist schon auf dem Weg!“, trumpfte Gideon auf, „Molly hat geschrieben, dass es in den nächsten Wochen so weit ist. Deshalb fahren wir auch hin, dann können wir ihr und Arthur über Weihnachten ein bisschen helfen. Außerdem sind sie erst diesen Sommer in ihr neues Haus gezogen“
Sofort verfiel Sue ins Schwärmen, wie niedlich kleine Kinder und vor allem Babys doch waren.
„Ich meine, es sind ganze Menschen, aber an ihnen ist alles so klein und sie können praktisch noch gar nichts und sie brabbeln so süß, findest du nicht auch, Rose?“
„Mh…“, machte ich unverbindlich und nahm noch eine Schluck Kakao.
„Du magst wohl keine kleinen Kinder“, witzelte Sirius, „Naja, haben ja auch eine andere Seite, nicht? Stinken und schreien die ganze Zeit und können noch nicht Mal alleine essen…“
„Wie jetzt?“, fragte Sue und echtes Entsetzen sprach aus ihrer Miene, „Du magst keine kleinen Kinder? Nicht Mal Babys?“
Mittlerweile hatten auch die Anderen ihre Gespräche eingestellt und warteten neugierig auf meine Antwort.
„Eine Hufflepuff, die keine Babys mag?“, fragte Frank und lachte dann, „Wo gibt's denn sowas?“
„Ich weiß nicht, ob ich sie mag, okay?“, platzte ich da heraus.
„Was soll das denn heißen?“, fragte Elster, „Ich meine… man muss sie sich doch nur ansehen…“
Ich konnte es ihnen einfach nicht sagen. In letzter Zeit stieß ich immer wieder an diese Grenzen. Das Gespräch kam auf Themen, zu denen ich einfach nichts sagen konnte und wo eine Lüge gar nichts brachte.
„Rose?“, fragte Remus vorsichtig und ich zuckte schuldbewusst zusammen.
Während alle anderen noch verwirrt drein schauten, keimte in seinen Augen eine tiefe Trauer auf, die mir zeigte, dass bei ihm der Groschen bereits gefallen war.
Vorsichtig stellte ich meine Tasse ab und stand vom Tisch auf.
„Wir sehn uns später…“, murmelte ich, dann machte ich, dass ich davon kam.

„Was sollte das denn?“, fragte Elster und starrte der Weißhaarigen hinterher, „Man wird doch wohl wissen, ob man Babys mag oder nicht!“
„Ich befürchte“, erhob sich da eine Stimme hinter ich, die sie alle erschrocken zusammen fahren ließ, „Dass so etwas bei Rose nicht ganz so einfach ist“
Roux war plötzlich hinter der Gruppe aufgetaucht und starrte immer noch in die nun leere Eingangshalle.
„Ich versteh gar nichts mehr…“, gab Sue zu und stellte ebenfalls ihre Tasse ab.
„Seid ihr schon Mal auf die Idee gekommen, dass sie noch nie ein Baby gesehen hat?“
Das versetzte die Gruppe in verblüfftes Schweigen.
„Noch-… nie? Du meinst-… noch nie? In ihrem ganzen Leben nicht?“, platzte es aus Sirius heraus, während Remus mit einem tiefen Seufzen den Kopf senkte, „Wie soll denn sowas möglich sein? Ich meine… sie hat doch drei Brüder! Als mein Bruder Regulus auf die Welt kam-…“
„Ihre Brüder sind aber genauso alt wie sie, oder nicht?“, fuhr Sue dazwischen.
„Ich dachte immer, sie hätte drei ältere Brüder“, warf Emily vorsichtig ein.
„So oder so“, starrte Roux noch immer zum Portal der großen Halle, „Selbst, wenn sie nur ein Jahr jünger sind, würde sie sich nicht mehr erinnern. Damals war sie selbst noch ein Baby. Aber… wenn sie und ihre Brüder die ganzen Jahre in dem Reservat gelebt haben-…“
„Aber irgendwann muss man doch auch Mal da raus gehen!“, begehrte Gideon auf, „Ich meine-… keine Ahnung, einkaufen oder sowas! Einfach Mal in die nächste Stadt! Weihnachtsgeschenke kaufen oder-… oder Kleider…“
In diesem Moment blinzelte Sue überrascht.
„Und was-… was wenn nicht?“, fragte sie langsam und blickte dann erschrocken zu Roux auf, „Sie kam damals bei uns in den Laden und hatte eine umgenähte Jeans und ein abgetragenes Männer-Shirt an. Meine Mutter hat alle ihre Kleider gemacht, nicht nur die Umhänge“
Erneut legte sich Schweigen über die Gruppe, dieses Mal gemischt mit Entsetzen.
Vorsichtig ließ Roux sich auf Roselynns verlassenen Platz sinken und blickte sie, einer nach dem anderen, ernst an.
„Ich weiß, dass ihre Mutter gestorben ist und dass ihr Vater sie und ihre Brüder verlassen hat“, runzelte er die Stirn, während er sich erinnerte, „Der Arzt und der Direktor des Reservates haben praktisch ihre Vormundschaft übernommen. Und vor etwas mehr als einem Jahr haben sich zum ersten Mal ihre magischen Kräfte gemeldet“
„Mit einem Hühnerregen“, nickte Frank, „Davon hat sie uns erzählt“
„Ich dachte ihr Vater wäre an Schwindsucht gestorben…“, piepste Peter und zog fast schuldbewusst den Kopf ein, als sich ihm alle Blicke zuwandten, „Ich habe die älteren Slytherins darüber reden gehört“
„Und sowas erzählst du uns nicht?“, platze James heraus.
„Hat sie euch auch erzählt, wie bei ihnen Weihnachten oder ein Geburtstag gefeiert werden?“, unterbrach Roux die beiden, „Wie wird gefeiert? Was wurde geschenkt? Hat sie noch ein Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk, dass ihr sehr am Herzen liegt?“
„Sie hat schwarz-weiße Drachenhaut Handschuhe“, murmelte Sue leise, „Das war ihr Geburtstagsgeschenk letztes Jahr…“
„Aber es hat wieder was mit Drachen zu tun“, schüttelte James den Kopf.
„Weiß sonst noch jemand von euch irgend etwas über sie?“
Schweigen folgte, als alle nachdenklich den Kopf schüttelten.
„Ay“, grollte da plötzlich eine tiefe Stimme und alle wandten sich um.
Hagrid stapfte die letzten paar Schritte zu ihnen heran. Schnee schmolz auf seinem Maulwurfsfellmantel und seine Stiefel, die groß waren wie Kinderwagen, hinterließen nasse Fußspuren auf dem Steinboden.
„Ich weiß ja, dass du ihr was Gutes willst“, wandte er sich mit ernster Miene an Roux, „Aber ich sach dir: lass es sein. Wenn du noch mehr Fragen stellst, dann bringste sie in Schwierigkeiten“
„Wieso denn Schwierigkeiten?“, blökte Sirius.
„Sirius…“, murmelte Remus da leise, „Lass es sein“
„Aber warum denn?“, wandte der sich an seinen Freund, „Ist doch nichts dabei? Ich versteh sowieso nicht, warum sie nie was erzählt. Ich meine… ganz ehrlich, wir sind nicht Mal im selben Haus und sie kennt trotzdem meine halbe Lebensgeschichte!“
Alle aus der Gruppe nickten und sahen dann wieder zu Hagrid empor, der ein verzweifeltes Gesicht machte.
„Ihr macht's nur noch schlimmer“
„Was denn schlimmer?“, fragte Roux bitterernst und stand wieder auf, „Hagrid, wir machen uns Sorgen um sie“
„Un´ das is ja auch nett von euch, aber ihr macht sie nicht glücklich damit, wenn ihr weiter so viele Fragen stellt. Lasst's einfach sein. Sie wird euch sagen, was sie kann“
„Aber sie hat noch nie ein kleines Kind gesehen, hab ich Recht?“, hakte Roux eilig nach, als der Riese schon weiter gehen wollte, „Geschweige denn ein Baby“
„Das kann ich euch nich sagen“, versuchte er der Frage auszuweichen.
„Hat sie oder hat sie nicht?“
Hagrid wand sich, doch bald konnten sie alle sehen, wie er langsam aufgab.
„Vermutlich nich… ich könnt's mir jedenfalls denken“
Stille füllte die Halle.
„Hätt´ ich doch nur nichts gesagt“, grummelte Hagrid und wandte sich ab.
„Aber-… Hagrid!“, rief Roux dem Riesen nach, doch der winkte nur abwehrend mit der Hand und verließ die große Halle.
Eine Weile lang geschah gar nichts. Dann stand Remus auf, stellte seine Tasse auf den Tisch und folgte ihm aus der Halle hinaus.

Wie er schon erwartet hatte, fand er Roselynn in der Bibliothek. Er war sich sicher gewesen, dass sie sich nicht in ihren Gemeinschaftsraum oder Schlafsaal zurück ziehen würde, denn dort würden ihre Freunde aus ihrem Haus als erstes nach ihr suchen. Doch in letzter Zeit hatte er sie immer wieder die Bibliothek betreten und dann eilig wieder verlassen sehen, nachdem er ihn, James, Sirius und Peter dort erspäht hatte. Da sie sich nun sicher sein konnte, dass keiner von ihnen dort sein konnte und sie nicht wusste, dass er sie gesehen hatte, erschien ihm das als ihre erste Wahl.
Sie saß mit dem Rücken zu ihm, neben sich ein paar aufgeschlagene Bücher, und war so in ihre Lektüre versunken, dass sie gar nicht bemerkte, wie er langsam an sie heran schritt. Ihre Fragen mussten sie wirklich verletzt haben. Sonst war sie so aufmerksam, fast wie ein gejagtes Tier, das niemals Ruhe fand.
Immer wieder wünschte er sich, ihr diese Ruhe geben zu können. Eine Art Anker zu sein, jemand, an den sie sich wenden konnte. Doch natürlich war es viel einfacher mit jemandem wie Sirius zu sprechen. Er war charmant und sah gut aus und brachte sie zum lachen. Außerdem übte er ununterbrochen das Flirten an ihr und das blieb sicher nicht ohne Auswirkungen. Und natürlich hatte er kein solches Problem wie Remus selbst.
Hatte der Blick, den er ihr zugeworfen hatte, ihr vielleicht zu viel verraten?
Einmal mehr fragte er sich, woher sie gewusst hatte, dass die Geschichte mit seiner kranken Mutter eine Lüge gewesen war. Und war sie nicht besonders fürsorglich und vorsichtig mit ihm nach jedem Vollmond? Fast so, als wüsste sie, dass er Schmerzen litt…
Ein unguter Verdacht keimte in ihm auf und gab der Panik Nahrung. Und es wurde auch nicht besser, als er sah, was für Bücher da neben ihr auf dem Tisch lagen.
Das eine war ein abgegriffenes Exemplar eines Lehrbuchs aus Verteidigung gegen die dunklen Künste, „Im Angesicht des Gesichtslosen“. Daneben ein Astronomie-Buch, aufgeschlagen auf der Karte mit den Mondphasen.
Das Buch, dass sie in ihren Händen hielt, erkannte er sofort.
Es war das berühmte Werk des Zauberers Newt Scamander. „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ war eines seiner eigenen Lieblinsgbücher. Dort wurden die Kreaturen nicht als vornherein böse beschrieben. Stattdessen zeichnete Scamander zwar realistische, jedoch vor allem ruhige und versöhnliche Bilder der von ihm beschriebenen Wesen.
Remus kannte auch den Abschnitt über die Drachen, der einige Seiten des Buches füllte und verstand deshalb Roselynns Begeisterung für jene Wesen. Doch eine leise Stimme sagte ihm, dass sie nicht hier war, um über Drachen zu lesen.
Einige Schritte von ihr entfernt blieb er stehen. Er konnte nicht lesen, wie die Überschrift des Kapitels lautete und es gab auch keine Illustration auf den von ihr aufgeschlagenen Seite. Er wusste sehr wohl, auf welcher Seite keine Illustration vorhanden war. Auf welcher ganz speziellen Seite, denn das Bild kam erst auf der nächsten.
Gerade strich sie mit den Fingern über die untere Ecke des Blattes, kurz davor umzublättern.
Er floh. Mit pochendem Herzen und Tränen in den Augen.

Am Ende hatte ich das Buch doch ausgeliehen und mit in den Schlafsaal genommen. Sue, Emily, Annabell und Elster verhielten sich seltsam ruhig, als ich den Raum betrat und ich versuchte nicht ein Gespräch anzufangen.
Stattdessen verzog ich mich in mein Bett und zog die Vorhänge zu, um noch einmal jenes Kapitel in aller Ruhe lesen zu können.
Die Beschreibung des Werwolfs fand sich in einem Kapitel, das Scamander in der neuesten Auflage des Buches seinem Werk hinzu gefügt hatte, in einer Kategorie, in der er sich ausschließlich mit Halbwesen befasste. Es gab dort nicht viele Einträge und Scamander wies auch deutlich darauf hin, dass die Werwölfe in seinem Buch eigentlich nichts zu suchen hatten, da sie in dem Sinne keine Tierwesen waren, jedoch vom Zaubereiministerium als Tierwesen der höchsten Gefährlichkeitsstufe geführt wurden: als Zauberertöter bekannt / unmöglich zu bändigen, geschweige denn als Haustier abzurichten. Ich kannte diesen Satz. In meinen Kindertagen hatte ich ihn praktisch jedes Mal gehört, wenn ein Vertreter egal welches Zaubereiministeriums im Reservat gewesen war. 
Als Menschen geboren, wurden Werwölfe jedoch erst durch den Biss eines anderen Werwolfs mit der sogenannten Lykanthrophie infiziert, einer Krankheit, die bis heute als nicht heilbar eingestuft wurde. Danach, so laß ich den niedergeschriebenen Horror noch einmal, zwang sie die Krankheit jeden Vollmond zu einer schmerzvollen Verwandlung, die nichts mehr mit eigener Willenskraft zu tun hatte. Und wurden sie nicht weg gesperrt, fielen sie alles an, was in irgend einer Form menschlich war, um ein wahres Blutbad zu veranstalten.
Während Wut, Verzweiflung, Trauer und Schmerz in mir miteinander rangen, las ich von der Ausgrenzung der Werwölfe, dem Werwolf-Fangkommando des Ministeriums und dem Werwolf-Unterstützungsamt, das anscheinend kaum eine Chance hatte, gegen die Stigmatisierung der Werwölfe an zu kommen, nicht einmal in ihrer eignen Abteilung.
Das war es also, was Remus jeden Monat durchlebte. Und ich hatte auch noch ein solches Theater gemacht, weil ich seine Lüge gerochen und mich verletzt gefühlt hatte.
Denn wer konnte sich wohl besser vorstellen, welches Leben er führte. Die Einträge im Register von magischen Tierwesen waren sowohl bei Drachen, als auch bei Werwölfen mit fünf großen X gekennzeichnet. Doch während ich nur darauf achten musste mich zu beherrschen und immer meine Brille zu tragen, musste er sich ein Mal pro Monat eine neue Lügengeschichte ausdenken. 
Ein Mal jeden Monat! Allein beim Gedanken daran wurde mir übel. Vermutlich hatte er, genau wie ich, vor Hogwarts den Entschluss gefasst, niemals Freunde zu finden und war, ganz offensichtlich, ebenso grandios gescheitert wie ich. Ein Mal im Monat meinen Freunden erklären zu müssen, warum ich nicht mit ihnen schlafen ging, warum ich nicht wieder kam und erst am nächsten Morgen wieder auftauchte…
Und dann noch der Geruch nach frischen Blut, den er jedes Mal an sich haften hatte. Was tat ein so aggressives Wesen wie ein Werwolf, das töten und zerfleischen und zerfetzen wollen, wenn nichts zum töten, zerfleischen oder zerfetzen da war?
Ich hatte ein einziges Mal einen Drachen gesehen, der von Kristóf aus den Katakomben eines alten Zauberer-Verlieses gerettet worden war. Er hatte Jahrhunderte dort unten in der Dunkelheit verbracht.
In der Nacht hatte ich mich als Drache an sein Gehege angeschlichen. Sofort war er in Wut geraten, hatte versucht Feuer zu spucken und gebrüllt, was seine Lungen her gaben. Er hatte nichts von dem verstanden, was ich versuchte ihm mit zu teilen. Und ich hatte nur seinen von Narben übersäten Körper betrachten können, wo er sich seine eigenen Schuppen aus der Haut gerissen hatte.
Am nächsten Tag war er gestorben.

„Du bist schon wieder hibbelig“, kommentierte Sue, als ich versuchte mich beim Frühstück auf meinen Toast zu konzentrieren.
„Wirklich?“, fragte ich und hüpfte unter dem Tisch mit den Beinen auf und ab.
„Die ganze Bank wackelt“, bestätigte Felix knapp.
„Tut mir leid“
„Hast du dir schon wieder einen Besen bestellt?“, fragte Elster und kicherte.
„Nein, ich-…“, setzte ich an und musste dann eilig überlegen, „Ich hab schon eine Weile nichts mehr von zu Hause gehört. Ich meine, wir fahren doch mit dem Zug bis nach London, oder?“
„Stimmt, du musst ja noch elend weiter“, stöhnte Annabell, „Willst du dir das wirklich antun?“
„Zur Not appariere ich auch“, gab ich zu und versuchte herzhaft in meinen Toast zu beißen, während ich aus dem Augenwinkel das Portal zur großen Halle beobachtete, „Ich meine, es ist schön hier und ich mag euch alle furchtbar gern, aber-…“
„Ich hab auch Heimweh“, lächelte Emily mich an, „Schon okay, Roselynn. Das haben wir alle“
Ich lächelte dankbar zurück. Ich hatte tatsächlich Heimweh, schreckliches sogar, und ich konnte es kaum erwarten nach all den Monaten mal wieder richtig zu fliegen und meine Brüder und Dr. Imre und Kristóf zu sehen. Doch gerade war es auch die perfekte Ausrede.
Zumindest, bis die Posteulen kamen.
Tatsächlich flog eine Eule auf mich zu, doch es war nicht Dr. Imres Fleckenuhu Ignis. Stattdessen landete, in einem Wust aus Federn und Schnee, die kleine, altersschwache Sperbereule von Kristóf auf meinem Teller und kippte dabei auch meinen Kelch mit Kürbissaft um.
„Was ist denn das für eine Eule?“, quietschte Sue, während sie aufsprang und versuchte dem vom Tisch tropfenden Kürbissaft auszuweichen.
„Das ist Odin“, erklärte ich ihr mit gerunzelter Stirn, während ich das zitternde Knäul aus der Lache hob, „Aber er fliegt eigentlich nur im Reservat und überbringt kleine Botschaften an die Wärter. Er ist zu alt und außerdem war er nie stark genug, um Briefe zu tragen. Sie sind zu schwer“
Vorsichtig drehte ich die Eule auf den rücken und prüfte, ob Odin noch atmete. Das war der Fall, weshalb ich ihm mit meinem Löffel vorsichtig ein paar Schlucke Wasser in den offenen Schnabel träufelte. Das half ihm tatsächlich wieder auf die Beine, zumindest so weit, dass er sich an meinen dicken Pullover kuscheln konnte, um seine halb erfrorenen Flügel wieder auf zu tauen.
„Warum schickt er dir gerade die Eule?“, fragte Felix und warf gleich einen ganzen Haufen Servietten auf den verschütteten Kürbissaft, „Bringt dir sonst nicht dieser aggressive Fleckenuhu die Briefe?“
Felix hatte ein Mal den Fehler gemacht und versucht Ignis zu streicheln. Ich hatte gerade noch rechtzeitig seinen Arm bei Seite geschlagen.
Doch er hatte sehr wohl Recht.
Vorsichtig löste ich die Schnur um Odins Bein. Die kleine Pergamentrolle war vom Kürbissaft durchweicht worden und die Tinte vom Schnee ohnehin schon zerlaufen. Doch ich konnte trotzdem lesen, was dort in hastiger Schrift geschrieben stand.

May
Bleib in England! Komm nicht nach Hause!
Ich melde mich.
Kristóf
61. Kapitel
Fenster zur Seele
Der Dezember wurde still. Fast schon einsam.
Wie auch immer Remus davon erfahren hatte, seine Reaktion war der von Elias fast gleich. Er roch nach Angst und floh regelrecht vor mir. Ich wusste nicht wann und wie ich mich so verraten hatte, doch seine Reaktion schmerzte mich noch mehr, als die von Elias. Auch wenn er ein Werwolf war, einen Drachen wollte er anscheinend nicht zu seinen Freunden zählen. Natürlich. Für ihn wurde es nur ein Mal im Monat gefährlich, den Rest der Zeit konnte er sich entspannen. Ich jedoch konnte jederzeit zu einer gefährlichen, menschenfressenden Bestie verkommen. Wer wollte schon mit so jemandem zusammen gesehen werden, geschweige denn die Vorweihnachtszeit feiern?
Da Remus und Elias mich mieden, sah ich auch James, Sirius, Peter und Marlene fast gar nicht mehr. Und da Weihnachten die Zeit der Versöhnungen war, hatten Lily und Severus das strapazierte Band ihrer Freundschaft wieder aufgenommen und neu geknüpft. Ich hielt mich von ihnen fern, denn ich versuchte mich für Lily zu freuen, dass sie und ihr ältester Freund sich wieder so gut verstanden, denn ich wusste, dass Severus mich nicht ausstehen konnte. Doch sie war nicht die Einzige, auf die ich aus einem solchen Grund verzichten musste. Tad, Alans bester Freund, schien mich mit jedem Tag weniger zu mögen. Da ich seine Einstellung häufig ebenfalls ablehnte, waren wir uns wenigstens diesbezüglich einig. Doch da Alan fast immer mit ihm und Sophie unterwegs war, sah ich Alan nur noch zu den Abendessen des Slug-Clubs, wo er zuvorkommend und liebevoll war, wie eh und je. Dafür hatte Lucius Malfoy neues Pulver für seine Attacken gefunden.
Dass ich zu Weihnachten nicht nach Hause konnte, hatte in Hogwarts schnell die Runde gemacht. Nach dem Eintreffen von Kristófs Brief hatte ich meinen Uhu und noch mehrere Schuleulen nach Ungarn geschickt, doch alle waren schon am nächsten Morgen zurück gekehrt. Sie trugen immer noch meine Briefe, mit einem offiziellen Stempel des Ministeriums, dass die Eulen abgefangen und die Briefe geöffnet worden waren. Außerdem kam mit ihnen noch eine weitere, mit unbekannte Eule, die mir ein kurzes Schreiben einer Hexe aus der Abteilung für Internationale Zusammenarbeit brachte, dass alle meine Nachrichten für geraume Zeit abgefangen und an mich zurück geschickt werden würden. Nebenbei fröhliche Weihnachten.
Dies hatte ich das erste Mal zum Anlass genommen zu Professor Sprout zu gehen und sie um Hilfe zu bitten. Ich hatte ihr Kristófs Nachricht gezeigt und sie hatte versucht mich zu beruhigen und versprach, sich für mich um eine Antwort zu bemühen. Zwei Tage später rief sie mich nach Kräuterkunde zu sich, um mir zu berichten, dass das Reservat und all seine Arbeitskräfte in Schutzhaft gestellt worden waren. Nichts und niemand kam hinein oder hinaus. Warum, dass hatte das Zaubereiministerium nicht sagen wollen. Und auch was meine Post anging hatten sie sich zu keinem Kommentar hinreißen lassen.
Meine schulischen Leistungen sackten sofort. Selbst beim Quidditch-Training ließ ich nach und dass unser Captain, ein Viertklässler namens Keiha, sich sehr verständnisvoll zeigte, anstatt verärgert zu sein, machte es irgendwie nur noch schlimmer. Für das Spiel gegen Ravenclaw spielte mein Ersatzmann. Ich saß auf der Bank, bibbernd, in voller Schutzausrüstung, meinen Nimbus über der Schulter, und sah ihnen zu. Ravenclaw gewann mit einhundertneunzig zu vierzig.
Selbst der Kontakt zu meinem eigenen Haus wurde schwierig. Viele hatten geglaubt mit mir im Team eine Art Ass im Ärmel zu haben und sich schon als Siegen den Quidditch-Pokal vom Feld tragen sehen. Dass ich nur als Ersatzmann diente, weil ich zu schlecht war, gab vielen Anlass zu gehässigen und spitzen Seitenhieben gegen mich. Sue, Annabell, Emily, Elster und Felix versuchten zu Anfang noch mich abzuschirmen und zu verteidigen. Roux drohte sogar damit sich an Professor Dumbledore zu wenden. Das war für mich den Punkt, an dem ich mich ganz von ihnen zurück zog.
Wie sollte ich rechtfertigen, dass wegen mir schon wieder so ein Aufstand veranstaltet wurde? Und hatte ich meine Freunde über diese ersten Monate in Hogwarts nicht schon genug strapaziert? Vom ersten Tag an sogar?
Meine Einsamkeit hatte außerdem noch einen weiteren Vorteil.
Am zwanzigsten Dezember begannen offiziell die Weihnachtsferien und sie alle schwärmten von den Weihnachtstraditionen ihrer Familien, den Geschenken und dem Essen. Sie erzählten ihre liebsten Geschichten vergangener Feste, beratschlagtem, welchem ihrer Freunde sie was schenken konnten und was sie für ihrem Familien ausgesucht hatten.
Ich konnte von dergleichen nichts erzählen. Weihnachten war bei uns im Reservat immer eine stille Angelegenheit gewesen. Alle Wächter bekamen für den Abend frei, die einzigen, die blieben, weil sie keine Familien hatten und auch im Reservat lebten, waren Dr. Imre und Kristóf gewesen. Den Tag hatte ich mit meinen Brüdern verbracht, am Abend mit Dr. Imre und Kristóf ein kleines Abendessen gefeiert. Jedes Jahr hatten beide mir eine kleine Tanne geschlagen, die wir mit Strohsternen verzierten. Als ich klein gewesen war, hatten wir sie in meinem Gehege aufgestellt und ich hatte sie fast jedes Jahr in Brand gesteckt. Als ich schließlich größer war, hatten wir sie in meine Hütte stellen können und sie hatte Weihnachten überlebt. 
Ich hatte nie Geld besessen und deshalb darauf bestanden, dass beide mir nichts schenkten. Als sie sich nicht daran gehalten hatten, war ich in Tränen ausgebrochen und hatte sie Kontrolle verloren. Kristóf hatte drei Tage lang seine Hütte nicht betreten können, bis ich mich wieder beruhigt und zurück verwandelt hatte. Im nächsten Jahr ließen sie es bleiben.
In diesem Jahr jedoch hatte ich für beide Geschenke gekauft, schon vor über einem Monat. Sie lagen in meinem Koffer verstaut und würden Ungarn nun niemals rechtzeitig erreichen. 
Für Kristóf hatte ich bei Sues Mutter einen Anzug anfertigen lassen. Ich hatte darüber gestaunt, dass Madame Malkins mit nur einem Blick die Maße einer Person so gut abschätzen konnte und Sue hatte sich über meine Reaktion gefreut. Hose und Jacket waren dunkelblau, das Hemd mit hellblauen Nadelstreifen, die Krawatte aus taubenblauer Seide. Dazu silberne Manschetten-Knöpfe, eine Auftragsarbeit mit zwei gefassten Edelsteinen aus meinem Verließ in Gringotts. Hooksail hatte mir in einem Brief mitgeteilt, dass es sich um Diamanten handelte und ich wollte gar nicht wissen, welchen Umweg er in dem Verließ hatte nehmen müssen, wo er doch nicht auf meinem Rücken hatte fliegen können. Doch ich wollte ein wenig Farbe in Kristófs Leben bringen und hatte deshalb auch aus der Apotheke der Winkelgasse ein Bart-Pflegeöl bestellt, dass die Haare vor Feuer schütze. Ob es auch gegen Drachenfeuer half konnte ich natürlich nicht sagen, doch ich wusste, dass es ihn zum lachen gebracht hätte
Dass Dr. Imre genug zum anziehen hatte, wusste ich. Deshalb hatte ich mich für ihn auf die Suche nach etwas Besonderem gemacht und an einige der ausgefalleneren Läden der Winkelgasse geschrieben. Tatsächlich war ich dann in einem kleinen Laden namens Borgin und Burkes fündig geworden, der in einer abzweigenden Straße der Winkelgasse, der Nocturngasse, gelegen war. Sue hatte mich vor einem Geschäft mit dem Ladeninhaber gewarnt, doch das, was ich wollte, konnte ich kaum hoffen anderswo noch einmal zu finden. Und dieses hier war nicht nur in einem sehr guten Zustand, sondern auch nich ein ganz besonderes Modell. Es hatte ein kleines Vermögen gekostet, doch ich war gern bereit gewesen das Geld zu zahlen.
Bei der etwas Tennisball-großen, goldenen Kugel handelte es sich um einen aufwendigen Apparat, der in seinem Inneren ein kleines, steinernes Becken enthielt und dauerhaft stabilisierte, ganz egal, wie man die Kugel auch schüttelte. Ich wusste sehr wohl, was ein Denkarium war.
Zum Geburtstag hatte es für meine Brüder immer etwas zum jagen gegeben. Für mich jedoch waren meine beiden Wächter durch Städte gelaufen und hatten Einkäufe erledigt. Ihre Erinnerungen waren ihr Geschenk an mich gewesen.
Da wir kein Denkarium besaßen, hatte ich mir jede Erinnerung nur ein einziges Mal ansehen können. Natürlich war es lange nicht so gut gewesen wie die Realität, doch mehr wert als jedes Buch oder Spielzeug. Und Dr. Imre, der so geübt darin war seine Gedanken zu verstecken und über alle imm er zehn Mal nachdachte, hatte immer gelacht, wenn er mir die Erinnerung überreichte und gesagt, sein Kopf fühlte sich schon viel leichter an.

Nicht nur, dass ich Kristóf und Dr. Imre ihre Geschenke nicht zukommen lassen konnte, ich hatte auch etwas für meine Freunde kaufen wollen. Kleinigkeiten nur, denn ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Doch das Zaubereiministerium fing selbst meine Eulen zur Winkelgasse ab.
Ich überlegte auch etwas selbst anzufertigen, doch alles, was mir einfiel, kam mir albern und kindisch vor. Und da sowieso kaum noch jemand mit mir sprach, hatte es keinen Sinn jemanden zu fragen, an meiner statt die Briefe zu verschicken.
Am dreizehnten Dezember kam die Eule, die Gideon und Fabian mitteilte, dass sie am Vortag das zweite Mal Onkel und Onkel geworden waren. Am Gryffindor-Tisch brach großer Jubel aus, denn alle mochten die Zwillinge und die gute Laune schwappte schnell auch zu uns Hufflepuffs hinüber. Der kleine Charlie Weasley und seine Mutter waren wohl auf und würden noch in den nächsten Tagen aus dem Sankt Mungo entlassen.
Ich freute mich für sie, bewahrte jedoch Abstand. Das war es, was ich von Anfang an gewollt hatte. Isolation. Keine Freunde, keine Lügen. Nur die Stille.

Am Abend vor den Ferien hatten fast alle meine Schlafsaal-Kameradinnen ihre Koffer bereits gepackt. Nur Elster lümmelte noch im Schlafsaal herum, während die Anderen sich im Gemeinschaftsraum entspannten.
Da ich weder Lust hatte mit Elster allein zu sein und die Stille mit unangenehmem Schweigen zu füllen, noch mich den Anderen hinzu zu gesellen, beschloss ich in die Bibliothek zu gehen. Gerade in den letzten Tagen verhielten sich James, Sirius, Remus und Peter Jungs nach fast zwei Monaten wieder etwas normaler und waren dort kaum noch zu finden. Und da niemand so kurz vor den Ferien noch ans Lernen dachte, erschien sie mir als der perfekte Ort.
Doch anscheinend hatte ich die Jungs nur knapp verpasst. Als ich die Bibliothek betrat, war Madame Pinns gerade dabei einen neuen Berg aus Büchern und Pergament aufzuräumen. Sie schimpfte vor sich hin und ließ sich dabei auch nicht stören. Während sie also den Müll mit einem Schnippen ihres Zauberstabes verschwinden ließ, las ich neugierig die Titel, der übrig gebliebenen Werke. 
Da waren Bücher über Zauberkunst und Inanimatus-Aufrufezauber, außerdem, was mich wirklich erstaunte, einige Rollen Pergament, die sich als veraltete Baupläne von Hogwarts heraus stellten. 
Das waren ganz sicher keine Recherchen für den letzten Aufsatz von Professor Binns über die Kobold-Aufstände.
Doch das Buch über die Inanimatus-Aufrufezauber reizte mich. Sie waren die nächste Stufe der Zauber, die wir erst in drei oder vier Jahren bei Professor McGonagall lernen würden. Und außerdem, auch wenn ich mir das nur ungern eingestand, roch das Buch nach Süßholz und Kalkstein, Bienenwachs und Frühlingssonne.
„Einmal ausleihen?“, schniefte Madame Pinns und betrachtete das Buch kritisch, „Sind sie dafür nicht noch ein bisschen jung?“
„Ist das ein Problem?“, fragte ich, doch nach einem kurzen Moment des Zögerns schüttelte sie den Kopf.
„Sie wissen ja: außerhalb von Hogwarts ist der Gebrauch ihres Zauberstabes verboten“
„Ich bin über die Ferien hier“, antwortete ich müde, während sie meinen Namen vorne in die Stempelkarte des Buches eintrug.
„Dann fragen sie Professor McGonagall, bevor sie hier noch irgend etwas in die Luft jagen“
„Werde ich“, versprach ich artig.
Madame Pinns nickte, klappte das Buch zu und überreichte es mir.

Eigentlich hatte ich vor gehabt mich noch für eine Weile an eines der Fenster zu setzen und zu lesen, vielleicht zu beobachten wie die Sonne unterging, bis es Zeit wurde schlafen zu gehen. Doch da überraschte mich ein mir bekannter Duft und bevor ich noch irgend etwas anderes tun konnte, packte mich jemand am Arm und zog mich mit sich.
Madame Pinns hob verblüfft den Kopf, sagte jedoch nichts, als sie sah, wer mich da in einer völlig stummen Rangelei aus der Bibliothek zerrte.
„Roux!“, schimpfte ich, sobald wir einen Korridor entfernt waren, „Was soll denn das?“
Doch er antwortete mir nicht. Stattdessen hielt er mein Handgelenk wie ein Schraubstock umklammert und schritt weiter voran. Irgendwann hörte ich auf mich zu wehren und zu beteuern, dass ich ihm auch so folgen würde. Wir erreichten das Treppenhaus, dann die Eingangshalle und schließlich verließen wir das Schloss durch das große Portal, hinaus auf die Ländereien und in den fallenden Schnee. Die ganze Zeit über sagte Roux kein einziges Wort und aus meiner Sorge wurde langsam eine hektische Art von Angst.
Zusammen stapften wir durch den Schnee, bis wir die Buche erreichten, unter der Sue und ich im Sommer so oft gesessen und gezeichnet hatten. Fast hatte ich das Gefühl und noch lachen zu hören.
Direkt unter dem kahlen Baum blieb Roux endlich stehen und ließ meinen Arm los.
„Was soll das denn“?, fragte ich piepsig und presste mir das Buch aus der Bibliothek vor die Brust.
Mein Handgelenk schmerzte. Es war eiskalt. Ich trug nur meine Schuluniform und hatte keinen Umhang dabei. Bei Roux war es sogar noch schlimmer. Er hatte nicht einmal seinen Pullunder über dem weißen Hemd und der Stoff wirkte im gleißenden Winterlicht fürchterlich dünn.
„Warum bist du in den See gesprungen?“
Für einen Moment wusste ich nicht, wovon er sprach. Dann hob mich die Erinnerung fast von den Füßen.
Lily hatte mir prophezeit, dass mein Schweigen meinen Freunden irgendwann nicht mehr reichen würde. Und ich hatte gedacht, dass ich mit meiner Einsamkeit nun dafür zahlte.
„Was?“, krächzte ich und versuchte dann meine Nervosität zu überspielen, indem ich mit einem falschen Kichern den Kopf einzog und mir die Haare hinters Ohr strich, „Das weiß ich doch jetzt nicht mehr! Weißt du, wie lang das her ist?“
Es klappte nicht. Roux stand einfach nur da, seine dunklen Augen fest auf mich gerichtet. Schneeflocken schmolzen in seinen schwarzen Locken, begannen das Hemd an seinen Schultern zu durchweichen und ich sah, wie sich die Härchen an seinen Armen aufstellten. Doch er rührte sich keinen Millimeter.
„Das reicht nicht, Roselynn. Ich habe genug von deinen Lügen. Warum bist du in den See gesprungen?“
„Das ist meine Sache!“, fauchte ich ängstlich und machte einen kleinen Schritt zurück, „Wenn ihr alle einfach auf Abstand bleibt, dann braucht es euch zukünftig nicht zu interessieren, warum ich was tue!“
„Warum bist du in den See gesprungen?“, wurde Roux da lauter und trat dabei einen Schritt nach vorne.
So weit konnte der Stamm des Baumes nicht mehr entfernt sein. Und hier draußen hörte uns ganz sicher niemand.
„Ich weiß es nicht!“, schrie ich zurück und drehte das Gesicht weg.
Roux jedoch schüttelte nur den Kopf. Dann stieß er mir hart die Handflächen gegen die Schultern und da war die raue Rinde der Buche in meinem Rücken, eisig und unnachgiebig. Roux stand jetzt direkt vor mir, kaum fünf Zentimeter trennten sein Gesicht von meinem, als er sich zu mir hinab beugte.
„Warum bist du in den See gesprungen?“
Ein Schauer lief durch seinen Körper, sein Herz klopfte zu schnell, seine Atmung ging flach. All das registrierte ich, doch welche Antwort ich ihm geben sollte, das wusste ich nicht.
„Weil es gefährlich war! Ich hätte jemanden verletzen können!“
Stille folgte.
Dann…
„Wie verletzen?“
„Bitte… Roux, das kann ich dir nicht-…“
„Keine Ausflüchte mehr, Roselynn“, unterbrach er mich sofort, „Keine Lügen“
Seine Stimme war nun wieder leiser und auch etwas sanfter geworden. Doch sein Blick formte einen Käfig um mich.
„Es ist keine Lüge“, wimmerte ich, „Wenn ich es dir sage-… das wäre-… das würde dich und alle anderen nur in Gefahr bringen!“
„Wir sind längst in Gefahr“, wehrte er meine Worte ab, „Da draußen, vor diesen Toren, läuft ein dunkler Zauberer herum, der Muggel und alle Andersartigen von dieser Erde verschwinden lassen will. Und seine Worte haben sogar schon einen Weg hier herein gefunden. Ich habe Menschen sterben sehen, Roselynn. Ich habe Menschen um ihr Leben kämpfen sehen. Erzähl mir nichts von Gefahr“
„Aber das waren Menschen-…“, mir blieb der Rest im Hals stecken und ich musste mich dazu zwingen weiter zu sprechen, denn wenn ich es nicht tat… Roux war viel zu clever, „Böse Menschen. Aber diese Gefahr, meine Gefahr, die kommt von Menschen, die du-… von jemandem , den du für gut hältst…“
„Du hältst dich für gefährlich, nicht wahr?“, fragte Roux.
Ich hatte eigentlich das Zaubereiministerium gemeint. Doch Roux ließ sich nicht ablenken.
„Ich bin gefährlich“, antwortete ich, so leise wie möglich, fast hoffend, dass er mich nicht hörte.
Doch außer dem sanften Fallen des Schnees, der langsam unsere Kleider durchnässte, war da kein anderes Geräusch.
„Roselynn, du-… du bist anders, ja, aber das macht dich doch nicht zu einer Gefahr“
Jetzt wurden Rouxs Züge weicher und wirklich unglücklich.
„Doch“, wisperte ich, „Mehr als ihr alle ahnen könnt“, und dann, weil ich seit fast zwei Wochen mit niemandem mehr wirklich gesprochen hatte, weil ich seit Monaten versuchte, mich ständig zusammen zu reißen, weil ich seit Jahren versuchte eine Andere zu sein, fügte ich hinzu, „Ich habe ein ganz anderes Leben geführt als ich alle. Ihr hattet eine Familie. Ich hatte nie eine. Ihr hattet ein Zuhause. Ich habe das Reservat nie verlassen. Ich weiß nicht, wie ein Baby aussieht oder ob ich sie mag oder nicht. Ich weiß nicht, wie man Weihnachten feiert. Ich habe nie ein Weihnachtsgeschenk bekommen. Ich war nie zuvor bei einem Quidditch-Spiel, bin vor dem Hogwartsexpress noch nie Zug gefahren, oder Bus oder Auto, habe vorher noch nie Kürbissaft getrunken! Ich habe nie eine Katze oder einen Hund gestreichelt. Bevor ich hierher gekommen bin, da-… da habe ich noch nicht Mal mit jemandem gesprochen, der auch nur annähernd in meinem Alter war, ich-…“
An dieser Stelle kippte mir die Stimme weg.
„Sie haben dich weg gesperrt…“, die Worte entkamen Rouxs Lippen fast lautlos, ohne jede Betonung.
Ich versuchte mich nicht zu rühren, mit keinem Muskel zu zucken, um ihm ja nichts zu verraten. Doch Roux konnte selbst denken und ich hatte zu viel gesagt.
„Ich muss-… ich muss gehen…“, nuschelte ich, „Das Buch-… Madame Pinns…“
Doch bevor ich mich auch nur irgendwie rühren konnte, hatte Roux schon die Arme ausgestreckt. Beide Handflächen gegen den Baumstamm gepresst, stand er mir gegenüber und musterte jeden Millimeter meines Gesichtes. Sein Blick wanderte über mein Kinn, meine Wangen, meine Lippen, meine Nase, umkreiste die Augen, wanderte über die Schläfen zur Stirn und zog dann immer enger werdende Kreise. 
Mit zusammen gezogenen Augenbrauen hob Roux vorsichtig eine Hand. Ganz langsam näherte sie sich meinem Gesicht.
Der Zauber war stark, doch Roux konzentrierte sich voll und ganz auf mein Gesicht. Bis seine Fingerspitzen das dünne Gestell meiner Brille berührten.
Kurz zuckte er zurück, als hätte ihm das Metall einen Schlag verpasst. Dann griff er vorsichtig zu und ich spürte, wie die Bügel hinter meinen Ohren hervor rutschten. 
Sofort schloss ich die Augen.
Ich hörte, wie er die Bügel an die Brille legte, das leise Klacken, dass ich nur ein Mal am Tag hörte, nämlich, wenn ich die Brille zum schlafen hinter vorgezogenen Vorhängen absetzte und auf mein Nachtschränkchen legte.
„Bitte Rose“
Die Wärme seine Hand ließ mich zusammen fahren, als hätte er mich geschlagen. Ich versuchte den Kopf weg zu drehen, doch er fasste sanft mein Kinn und drückte ihn wieder nach oben. 
Sein Atem strich über meine Haut. Er roch nach frisch poliertem Stahl, schokoladendickem Kaffee und wilden Rosen, untermalt von jenem einzigartigen Duft, wenn frischer Regen auf warmes Kopfsteinpflaster fällt… Petrichor.
„Du wirst mich hassen“, flüsterte ich und spürte, wie die Tränen sich nach vorn kämpften, „Ich alle werdet mich hassen…“
„Wir haben Angst um dich, Rose. Du ziehst den Ärger magisch an, aber du entkommst Schwierigkeiten viel zu leicht. Trotzdem versteckst du dich. Man hat das Gefühl, dass du viel mehr hörst und siehst und fühlst als du zugibst. Dass du noch viel magischer bist, als man es als junge Hexe sowieso schon ist. Trotzdem versteckst du dich, versuchst immer wieder uns alle davon zu überzeugen, dass wir nicht deine Freunde sind. Du springst in Seen, obwohl du nicht schwimmen kannst, du fliegst auf Rennbesen meilenweit davon, gehst im verbotenen Wald verloren… Sue-… deine Freunde… wir dachten, wenn wir dich noch weiter drängen, dass du vielleicht… manchmal haben wir fast schon das Gefühl du möchtest-… dass du wirklich-…“
Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden.
„Dass ich sterben will?“, fragte ich, die Augen immer noch geschlossen. 
Doch ich konnte mir sein Gesicht lebhaft vorstellen. Immer noch ruhte seine Hand unter meinem Kinn, zwang mich, den Kopf in seine Richtung zu halten. Ein leises Beben erschütterte seine Fingerspitzen.
„Roselynn, du-… ich meine-…“, stotterte er und diesmal sprach echte Verzweiflung aus seiner Stimme, „Du bist doch erst elf… Du hast-… du hast doch dafür gekämpft, nach Hogwarts zu kommen. Warum…?“
Wieder folgte Stille. 
Dann öffnete ich langsam die Augen und sah Roux direkt ins Gesicht.
„Weil ich hier nicht hin gehöre. Ich gehöre nirgendwo hin. Für mich gibt es in dieser Welt einfach keinen Platz“

Ich beobachtete die Veränderung in Rouxs Gesicht.
Doch es war eine Andere, als ich sie erwartet hatte.
Sein schmerzerfüllter Blick füllte sich langsam mit Staunen, seine Augen wurden groß und sogar noch größer. Seine Hand glitt langsam von meinem Kinn zu meiner Wange und er drehte ganz vorsichtig mein Gesicht ein bisschen mehr ins kalte Licht der Wintersonne.
„Bei Merlin…“, hauchte er.
Eine ganze Weile standen wir so da. Und langsam schien das Leben in ihn zurück zu kehren.
Jetzt, dachte ich, jetzt merkt er, dass hier etwas nicht stimmt. Die Augen. Das Fenster zur Seele. Bei mir sind sie leer. Es gibt keine Menschen mit solchen Augen.
Ich erwartete, dass er zurück sprang, sich hastig von mir entfernte. Stattdessen brachte er sein Gesicht so nah an meines, dass kaum mehr eine Hand dazwischen gepasst hätte.
„Sind sie immer so? Die ganze Zeit?“
„Natürlich“, lachte ich fast auf, denn ich hatte das Atmen vergessen und kaum noch Luft in den Lungen.
„Sie sind-… wunderschön…“
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren. Dann schloss ich ihn wieder.
Roux drehte vor mir das Gesicht hin und her, um den regenbogenfarbenen Glanz in meinen Augen schimmern zu sehen und eine Mundwinkel wanderte in kindlicher Verzückung nach oben.
„Sie sind wie… Perlen oder… Mondsteine… oder… wie Opal…“, hauchte er, „Warum versteckst du etwas so Wunderschönes?“
„Weil ich muss…“, krächzte ich mit meinem letzten, mir verbliebenen Atem, „Wenn es jemand erfährt, dann-… darf ich nie wieder hierher zurück…“
Für einen Moment zögerte er. Dann überbrückte Roux vorsichtig das letzte bisschen Abstand zwischen uns beiden. Seine Lippen berührten kurz und fest meine Stirn, genau dort, wo sonst das Gestell meiner Brille über der Nasenwurzel endete. Dann legte er die Arme um mich und zog mich vorsichtig an sich.
Er zitterte in der Kälte und seine Haut hatte deutlich an Wärme verloren. Sein Hemd war mittlerweile pitschnass vom geschmolzenen Schnee und das Buch presste sich zwischen uns hart gegen meinen Hals. Doch nichts in der Welt hätte mich in diesem Moment dazu bringen können ihn zu bitten mich los zu lassen.
„Von mir wird es niemand erfahren“
Ich schloss die Augen und atmete aus.
62. Kapitel
A merry little Christmas
„Is´ ja wirklich schön kuschlig hier“, grinste Sirius, während er es sich auf dem umgedrehten Putzeimer so bequem wie möglich machte, „Aber kann mir nochmal jemand erklären, warum der Vertrauensschüler von Hufflepuff mich dazu aufgefordert hat die Schulregeln zu brechen und nach der Nachtruhe hier noch ein kleines Stelldichein abzuhalten?“
„Du bist nicht der Einzige, der eingeladen wurde“, grummelte Sue, „Warum habt ihr ihn überhaupt dazu geholt?“
„Ich hatte eindeutig nach Remus Lupin schicken lassen…“, antwortete Roux ruhig, der neben der angelehnten Tür lehnte und aus dem Spalt lugte.
„Der hat sich verkrochen“, winkte Sirius mit übertrieben dramatischer Geste ab und verdrehte dann die Augen, „Hat irgendwas gemurmelt von wegen Bauchschmerzen. Also wirklich, Rose, was hast du dem Armen nur angetan?“
Ich schluckte schwer und Roux verzog unglücklich das Gesicht, als er es bemerkte.
„Vielleicht solltest du besser-…“, setzte er an Sirius gewandt an, doch ich hob die Hand und unterbrach ihn damit.
„Es ist in Ordnung. Wenn Remus nicht kommen will, dann eben Sirius“
„Ich fühle mich geehrt“, deutete der junge Gryffindor eine kleine Verbeugung vor mir an, „Aber worum geht es denn jetzt genau?“
„Warte noch einen Moment“, murmelte Roux, während er weiter durch den Spalt spähte, „Es fehlt noch jemanden“
Während Sirius sich anscheinend köstlich zu amüsieren schien, saßen die Anderen alle in leichter Anspannung auf den Stapeln aus Lappen, Kisten und umgedrehten Eimern. Sirius hatte Recht. Es war wirklich reichlich eng in der Besenkammer des ersten Stocks, doch von dort aus war es für uns alle gleich weit, um zu unseren Gemeinschaftsräumen zurück zu kehren und von hier gingen gleich drei Korridore und zwei Geheimgänge ab.
Als sich leise Schritte näherten spannten alle die Muskeln an, doch Roux hatte die Person eindeutig erkannt und öffnete vorsichtig die Tür.
„Komm rein, schnell“
Lily unterdrückte ein Fluchen, als sie durch die halb offene Tür huschte und direkt über Alan stolperte, der auf dem Boden im Schneidersitz saß.
„Was soll das hier?“, fragte sie und versuchte im trüben Licht der einzelnen Kerzen die Gesichter der Anwesenden auszumachen.
„Hör einfach nur zu“, Sue klopfte neben sich auf den letzten freien Platz, eine Kiste, in der es unheilvoll raschelte.
Lily verzog zwar kurz das Gesicht, doch als sie mich in der hinteren Ecke, eingeklemmt zwischen zwei Wischmopps und drei Besen, kauern sah, setzte sie sich und wartete wie die Anderen gespannt, was nun geschehen würde.
Mir hatte Roux die Zeit gegeben einen trockenen Pullover anzuziehen, er selbst jedoch trug immer noch sein völlig durchweichtes Hemd und ich konnte mit all meinen Sinnen wahr nehmen, dass ihm die Kälte langsam zu schaffen machte.
Lily, Sue und Marlene trugen ihre Schlafanzüge, Sirius und Alan noch ihre Schuluniform. Draußen war es bereits dunkel und in wenigen Stunden würde der Hogwartsexpress sie alle abholen, um sie zu ihren Familien nach Hause zu bringen. Trotzdem waren sie alle hier.
„Roselynn würde euch gerne einige Dinge erzählen“, begann Roux, während er weiter die Tür im Auge behielt, die Arme vor der zitternden Brust verschränkt, „Doch diese-… Unterhaltung hat Regeln. Sie wird euch genau das erzählen, was sie euch erzählen kann. Ihr dürft Fragen stellen, doch sie muss sie nicht beantworten“
„Klingt… unausgeglichen“, murmelte Alan und zog kritisch die Augenbrauen zusammen.
„Das mag sein“, zuckte Roux mit den Achseln, „aber es muss sein. Wir haben euch alle“, dabei warf er Sirius einen kurzen Blick zu, „gebeten hierher zu kommen, weil wir glauben, dass wir euch vertrauen können. Roselynn war bereits der festen Überzeugung, dass es am Besten ist, wenn sie überhaupt keine Freunde hat und alles bleibt, wie es die letzten Wochen war. Ich dagegen sage, dass sie Freunde sehr gut gebrauchen kann, sie euch allerdings auch zeigen muss, dass sie euch vertraut. Dieses Gespräch soll dafür sorgen, dass ihr sie besser versteht und ihr gegebenenfalls helfen könnt, gewissen Situationen aus dem Weg zu gehen oder ihnen besser zu begegnen“
„Jetzt versteh ich, warum du Vertrauensschüler bist“, biss sich Marlene auf die Unterlippe, blickte jedoch einigermaßen beeindruckt drein, „Du klingst schon fast wie Professor McGonagall“
„Ich nehme das als Kompliment“, erwiderte Roux trocken, doch ich sah, wie seine Mundwinkel kurz nach oben zuckten, „Bevor Rose allerdings anfängt, ist irgendwer nicht daran interessiert zu hören, was sie zu sagen hat?“
Schon eine solche Frage ließ mir kurz den Atem stocken, doch alle meine Freunde blieben stumm.
„In Ordnung. Dies hier heißt nicht, dass ihr dazu verpflichtet seid, auf sie aufzupassen. Wie wir alle wissen, kann sie das durchaus selbst. Allerdings würden wir euch bitten, alles, was hier erzählt wurde, für euch zu behalten. Auch euren engsten Freunden und Familien gegenüber“
„Du machst es wirklich spannend“, nickte Sirius anerkennend.
„Das hier ist kein Spiel, Black“, entgegnete Roux streng.
„Sagst du dem Typen in rot und gold, dessen ganze Familie in grün und silber durch die Gegend läuft“, antwortete Sirius und täuschte ein Gähnen vor, „Und das schon seit Generationen. Du könntest mich jetzt ohne Zauberstab in den Verbotenen Wald fluchen und ich schwöre dir, es wäre nicht halb so schlimm wie morgen meiner Mutter zu begegnen“
„Das-… tut mir leid“, gestand Roux ehrlich ein und wirkte tatsächlich ein wenig geknickt, doch Sirius winkte gönnerhaft ab.
„Schwamm drüber“
Ich jedoch konnte sehen, dass seine coole Fassade bereits brüchig war. Er hatte Angst und ich wusste auch warum.
„Darf ich eine Frage stellen?“, hob Marlene da vorsichtig die Hand.
„Wir haben doch noch nicht Mal angefangen“, protestierte Sue, die neben mir saß wie eine kleine, schlecht gelaunte Bulldogge.
„Ist in Ordnung“, krächzte ich und versuchte mich an einem Lächeln.
„Aber denkt an die Regeln: Wenn Rose die Frage nicht beantworten darf oder will, ist das in Ordnung“, erinnerte Roux sie.
Alle nickten, dann wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder Marlene zu.
„Warum reden du und Elias nicht mehr miteinander?“, fragte sie und ließ damit meinen Magen sofort als großen Eisklotz auf den Grund meines Bauches plumpsen, „Er weicht jedem Gespräch über dich aus und wird sehr nervös, wenn du in der Näher bist. Ich bin nicht dumm“, setzte sie nach und versuchte nicht die Unterlippe vorzuschieben, „Mir fallen auch manche Dinge auf. Ihr seid euch eigentlich sehr ähnlich. Ich dachte, dass ihr euch vielleicht gut versteht“
„Das-… haben wir auch“, stammelte ich und musste schon wieder schlucken, „Aber-… er hat einen Fehler gemacht und ich habe ziemlich übertrieben darauf reagiert“
„Was für einen Fehler?“, fragte Marlene weiter und ich sah, wie Roux schon verärgert die Augenbrauen zusammen zog und hob deshalb in seine Richtung die Hand.
„Lucius Malfoy hat ihn nach Informationen über mich ausgefragt, damit er mich auf der ersten Slug-Party bloßstellen konnte“
Sofort wurde Marlenes Gesichtsausdruck bitter.
„Bitte sag mir, dass er ihn zu den Flubberwürmern gewünscht hat“, murmelte sie, doch ich war mir sicher, dass sie die Antwort bereits kannte.
„Ich habe übertrieben reagiert. Seitdem hat er-… Angst vor mir“
„Angst vor dir?“, platzte Sirius heraus und musste sich die Hände auf den Mund pressen, um nicht laut los zu lachen.
„Halt die Klappe, Black!“, fauchte Lily und wandte sich dann an mich, „Hast du mit Remus ein ähnliches Problem?“
„Ich befürchte ja, aber ich weiß nicht, was der Auslöser war“, gab ich zu.
„Und du willst auch bestimmt nicht, dass wir mit einem der beiden reden, oder?“, hakte Marlene nach.
„Das werde ich nach den Ferien selbst tun“, antwortete ich und knetete unglücklich meine Finger, „Momentan-… habe ich leider nicht den Mut dazu“
„Alles mit der Zeit“, nickte Alan, „Wie wäre es jetzt erstmal damit: Du erzählst uns, was du erzählen wolltest, danach stellen wir Fragen?“
„Klingt gut“, stimmte ich ihm zu und seufzte dann, „Also-… wie ihr alle wisst bin ich in Ungarn aufgewachsen, im Drachen-Reservat von Kristóf Zoltán. Er und der Arzt dort, Dr. Imre, haben mich aufgenommen und erzogen. Ich habe drei Brüder, allerdings-… sie sind mir irgendwie ähnlich, haben es aber nicht so mit der Magie…“
„Sind die Squibs?“, fragte Alan.
„Was ist ein Squib?“, platzten Lily und ich gleichzeitig heraus.
„Ein Mensch, der aus einen Zaubererfamilie abstammt, aber die magischen Kräfte nicht geerbt hat“, erklärte Roux kurz angebunden, „Sie können, anders als Muggel, Magie sehen, sind aber nicht dazu in der Lage sie auszuüben“
„Dann, ja…“, murmelte ich und nickte, „Sie sind Squibs. Und manchmal macht das-… die Kommunikation etwas schwierig“
„Drei auf einmal?“, fragte Sirius verblüfft und ich verzog das Gesicht.
„Mehr kann ich dir dazu-…“, setzte ich an, doch er hob sofort die Hände.
„Alles okay“, zog er die Frage zurück.
„Okay-… also… meine Eltern sind-… also mein Vater ist, glaube ich, noch am Leben, aber so genau weiß ich das nicht. Er musste uns aus… sagen wir beruflichen Gründen verlassen und gilt seither als verschollen. Meine Mutter-… ist ermordet worden“
Ein Schauder lief durch die Runde meiner Freunde und alle wurden plötzlich sehr still.
„Kristóf hat mich sofort bei sich aufgenommen!“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch es klappte nicht wirklich, „Allerdings-… sind meine Brüder und ich nun Mal ein bisschen anders. Sie, weil sie keine Magie besitzen, ich, weil ich-… naja, praktisch etwas zu viel abbekommen habe. Schon als Kind habe ich dauernd-… Dinge verwandelt und großes magisches Potential gezeigt. Das Zaubereiministerium hat dem allem nicht getraut und war nicht sehr glücklich damit. Sie haben mir den Kontakt zur Außenwelt verboten. Deshalb ist es jetzt hier für mich oft schwierig, bei Gesprächen mit euch mit zu halten“
„Du hast also tatsächlich noch nie ein Baby-…“, setzte Lily an und ich schüttelte den Kopf.
„Und-… bevor du zu uns in den Laden kamst hast du dir wirklich noch nie-…?“, fragte Sue abgehackt.
Erneut schüttelte ich den Kopf.
„Das ist übel“, brummte Sirius und ließ in einem langen Atemzug die Luft aus seinen Lungen entweichen.
„Was meinst du damit, dass du etwas zu viel Magie abbekommen hast?“, fragte Marlene vorsichtig.
„Ich-… ich kann euch nicht alles sagen, aber um mich herum passieren gerne schräge Dinge“
„Das haben wir schon gemerkt“, lachte Sirius.
„Was noch?“, fragte Alan und ich sah ein Funkeln in seinen Augen, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, „Sag Mal… haben deine magischen Kräfte auch Einfluss auf deine Sinne? Zum Beispiel-… sagen wir, auf deinen Geruchssinn?“
„Woher weißt du das?“, fragte ich verblüfft.
„Du bist nicht die Einzige, die andere Leute beobachten kann“, stieß Sue mir ihren Ellenbogen in die Seite, doch ich sah, dass sie lächelte, „Lass mich raten: du hörst auch sehr viel besser“
Verlegen musste ich nicken.
„Ist das die ganze Zeit so?“, fragte Lily und ich sah die Faszination in ihrem Blick.
„Oft ist es nur eine Art Untergrundrauschen. Aber wenn ich mich sehr aufrege oder sehr müde bin, schiebt es sich in den Vordergrund“
„Das erklärt, warum du so gut in Zaubertränke bist!“, lachte Alan und lehnte sich wie erleichtert an die Wand zurück, „Du mogelst!“
„Ich mogele nicht!“, schnappte ich, doch er kicherte nur.
„Glaub mir, wenn ich das könnte, würde ich es die ganze Zeit machen!“
„Wie ist es mit den Augen?“, fragte Sirius argwöhnisch, „Du kannst doch nicht durch unsere Kleider durch sehen oder sowas?“
„Hast du Angst, ich könnte da etwas sehen?“, rutschte es mir heraus und sofort mussten Lily und Marlene sich die Hände auf die Münder pressen.
„Sagen wir, ich bin ja ein sehr offener Mensch, aber gewisse Dinge sind und bleiben privat“, nuschelte Sirius mit roten Wangen und diesmal kicherten wir alle.
Außer Roux, den es gerade einmal zu einem Lächeln hin riss.
„Du verstellst dich aber nicht, oder?“, fuhr Sue plötzlich hoch, „Also, ich meine… so in Zauberkunst oder so?“
„So schlecht zu sein kann man nicht spielen“, versuchte Sirius eilig von sich abzulenken.
„Es hat eben alles seinen Preis“, war Marlenes einziger Kommentar, „Nochmal zurück. Augen?“
„Die Brille schirmt alles ab“, tippte ich an das dünne Gestell.
„Ist mir gleich aufgefallen, dass mit dem Ding was nicht stimmt“, lächelte Sirius stolz.
„Ich hab's erst letztens bemerkt“, schmollte Sue und zog die Knie ans Kinn.
„Es ist ein starker Zauber“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Also wenn ich das richtig verstanden habe“, meinte Alan und beugte sich wieder ein wenig vor, „Da das Zaubereiministerium nicht sehr glücklich war, bist du bestimmt auch nicht so einfach nach Hogwarts gekommen, oder?“
„Dumbledore ist persönlich vorbei gekommen“
„Bei uns stand er auch einfach so, ganz plötzlich vor der Tür“, erinnerte Lily sich und ein verträumtes Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, „War ein ganz schönes Schock für meine Eltern, so ein alter Mann im pinken Umhang“
„War bestimmt Purpur“, murmelte Roux gedankenverloren, „Das trägt er gern“
„Ist der Grund, warum du uns das alles bisher nicht erzählt hast das Ministerium?“, hakte Alan weiter nach.
„Ja“, nickte ich und atmete tief durch, „Das und-… noch etwas anderes, das ich euch aber nicht so einfach erzählen kann. Das Ministerium hat Bedingungen gestellt, unter denen ich nach Hogwarts darf. Ab und zu kann es-… in meiner Nähe sehr gefährlich werden“
„In wiefern gefährlich?“, fragte Sirius, doch ich schüttelte den Kopf.
„Ich hab es bis jetzt gut unter Kontrolle bekommen. Sollte das mal nicht der Fall sein-… sagen wir einfach, ich würdet es rechtzeitig merken. Und wahrscheinlich wäre das Ministerium ziemlich schnell da…“
„Das ist mal wieder so typisch“, schnaubte Alan und ich bemerket echten Zorn in seiner Stimme, „Nur weil jemand anders ist, hat das Ministerium gleich was dagegen“
Einen Moment herrschte verblüffte Stille, doch Alan äußerte sich nicht weiter zu dem Thema.
„Ich-… also ihr könnt mich gerne jederzeit alles fragen nur-…“
„Nur darfst du uns nicht auf alles eine Antwort geben, ist schon klar“, beendete Sirius meinen Satz.
„Hat denn jetzt noch jemand Fragen?“, fuhr Roux dazwischen, „Denn wenn nicht, würde ich vorschlagen, dass wir jetzt alle wieder ins Bett gehen. In einer halben Stunde wechseln die Lehrer ihre Patrouille und dann wäre ich nur noch ungern unterwegs“
„Es tut mir leid“, schoss ich aus meiner Ecke hoch, „dass ich euch momentan nicht mehr erzählen kann. Ich-… bin nach Hogwarts gekommen und hab mir fest vorgenommen niemals Freunde zu finden, um niemanden in Schwierigkeiten zu bringen, aber dann-…“
„Aber dann warst du einfach viel zu niedlich und wir konnten dir alle nicht widerstehen“, erhob sich Sirius ebenfalls und stupste mir mit dem Finger auf die Nase, „Schon klar, Rose, aber wir können uns selber aussuchen, wer unser Freund ist und wer nicht“
„Da muss ich ihm ausnahmsweise Recht geben“, meinte Lily und half Alan auf die Beine, „Nur weil wir hier alle zaubern können heißt das nicht, dass ich alle mögen muss“
„Wo wir schon dabei sind, du und dieser ölhaarige Schmierlappen-…“, setzte Sirius an und gab dann einen kleinen, spitzen Schrei von sich, als ich mit einem Finger schnipsen eine kleine, lodernd helle Flamme direkt vor seinem Gesicht aufflackern ließ.
„Klappe, Black“, knurrte ich.
„Wirklich ein schöner Trick“, grollte Roux und öffnete dir Tür den Besenschranks, „Und jetzt ab mit euch, das hat sicher jemand gehört.
„Na dann, Schatz“, kicherte Sirius, der sich erstaunlich schnell wieder gefangen hatte, und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Wange, „Frohe Weihnachten ihr alle!“
Und mit einem Winken an die Anderen war er durch den nächsten Wandteppich verschwunden.
„Ob das eine so gute Idee war…“, knurrte Roux.
„Er ist in Ordnung“, versuchte ich ihn zu verteidigen.
„Macht er das immer so?“, fragte Lily mit hoch gezogenen Augenbrauen.
„Man gewöhnt sich dran“, zuckte ich hilflos mit den Schultern.
„Na dann, frohe Weihnachten“, flüsterte Lily.
„Frohe Weihnachten“, nickte Marlene, deren Augenbrauen fast unter ihrem Pony verschwunden waren, dann winkte sie Lily in den nächsten Korridor.
„Komm“, nahm Alan meine Hand und zog mich zu einer kleinen Wendeltreppe, „Am besten wir teilen uns auf. Frohe Weihnachten!“
„Aber Rose und ich müssen doch ohnehin-…“, setzte Sue an, doch da berührte Roux sie sanft an der Schulter.
„Komm, wir gehen da lang“
Und führte sie durch den letzten Korridor davon.
„Ist der Weg nicht länger?“, fragte ich vorsichtig.
„Am Ende der Treppe gibt es eine Rutsche in die Kerker“, grinste Alan, „Wenn wir uns beeilen, bist du sogar vor ihnen da. Und mit einem Vertrauensschüler kann ihr sowieso nichts passieren“
Ich musste ein Lachen unterdrücken.
„Stimmt. Dann los“
„Ach und-… Rose?“
Verwundert wandte ich mich dem jungen Slytherin noch ein Mal zu, während ich angestrengt auf Schritte aus den anderen Korridoren lauschte.
„Ja?“
„Ich-… also, ich weiß, was das Ministerium teilweise für komisches Zeug macht und ich mag dich wirklich gern und-… ganz egal, was da noch ist, was du uns nicht erzählen kannst-…“
Er ließ den Satz unbeendet, doch ich verstand ihn sehr wohl.

Am nächsten Morgen entstand ein heilloser Tumult, als meine Schlafsaal-Kameradinnen alle von ihren Weckern aus den Federn gerufen wurden und hastig versuchten die Erste im Bad zu sein. Sue verlor und unter ihren Augen erkannte ich deutliche Ringe, doch sie grinste nur zu mir hinüber und streckte mir kurz die Zunge raus. Ich verdrehte die Augen, grinste aber zurück.
„Zum Glück hab ich mir was raus gelegt“ kommentierte sie die Leere vor ihrem Bett, „Die Hauselfen müssen die Koffer heute Nacht schon geholt haben.
„Ich finde es ehrlich gesagt ein bisschen unheimlich, dass ich es nie mitbekomme, wenn sie hier sind“, grummelte Elster verschlafen.
Ich konnte ihr da nur zustimmen, auch wenn ich die Hauselfen von Hogwarts mochte. Es war erschreckend, wie ihre Magie sie selbst vor meinen übernatürlich guten Sinnen verbarg.
„Ähm… Rose?“, fragte da Annabell und blickte besorgt ans Fußende meines Bettes, „ich glaube, da ist was schief gelaufen?“
„Wieso?“, fragte ich sofort und schnellte unter meiner Bettdecke hervor.
Doch Annabell musste gar nicht antworten.
Ein Moment der Stille folgte.
„Nett von ihnen, dass sie mir noch was zum anziehen raus gelegt haben“, brummte ich und hob das Kleid mit den karierten Einsätzen auf, das Sues Mutter mit zum letzten Abendessen bei Slughorn geschneidert hatte. 
Dabei lagen meine schwarzen Winterstiefel und eine dicke Strumpfhose aus goldgelber Wolle. Außerdem mein Petticoat.
Eigentlich hatte ich ja vor gehabt mich noch einmal schlafen zu legen und die Abreise der Anderen einfach zu verschlafen, doch nun blieb mir keine Wahl. Die ganzen Ferien nur in diesem Kleid zu verbringen klang nicht allzu verlockend.
„Ich komm mit euch hoch“, seufzte ich, „Dann kann ich Professor Sprout danach fragen“
„Warum gehst du nicht in die Küche und fragst di Hauselfen selbst?“, fragte Sue.
Alle starrten sie vorwurfsvoll an.
„Du weißt doch, wie sie sind“, seufzte ich und schälte mich aus meinem Pyjama, „Wenn du ihnen sagst, dass du mit etwas nicht zufrieden bist, sind sie schon knapp vorm traditionellen Selbstmord“
„Und wenn du dann sagen würdest, sie hätten einen Fehler gemacht-…“, ließ Elster den Satz in der Luft hängen.
„Jaja, schon gut“, schmollte Sue, „Nur nicht, dass Rose Koffer in Urlaub fährt“
„Dann wäre wenigstens mein Koffer unterwegs, wenn ich schon nicht weg kann“, murmelte ich, schlüpfte in das Kleid und wandte ihr meinen Rücken zu, „Kannst du mal kurz?“

Meinen Mantel über dem Arm lief ich hinter den anderen Mädchen und Felix her, die im Gehen noch einmal den Inhalt ihrer Rucksäcke überprüften.
„Es tut mir wirklich leid, Rose…“, flüsterte Sue mir da mit hängenden Schultern zu, „Ich hätte ja meine Eltern gefragt, aber ich wusste nicht, ob du das wolltest und dann hast du dich so zurück gezogen-…“
„Schon okay“, unterbrach ich sie, „Nächstes Jahr kann ich bestimmt auch nach Hause. Und Hogwarts ist ja nun wirklich kein schlechter Ort um Weihnachten zu feiern, oder?“
„Stimmt“, lenkte Sue ein, auch wenn sie nicht ganz überzeugt schien, „Was meinst du, gibt es auch ein Festessen?“
„Ich erzähl´s dir, wenn du wieder da bist“, lächelte ich, während ich neben ihr die Treppe zur Eingangshalle nach oben schritt.
„Noch besser“, hackte sich meine beste Freundin bei mir unter, „Ich schick einfach eine Eule an unseren Schlafsaal und du adressierst den Rück-Brief an meine Mutter“
„Meinst du, das klappt?“, fragte ich zweifelnd.
„Ich probier's einfach“, lächelte sie glücklich.
Und sie schien so zufrieden mit ihrer Idee zu sein, dass ich ihr nicht widersprach.
„Da bist du ja!“
Verwirrt hoben wir alle den Blick.
Fabian und Gideon hatten, ihre Rucksäcke zu ihren Füßen, neben der Treppe zum Kerker gewartet. Zwei mal traf mich exakt das gleiche Grinsen.
„Komm, wenn wir uns beeilen kriegen wir vielleicht noch ein Abteil für uns allein!“, warf sich Gideon seinen Rucksack über die linke Schulter.
„Wir haben auch schon Sandwiches gemacht“, triumphierte Fabian, während er sich seinen Rucksack über die rechte Schulter warf, „Du magst doch immer noch Kochschinken und Käse, oder?“
„Ihr seid gemein!“, fuhr Sue sie an, bevor ich auch nur die Chance hatte zu antworten, „Ihr wisst genau, dass Rose nicht nach Hause kann! Das ist überhaupt nicht witzig!“
Verwirrt blickten die Zwillinge sie an.
„Wir wissen doch, dass sie nicht nach Hause kann“, entgegnete Gideon dann und versuchte einen beschwichtigenden Tonfall anzuschlagen, was bei Sue nur Öl ins Feuer goss.
„Und was soll das Ganze hier dann?“, fauchte sie und stemmte wütend die Fäuste in die Hüften.
Wenn sie das tat, musste man wirklich vorsichtig sein. War Sue richtig wütend, konnte man nicht sicher sein, welche Tollpatschigkeit ihr gleich widerfahren würde und ob man in einem Umkreis von circa drei Metern um sie herum noch sicher war.
Die Zwillinge jedoch warfen sich nur verblüffte Blicke zu.
„Du hast es ihr doch erzählt, oder?“, fragte Gideon seinen Bruder.
„Ich dachte, das wolltest du machen!“, rief Fabian aus und zog ein wenig nervös den Kopf zwischen die Schultern.
„Aber ich hab doch gesagt, dass du das machen sollst!“, warf sein Bruder in einer Geste, die nicht wirklich Wut, sondern eher Hilflosigkeit war, die Arme in die Luft, „Ich dachte, darauf hast du dich so gefreut!“
„Und ich hab dir gesagt, dass ich mich nicht tr-…“, setzte Fabian an, brach dann ab und wurde knallrot.
„Was wolltet ihr mir sagen?“, schob ich mich an Sue vorbei.
Die beiden sahen sich an, dann boxte Gideon seinem Bruder fest gegen den Oberarm, sodass der einen Schritt nach vorn stolperte.
„Na los, mach schon“
Ruhelos zerwühlte Fabian sich mit der Linken das Haar. Er schien gewisse Probleme zu haben, mir ins Gesicht zu sehen.
„Also-… Molly, du weißt schon-…“
„Eure große Schwester“, versuchte ich das Ganze zu beschleunigen.
„Ja, genau die“, lächelte Fabian und hüpfte unruhig von einem Bein auf das Andere, „Also sie hat-… also wir haben schon vor einem Monat gefragt-…“
„Komm zum Punkt!“, blökte Elster hinter mir und Fabian zuckte zusammen.
Mit einem Kopfschütteln trat Gideon an die Seite seines Bruders.
„Wir haben gefragt, ob du nicht mit uns zu ihnen in ihr neues Haus kannst. Für Weihnachten, weil du ja sonst ganz allein hier bleiben müsstet“
„Seid ihr verrückt?“, fiepte ich erschrocken, „Das Zaubereiministerium dreht mir den Hals um, wenn ich Hogwarts einfach so verlasse!“
Wieder warfen die Zwillinge sich Blicke zu.
„Du hattest den Brief“, meinte Gideon zu Fabian.
„Nein, du“, hielt der dagegen.
Mit einem Schnalzen der Zunge packte Gideon Fabians Rucksack, griff hinein und zog eine schon ziemlich zerfledderte Ausgabe von „Quidditch im Wandel der Zeit“ daraus hervor.
„Aha!“, rief er aus, als er zwischen den Seiten ein offiziell wirkendes Black Pergament hervor zog.
„Gid…“, seufzte Fabian und nahm seinem Bruder das Buch aus der Hand, um es dann auf der ersten Seite aufzuschlagen und seinem Bruder den dort hin gekrakelten Namen zu zeigen, „Das ist dein Buch“
„Oh…“, erwiderte der nach einer kurzen Pause, dann grinste er verlegen, „Mein Fehler“
„Gib her“, fauchte ich, denn mir ging langsam die Geduld aus und ich riss ihm den Brief aus der Hand.
Allein schon bei der Berührung des extra dicken Pergaments lief mir ein unangenehmer Schauer den Rücken hinab. Dies war das Briefpapier des Ministeriums, kein Zweifel. Doch die Schrift wirkte anders, als bei allen Briefen, die ich bisher von dort erhalten hatte. Viel schwungvoller, weniger ernst.
Ich las.

Lieber Gideon, lieber Fabian,

Ich habe mit dem Leiter der Abteilung für Internationale Zusammenarbeit gesprochen, sehr netter Kerl, wirklich. Er hat mir gesagt, dass er eure Briefe erhalten hat und anscheinend hat sich auch Professor Dumbledore für euch ausgesprochen, deshalb hat er natürlich eingewilligt, dass ich für die Ferien ein Auge auf eure Freundin habe.

Molly und ich freuen uns schon sehr auf euch drei!

Grüße,
Arthur

„Wer ist Arthur?“, fragte ich schwach.
„Mollys Mann“, antwortete Fabian verblüfft, „Hab ich das etwas auch vergessen zu erzählen?“
63. Kapitel
Charlie
Winterlich weiß zog die Landschaft an uns vorbei. Unter mir spürte ich das Rattern des Zuges, hörte das Lachen der anderen Schüler in den Abteilen links und rechts von unserem. Um mich herum war Lärm, Sue und Frank, Felix, Annabell und Elster teilten sich mit Gideon, Fabian und mir ein Abteil.
Kurz nach unserer Abfahrt in Hogsmead war der goldene Uhu neben dem Zug aufgetaucht. Er hielt so mühelos mit, als wäre der nur eine der schaukelnden Kutschen, in der uns die Thestrale hinab zum Bahnhof gebracht hatten. Sue hatte das Fenster geöffnet und ein allgemeines Schmunzeln war durch die Runde gegangen, als der riesige Vogel sich aus der Luftströmung des Zuges in meinen Schoß warf und dabei abrupt um einiges kleiner wurde und zu gackern anfing.
Der Schock hatte tief gesessen und so hatten Gideon und Fabian den Anderen versprochen ein Abteil frei zu halten, sich ihre Rucksäcke wieder über geworfen und mich in ihre Mitte genommen. Gideon hatte meine rechte Hand ergriffen und Fabian, vorsichtig, meine Linke. Dann hatten sie mich hinaus in den Winter geführt, vorbei an den prächtig geschmückten Weihnachtsbäumen, deren Anblick ich bereits so satt gehabt hatte, hinaus in die beißende, klare Kälte.
Mit einer Fürsorge, die ich nicht nachvollziehen konnte, führten die beiden Brüder mich über den eingefrorenen Weg und kurz flammte in meinem Kopf der Schrecken auf, als ich daran dachte, dass Sue diesen Weg ja später ebenfalls gehen würde. Doch dann fiel mir Frank wieder ein, der es sich ganz sicher nicht nehmen lassen würde auf sie aufzupassen und folgte den Zwillingen weiter durch den Schnee.
Die Kutschen waren kalt und wippten fröhlich über die Baumwurzeln, die sich durch den Weg hinab nach Hogsmead gruben. Die Zwillinge blieben außergewöhnlich still und Fabian half mir aus der Kutsche, fast als fürchtete er, ich könnte fallen und auf den Boden in hunderte kleiner Glassplitter zerbrechen.
„Bleibst du bei ihr?“, fragte sein Bruder ihn und Fabian nickte, sodass Gideon uns voraus eilte, hin zum dampfenden Hogwarts Express, der in der Sonne glänzte wie ein frisch gehäuteter Drache.
Fabian hielt immer noch meine Hand und wir warteten, während ich hören und riechen konnte, wie Gideon von Abteil zu Abteil lief. Hätten sie mich gefragt, ich hätte ihnen sofort sagen können, welches noch nicht belegt war.
„Hätten wir es nicht tun sollen?“
„Was?“, fragte ich, wie aus einem Tagtraum aufgeschreckt.
Fabian stand mit kritischer Miene neben mir un betrachtete mein Gesicht.
„Hätten wir nicht-… ich meine… wolltest du lieber in Hogwarts bleiben?“
Die Frage erschien mir genauso seltsam wie schon der gesamte Morgen. Wie schon der vorherige Tag, eigentlich. Was hatte sich nur verändert?
„Nein…“, gab ich zu, zögerte jedoch, was Fabian durchaus auffiel.
„Wenn du lieber-…“, setzte er an, doch ich schüttelte heftig den Kopf.
„Ich habe-… nur ein bisschen Angst“, gab ich zu, „Weißt du, ich war noch nie bei jemandem eingeladen… Das Reservat und-… und Hogwarts sind die einzigen beiden Orte auf dieser Welt, die ich kenne“
Und ein kleiner Teil von London, die Winkelgasse, der Tropfende Kessel und das St. Mungo, fiel mir wieder ein. Doch das war etwas anderes gewesen. Nur eine Zwischenstation auf meiner Reise. Nicht deren Ziel.
Jetzt roch es nach Brot und Käse und Schinken, nach Schokoladen-Keksen und Kürbissaft, nach den etwas muffigen Sitzpolstern der Bänke und der staubigen Wärme der Heizkörper. Der Hogwarstexpress war schon vor einigen Stunden abgefahren und die Fahrt ereignislos an uns vorbei gestrichen. Die vier Jungs aus Gryffindor hatten ein Abteil direkt neben unserem gefunden und ab und an hörte ich sie lachen und James oder Sirius dumme Witze reißen. Sie waren entspannt, selbst Peter. Erst, als Sirius erwähnte, dass er kurz bei uns vorbei schauen würde, spürte ich eine leise Anspannung und auch Angst in einem von ihnen aufsteigen, was mich verletzte. Trotzdem tat ich fröhlich überrascht, als Sirius bei uns an die Abteiltür klopfte, jedenfalls soweit mir das möglich war. Da ich kaum ein Wort heraus brachte beschränkte ich mich auf Nicken, Kopf schütteln und Lächeln. Doch Sirius, der genauso wie Sue und ich ein wenig müde aussah, grinste mich nur an und küsste mich zum Abschied sogar auf die Wange.
„Frohe Weihnachten, Schatz“
Er genoss sichtlich, wie das ganze Abteil verstummte und ihm nachstarrte, dann wandten sich alle Gesichter mir zu.
„Fragt mich nicht!“, hob ich abwehrend die Hände, „Ich habe keine Ahnung!
Selbst Lily, Alan und Marlene schauten noch einmal bei uns vorbei. Severus ließ sich nicht blicken, was wohl besser war, genauso wenig Tad. Alle freuten sich für mich und dass ich Weihnachten nun doch nicht allein in Hogwarts verbringen würde. Und hinter Marlene, nur im Gang, aber immerhin, konnte ich Elias erahnen, der mir einen schauen Blick zu warf, weder den Mund verzog noch sonst irgend eine Miene zog, doch mir kurz zu nickte, bevor er hastig wieder verschwand.

Am Bahnsteig war natürlich der Teufel los. Hastig verabschiedeten wir uns von Sue und den Anderen und Fabian und Gideon schafften es tatsächlich uns in dem ganzen Durcheinander drei Wagen für unsere Koffer zu besorgen. Während die Jungs mir halfen meinen Koffer aus dem Transportwagen zu hieven, drückte ich noch ein Mal meine Nase in die Federn des goldenen Huhns und warf das schimmernde Geschöpf dann schwungvoll in die Luft, wo es sich mit einem vernehmlichen Plopp in den Uhu zurück verwandelte, ein letztes Mal über uns kreiste und dann aus den offenen Dachfenstern in den grau-weißen Winterhimmel davon flog.
„Also, in Verwandlung macht dir wirklich keiner was vor“, lachte Gideon und übergab einen der Wägen mit meinem Koffer an mich.
Ich nickte nur und betrachtete trübsinnig den Namen, der in das abgewetzte Leder geprägt war.
D. Imre.

Kurz vor dem Durchgang zum Bahnsteig der Muggel-Welt hatte sich eine Schlange gebildet, damit wir nicht alle auf einmal durch die unsichtbare Wand marschierten. Doch meine scharfen Augen hatten in der wogenden Menge weiter vorn einen Punkt gefunden, der sich nicht zu bewegen schien und ich erkannte seine dunklen Locken sofort.
„Kommst du, Sirius?" 
Erschrocken zuckte er zusammen. Er war mitten im Weg stehen geblieben, die Augen angstvoll in die Ferne gerichtet und Schüler strömten um ihn herum, wie Wasser um einen Fels. Von James, Remus oder Peter fehlte jede Spur.
„Ja-… ja, ich komme…“, stotterte er, packte eilig den Griff seines Wagens uns schob ihn voran, bis er neben mir her laufen konnte.
Vor uns schwärmten Gideon und Fabian lautstark über Mollys Kochkünste und berichteten zum dutzendsten Mal, wie neugierig sie auf das neue Haus von ihr und Arthur waren, dem Fuchsbau, wie sie es nannten.
„Du schaffst das?“ 
„Was?“, fragte Sirius und kehrte wie aus einer Trance zu uns in die Realität zurück. 
Dann presste er die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. 
„Natürlich schaff ich das. Ist ja immerhin meine Familie. Du schaffst es ja immerhin auch zu jemand wildfremden zu gehen. Wenn du das schaffst, schaff ich das auch“ 
„Wir sollten wohl besser aufhören uns zu unterhalten“, boxte ich ihm liebevoll gegen die Schulter, damit er meine eigene Angst nicht bemerkte, „Du trägst ja schon die falschen Farben, aber ich…“, und ich sah bedeutungsvoll an meinem Kleid hinab. 
Abrupt blieb Sirius wieder stehen. Laute Rufe hinter uns machten deutlich wie wenig unsere Mitschüler davon hielten, dass wir erneut den Weg blockierten und sie um uns herum laufen mussten. Sirius jedoch sah mir mit festem Blick direkt ins Gesicht. 
„Ich werde niemals aufhören mit dir zu reden, Rose. Ganz egal was passiert“ 
Und damit nahm er mich bei der Hand, gab seinem Wagen einen neuerlichen Stoß und lenkte ihn einhändig durch den Durchgang auf den Bahnsteig von Kings Cross.

Es war faszinierend zu beobachten, wie sich die Massen an Schülern hinter dem Durchgang wie von Zauberhand aufzulösen schienen. Keiner blieb für eine lange Begrüßungsszene stehen, fast alle hatten die Körbe mit ihren Katzen oder die Käfige mit ihren Eulen, Ratten oder Kröten mit Pullovern oder Jacken bedeckt. Alle stoben auseinander, als wären sie sich nie zuvor begegnet, nur ein verhaltenes Winken oder ein kurzes Lächeln erreichte noch den ein oder anderen, dann waren sie alle verschwunden.
Die markante Gestalt von Sirius Mutter jedoch fehlte. Stattdessen erkannte ich seinen Vater und seinen jüngeren Bruder, beide dünn und blass und groß, standen sie wie zwei Streichhölzer nebeneinander auf dem Bahnsteig.
Kurz noch drückte ich Sirius Hand, als ich sah, wie er schluckte, dann wandte ich mich ab und folgte den Zwillingen, die sich wie selbstverständlich einem der Seitenausgänge zuwandten.
„Komm, Rose!“, rief Fabian und winkte mit einem strahlenden Lächeln.
Muggel schoben sich zwischen uns hindurch und ich zog mir die große Wollmütze, die ja eigentlich Sue gehörte und die sie mir kurz vor dem Aussteigen mit einem „Frohe Weihnachten!“ in die Hand gedrückt hatte, tiefer ins Gesicht. Mein ganzes Haar passte hinein, sodass vielleicht nur noch ein paar kurze Strähnen heraus lugten, die vom Kragen meines Mantels verdeckt wurden.
Männer in langen Mänteln und mit Aktenkoffern, Frauen mit kleinen Kindern an der Hand oder aufgeregt miteinander schwatzend. Es gab keine Möglichkeit mehr zu unterscheiden, wer von Zauberei und Hogwarts und magischen Tierwesen wusste und wer nicht. Nicht einmal für meine scharfen Sinne. Wir waren nur Menschen auf der Durchreise.
„Da sind sie!“, rief Gideon aufreget, zupfte mich kurz am Ärmel und deutete aufgeregt in eine Richtung, bevor er mit seinem Wagen davon schoss.
Auch Fabian schoss nach vorn, er jedoch fasste dabei meine Hand und so musste ich mich ebenfalls beeilen und mit ihm durch die breite, offene Glastür aus dem Bahnhof in eine der Nebenhallen laufen.
„Molly!“, riefen die Zwillinge wie aus einem Mund.
Gleisendes Sonnenlicht fiel auf uns hinab und blendete mich, sodass ich erst überhaupt nichts sehen konnte. Dann flammte das Rot vor meinen Augen auf und floss schnell in anderen Farben an den beiden Silhouetten hinab.
Molly Weasley, es konnte einfach niemand anderes sein, hatte dichtes, feuerrotes Haar, das in Locken um ihr weiches, strahlendes Gesicht bis hinab zu ihren Schultern fiel. Sie sah den Zwillingen wirklich sehr ähnlich, auch wenn sie in praktisch allem etwas mehr und darin etwas runder war als die beiden. Ihre braunen Augen funkelten, als sie ihre Brüder mit einem Lachen zu sich winkte. Alles an ihre wirkte feurig warm und sie strotzte nur so vor Lebendigkeit, fast so wie eine junge Drachin, die gerade ihr erstes Gelege bewachte.
Neben ihr, das musste Arthur Weasley sein, stand ein Mann, der in all seinen Zügen Zufriedenheit und Ruhe ausstrahlte. Er war groß und hager, überragte seine Frau fast um zwei Köpfe und seine blauen Augen blitzen fröhlich hinter seiner dünnen Drahtbrille hervor. Er hatte, wie seine Frau, flammend rotes Haar, dass vielleicht ein bisschen mehr Gold aufwies, und derzeit von einem kleinen Jungen platt gedrückt wurde, der auf seinen Schultern saß, eifrig mit den kurzen Beinen wackelte und sich mit beiden Händen auf seinem Kopf abstützte. Doch Mr. Weasley schien kaum Mühe zu haben, seinen Sohn auf seinen Schultern zu halten, ganz so, als wäre er den Umgang mit Kindern schon sein Lebtag gewohnt gewesen.
Der kleine Bill ruderte wild mit dem rechten Arm, die Finger nach den heran eilenden Zwillingen ausgestreckt und seine Miene offenbarte pure Glückseligkeit.
„Gideee!“, quietschte er, kurz gefolgt von einem hohen, „Fabaaa!“
„Da seid ihr ja!“
Kaum war Gideon bei Mrs. Weasley angekommen, zog sie ihn in eine beinahe strenge Umarmung und streckte dann einen Arm nach Fabian aus.
Schnell versuchte ich mich seinem Griff zu entwinden, nicht zuletzt, weil ich jetzt erst das Bündel bemerkt hatte, dass Mrs. Weasley sich mit einem großen, cremefarbenen Tuch vor die Brust gebunden hatte. Doch Fabian ließ nicht locker und so polterten unsere Wagen auseinander, während wir zu dritt in einer weiten Umarmung versanken, die nach Rosmarin, Lavendel, warmem Hefegebäck und Distelwolle roch.
Lachend stellte Mr. Weasley sich Fabians Wagen in den Weg, bekam meinen am Griff zu fassen, während er mit der freien Hand seinen Sohn auf seinen Schultern hielt, und erwischte mit den Schuhspitze sogar noch Gideons davon hüpfendes Gefährt.
„Molly“, versuchte er die leise Schimpftirade seiner Frau, wie spät wir doch dran seien und dass sie uns vermisst habe, zu übertönen, „Nun lass sie doch erst einmal ankommen. Roselynn bekommt doch gar keine Luft mehr“
Ich bekam keine Luft mehr? Was war mit dem kleinen Wesen in dem Tuch?
Entsetzt entkam ich endlich all den nach mir greifenden Händen und wich eilig einige Schritte zurück. Doch die Zwillinge und Mrs. Weasley schienen es gar nicht zu bemerken. Mit Lauten der Verzückung beugten sich die beiden Jungen über das Bündel, das sich an den Busen ihrer großen Schwester kuschelte. Immer noch einigermaßen erschrocken beobachtete ich, wie Gideon die Hand ausstrecke, doch Molly schlug ihm mit einem leisen Klaps auf die Finger.
„Er schläft, Gideon, willst du ihn wecken?“
Schlafen? Wie konnte dieses kleine Wesen nach all diesem Trubel noch schlafen?
Doch sie schien Recht zu haben. Mein Ohr erreichte, neben den plötzlich sehr lauten Geräuschen des Bahnhofs und der Menschen um mich herum, ein sanftes, schnelles Pochen. Fast klang es wie die Pfoten eines rennenden Hasen, ein schneller, leiser, gleichmäßiger Takt.
Als mich eine Hand an der Schulter berührte, zuckte ich unwillkürlich zusammen.
„Es ist sehr schön, dich endlich kennen zu lernen“, erklärte mir Mr. Weasley, der es geschafft hatte, die Wagen an meine Seite zu manövrieren und nun eilig die Hand wieder hob, um seinen Sohn auf seinen Schultern zu halten, „Mein Name ist Arthur Weasley, aber das weißt du bestimmt schon“
Seine Stimme klang fröhlich, doch er musste eindeutig ein Ächzen unterdrücken, als der kleine Bill versuchte, seinen freien Arm hinab zu klettern.
„Kann ich ihnen etwas abnehmen?“, fragte ich entsetzt, als ich sah, wie das Kleinkind fast kopfüber von seiner Schulter rutschte.
„Ja, das wäre sehr freundlich“, erwiderte der hochgewachsene Mann vor mir, immer noch die Ruhe selbst.
Doch anstatt mir den Griff meines Wagens zu überantworten, streckte er den Arm aus, an dem sein Sohn wie ein Klammeraffe hing.
„Nimmst du ihn Mal? Ich befürchte, er wird groß, er ist wirklich schon ganz schön schwer geworden“
Gerade wollte ich protestieren, das Herz in meiner Brust schlug so schnell, dass es mir fast die Rippen zertrümmerte, da bemerkte ich, wie sich die Finger des kleinen Bill langsam von der Jacke seines Vaters lösten.
Hektisch packte ich den Kleinen unter den Armen, gerade noch rechtzeitig. Das Kind ließ sich, todesverachtend und in völligem Vertrauen zu mir in meine Arme fallen und quietschte glücklich, als ich einen Moment schwankte, bevor ich es schaffte, das neue Gewicht auf meiner Hüfte abzustützen.
„Bliiiih!“, quietschte der Kleine glücklich, eine Speichelblase in seinem Mundwinkel platzte und keine Sekunde später hatte ich eine klebrige Hand im Gesicht.
„Entschuldige bitte“, ächzte Mr. Weasley nun doch, der gerade wie ein echter Verrenkungs-Künstler sein langes Bein Ziharmonika-artig zusammen klappte und Gideons Wagen dadurch am Griff packen konnte, „Er ist sehr neugierig, weißt du? Muss einfach alles in die Finger nehmen und untersuchen, kann nicht verleugnen, dass er mein Sohn ist-… oh, ah, ja, das-… ist typisch für ihn, aber-… aber mach dir nichts draus, bis jetzt hat er noch nichts-… also bis jetzt hat er nur sehr wenig kaputt gemacht…“
Mit zusammen gepressten Augen versuchte ich mich an einem Nicken. Eine Hand des Kleinkindes hatte sich in Sues Wollmütze und meinen Haaren vergraben, die Andere hatte mir gerade meine Brille von der Nase gezogen und vor Schreck, und weil ich ihn auf gar keinen Fall fallen lassen wollte, hatte ich keinen Versuch unternommen, mich dagegen zu wehren.
Während ich hörte, wie Gideon, Fabian und Mrs. Weasley weiter miteinander diskutierten und die Zwillinge eindeutig bereits dabei waren ihre große Schwester aufzuziehen, zog der kleine Bill mir schließlich die Mütze über die Nase. Dann traf mich etwas Hartes an der Wange.
„Da!“, ertönte es triumphierend und der Gegenstand an meiner Wange verharrte.
Vorsichtig verlagerte ich das Gewicht des Kleinen auf einen Arm und traue mich schließlich, eine Hand von ihm zu lösen, doch er hielt sich ohnehin mit erschreckender Stärke an meinen Haaren fest.
Ich tastete nach dem, was auch immer er mir da ins Gesicht drückte und erkannte, das es sich dabei um meine Brille handelte. 
„Ich-… danke dir“, lächelte ich verzweifelt, als seine kleinen, dicken Finger mir das Gestell überließen.
„Daaa!“, quietschte das Kind mir mit ohrenbetäubender Lautstärke ins Ohr, lehnte sich nach vorn und anstatt mir die Mütze noch tiefer ins Gesicht zu ziehen, zerrte er sie mir mit einem unangenehmen Ziehen an der Haaren vom Kopf.
„Bill, also wirklich-…“, tadelte sein Vater den Jungen, als ich blinzelnd den Kopf zur Seite drehte. 
Das helle Sonnenlicht hatte mich völlig unvorbereitet getroffen und schließlich öffnete ich meine tränenden Augen.
Ganz sicher konnte niemand in diesem Moment ihre Farbe sehen, immerhin hatte ich ein überglückliches Kleinkind im Gesicht.
„Söööö…“, seufzte der Kleine, während die strahlend blauen Augen seines Vaters in meine Weißen starrten, eine Hand verharrte immer noch auf meiner Wange.
Vorsichtig setzte ich mir die Brille wieder auf die Nase, nur um fest zu stellen, dass das linke Glas mit Kinderspucke eingesabbert war. Bill schien sich nicht wirklich darüber zu freuen, dass ich mir die Brille wieder aufgesetzte hatte und wollte gerade wieder danach greifen, die Unterlippe zu einem Schmollen vor geschoben, da packte ihn jemand von hinten und zog ihn aus meinem Arm.
„Was machst du kleines Ungeheuer denn da schon wieder?“, lachte Gideon, hievte sich das Kleinkind auf den Arm und begann, Bill am Bauch durchzukitzeln, bis der Kleine sich vor Lachen krümmte und alles im Umkreis von zehn Metern zusammen schrie.
Meine Mütze ließ er dabei ebenfalls los und Fabian hob sie auf, wandte sich mir zu und prustete dann unkontrolliert los. Ich musste wunderbar aussehen, die Haare zerzaust, die Brille beschmiert und den roten Abdruck einer Kinderhand im Gesicht.
Immer noch lachend kam er auf mich zu, strich mir sorgfältig die Haare aus dem Kragen meines Petticoats und setzte mir die Mütze auf den Kopf, dann griff er nach meiner Brille. Ich war zu schwach um zu protestieren, sah gerade noch, wie er sich den Ärmel seines Hemdes über die Hand zog.
„Tja, willkommen in der Familie, Rose“, kicherte er, als er mir die Brille vorsichtig wieder auf die Nase schob, „So eine Begrüßung bekommt wirklich nicht jeder von Bill, er hat ein gutes Gespür für Menschen“
„Hat er das…“, stöhnte ich, doch da hatte Fabian mich bereits wieder an der Hand gepackt und zog mich auf seine Schwester zu.
„Molly, das ist Roselynn“, erklärte er nicht ohne Stolz und dann andersherum, „Roselynn, das ist meine Schwester Molly und das…“, vorsichtig schob er eine Ecke des Tuches bei Seite, „das ist das neueste Familienmitglied“
„Lass dich Mal ansehen“, lächelte die Frau vor mir und fasste mich an den Schultern, um mich zu mustern, „Deine Hausfarben stehen dir gut, du hast da wirklich aus sehr schönes Kleid an, meine Liebe! So ist es nur Recht, man sollte stolz auf sein Haus sein! Gideon und Fabian haben mir ja schon so viel von dir geschrieben! Sie meinten schon, dass du ein bisschen anders aussiehst, aber ich finde, das steht dir wirklich gut zu Gesicht, aber du bist wirklich dünn, Fabian hat schon erzählt, dass du abgenommen hast, das kann nicht gut für die Gesundheit sein, Schätzchen, wenn wir Zuhause sind mache ich uns erst einmal einen netten Lunch, du kannst mir helfen, wenn du willst, magst du ihn einmal halten?“
„Was-…?“, brachte ich heraus, doch ich hatte kaum Zeit über das nachzudenken, was sie gesagt hatte.
Von mir ablassend griff sie in das Tuch und hob eine winzig kleine Gestalt daraus hervor.
„Nein, ich-… wirklich, ich kann nicht-…“
„Ich darf ihn nicht anfassen, aber Roselynn darf ihn halten!“, schimpfte Gideon, ohne es ernst zu meinen, während er Bill wieder in die Senkrechte wirbelte. 
Er schien gerade eine Art Tänzchen mit dem Kleinen aufzuführen, bei der das Kind auch durchaus Mal kopfüber hing.
„Das ist Frauensache, Gid, das verstehst du erst, wenn du eigene Kinder hast“, tadelte seine Schwester und ich hörte ein Geräusch von Gideon, das wir das Würgen einer Katze klang.
Mir blieb nichts anderes übrig, als die Arme wie eine Wiege nach vorn auszustrecken, dann übergab mir Mrs. Weasley ihren jüngsten Sohn.
„Er heißt Charles“, lächelte sie und schob nebenbei meine Hände an dem kleinen Körper zu Recht, damit ich das Baby besser halten konnte.
„Charles…“, flüsterte ich.
Er war so winzig! Alles an ihm war so viel kleiner als an mir und ich war noch nicht einmal erwachsen! Wie sollte aus etwas so klitzekleinem nur Mal ein ausgewachsener Mensch werden? 
Alles an ihm schien zerbrechlich zu sein. Kein Drachenjunges, von mir vielleicht einmal abgesehen, war jemals so zart und fein gewesen. Die Haut dünn und rosa, der kleine, runde Kopf von karottenrotem Flaum bedeckt.
Mit einem leisen Quäken und einem unendlich kleinen Gähnen, das mir das Herz aufgehen ließ, reckte das Baby mir eine winzige Faust entgegen, um sich darüber zu beschweren, dass wir seinen Schlaf unterbrochen hatten. Ich konnte es fühlen! Den leichten Unmut übers Erwachen, doch auch Neugierde, denn er spürte, dass da etwas vor sich ging, das er noch nicht kannte. Ich konnte riechen, dass er satt und somit zufrieden war, konnte an seinem Herzschlag hören, dass er entspannt und nicht allzu ärgerlich war, dass wir sein Mittagsschläfchen unterbrochen hatten.
Hektisch versuchte ich meinen Atem zu beruhigen, während ich spürte, wie heiße Tränen mir in die Augen schossen. Eilig warf ich Mrs. Weasley einen Blick zu, doch sie lächelte nur ein wissendes, liebevolles Lächeln und nickte mir ermutigend zu.
„Er mag dich“, grinste Fabian, legte seine Arme von hinten um meine Schultern und half mir so, Charles fest zu halten, dann lachte er auf, „Und es sieht so aus, als würdest du ihn auch mögen!“
Doch ich hatte jetzt keine Zeit für seine Scherze. Das Einzige, was meine Welt jetzt ausfüllte, war dieses kleine, schlagende Herz in meinen Armen,
„Hallo, Charlie…“, flüsterte ich und streckte vorsichtig einen Finger nach der tastenden Hand des Babys aus.
Kaum spürte er die Haut meines Fingers, packte er auch schon zu, hielt mich erschreckend kräftig fest. Und dann öffnete er die Augen und ich erkannte ein Blau, so stürmisch wie das Meer vor dem nahenden Sturm.
64. Kapitel
Intermezzo auf der Reise
Vor dem Bahnhof erwartete uns Mr. Weasleys himmelblaues Muggelauto. Ich hatte diese Gefährte natürlich schon gesehen und wusste, dass man sich in ihnen fort bewegen konnte, jedoch noch nie eines benutzt. Mr. Weasley erzählte mir stolz, dass es ein echter Ford Anglia war, was mir leider überhaupt nichts sagte. Seltsamerweise war ich mir nicht ganz sicher, ob er selbst wusste, was es bedeutete. Nur eines konnte ich mit Gewissheit sagen: dieses Auto war kein gewöhnliches Muggelauto mehr. Ein Anfang war schon Mal, dass der kleine Kofferraum völlig ohne Probleme die Koffer von Fabian, Gideon und mir aufnahm, außerdem noch die Rucksäcke der beiden und meinen Mantel.
Ich hatte mich nicht getraut mit Charlie auf dem Arm durch die Gegend zu laufen, auch wenn Mrs. Weasley es mir durchaus angeboten hatte. Ich traute mich ja fast nicht zu atmen, während ich dieses kleine, perfekte Wesen in den Armen hielt.
Mrs. Weasley lachte wegen meiner übertriebenen Vorsicht, hob den kleinen Charles wieder in das Tuch und saß nun neben ihrem Mann auf dem Beifahrersitz. Gideon, Fabian und ich hatten uns auf die Rückbank gequetscht und Bill hatte darauf bestanden auf meinem Schoß zu sitzen, was soweit für mich in Ordnung war, solange ich darauf achtete, dass er nicht wieder versuchte mir die Brille von der Nase zu angeln.
Es war zumindest so lange in Ordnung, bis Mr. Weasley den Motor angelassen hatte und wir die erste Kreuzung erreicht hatten.
„Roselynn, Liebes, ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte Mrs. Weasley besorgt, nachdem Fabian angemerkt hatte, wie blass ich plötzlich geworden war.
„Es geht schon, danke“, versuchte ich mich an einem Lächeln und bereute es sofort.
„Ist dir schlecht?“, fragte Gideon belustigt und beobachtete aufmerksam mein Gesicht.
„Das ist nicht lustig, Gideon“, meinte Mr. Weasley streng und ich sah im Rückspiegel, wie er missbilligend die Augenbrauen zusammen zog, „Nimm ihr bitte Bill ab, ja?“
„Danke…“, murmelte ich verlegen, als Gideon mir das Kleinkind vom Schoß zog. 
Bill gefiel das gar nicht. Er quengelte beleidigt und streckte seine kurzen Arme nach meinem Gesicht aus, um vielleicht noch eine Haarsträhne oder doch noch meine Brille zu erwischen.
„Was hat er nur mit deinem Gesicht?“, fragte Gideon verblüfft und musste bei den heftigen Bemühungen seines Neffen, sich zu mir zurück zu kämpfen, schmunzeln.
„Er mag lange Haare“, erklärte ihm Mrs. Weasley von vorne, nicht ohne einen gewissen leidenden Ton anzuschlagen.
Ich wollte ihr gerade beteuern, dass es mir nichts ausmachte und ich robuster war, als ich aussah, da schaltete die Ampel auf Grün und Mr.Weasley gab Gas. Leider beschloss mein Magen, dass ich die Reise ohne ihn fortsetzen musste.
„Molly!“, jammerte Fabian auf, „Sie ist ganz grün geworden!“
„Hab davon gehört“, berichtete Mr. Weasley sofort, während er schwungvoll um die nächste Ecke bog, „Manche Muggel haben das, hat irgendwas mit den Ohren zu tun!“
„Also, ihren Ohren scheint´s gut zu gehen“, kommentierte Gideon trocken.
„Mach dir nichts draus, Süße“, versuchte Mrs. Weasley als Einzige, mir aus meiner misslichen Lage zu helfen und zog ihren Zauberstab aus ihrem Ärmel hervor, „Ich mag Besen auch lieber“
Mit einem kleinen Schnippen erschien eine gewachste Papiertüte vor mir in der Luft.
„Bist du sicher, dass es mit den Ohren zusammen hängt, Arthur?“, hakte Gideon noch einmal nach, während wir uns mit kontinuierlichem Bremsen und wieder Anfahren aus London hinaus kämpfen, „Ich hätte jetzt eher auf den Magen getippt“
„Nein, da bin ich mir ganz sicher. Da gibt es so was-… wie hießen die noch gleich-…“
„Es tut mir wirklich sehr leid…“, jammerte ich leise, die Papiertüte dicht vor der Nase.
„Alles gut, Rose“, versuchte Fabian mich zu beruhigen und legte dabei einen Arm um meine Schultern, was es irgendwie noch schlimmer machte.
„Hammer, Amboss und Steigbügel!“, triumphierte Mr. Weasley hinterm Steuer, „Das war's!“
„Ich glaube nicht, Schatz, dass das Schmieden von Hufeisen etwas mit Roselynns Übelkeit zu tun hat“, legte ihm seine Frau beschwichtigend eine Hand auf den Arm.
Im Rückspiegel konnte ich gerade noch sehen, wie Mr. Weasley eine kleine Schnute zog, dann fuhr er wieder an und mein Magen beschloss, spontan zu mir zurück zu kehren.

Irgendwann achtete ich überhaupt nicht mehr darauf, was um mich herum geschah. Als wir London verlassen hatten und Mr. Weasley nicht mehr ständig anfahren und die Geschwindigkeit verändern musste, wurde es zwar etwas besser, aber nicht viel.
Eines konnte man wirklich mit Bestimmtheit sagen: Drachen waren nicht zum Autofahren geeignet!
„Ich glaube kaum, dass sie das hier überlebt“, murmelte Gideon, der mittlerweile ebenfalls mehr als besorgt aussah.
„Sie hat die letzte halbe Stunde fast so viel abgenommen, wie die letzten Wochen in Hogwarts!“, brauste Fabian auf.
Mr. Weasley hatte an einer kleinen Muggel-Raststätte irgendwo in einem kleinen Wäldchen angehalten, gut geschützt vor den Augen neugieriger Muggel. Es war nicht mehr als ein Fleckchen schneebedeckter, eingefrorener Schlamm zwischen den Bäumen, wo vielleicht zwei Autos Platz fanden. Mrs. Weasley war an meiner Seite, so viel konnte ich noch fest stellen. Alle männlichen Mitglieder unserer Reisegesellschaft, die bereits alleine stehen konnten, lehnten am Auto und hielten sich gepflegt zurück. Währenddessen gab sie sich alle Mühe, mich wieder zusammen zu flicken.
Ich beteuerte, dass ich ganz sicher weiter fahren konnte, überhaupt kein Problem, und schämte mich gleichzeitig fast zu Tode. Da waren diese mir völlig fremden Menschen einfach so bereit mich auch noch zu Weihnachten bei sich aufzunehmen und ich präsentierte ihnen als erstes das Frühstück vom Morgen und so wie es sich angefühlt hatte, war ich mittlerweile beim Abendessen von Vorgestern angekommen.
Während ich keuchend an einem Baum lehnte und allein der Anblick des Autos mir heftige Schauer des Ekels und des Wiederwillens über den Rücken laufen ließen, versicherte Mrs. Weasley sich gleich drei Mal, dass ich einen Moment ohne sie auskam und ging dann zu ihrem Mann hinüber.
„Das schafft sie auf keinen Fall, Arthur“, erklärte sie streng, ohne zu wissen, dass ich sie sehr gut hören konnte.
Und wenn ich mich nicht täuschte, dann flackerten die Blicke von Fabian und Gideon für einen Moment hektisch zwischen ihrer Schwester und mir hin und her.
„Hätten wir das früher gewusst, dann wäre ich einfach mit ihr appariert“, seufzte Mr. Weasley und musterte mich trübsinnig, „Aber jetzt kann man da natürlich nichts mehr machen“
„Sie verträgt apparieren auch nicht gut“, nuschelte Fabian da und wurde rot, als alle ihn ansahen, „Hat sie Mal erzählt! Sie ist erst einmal appariert und da-… naja, also, es war ungefähr das Gleiche…“
Das stimmte, allerdings hatte es sich damals auf ein Mal beschränkt.
„Wie reist sie denn für gewöhnlich aus Ungarn nach England?“, fragte Mr. Weasley die Zwillinge.
„Mit dem Besen und ein Stück mit einem Flugzeug“, erzählte Gideon.
Sofort begannen Mr. Weasleys Augen zu leuchten.
„Mit einem Flugzeug? Also, einem Echten?“, richtete er mit neugieriger Hektik seinen Blick auf mich.
„Arthur…“, unterbrach Mrs. Weasley sanft seine Begeisterung, „Ich bin mir sicher, Roselynn erzählt dir gern alles über Flugzeuge, wenn es ihr wieder etwas besser geht“
„Ah-… ja, natürlich“, nickte Mr. Weasley weise, wirkte jedoch trotzdem etwas enttäuscht, bevor er sich die Brille von der Nase fischte und hektisch putzte, „Na gut, ähm-… kann sie denn gut fliegen?“
„Arthur…!“, schnappte Mrs. Weasley und diesmal klang es völlig anders.
„Aber-… sieh doch, Molly, es geht nicht anders. Weißt du-… ich glaube nicht, dass Roselynn noch einmal ins Auto stiegen möchte, auch wenn sie es sagt“
„Und was willst du machen? Mit dem Auto nebenher fliegen?“
„Aber nicht doch, Molly…“, wehrte Mr. Weasley, doch plötzlich nahm ich eine leichte Veränderung an ihm wahr, „Das ist doch gar nicht-… also-… das wäre doch wirklich albern…“
„Gesundheit!“, riefen die Zwillinge wie aus einem Munde und ließen die mittlerweile reichlich geladene Mrs. Weasley zusammen zucken.
„Danke…“, fiepte ich leise zurück.
„Aber dann müsste es schon unsichtbar sein“, ergänzte Fabian, während er Bill fröhlich in seinen Armen auf und ab hüpfen ließ und wandte sich mit einem breiten Grinsen an Arthur, „Also, damit die Muggel es nicht sehen“
„Das wäre eine wirklich ausgezeichnete Id-…!“, setzte Mr. Weasley mit aufblühender Begeisterung an, die sofort wieder verwelkte, als er den Blick seiner Frau sah, „Also, ja-… ich meine, nein-… technisch gesehen-…wenn sowas denn möglich wäre, geschweige denn erlaubt-… durchaus logisch, ja…“, verebbte er und tippte sich wissend an die Nase.
Zufrieden verschränkte Mrs. Weasley die Arme vor der Brust, dann jedoch setzte auch sie eine nachdenkliche Miene auf. 
Eine Pause entstand, in der ich von fünf paar Augen unter rotem Schopf gemustert wurde. Charlie hatte das Gesicht an Gideons Schulter gekuschelt. In der Stille konnte ich ihn leise schmatzen hören.
Schließlich war es Mrs. Weasley, die aufgab.
„Na schön!“, rief sie aus, nahm Gideon den kleinen Charles ab und wandte sich der Beifahrertür des Autos zu, „Auf deine Verantwortung!“
„Natürlich, Molly, mein Liebes…“, nickte Mr. Weasley und gab ihr eilig einen Kuss, den sie mit einem Schniefen, aber auch, wie ich durchaus bemerkte, mit einem kleinen Lächeln akzeptierte, „Jungs, helft Roselynn doch Mal an ihren Koffer zu kommen“
„Was hast du vor?“, fragte Fabian verwirrt, während er Arthur den zappelnden Bill übergab.
„Das werdet ihr gleich sehen“, erwiderte der und schaffte es nicht, seine Mundwinkel ganz unter Kontrolle zu halten.
Vorsichtig stapfte ich durch den Schnee auf sie zu, und die Jungs hoben Gideons Koffer aus dem Auto, damit wir an Meinen heran reichen konnten.
„Zieh dir am besten auch noch ein oder zwei Pullover an“, mahnte Mr. Weasley, „Und eine zweite Hose. Und noch ein paar Socken!“
„Ich weiß, was du vor hast!“, platzte da Gideon heraus, „Ich will mit-…!“
„Nein!“, unterbrach Arthur ihn streng und dieses Mal wirkte seine Miene sehr ernst, „Für Roselynn mache ich eine Ausnahme, weil sie nicht im Auto mitfahren kann. Besen fallen unter das Radar vom Ministerium, aber sie wären ganz sicher nicht glücklich, wenn sie das rausfänden. Und bei dem Wetter müssen wir sie später vom Besen loseisen…“, seufzte er.
„Ich bin nicht sehr kälteempfindlich“, warf ich kurz dazwischen.
Mr. Weasley schien trotzdem nicht sonderlich begeistert zu sein. Er behielt mit Argusaugen die Straße im Auge, während ich eine Jeans über die Strumpfhose zerrte, was mit dem Rock des Kleides darüber sehr komisch aussah, bis ich, neben zwei Pullovern, meinen Mantel darüber zog, der nun sehr eng saß.
„Ich sehe aus wie ein Marshmallow, oder?“, brummte ich, als Fabian mir die Mütze wieder über die Ohren zog und mir noch einen Schal ums Gesicht band.
„Aber ein niedliches Marshmallow“, versuchte er mich aufzuheitern.
„Schleimer“, kicherte sein Bruder und Fabian trat nach ihm, doch Gideon hüpfte nur bei Seite und tat so, als wäre nichts gewesen.
„So kann ich niemals fliegen…“, jammerte ich, aber nur leise, damit Mr. Weasley mich nicht hören konnte.
Auf meinem Nimbus weite Strecken zu fliegen, das hatte ich mir schon lange gewünscht! Mit dieser Geschwindigkeit die Landschaft unter sich vorbei ziehen zu sehen…
„Du musst leider über den Wolken fliegen“, erklärte mir Mr. Weasley, als die Jungs meinen Koffer wieder eingeladen hatten und es sich nun, mit Bill in ihrer Mitte, auf der Rückbank bequem machten.
„Das passt schon“, lächelte ich ihm zu, bis mir einfiel, dass er, durch meine Brille, rein gar nichts von meinem Gesicht sehen konnte, da die Zwillinge nur einen Schlitz für meine Augen gelassen hatten.
„Gut, und, äh-… ah ja, das hier wirst du auch brauchen“
Hektisch sah Mr. Weasley die Straße hinauf und hinab, doch es war weit und breit niemand zu sehen. Dann zückte er schnell seinen Zauberstab, tippte erst auf sein Handgelenk und dann auf den Besenstil in meiner Hand.
„Fällt hoffentlich nicht zu sehr auf“, brummte er und betrachtete den silbrig schimmernden Faden, „Wenn wir zu schnell fahren, dann zupfst du einfach da daran, verstanden?“
„Ja, Mister Weasley!“, antwortete ich brav und konnte meine Aufregung nun kaum noch verbergen.
Mr. Weasley lächelte.
„Na dann, guten Flug. Und denk dran, du musst über die Wolken“
„Alles klar“, nickte ich und hoffte, dass er es durch all die Schichten sehen konnte.
Dann schwang ich ein Bein über meinen Besenstil, winkte den Zwillingen kurz zu, die mit einem breiten Grinsen durch die Heckscheibe spähten, und schoss in gerader Linie vom Boden empor.
Mit einem kurzen Blick zurück konnte ich sehen, wie Mr. Weasley mir mit der Hand an der Stirn nach blickte, dann bemerkte, dass ich immer noch beschleunigte und hastig zur Fahrertür des Wagens stapfte. Dort stellte er schnell fest, dass er, wenn er normal einstieg, den Faden an seinem Handgelenk in der Tür einklemmte und schließlich sah ich, wie er mit einem fast schon eleganten Kopfsprung durchs geöffnete Wagenfenster hüpfte. Für einen Moment zappelten seine Beine in der Luft, dann verschwanden sie langsam im Wageninneren, während ich lauthals in die eiskalten Wolken lachte.
65. Kapitel
Weihnachtlicher Frieden
Der Ford Anglia war nicht ganz so schnell wie mein Nimbus, weshalb ich entspannt einige weite Kurven und Kreise flog. Die Aussicht von hier oben war wirklich atemberaubend, auch wenn ich die Landschaft unter mir nur selten durch einige Lücken in der Wolkendecke erahnen konnte.
Die Luft war schwer und kalt und biss heftig in das bisschen Haut, das ih ausgesetzt war. anscheinend war Roselynn die Hexe nicht halb so immun gegen die Kälte wie May der Drache.
Als ich spürte, wie meine Finger langsam taub wurden und ich mir kleine Eiskristalle von den Wimpern wischen musste, änderte ich die Taktik.
Über den Wolken, immer der dünnen Schnur an meinem Besenstil folgend, übte ich jedes Quidditch-Manöver, das ich in den letzten Wochen mit meinem Team eingeübt hatte. Zumindest hatte ich es ja versucht. Doch als ich eine Faultier-Rolle probierte, verlor ich den Halt und allein der Gedanke daran, als Mensch aus dieser Höhe dem Boden entgegen zu stürzen, sorgte dafür, dass ich es schaffte, mich wieder zu fangen.
Gute zwei Stunden lang drehte und wirbelte ich in der Luft herum. Es war zu kalt, als das ich wirklich ins Schwitzen geriet, doch immerhin konnte ich nun meine Finger wieder spüren. 
Irgendwann merkte ich, wie der Faden langsam hinter mir zurück blieb. Mr. Weasley schien langsamer zu fahren und so beendete ich meine wilden Übungen, schwebte einen Moment in der dünnen Luft und wartete. Kaum eine Minute später zupfte jemand zwei Mal kurz am anderen Ende des Fadens.

Noch aus dem Sturzflug heraus erkannte ich den himmelblauen Ford Anglia auf der Mitte eines weiten Hofes vor einem kleinen, etwas windschiefen Gebäude, umgeben von dicht aneinander gedrängten Quadraten aus eingeschneiten Feldern, einem kleinen Wald und endloser Weite. In der Ferne konnte ich einige vereinzelte Häuser ausmachen und den Kirchturm eines kleinen Dorfes, dann bremste ich langsam ab und schwang mich noch im Flug von meinem Besen.
Das Ganze hätte vermutlich wirklich gut ausgesehen, hätte sich unter der dünnen Schneeschicht keine Spiegelglatte Eisdecke verborgen. Ich ließ den Besen los, der noch einige Meter weiter flog und dann zu Boden polterte, ruderte wild mit den Armen und anstatt vor den wartenden Weasleys und den Zwillingen zum Stehen zu kommen, schlitterte ich auf einem Bein an ihnen vorbei und landete kopfüber in einer hohen Schneewehe.
Während ich mich beschämt aus dem Schnee kämpfte, hörte ich Gideon und Fabian hinter mir johlen und klatschen.
„Neun Punkte!“, grölte Gideon, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, „Leichte Abzüge in der B-Note!“
„Ach, halt doch die Klappe“, knurrte ich ärgerlich zurück, doch durch meinen Schal und meinen verrutschten Mantel hindurch klang es nur wie ein undefiniertes Brummen.
„Kommt schon, Jungs“, tadelte Mr. Weasley, der staksend wie ein Storch, über das Eis zu mir hinüber gelaufen kam und mir hilfsbereit eine Hand entgegen streckte.
Genau in dem Moment, wo ich sie zu fassen bekam, rutschte er jedoch selbst aus und landete mit aufspritzendem Schnee neben mir in den Berg aus weichem Eis.
„Sieben!“, jauchzte Fabian, der immer noch mit seinem Bruder zusammen klatschte.
„Gideon! Fabian!“, empörte sich Mrs. Weasley, doch in diesem Moment wurde Fabian schon von einer ordentlichen Portion Schnee im Gesicht getroffen. 
Er japste erschrocken, als ihm die kalte Nässe in den Kragen seines Hemdes rutschte. Gideon, der vorgewarnt war, warf sich zur Seite, um meinem Schneeball auszuweichen, verlor dabei jedoch ebenfalls das Gleichgewicht, angelte Halt suchend nach seinem Bruder und warf ihn schlussendlich mit sich zu Boden.
Während wir da alle lachend am Boden lagen, schüttelte Mrs. Weasley mit einem schwer zu verbergenden Lächeln den Kopf.
„Seht euch nur an“, unterdrückte sie ein Kichern. 
Den kleinen Charles immer noch in seinem Tragetuch und Bill an der Hand, ging sie hinüber zur smaragdgrünen Eingangstür des kleinen Hauses.
„Ich mache uns einen Lunch, kommt rein, wenn ich euch ausgetobt habt“
„Ich helf dir, Molly!“, rief ihr Mann, versuchte sich aufzurappeln, rutschte jedoch mit dem Fuß weg und landete wieder auf dem Hintern.
Selbst Mrs. Weasley lachte.
Langsam kamen wir alle wieder auf die Füße. Die Zwillinge mussten auf eine Revanche verzichten, da sich in ihrer Nähe kaum genug Schnee für einen ordentlichen Schneeball fand und die kleinen Klumpen, die sie nach mir warfen, ihr Ziel verfehlten. Während die beiden also unsere Koffer aus dem Wagen hoben, hatte ich genug Zeit mich richtig umzusehen.
Der Fuchsbau, wie es auf einem kleinen Schild nahe dem Tor des Gartenzaunes stand, lag in mitten einer weiten Hügellandschaft. Das Dorf, das ich vom Besen aus erahnt hatte, war hinter dem dichten Wald nicht mehr zu sehen. Das Grundstück war begrenzt von einem hölzernen Zaun, den jemand mit viel Liebe kirschrot angestrichen hatte. Es gab eine große Garage und daneben einen Schuppen, in dem meine feinen Ohren das zufriedene Gackern von Hühnern aufschnappten. Daher wunderte es mich nicht den goldenen Uhu oben auf dem First sitzen zu sehen, dick gegen den schneidenden Wind aufgeplustert. 
Es gab auch einen kleinen Garten, voller Büsche und Sträucher, die gegen die Kälte in Leinensäcke eingepackt worden waren. Dicke Büschel Unkraut ruhten zwischen den nicht mehr ganz so ordentlichen Pflanzreihen unter dem Schnee, um im Frühjahr weiter zu gedeihen. Zwei Schubkarren und weitere Gartenwerkzeuge waren mehr oder weniger ordentlich an die Hauswand gestapelt worden und just in dem Moment, in dem ich hin sah, rannte ein kleiner Gartengnom zwischen den Sträuchern hindurch und verschwand mit einem Kopfsprung in einem der Unkrautbüschel.
„Es ist nichts Großartiges“, meinte Mr. Weasley, während Gideon und Fabian unter viel Aufhebens ihre Koffer ins Haus her schleppten, „Aber für Molly und mich reicht es erst einmal“
„Es ist wunderschön…“, hauchte ich und betrachtete mit großen Augen das kleine, schiefe Haus, das aus vielen, kleineren Häusern zusammen gesetzt worden zu sein schien. Kaum eine Wand hatte durchgehend den selben Anstrich oder die selbe Vertäfelung, ich erkannte mehrere integrierte Vogelhäuschen und Schilder mit Aufschriften wie „Rasen betreten erlaubt“, außerdem eine Sitzstange für eine Eule vor einem schrägen Fenster, hinter dem wohl eine Küche lag. Der erste Stock war etwas breiter als das Erdgeschoss und dehnte sich in alle Richtungen abenteuerlich über dessen Außenwände hinaus und das rote Dach hatte einige Winkel, Wipfel und extra Schornsteine, die von der Bauweise her wenig Sinn ergaben, aber wunderbar zu dem gesamten Arrangement passten.
Verlegen zwickte Mr. Weasley sich in die Nasenwurzel und nahm seine Brille ab, um sie zu putzen.
„Jetzt, wo Charles auf der Welt ist, werde ich nächsten Sommer wieder anbauen müssen“, lächelte er, doch nicht ohne Stolz, „Aber das Haus ist mir da natürlich eine große Hilfe“
„Das Haus ist eine Hilfe?“, fragte ich verblüfft.
„Wir haben es von Mollys Großonkel Filius geerbt“, erklärte Mr. Weasley und zog dabei ein wenig die Augenbrauen zusammen, „Hab ihn nie kennen gelernt, aber Molly meinte, das Haus hätte etwas von seiner-… Sprunghaftigkeit übernommen…“
Mit dieser kryptischen Bemerkung setzte Mr. Weasley sich seine Brille wieder auf, klappte den Kofferraum des Ford Anglias zu und packte meinen Koffer am Griff.
„Vergiss deinen Besen nicht! Molly freut sich schon seit zwei Wochen, dass das Haus jetzt endlich Mal etwas voller wird“

Als wir das Haus betraten, lärmten Gideon und Fabian gerade die Treppe nach oben und Charles lag in einer alten Wiege am großen Tisch in der Küche. 
Ich hatte noch nie das Haus einer Zaubererfamilie von innen gesehen und musste mich sehr zurück halten, nicht wie ein dämlicher Idiot alles anzuglotzen.
Tatsächlich fiel mir im ersten Moment gar nicht so viel Außergewöhnliches auf. Was nicht hieß, dass ich mich nicht sofort wohl fühlte.
Durch die grüne Tür erreichte man direkt die offene Küche, die in ein weites Wohnzimmer mit Kamin überging. Jedes einzelne Möbelstück sah anders aus, gerade einmal die beiden Ohrensessel im Wohnzimmer waren mit dem gleichen, abgewetzten Leder bezogen. Das Sofa dagegen trug einen Bezug aus durchgesessenem, taubenblauem Kort und wurde bedeckt von einem Quillt, der schon bessere Tage gesehen hatte. Jeder Stuhl am verschrammten Küchentisch, die steinernen Arbeitsflächen neben dem Herd, der Ofen selbst, die Treppe in den ersten Stock, ja, jetzt wie ich darauf achtete, sah sogar die Jacke, die Mr. Weasley gerade auszog und an die kleine Garderobe neben der Treppe hängte, alt und verbraucht aus.
Während Mrs. Weasley mit frischer Energie ihren Zauberstab aus dem Ärmel zog und damit einige Zwiebeln aus dem Korb neben der Tür zum Garten zu sich heran schweben ließ und Charles und Bill die Stille der Küche mit ihrem Quietschen und Brabbeln füllten, bemerkte ich ein leises Surren und Klicken, das meine Aufmerksamkeit auf die große Standuhr lenkte, die direkt neben der Treppe zwischen Küche und Wohnzimmer Wache stand. Anstatt zwei Zeigern besaß sie sches, die nun alle mit sanftem Ticken auf eine neue Position wechselten. Diese Uhr war eindeutig absolut nutzlos wenn man wissen wollte wie spät es war. Anstatt Ziffern war sie rundherum mit geschwungenen, aufgemalten Banderolen versehen, in denen Lettern Worte formten. Ich las Zuhause, Bett, Unterwegs, Arbeit, Schule, Garten, Wald, Quidditch, Zahnarzt, Schneider und Ferien, aber auch Verschollen, Gefängnis, Krankenhaus und tödliche Gefahr. Auch stellte sich bei näherer Betrachtung heraus, dass es sich gar nicht um richtige Zeiger handelte, die sich da drehten, sondern um Silberlöffel, in deren Köpfe die bewegten Zaubererfotos jedes einzelnen Familienmitgliedes der Weasleys eingelassen worden waren, inklusive Gideon und Fabian.
Deren beiden Löffel wechselten gerade von Unterwegs auf Ferien, während die von Mr. und Mrs. Weasley, Charles und Bill auf Zuhause umschwangen.
„Molly, meine Liebe“, hörte ich Mr. Weasley in der Küche, „Willst du dich nicht einen Moment hinsetzen?“
„Ach, Papperlapapp!“, wiegelte sie seine Bedenken ab, doch ich konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören, „Die Jungs haben ganz sicher Hunger. Und Roselynn kann bestimmt einen Happen vertragen“
Ich versuchte nicht weiter hin zu hören. Es war unfair ein Gespräch zu hören, von dem die Sprechenden nicht wussten, dass ich es ebenfalls hören konnte und war das Thema auch noch so banal.
„Ist alles in Ordnung?“
Ich hatte sehr wohl gehört, wie Fabian und Gideon die Treppe wieder hinab gekommen waren. Gideon war sofort von Bill in Beschlag genommen worden, der sich am Tisch und an den Stühlen entlang hangelte, um zu seinem Onkel zu gelangen.
„Du bist etwas feinfühliger als dein Bruder“, stellte ich trocken fest.
Das brachte Fabian tatsächlich zum Lachen.
„Mag sein“, grinste er und kratzte sich verlegen am Hinterkopf, „Dafür hat Gid mehr Mut als ich. Wenn er sich was in en Kopf setzt, tja, dann macht er das eben“
„Deine Schwester hat nicht viel Geld, oder?“
Das wiederum ließ Fabian verblüfft zurück schrecken.
„Ich dachte nicht, dass das ein Problem für dich ist“, murmelte er dann und ließ die Hand sinken.
„Warum habt ihr mich eingeladen, Fabian?“
Einen Moment standen wir schweigend vor der großen Uhr, quietschende Töne der Freude drangen aus der Küche von Bill und Gideon zu uns heran und Charlie blubberte fröhlich in seiner Wiege vor sich hin. Das ganze Haus strahlte Behaglichkeit, Wärme und Liebe aus.
„Weil du es verdienst Weihnachten mit einer Familie zu feiern. Wir sind vielleicht nicht deine Familie, aber-… es sieht nicht so aus, als wäre deine Familie häufig für dich da gewesen. Und wir geben uns alle Mühe“
„Ich will aber nicht, dass ihr euch alle Mühe gebt!“, quetschte ich plötzlich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor, um meine Lautstärke zu drosseln.
Mit geballten Fäusten wandte ich mich dem Rotschopf zu meiner Linke zu.
„Ich esse unglaublich viel! Ich kann nicht im Auto mitfahren! Dass ich fliege bedeutet ein Risiko! Ich verbrauche Platz und Zeit! Warum tut ihr das? Ihr kennt mich doch nicht einmal!“
„Weil wir dich gern haben“
Diese Antwort war so schlicht und ehrlich, dass mir der Atem stockte.
Langsam griff Fabian nach meiner rechten Hand und verschränkte seine Finger mit Meinen.
„Was auch immer in deiner Vergangenheit passiert ist, hast du nicht verdient. Du bist ein großzügiger und freundlicher Mensch, der immer mehr auf andere achtet als auf sich selbst. Ich weiß, dass es dir schwer fällt anderen zu erlauben dir Gutes zu tun. Deshalb haben Gid und ich uns das hier ausgedacht. Molly wünschte sich schon immer eine Schwester oder nun eben eine Tochter. Außer unserer Mutter ist sie nur von Männern umgeben aufgewachsen. Als wir ihr erzählt haben, dass wir eine Mitschülerin haben, die keine Eltern mehr hat und zu Weihnachten nicht nach Hause kann, war sie Feuer und Flamme. Und ich bin mir sicher, dass du sie nicht enttäuschen willst“
„Das ist gemein…“, brachte ich durch einen Schleier aus Tränen hervor.
Denn er hatte Recht. Bevor ich die liebenswürdige und großzügige Mrs. Weasley enttäuschen würde, hätte ich mir lieber selbst die Zunge abgebissen.
„Dann wäre das ja geklärt“, grinste Fabian und zog mich an der Hand wieder Richtung Küche, „Komm schon, Gid! Wir wollten noch den Garten entgnomen!“
„Bin gleich da!“, rief sein Bruder, der Bill gerade kopfüber an den Beinen nach unten baumeln ließ.
Arthur nahm dem zweiten Zwilling mit einem nervösen Lächeln seinen älteren Sohn ab, dann wandte er sich an mich.
„Rose, würdest du Molly etwas zur Hand gehen? Ich glaube unser kleiner Abendteurer hier“, und dabei rümpfte er die Nase über einen Gestank, der nun auch meine feine Nase erreichte, „braucht kurz meine Aufmerksamkeit“
Und damit verschwand er die Treppe nach oben und die Jungs warfen sich ihre Mäntel über und waren schon durch die Tür verschwunden.
„Diese beiden“, seufzte Mrs. Weasley und sah ihnen durchs Küchenfenster nach, dann wandte sie sich mir zu, „Ach du meine Güte, Roselynn! Du siehst ja immer noch aus wie ein Marshmallow! Hier drinnen muss es doch furchtbar warm für dich sein“
Ich hatte kaum gemerkt, dass ich mich in all meinen Schichten langsam aber sicher in eine gut durchgegarte Kasserolle verwandelt hatte. Als ich nun mit einem tiefen Seufzen Kleidungsstück um Kleidungsstück ablegte, spürte ich sofort die immense Erleichterung. Es war ein wenig, als würde ich nach einem langen Kampf meine Rüstung ablegen.
„Wirklich ein sehr schönes Kleid hast du da, es steht dir gut“, lächelte Mrs. Weasley mich an, während sie mit ihrem Zauberstab vorsichtig ein Messer über die geschälten Zwiebeln dirigierte, um diese in kleine Würfel zu hacken.
Als sie meinen Blick bemerkte, wurde ihr Lächeln ein wenig nervös.
„Ich brauche noch ein wenig Übung mit diesen Haushaltszaubern“, gestand sie ein, „So etwas Praktisches haben sie uns in Hogwarts leider nicht beigebracht. Aber ich fange immer sofort an zu weinen, wenn ich versuche sie mit der Hand zu schneiden“
„Ich helfe ihnen gern-…“, wollte ich gerade sagen, doch Mrs. Weasley winkte ab.
„Lass mich nur üben“, entgegnete sie, dann bemerkte ich, wie ihre Mimik etwas verrutschte und ich zog ihr eilig einen Stuhl heran.
„Oh, ich danke dir“, brachte sie hervor, „Sehr aufmerksam“
„Geht es ihnen gut?“
Ich war einer Panikattacke nahe.
„Meine Liebe, ich habe vor nicht Mal zwei Wochen ein Kind auf die Welt gebracht“, lächelte Mrs. Weasley, während sie nebenbei immer noch mit ihrem Zauberstab wedelte und die Zwiebeln unter ihrem etwas geschwächten Zauber gerade in grobe Stücke hackte, „Im St. Mungo kümmern sie sich natürlich wunderbar um mich, aber es zehrt schon ein wenig an den Kräften“
Gerade wollte ich ihr antworten, da erscholl plötzlich ein Wehklagen in meinen Ohren, das mich sehr an das Jaulen einer Sirene erinnerte.
Mit einem leisen Seufzen brach Mrs. Weasley den Versuch ab die Zwiebeln zu schneiden, die mittlerweile vom Schneidebrett auf den Boden gehüpft waren, erhob sich wieder von ihrem Stuhl und ging zur Wiege hinüber, in der Charlie bisher ruhig geschlummert hatte.
„Ist gut, mein Süßer, Mama ist da“
„Wie wäre es“, schlug ich eilig vor und schob den Stuhl hinter ihr her, „Wenn sie mir sagen würden, was ich tun soll. Ich glaube Kochen ist Zaubertränke sehr ähnlich und ich bin sehr gut darin nach Anweisungen zu arbeiten“
„Meine liebe Roselynn“, schüttelte Mrs. Weasley den Kopf und hob Charlie aus seiner Wiege, „Du bist hier Gast und sollst dich entspannen. Ich schaffe das schon, mach dir nur keine Sorgen“
„Aber ich will helfen!“, protestierte ich, vielleicht ein wenig zu laut, denn sofort fing Charlie wieder zu schreien an.
Mrs. Weasley redete beruhigend auf ihn ein und ich biss mir vor Schreck auf die Unterlippe, um bloß keinen Ton mehr von mir zu geben.
„In Ordnung“, seufzte Mrs. Weasley und ließ sich plötzlich wieder auf ihren Stuhl sinken, „Arthur macht sich auch schon immer so große Sorgen um mich, aber wenn das jetzt schon dir auffällt, dann habe ich es wohl ein wenig übertrieben. Vielleicht könntest du die Zwiebeln aufkehren? Das Kehrblech ist unter der Spüle. Und neben der Tür im oberen Korb eine Neue holen, ja? Das wäre sehr nett von dir“

Bis zu dem Zeitpunkt, da Mr. Weasley Bills Windel gewechselt hatte, war Charlie satt und schlief in den Armen seiner Mutter, während ich in der geräumigen Küche des Fuchsbaus nach Anweisungen von Mrs. Weasley hin und her lief und Gemüse klein schnitt, Wasser erhitzte und bei der Zwiebel die ein oder andere Träne vergoss. 
Er setzte seinen Sohn leise auf dem Boden ab und verschwand durch die Tür in den Hof, kurze Zeit später hörten meine feinen Ohren, wie er das Tor der Garage öffnete, dann den Ford Anglia startete und das Auto hinein fuhr. Ich hörte ebenfalls wie sich das Garagentor wieder schloss und spürte kurz darauf das heftige Kribbeln großer Mengen an Magie.
Bill hingegen machte es sich danach zur Aufgabe, mir dicht auf den Fersen zu bleiben, watschelte an den Stühlen und am Tisch entlang hinter mir her, alles unter strengen Beobachtung seiner Mutter.
Als die Zwillinge mit dem Entgnomen des Gartens fertig waren, ich hatte leise, quietschende Flüche der Gnome gehört, die sich schnell entfernten, sowie auch lautere und deftigere Flüche der Zwillinge, saß ich auf dem Stuhl. Bill hatte sich mir in den Weg gestellt, als ich gerade den heißen Suppentopf zu Mrs. Weasley getragen hatte, um ihr das Ergebnis meiner bisherigen Bemühungen zu zeigen. Allein ihr beherztes Eingreifen mit ihrem Zauberstab sorgte dafür, dass ich ihr die Brühe nicht über den Kopf goss. Ich jedoch knallte der Länge nach hin und wurde daraufhin mit den jüngsten beiden Weasleys auf den Stuhl verbannt.
An meiner Schulter, in meine linke Armbeuge gekuschelt, schlief Charlie tief und fest. Bill hatte eine Weile auf meinem Schoß mit den Füßen gewackelt, sicherheitshalber gehalten von meiner Rechten, und ab und zu lachend an meinen Haaren gezogen, da ich mich ja derzeit nicht wehren konnte. Dann jedoch hatte auch er der Müdigkeit nicht mehr widerstehen können und war eingeschlafen.
Mrs. Weasley, aus deren Zauberstab nun eine cremige, dicke Suppe zurück in den Topf floss, hatte sehnsüchtig ihre beiden schlafenden Söhne gemustert und ich hatte ihr angeboten, dass sie sich eine Weile hinlegen könnte. Sie hatte natürlich rund heraus abgelehnt. Schließlich waren wir zu der Einigung gekommen, dass die Zwillinge und Mr. Weasley ohnehin noch etwas beschäftigt sein würden und man die Suppe ja so lange auf den Herd stellen konnte. Sie würde sich im Wohnzimmer auf dem Sofa ausruhen, nur kurz die Augen schließen, selbstverständlich, nah genug, dass ich sie jederzeit rufen konnte, sollte etwas nicht stimmen.
Die Zwillinge mussten durchs Küchenfenster herein gespäht haben, denn sie betraten das Haus wie zwei Mäuse durch ein Schlupfloch und schlossen die Tür so leise, das kaum ein Geräusch zu hören war. Beide lächelten auf mich hinab, wie ich da saß, die Füße auf einem zweiten Stuhl hoch gelegt, ein Baby und ein Kleinkind, das in seiner Faust immer noch eine Strähne meines Haares umklammert hielt, friedlich schlummernd an den Schultern. Das ganze Haus war still, die große Uhr tickte leise, als die Zeiger der Zwillinge von Garten auf Ferien zurück wanderten. 
Im Kamin prasselte ein Feuer, Tannengrün schmückte die Fenster und duftete unverkennbar. Das Licht der Küchenlampe brach sich im roten Glanz einiger Kristbaumkugeln.
Weihnachtlicher Frieden senkte sich auf uns hinab.
66. Kapitel
Stimmen und Lichter
Ich saß auf der untersten Treppenstufe und schmollte. Mrs. Weasley diskutierte im Wohnzimmer genervt mit ihrem Mann, während sie energisch ein Kissen in einen Bettbezug stopfte und die Zwillinge standen mit verschränkten Armen und zweifelnden Gesichtern links und rechts von mir an Wand und Geländer gelehnt da.
Gerade öffnete Gideon den Mund, doch ich hörte, wie sich seine Lippen voneinander lösten.
„Nein“, kam ich ihm zuvor, bevor er überhaupt einatmen konnte, „Ich werde nicht in ihrem Zimmer schlafen. Es ist ihr Schlafzimmer. Ich bin der Gast. Ich schlafe auf dem Sofa“
Ich hörte, wie er den Mund wieder schloss.
Der Fuchsbau besaß im Obergeschoss genau drei Zimmer. Ein Bad, das Kinderzimmer, in dem Bill und die Zwillinge schliefen, und das Schlafzimmer von Mr. und Mrs. Weasley, in dem auch Charlies Bettchen stand. Und für Mrs. Weasley hatte von Anfang an fest gestanden, dass ich für meinen Aufenthalt natürlich das elterliche Schlafzimmer bekam.
Mr. Weasley versuchte ein letztes Mal, seine Frau dazu zu bewegen mir meinen Willen zu lassen und mich auf dem Sofa einzuquartieren, doch die Tatsache, dass er mitten im Satz verstummte, machte deutlich, was sie davon hielt.
Mit einem Seufzen stand ich auf und packte den Griff meines Koffers.
„Hilft mir mal jemand?“, schniefte ich.
„Lass nur“, murmelten die Zwillinge und Fabian schob mich sanft, aber bestimmt bei Seite, während sein Bruder den anderen Griff packte.
Gerade schwankten die beiden mit Dr. Imres altem Koffer vor mir her, da jagte mir ein warmer Schauer über den Rücken, so als wären hunderte Glühwürmchen auf einmal an mir vorbei geschwirrt, um ihren warmen Glanz auf mir zu verteilen und vom oberen Treppenabsatz erklang ein dumpfes Poltern, fast so, als wäre eine Kommode verrückt worden und dabei war ein Besen umgefallen. Es folgte das Quaken einer Gummiente, dann folgte Stille.
Selbst Mr. und Mrs. Weasley unten im Wohnzimmer waren verstummt und die Zwillinge vor mir waren wie erstarrt stehen geblieben. 
„Was war das?“, brach ich als Erste das Schweigen.
„Gute Frage…“, murmelte Gideon, übergab mir den Griff meines Koffers und huschte daran vorbei, uns voraus, die Treppe nach oben.
Wieder folgte Stille, dann ertönte, laut und schallend, Gideons Lachen.
„Könnt raufkommen“, kicherte er.
Fabian nickte mir vorsichtig zu, dann hoben wir meinen Koffer an und schleppten ihn um die Kurve, wo wir Gideon schon in dem kleinen Flur des Obergeschosses stehen sahen.
Fabian stellte seine Seite des Koffers auf die Dielen, klopfte sich die Hände an seiner Jeans ab und nickte dann.
„Wäre das auch geklärt“, und beugte sich dann übers Geländer, „Molly! Kannst aufhör´n die gute Gastgeberin zu sein!“
Die Tür des Badezimmers war etwas bei Seite gerutscht und der Flur eindeutig etwas länger. Dafür erhob sich nun, mit einem ganz anderen Geländer und grün gestrichenen Wänden, eine weitere Treppe zu einem neuen Stockwerk. Oben schimmerten Kratzer und ein Brandfleck auf dem alten Holz einer Tür, die zuvor ganz sicher nicht da gewesen war. Und mitten auf der Tür hing ein kleines Schild aus angelaufenem Messing.
Roselynn.
„Ich glaube, das Haus mag dich“, knuffte Gideon mich in die Schulter.

Als hätte das Haus genau gewusst, was ich brauchte, hatte es den Raum weitest möglich von Mr. und Mrs. Weasleys Schlafzimmer entfernt. Unter einer Schräge stand ein altes Bett aus einem Eisengestell mit ächzenden Federn und einer etwas zerknautschten Matratze. Am Fußende war gerade genug Platz bis zum Erker des Fensters, dass ich meinen Koffer davor stellen konnte. Ein kleiner, etwas zerschlissener grüner Teppich lag vor dem Bett. Eine runde, angestaubte Papierlampe baumelte von der Decke.
Ich wachte in der ganzen Nacht kein einziges Mal auf.

Als ich die Augen wieder aufschlug, war es noch dunkel. Ich konnte nicht sagen, was mich geweckt hatte. Das ganze Haus war still, bis auf das sanfte Knarren des Dachgebälks, das mich am Vorabend mit Leichtigkeit in den Schlaf gewiegt hatte. 
Verschlafen schwang ich die Füße aus dem Bett, tappte zu meinem Koffer, klappte den Deckel auf und fischte meinen Wecker zwischen meinen Schuluniformen hervor.
Es war gerade Mal halb sechs.
Ich unterdrückte ein Stöhnen und warf den tickenden Wecker wieder in den Koffer. Dabei erklang ein dumpfes Geräusch, fast so, als wäre er von Holz abgeprallt. 
Verwirrt schob ich einen Umhang bei Seite und entdeckte das von mir aus der Bibliothek ausgeliehene Zauberbuch.
Ein Hauch von Leben - Inanimatus Aufrufezauber.
Die Hauselfen hatten wirklich alles eingepackt. 
Am liebsten hätte ich mich wieder unter die Decke geschoben, doch mein innerer Wecker wollte keine Ruhe geben. Außerdem knurrte mir der Magen.
In Hogwarts wäre ich jetzt einfach zum Frühstück gegangen. Der einzige Vorteil davon, die Feiertage allein dort zu verbringen wäre gewesen, dass ich so viel hätte essen können, wie ich wollte. Es wäre ja niemand da gewesen, dem das aufgefallen wäre. Doch es erschien mir nicht richtig nach unten zu schleichen und die Küche von Mrs. Weasley zu durchstöbern. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie im Überfluss schwelgten. Sie hatten vielleicht alles, was sie brauchten, doch ein bisschen mehr hätte sicher nicht geschadet.
Um die Zweifel und Schuldgefühle, die sich mir erneut aufdrängen wollten, bei Seite zu schieben, schnappte ich mir die Decke vom Bett, verkroch mich auf den breiten Sims des Erkers, lehnte meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe und begann zu lesen.
Es handelte sich durchaus um spannende Lektüre, auch wenn ich zugeben musste, dass ich nicht alles verstand. Gerade versuchte ich aus den Aufzeichnungen eines alten Experimentes schlau zu werden, die einen Schutzzauber durch die Erweckung von Rüstungen beschrieben, da bewegte ich die Knie unter dem Buch, um es mir etwas bequemer zu machen und sein gefalteter Zettel fiel aus den schweren Seiten.
Es war nicht das alte, vergilbte Pergament des Buches. Stattdessen erkannte ich das hellere, frischere Pergament, auf dem wir Hogwarts-Schüler sonst unsere Notizen und Hausaufgaben anfertigten. Ich legte das Buch bei Seite und schnupperte an dem Blatt.
Es war ganz eindeutig aus dem gleichen Laden, in dem auch ich mein Pergament gekauft hatte, denn es roch fast genau gleich. Doch es haftete noch etwas daran. Feine Spuren von Süßholz und Kalkstein, Bienenwachs und Frühlingssonne. Ein zarter Hauch von dunkler Schokolade, vermischt mit Tannenharz, frischem Moos und etwas Moschus. Außerdem Noten von warmer Wolle, Walnusschalen, glänzenden Eicheln, dem Wind eines Herbstumes und der Hitze von geschmolzenem Gold. Und dann noch der unauffällige, fast schon verschwindende Duft von kleinen Sprosspilzen in feuchtem Herbstlaub, staubigen Weizenkorn und Eisenhut.
Vorsichtig klappte ich das Blatt auseinander.
Neben den Gerüchen erkannte ich ihre Schrift sofort. Die ordentlichen Schwünge von Remus, die energiegeladenen Zacken von James, das fast schon lustlos wirkende Gekrakel von Sirius und die kleine, fast schüchterne Schrift von Peter.
Es war eine Liste, keine Frage. Lauter Worte und kleine Sätze, die keinerlei Sinn ergaben und fast alle durchgestrichen waren. Ich laß etwas über das Ablegen von Eiden und Versprechen, von Gelöbnissen und Schwüren, über Halunken, Schlitzohren, Spitzbuben, Übeltäter und Tunichtgute. Auch etwas von Verbrechen, Frevel und Missetat. Dazwischen tauchten Wendungen auf wie >>bei meinem Leben<< oder >>beim Leben meiner Mutter<<, was mit deutlich mehr Vehemenz durchgestrichen worden war. >>Bei Merlins Unterhosen<< fand ich weniger kreativ, >>bei Merlins schlabbernden Unterhosen<< schon etwas mehr, außerdem entlockte es mir ein stummes Auflachen. Dann tauchte da plötzlich eine Sammlung von Adjektiven auf, festlich, ehrenvoll, würdevoll und feierlich.
Ich laß alles durch, saugte dieses kleine bisschen Heimat in mich auf, die Verrücktheit meiner Freunde, ihre bekannten Handschriften und Gerüche. Ich vermisste es von ihnen umgeben zu sein. Ich vermisste die Jungs. Am Anfang unserer Schulzeit, als alles noch nicht so kompliziert gewesen war, hatten wir häufiger etwas zusammen unternommen. Die letzten Monate hatten sie sich abgeschottet und ich mich auch von ihnen, wie ich zugeben musste. Außerdem, so kam die Erinnerung nun wieder schmerzlich zu mir zurück, sprach Remus jetzt garnicht mehr mit mir.
Ich gelange schließlich ans Ende der Seite, wo, in Remus ordentlicher Handschrift, genau ein Satz stand, fein säuberlich umkreist.
Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin.
„Roselynn!“
Ich zuckte zusammen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir eine herrliche Winterlandschaft im Licht einer längst weit über dem Horizont stehenden Sonne.
„Hey Schlafmütze!“, rief Gideon erneut, „Es gibt Frühstück!“

„Keine Briefe?“, platzte Mrs. Weasley heraus, während sie mir ohne mit der Wimper zu zucken das dritte Mal Porridge auftat.
„Das Ministerium hat meine Eule abgefangen…“, murmelte ich verlegen.
„Arthur!“, stieß Mrs. Weasley aus und gab auch den Zwillinge noch einen Nachschlag., „Dürfen die das überhaupt?“
Anscheinend war sie an die Mengen gewöhnt, die Jungs so zu sich nehmen konnten und deshalb wunderte es sie überhaupt nicht, dass auch ich ohne weiteres ein halbes Schwein essen konnte.
Mr. Weasley rückte sich die Brille zu Recht und raschelte mit der Zeitung.
„Is momentan ein bisschen angespannt das alles im Ministerium“, seufzte er, „Da Roselynn aus dem Ausland kommt und da bei ihr zu Hause grade wohl einiges los ist…“
„Aber sie hat doch schon Geschenke!“, brauste seine Frau auf, „Sie wird doch wohl nichts gefährliches nach Hogwarts geschmuggelt haben können. Da können sie es doch auch zulassen, dass sie die Sachen nach Ungarn schickt! Und das arme Mädchen bekommt dadurch ihre Weihnachtspost ganz sicher nicht pünktlich!“
Wenn überhaupt, schoss es mir durch den Kopf.
Ein leiser Glockenschlag aus der Ferne ließ Mr. Weasley auf seine Armbanduhr schauen.
„Tja, da ich ja ohnehin noch zum Ministerium muss…“
„Aber ich dachte du hast heute schon frei?“, schnappte Mrs. Weasley, während sie nebenbei Bill, der bei Gideon auf dem Schoß saß, seinen Porridge von den Wangen und aus dem linken Ohr wischte.
„Wie gesagt, mein Schatz, es ist gerade alles etwas schwierig da…“, versuchte er sie zu beschwichtigen, „Ich bin auch nur ein paar Stunden da und dann kann ich doch Mal nach Roselynns Post fragen“
„Na gut“, lenkte Mrs. Weasley ein und dirigierte den leeren Porridge-Topf mit ihrem Zauberstab in die Spüle, wo eine Spülbürste sich sogleich ans schrubben machte, dann wandte sie sich wieder mir zu, „Aber du könntest jetzt noch Eulen an deine Freunde schicken, Schätzchen. von hier aus sollte das ja klappen und jetzt kommen sie auch noch vor Weihnachten an“
„Ich habe leider gar keine Geschenke für sie“, murmelte ich in meine Schüssel, „Ich konnte ja nichts kaufen und bestellen ging auch nicht, also-…“
„Arthur!“, polterte Mr. Weasley, während ihr Mann sich in aller Seelenruhe seinen Umhang anzog, „Das können die doch nicht machen! Roselynn hat es bestimmt schon schwer genug hier Freunde zu finden! Wie soll sie denn so ordentlich Weihnachten feiern?“
„Wie wäre es denn, mein Schatz“, kam Mr. Weasley ein letztes Mal in die Küche, legte seiner Frau beruhigend die Hände auf die Schultern und gab ihr einen sanften Kuss, „wenn du heute mit den Jungs und Roselynn in die Winkelgasse einkaufen gehst. Deine Weihnachtseinkäufe kannst du doch auch da machen und Roselynn ist nicht ohne Aufsicht und kann ihre Weihnachtsgeschenke kaufen und in der Eulerei ein paar Eulen mieten, die sie zu ihren Freunden bringen. Und die Jungs können dir beim Tragen helfen. Ich glaub auch fast“, ergänzte er mit einem Schmunzeln, während er mir einen Blick zu warf, „Das du deine letzte Last für diese Tage auch noch los geworden bist“
Charlie gluckste in meiner Armbeuge und nuckelte zufrieden an einer meiner Haarsträhnen.
„Aber ich darf nicht einfach so raus gehen!“, platze ich heraus.
Sofort lagen vier verwirrte Blicke auf mir.
„Ich meine-…“, stotterte ich, doch mir fiel keine passende Lüge ein, „Die Auflagen-… weil ich doch aus Ungarn komme-…“
„Ach, Papperlapapp“, wedelte Mrs. Weasley meine Bedenken bei Seite, gab ihrem Mann erneut einen herzlichen Kuss und bemerkte dann, dass die Seifenlauge in dickem Schaumblasen bereits über den Rand des Waschbeckens geflutet war, „Vergiss nicht nach Roselynns Post zu fragen, mein Lieber. Und komm heile wieder Heim“
„Mach ich, Molly“, lächelte Mr. Weasley, dann zerwühlte er das Haar seiner beiden Neffen und seines ältesten Sohnes, hob Charlie vorsichtig aus meinem Arm, gab ihm einen dicken Kuss auf die Wange, übergab ihn wieder meiner Obhut und zerwühlte auf mir das Babysabber nasse Haar.
„Leg mir die Weihnachtsgeschenke für Ungarn Mal raus, bevor ihr einkaufen geht, ja?“
Ich nickte, dann war er auch schon durch die grüne Tür in den Hof getreten und mit einem leisen Plopp verschwunden.

Es wurde ein langer Tag mit einigen Erkenntnissen.
Die Erste war, dass mir auch nach Reisen mit Flohpulver reichlich schlecht wurde. Ich behielt jedoch das Frühstück bei, da das Ganze wenigstens schnell vorbei war.
Die Zweite war, dass die Winkelgasse im Winter, und vor allem zur Weihnachtszeit, noch prächtiger und magischer aussah, als bei meinem ersten Besuch. Überall hingen große Kränze und standen Tannenbäume mit verrücktesten magischen Dekorationen. Die Federn und Felle der Tiere im Schaufenster der magischen Menagerie waren leuchtend rot, grün oder golden eingefärbt worden. Überall gab es Sonderangebote für besonders tolle Geschenke und es schienen fast noch mehr Menschen unterwegs zu sein, als kurz vor Schulbeginn.
Als erstes besuchten wir natürlich Gringotts, wo ich den Kobold Hooksail wieder traf und Mrs. Weasley damit erstaunte, wie außergewöhnlich freundlich er zu mir war. Jedenfalls für einen Kobold. Die Zwillinge waren viel mehr daran interessiert, warum der Zugang zu meinem Verließ direkt von der Haupthalle abging und warum sie nicht mit hinein durften. Es standen lange Schlangen vor den Schaltern und als ich schließlich wieder zu ihnen stieß, waren sie gerade einmal bis zum Anfang vor gerückt.
Es war sehr angenehm gewesen meine Flügel strecken zu dürfen und ich hatte es sehr bedauert, dass mein Ausflug in meine andere Gestalt so kurz gewesen war. Doch ich hatte auch gemerkt, wie das Denken und die Instinkte des Drachen sofort wieder zu mir zurück gekehrt waren. Ich musste mich stark darauf konzentrieren, warum ich hier war, damit die Hexe Roselynn nicht einfach das Kommando abgab, was immer noch schwierig war. So, wie die zu starke Nutzung meiner Drachensinne im menschlichen Körper irgendwann unweigerlich Verwandlung mit sich brachte, war es mir fast unmöglich als Drache menschlich zu denken. Ein Grund mehr, warum ich dem Ministerium immerhin teilweise zustimmte, dass ich mich außerhalb kontrollierter Bedingungen nicht verwandelte. Ich hatte nie das Verlangen verspürt Menschen zu jagen. Aber was wäre, wenn es mich plötzlich doch überkam?
Die dritte Erkenntnis beinhaltete erneut ein Transportmittel, das sich nicht für Drachen eignete. Die Zwillinge und Bill hatten auf dem Weg zum Verließ der Weasleys in den großen Loren einen Heidenspaß, ich jedoch fand es fast so schlimm wie Auto fahren.
Die vierte Erkenntnis war ernüchternd.
Die Tür des Verlieses, das der Kobold für Mrs. Weasley öffnete war größer als zu meinem. Ich wusste auch nicht, was ich erwartet hatte. Doch dieser winzige Haufen aus Sickeln und Knuts, durchsetzt nur von diesem winzigen Schimmer an goldenen Galeonen traf mich schwer. War mein eigener Reichtum so gewaltig, dass er eine ganze Erdspalte füllte.
Mrs. Weasley beeilte sich und hob nur eine geringe Menge an Geld auf, bemüht sich selbst zwischen uns und das Geld zu schieben. Im Tuch an meiner Brust, mit einer etwas schief gestrickten Mütze auf dem Kopf, gähnte Charlie.

Ich bot Mrs. Weasley später etwas Geld an, denn immerhin lebte ich unter ihrem Dach und aß von ihrem Lebensmitteln. Doch davon wollte sie nichts hören. Ihre Einkäufe waren bescheiden und mehr als nur ein Mal legte sie Sachen wieder zurück.
Ihre Armut erinnerte mich daran, welchen Luxus ich genoss und ich wählte meine Weihnachtsgeschenke mit größter Sorgfalt aus. Alle Ladenbesitzer verpackten sie magisch für mich und so war es mir ein Leichtes fast alle sofort zur Eulerei zu bringen und sie dort einigen fähigen Vögeln anzuvertrauen.
Sues Geschenk jedoch brachte ich ihr persönlich vorbei.
Sie freute sich sehr mich und die Zwillinge zu sehen und schmolz fast bei dem Anblick des kleinen Charlie an meiner Brust. Auch sie hatte ein Geschenk für mich, das sie eigentlich mit der Post an die Prewett Zwillinge hatte senden wollen, bis ihr eingefallen war, dass die Weihnachten ja gar nicht Zuhause waren, sondern, mit mir zusammen, bei ihrer Schwester. Und so konnten wir tauschen.
Mrs. Weasley, Madame Malkins und Monsieur Malkins unterhielten sich noch eine Weile, denn sie kannten sich noch aus Schulzeiten, dann brachen wir zu später Nachmittagsstunde wieder zum Fuchsbau auf.
„Arthur ist bestimmt schon wieder Zuhause“, lächelte Mrs. Weasley glücklich und hob Bill in ihre Arme, „Er hat ganz sicher nach deiner Post gefragt, Roselynn. Er tut ja immer so ruhig, aber glaub nicht, dass er die aktuellen Methoden des Ministeriums gut heißt“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, doch Mrs. Weasley schien auch nichts zu erwarten. Für die Reise mit dem Flohpulver übergab ich Charlie an Fabian und nahm ihm dafür noch einige Taschen ab. Ich traute dem grünen Feuer nicht und vor allem meinem Magen.
Ich trat in den Kamin, spürte das warme Kitzeln der Flammen.
„Fuchsbau!“, rief ich, dann verschwamm die Welt auch schon in einem Strudel aus Grün, vorbei wirbelnden Ziegelsteinen und Übelkeit.
Als es endlich endete, fiel ich fast auf die Nase, so sehr hatte ich mich gedreht.
Schnell trat ich einen Schritt ins Wohnzimmer der Weasleys, um den Zwillingen hinter mir Platz zu machen und nahm einen tiefen Atemzug. 
Da war er.
Der Geruch nach Drachen war so schwach, dass ich das erste Mal in vielen Jahren seinen eigentlichen Geruch erahnen konnte. Doch es war ein Duft, den ich so gut kannte, in all seinen Facetten, dass ich jede Note sofort in mich aufnahm.
Da waren die Gerüche seiner Arbeit. Reiner Alkohol. Geschliffener Stahl. Einige Tinkturen, die ich noch aus meinen Kindertagen kannte. Dann der warme Hauch von Fuchsfell. Kaffee. Frisch geschnittenes Gras und geflochtenem Binsen. Außerdem der Duft seiner Kleidung. Ein Leinenhemd. Gebleicht. Außerdem eine Jeans. Ein Umhang, mit Flechtenextrakt schwarz gefärbt und aus schwerer Wolle. Schuhe aus Drachenleder. Und unter der Sohle, bedeckt von vielen anderen Gerüchen, eine Mischung aus Erde und Kiefernnadeln, aus Drachenmist und Staub. Ein Duft der Heimat bedeutete.
Ich ließ alle Taschen fallen und stürmte in die Küche.
„Dr. Imre!“, jauchzte ich.
Doch ich fand nur Mr. Weasley, der gerade zwei Tassen in die Spüle stellte und einen kleinen Haufen Geschenke auf dem Tisch.
„Roselynn“, lächelte Mr. Weasley und Klappern des Porzellans, als er die Tassen abstellte, hallte laut in meinen Ohren, „Hattet ihr einen schönen Tag?“
„Wo ist er…?“, fragte ich leise und blickte mich hastig um.
Die Fährte war kalt.
Mr. Weasley lächelte immer noch.
„Du bist wirklich eine außergewöhnliche junge Hexe“, zwinkerte er, „Er meinte schon, dass du bestimmt sofort wüsstest, dass er da war“
„Aber wo ist er?“, setzte ich nach, diesmal lauter. 
Mein Blick huschte unter den Tisch und zum Wandschrank und zum Fenster, fast so, als würde Dr. Imre im nächsten Moment von irgendwo dort hervor springen.
„Er hatte es plötzlich sehr eilig. Meinte, es wäre besser, er wäre fort, wenn ihr zurück kommt“, runzelte Mr. Weasley, für den das ebenfalls keinen Sinn zu ergeben schien, „Er ist vor wenigen Minuten gegangen. Aber er hat deine Weihnachtsgeschenke mitgenommen. Und ich hab deine Geschenke und deine Post aus dem Ministerium mitbringen können“
„Er ist weg?“, hakte ich nach und spürte, wie meine Schultern nach unten sackten.
„Wer ist weg?“, fragte Mrs. Weasley, die gerade die Küche betrat, den Stapel Geschenke und Briefe mit einiger Zufriedenheit musterte und ihrem mann einen Kuss gab, bevor sie Bill neben mir in seinen Hochstuhl setzte.
Er griff sofort nach einer langen Haarsträhne und zupfte glucksend daran herum.
„Nimmst du ihn Mal?“, fragte Fabian, der plötzlich an meiner Seite stand und mir Charlie entgegen hielt.
Ich nahm das Baby wie selbstverständlich und schmiegte den kleinen Körper eng an mich.
„Ich hab für Roselynn nach einer Möglichkeit gefragt, dass sie ihre Weihnachtsgeschenke nach Ungarn schicken kann“, lächelte Mr. Weasley seiner Frau zu, „Und als ich Heim kam stand kaum eine halbe Stunde später ein sehr netter junger Mann vor der Tür“
„Und du weißt, wer das war?“, fragte Gideon mich verblüfft und hob die Einkäufe seiner Schwester auf den Küchentisch.
Ich konnte nicht antworten.
Er hatte es plötzlich sehr eilig… 
Es war besser, dass er schon weg war, wenn ich zurück kam…
Dr. Imre, der immer das Gute und Schöne in meiner Merkwürdigkeit gesehen hatte. Dr. Imre, der jeden Tag meiner Kindheit damit zugebracht hatte, mich zu bestärken und mit mir heraus zu finden, wer und was ich war. Dr. Imre, der nächtelang mit mir die Sterne betrachtet hatte, nur um zu wissen, wie ich das Universum sah. Dr. Imre, der mich selbst in Zeiten höchster Not noch zum Bahnsteig gebracht hatte, mich nicht allein gelassen hatte. Dr. Imre, der einen Patronus herauf beschwören konnte, der mir und meinen Brüder zum verwechseln ähnlich sah.
Dieser Dr. Imre hatte es zu eilig gehabt darauf zu warten, das ich zurück kam? Zu eilig, als dass er nicht wenigstens einen kurzen Augenblick hatte erübrigen können? Nach all den Monaten, die er mich nicht gesehen hatte, nach all dem Durcheinander, den Freuden, der Qualen, der Anstrengung, dem Erfolg und dem Versagen, die ich ihm nur in Briefen beschrieben hatte…
Dieser Mann hatte es zu eilig gehabt auf mich zu warten? Dieser Mann fand, dass es besser war er sei schon fort, wenn ich zurück kam? Fast so, als sollte mich möglichst nicht mit ihm in Berührung bringen? Fast so, als wäre es ganz besonders wichtig, dass alle bezeugen konnten, ich hatte ihn nicht gesehen? Ihn nicht gesprochen?
„Ist das in Ordnung für dich, Roselynn?“
„Was?“, fragte ich verwirrt.
In meinen Armen begann Charlie zu quengeln.
„Dass ich die hier verwahre“, Mrs. Weasley tippte mit ihrem Zauberstab sanft auf die Geschenke, „bis Weihnachten“
Bill zupfte nun nicht mehr nur an meinen Haaren, seine kleine Faust ballte sich fest um eine Strähne. Es schmerzte.
„Ja…“, brachte ich mit einem Krächzen heraus.
Die Härchen an meinen Armen stellten sich prickelnd auf.
Mit einem sorgenvollen Blick auf mich nickte Mrs. Weasley und mit einem neuerlichen Tippen ihres Zauberstabes verschwanden die Geschenke spurlos.
Etwas stimmte nicht.
Ich sah die Welt wie durch Glas, plötzlich nur noch ein Bild in einem Rahmen, eine Momentaufnahme.
Mrs. Weasley drehte sich mit nachdenklicher Miene zu Mr. Weasley. Der zog seinen Zauberstab um das Geschirr zu spülen. Gideon war eine Tasche umgekippt und er hastete nach einer davon rollenden Kartoffel. Fabian stand auf der anderen Seite des Tisches und lachte.
In meinen Armen hatte Charlie nun wirklich zu weinen begonnen und selbst Bill stieß einige seltsame Töne aus.
Und ich spürte ein Ziehen in meinem Rücken, ein Kribbeln auf meiner Haut, ein Zerren an meinen Gliedern. Etwas bohrte sich durch meine Haut.
Dann explodierte die Welt in Stimmen und hellen Strahlen aus Licht.
67. Kapitel
Der Drache May
Ich spürte Schmerz und eine seltsame Taubheit in meinen Gliedern. Meine Ohren waren voller Watte und so sehr ich es versuchte, ich konnte keinen Muskel rühren. Selbst das Atmen fiel mir schwer. 
Und in meinem Kopf existierte nur dieser eine Gedanke.
Beschützen.
Ich musste sie beschützen.
Ich konnte nicht sagen, was es war, doch etwas kratzte wie von innen an meinem Schädel. Das Blut rauschte durch meine Adern wie ein Strom, der sich durch seinen Damm gekämpft hatte und nun Bahn brach, alles nieder riss, unaufhaltsam und mächtig.
Langsam kehrte ein gewisses Bewusstsein für meinen Körper zurück.
Ich spürte das Gift in den Drüsen unter meiner Zunge kochen, doch die Zahnprothesen hielten es zurück. Auch das war ein Schmerz, doch kaum zu vergleichen mit dem, der nun in meinem Rücken erblühte.
Langsam nahm ich auch meine Arme und Beine wahr. Ich hatte mich zu einer Kugel zusammen gerollt und kniete auf dem Boden. Den Rücken wie eine Brücke gebogen, die Arme um zwei kleine Körper geschlungen, den Kopf so nah wie möglich bei ihnen.
Und noch etwas war da. Eine Härte, die ich mehr von Innen heraus an mir spüren konnte. Mein Rückgrat schien länger zu sein, als es möglich sein sollte, legte sich schützend um mich herum und bedeckte irgendwie meinen hinab geneigten Kopf. Die Wirbel meines Rückens schienen sich aufgestellt zu haben, von mir gespreizt, eine Warnung mir nicht zu Nahe zu kommen. Und um mich und mein kostbares Gut herum lagen zwei Schilde. Sie waren stark und mächtig. Sie konnten mein ganzes Gewicht mit Leichtigkeit tragen.
Ich konnte die Augen nicht öffnen, konnte mich nicht bewegen, doch ich wusste es. Mehrere Zauber hatten mich mitten in der Verwandlung getroffen. Sie hatten gerade ausgereicht, um mich in Schockstarre zu versetzen. Meine Haut war überzogen von Schuppen, mein Schweif und meine Flügel bereits voll ausgeprägt.
Unter mir weinte Charlie und Bill schrie nach seiner Mutter. Das schreien der beiden Kinder war das grässlichste Geräusch, das ich in meinem ganzen Leben gehört hatte.
Ich wollte sie frei geben, sie zumindest irgendwie trösten, doch ich konnte mich nicht rühren. Und jede Sekunde, die verstrich, in der ich sie wimmern und schluchzen hörte, riss eine neue, klaffende Wunde in mein Herz.
Ich wusste, dass um mich herum Stimmen laut geworden waren, ich bemerkte den Staub, auf dem ich kniete. Die Zauber schienen erheblichen Schaden am Haus angerichtet zu haben.
Ein kleiner Teil von mir fragte sich ängstlich, was mit Gideon, Fabian und Mr. und Mrs. Weasley geschehen war. Und, ob ich richtig gehandelt hatte. 
War es nur Einbildung gewesen, dieses Gefühl, dass ihre Mutter die beiden Kinder niemals rechtzeitig hätte erreichen können?
Doch da spürte ich, wie Bill sich eng an meinen Mantel schmiegte.
Rotz und Tränen durchnässten den Stoff, doch er schob sich ganz eng an mich und seinen kleinen Bruder heran. Er stieß mich nicht weg, fürchtete sich nicht vor mir! Er suchte Schutz, bei mir, solange seine Mutter ihn nicht erreichen konnte.
Und mit einem Schlag nahm ich die Außenwelt wieder wahr.
Schlau wurde ich aus dem Geschrei nicht wirklich. Doch ich konnte die Zwillinge hören, in beträchtlicher Lautstärke, und auch Mr. und Mrs. Weasley. Genauso ein gutes dutzend fremder Stimmen, aus allen Richtungen.
Ich spürte den eiskalten Luftzug und roch nun den Putz und den Staub. Ein Teil der Küchenwand musste eingestürzt sein. Doch anscheinend hatte die Zimmerdecke stand gehalten. Mein Rücken schmerzte zwar, als wäre ein Hippogreif auf mich los gegangen, dich ich war eindeutig nicht tot.
Nur etwas verwirrte mich. Es gab da einen blinden Fleck, irgendwo an meiner linken Schulter, nahe des Halses. Dort spürte ich keinen Schmerz. Es war, als wäre mein Körper an dieser Stelle verstummt. Und mein überreiztes Gehirn nutzte die Gelegenheit mir eine der bruchstückhaften Aufnahmen ins Gedächtnis zu rufen, eine Millisekunde, kurz nachdem ich mich, mit Charlie in den Armen, auf den kleinen Bill geworfen hatte.
In alle dem Rot der Schockzauber hatte es einen grünen Lichtblitz gegeben. Und allein der Gedanke, mit dieser Vermutung richtig zu liegen, ließ mich rasend werden vor Wut.
Ich würde nicht das selbe Schicksal erleiden wie meine Mutter.
Ich beschützte, was mir wichtig war.
Der Zorn brannte sich direkt von meinem Kopf direkt durch meine Wirbelsäule und ich spürte mit einer Zähne bleckenden Befriedigung, wie meine Schwanzspitze an meinem Kopf zuckte.
Was die Hexe Roselynn mit ihrem Zauberstab bändigte, das floss dem Drachen May wie Blut durch die Adern. Diesen Hass konnte kein Zauber bändigen.
Mit einem hässlichen Knacken, das jedes Schreien übertönte, und in einem knirschenden, rauen Rhythmus schoben sich, einer nach dem anderen, die nötigen Halswirbel aus meinem Schädelknochen. Ein leises Ächzen wurde in meiner Kehle zu einem brodelnden Grollen, das mit einem dumpfen Vibrieren die Rippen in meinem Brustkorb erschütterte und jede einzelne davon in Bewegung versetzte. Knarzend breiteten sie sich aus und weiteten meinen Brustkorb, machten Platz, für die größeren Lungen und das pochende Herz, das sich glühend, wie schmelzender Stahl, mit Feuer füllte. Mit lautem Knirschen gruben sich meine Nägel in die staubigen Holzdielen, während meine Finger sich streckten. Und fast so, als sprengte ich bisher unbemerkte Ketten, zog sich mein Schädel in die Länge, bohrten sich die Hörner durch meine Stirn und die kleinen, mickrigen Menschenzähne bekam ein paar zusätzliche Grate, Spitzen und Kanten.
Ich hatte über die Zeit in Hogwarts an Gewicht verloren, doch ich war auch gewachsen. Die Hexe May hatte es nur auf einen oder zwei Zentimeter gebracht, der Drache May jedoch hatte in dieser Zeit Boden gut zu machen. Ich konnte es deutlich spüren.
Um den Drachen herum war es still geworden. Bedrohlich langsam schob er seinen schlangenähnlichen Körper in eine neue Position, schob die beiden wimmernden Würmer an seiner Brust seitlich an seinen Bauch und schmiegte seine Mitte eng an den Boden. Die Hinterbeine angewinkelt und den rechten Flügel über sie ausgebreitet, eine Vorderpranke davor auf dem Boden abgestützt, richtete er langsam den Kopf auf.
Seine zweiten Augenlieder glitten von der Seite über seine Pupillen und wischten den Staub fort.
Insgesamt waren es vierzehn ihm unbekannte Gestalten, die sich im Kreis um ihn und vier weitere Gestalten aufgebaut hatten. Die Gerüche der vier in seiner Nähe waren dem Drachen May bekannt und die Hexe Roselynn lieferte die nützliche Information, dass die Freunde waren. 
Und nicht nur das.
Ein ganz besonderer Sinn, den nur eine Drachin haben konnte, teilte ihm zu einer der Gestalten noch etwas besonderes mit.
Langsam hob er die Pranke und schob sie in aller Ruhe um den zitternden, molligen Leib der Menschenfrau. Ihre Jungen brauchten sie.
Keiner rührte sich, während der Drache May die Frau an seine Brust zog, dann den Flügel hob und ihr als Einziger Zugriff auf die beiden kleinen Wesen an seinem Bauch gewährte. Er offenbarte ihr damit auch seine größte Schwachstelle, denn der Drache wusste, dass die Frau einen jener seltsamen, tödlichen Stöcke besaß und dass die Schuppen an seinem Bauch die weichsten waren. Doch sie war eine Mutter.
Und diese Mutter kniete sich nun ohne zu zögern zwischen die Pranken des Drachen, hob ihr schreiendes Baby von seinem warmen Bauch und presste das Kleinkind, das sich eilig aufgerappelt hatte, an ihre Brust.
„Oh, ich bin so froh, dass euch nichts passiert ist“
Zufrieden nickte der Drache, eine zutiefst menschliche Geste, wie die Hexe Roselynn anmerkte. Sie versuchte wieder die Kontrolle zu übernehmen, doch derzeit war der Drache May noch nicht bereit dazu. Die Gefahr war noch nicht vorbei. Alles, was diese Fremden auf Abstand und fern von ihren Freunden hielt, war seine Macht.
Doch derzeit rührte sich niemand. Das wurde langweilig.
Den Flügel immer noch für die Menschenmutter und ihre Kinder erhoben, drehte der Drache den Kopf und inspizierte die taube Stelle an seiner linken Schulter, sowie seinen schmerzenden Rücken.
Die weichen Schuppen der Verwandlung hatten nicht ganz ausgereicht um den gröbsten Schaden abzuhalten. Mit einem entnervten Schnaufen, das ein Jaulen überdecken sollte, riss der Drache den großen Holzsplitter in der linken Schulter mit dem Maul heraus und schleuderte ihn den Fremden entgegen, die entsetzt zurück wichen. Dann reckte er den hals und schielte darauf hinab.
Seine Schuppen waren ohnehin nicht mehr allzu schön, rau und stumpf und das Vipernmuster schimmerte überhaupt nicht mehr. Alles in allem war er ein erbärmlicher Drache, doch er konnte sich die alten Schuppen schlecht vom Leib reißen und erwarten, dass darunter Neue zum Vorschein kamen. Und dort, am Übergang zwischen Schulter und Hals, hatten sich die Schuppen tief schwarz verfärbt und einige dünne Rinnsale Blut füllten die Lücken zwischen ihnen und tropften nun langsam zu Boden.
Der Drache stieß ein leises Knurren aus, musterte dann die anwesenden Menschen, schnaubte verächtlich und legte dann die Vorderpranken nebeneinander, rollte den Schweif um den eigenen Leib und wartete, mit hoch erhobenem Haupt.
Einen Moment geschah nichts. Dann sprach der größte der Menschen, die beeindruckend leuchtend rotes Fell auf dem Kopf hatten.
„Ich glaube, es wäre jetzt Zeit, dass sie ihre Zauberstäbe weg stecken…“, sagte er langsam.
„Damit sie sie in der Luft zerfetzt?“, stieß eine der Gestalten hervor und spuckte aus, „Arthur! Sind sie noch bei Sinnen?“
„Ich muss zugeben“, sprach der Große weiterhin sehr ruhig, „dass ich mir da momentan nicht ganz sicher bin. Eine Elfjährige hat sich gerade vor meinen Augen in einen leibhaftigen Drachen verwandelt, ja. Aber noch beeindruckender finde ich, dass ein gutes dutzend meiner Arbeitskollegen in das Zuhause von mir und meiner Frau eindringen, es zur Hälfte nieder reißen und meine Neffen und Söhne mit ihren Zauberstäben bedrohen“
„Machen sie sich nicht lächerlich!“, schnaufte der Fremde, der anscheinend die Stimme all der Fremden zu sein schien, „In ihrem Haus hat sich nachweislich ein Anhänger von dem dessen Namen nicht genannt werden darf aufgehalten. Und anscheinend sind wir gerade rechtzeitig gekommen, um das Schlimmste zu verhindern“
„Ich für meinen Teil habe derzeit eher das Gefühl, dass mir jemand den Rücken frei hält“, erklärte der Große, „Doch nun sagen sie mir bitte, wen sie meinen. Heute gehört jeder Zweite, der ein bisschen seltsam ist, zu dem dessen Namen nicht genannt werden darf“
„Doktor Daniel Imre“, entgegnete der Fremde schroff, „Wir dachten ja, dass er sich noch in Ungarn aufhält, haben aber damit gerechnet, dass er versucht seinen Schützling zu kontaktieren und zu einer Gräueltat anzustiften. Er hat sich öffentlich zu jenem, dessen Namen nicht genannt werden darf bekannt, mehrere Mitarbeiter seiner Arbeitsstelle verletzt und zwei Dracheneier gestohlen!“
Das war eine derart faustdicke Lüge, dass der Aufschrei der Hexe Roselynn sauber bis zum Körper des Drachen durch drang.
Sofort war er auf den Beinen, die Zähne gebleckt und machte gerade Anstalten sich auf den elenden Lügner zu stürzen, da streckte der große Rotfellige plötzlich seine Hand aus und legte sie völlig selbstverständlich auf die glühenden Nüstern des Drachen.
Der nahm nun deutlich den herrlichen Menschengeruch wahr, doch wieder schalt ihn die Hexe. Das war ein Freund. Freunde fraß man nicht. Aber warum durfte man Lügner nicht fressen?
„Haben sie Beweise für seine Taten?“, fragte der Große.
Die plötzliche Bewegung des Drachen schien dem Fremden nun doch einen Schrecken versetzt zu haben, den er zu überspielen versuchte.
Er ließ den Zauberstab etwas sinken und wischte sich mit der freien Hand die Schweißperlen aus dem Nacken.
„Natürlich haben wir die. Auf ihn sind bereits fünftausend Galeonen Kopfgeld ausgesetzt! Er hat ihm, dessen Namen nicht genannt werden darf, zwei Drachen zugespielt! Meine Güte, Arthur! Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“
Der Große wandte vorsichtig den Kopf und blickte auf den immer noch knurrenden Drachen, dessen riesiger Kopf sich direkt mit ihm auf Schulterhöhe befand.
Langsam ließ er die Hand von den Nüstern über die geschwungenen Wangenknochen zum Hals gleiten, wo er die rauen, weißen Schuppen einige Male tätschelte.
„Ja, ich glaube, ich habe eine ungefähre Ahnung davon“, erklärte er sachlich, ließ dann seinen Zauberstab sinken und winkte den völlig erstarrten Zwillingen zu. Dann beugte er seinen hohen Rücken, kroch unter den Hals des Drachens und setzte sich neben dessen Vorderpranke zu der Mutter und ihren Jungen, lehnte sich an die angenehm warme Brust des Untiers und streckte mit einem Ächzen die Beine aus.
„Kommt schon, Jungs“, klopfte er neben sich auf die staubigen Dielen, fischte sich dann die Brille von der Nase und putze mit seinem zerrissenen Pullunder den Staub von den Gläsern, „Bis die Herren hier mit ihrem Verhör fertig sind bin ich sicher, wird Roselynn sich kein zweites Mal verändern und dann können wir uns auch genauso gut hinsetzen“
Neugierig und ein wenig verwundert, sah der Drache zu, wie sich die beiden kleineren, rotfelligen Gestalten langsam auf ihn zu bewegten und beide schließlich eine Hand an seinen langen Hals legten.
„Verrückt…“, hauchte der Eine, „Das ist doch völlig verrückt…“
Der Andere sagte gar nichts, streichelte nur mit leichten Fingern über die gezackten Schuppen. Dem Drachen war das durchaus nicht unangenehm. Das leise Knurren wurde zu einem zufriedenen Grollen, das fast einem Schnurren gleich kam. Und irgendetwas sagte ihm, dass es sich sogar lohnte, eine kleine Pause einzulegen.
Mit einem lauten Plumpsen, das einige Küchenstühle in seinem Rücken zerbersten ließ, warf er sich auf die Seite und entlockte der rotfelligen Menschenmutter damit ein leises Fiepen. Der Drache musterte sie und ihre Brut, schob dann seinen Schweif näher an die heran und legte ihn schützend um sie und, das konnte der Drache riechen, den Erzeuger ihrer beiden Jungen, den das plötzliche Umkippen des riesigen Leibes in seinem Rücken überhaupt nicht beeindruckt zu haben schien.
Die beiden kleineren Rotfelligen an seinem Hals entschieden sich schließlich dazu, genau zwischen seinen Vorderpranken auf dem Boden Platz zu nehmen.
Danach verfiel die Szenerie erneut in Schweigen.
„Kann davon bitte jemand ein Foto machen?“, fragte plötzlich der eine zwischen seinen Vorderpranken, „Das glaub uns doch sonst kein Schwein…“
68. Kapitel
Verhandlungen in der Küche
Ein Drache kann nicht lügen.
Wenn er sich im Unterholz verbirgt und auf seine Beute lauert, dann ist das vielleicht eine Täuschung, doch dessen ist er sich nicht bewusst.
Ein Drache besitzt auch keine Emotionen wie Freude, Trauer oder Angst. Er braucht sie nicht. Drachen fühlen Wut. Wenn ein Kontrahent ihr Territorium besitzt, wenn sich jemand dem Gelege nähert, dann grollt ihr Geist wie ein ausbrechender Vulkan.
Drachen fühlen Hunger. Er ist Instinktiv und kaum zu bändigen. Wenn ein Drache hungrig ist, so wird er fressen.
Drachen fühlen Schmerz. Er ist auch das, was der Trauer bei ihnen am nächsten kommt. Wenn ein Jungtier stirbt oder der Partner, dann fühlen sie einen Schmerz tief in ihrer Brust, der nichts mit äußeren Wundern zu tun hat. Dieser Schmerz geht weit über Trauer hinaus.
Drachen fühlen Liebe. Ein Drache liebt ein gutes Mahl, einen sicheren Schlafplatz, einen Flug, der ihn fast bis zum Mond trägt. Eine Drachin liebt und beschützt ihre Jungen. 
Der Drache May verstand nicht viel von dem, was um ihn herum geschah. Auch wenn die Fremden schließlich ihre seltsamen Stöcke weg steckten, spürte er immer noch die Anspannung. Momentan konzentrierte er sich darauf, die sechs Rotfelligen zu schützen, denn sie waren Freunde. Das war es, was ihn ablenkte. Denn er musste sich ablenken. 
Neben Schmerz in seinem Rücken von Splittern, die sich immer noch zwischen seine Schuppen bohrten, neben dem seltsamen Taubheitsgefühl, das von dem grünen Zauber verursacht worden war und das ihn ein wenig schwindelig machte, war da auch der Hunger. Er hatte solchen Hunger. 
Während die Menschen jene seltsamen Laute von sich gaben, von denen er nur wenige verstand, machte er sich Sorgen.
Wenn alles richtig funktionierte, wenn sie es schafften das Gleichgewicht zu wahren, dann konnten er und die Hexe Roselynn sich den gemeinsamen Körper teilen und ihre Fähigkeiten ergänzten sich. Das schätzte der Drache durchaus, denn es half gegen die Verwirrung. 
Jetzt war diese Verwirrung zurück gekehrt, denn die Hexe Roselynn wurde schwächer.
Dem Drachen war klar, die Menschen würden ihm nur als Mensch helfen. Doch derzeit herrschte Gefahr, er konnte nicht einfach zurück. Doch der Hunger... und der Schmerz...
Die Wunden bluteten immer noch. Und der Tag war anstrengend gewesen. Sein Körper war zu dünn, es tat weh sich auf den Boden zu legen, denn da war nicht genügend Fleisch, das als Polster zwischen seinen Rippen und dem Dielenboden dienen konnte. Die Knochen pressten sich schmerzhaft gegen das Holz. Und seine Schuppen juckten und fühlten sich spröde an. Ihm fehlten seine Fangzähne, denn unter seiner Zunge schmerzte das Fleisch, da war zu viel Gift, das keinen Weg hinaus fand. Und ihm fehlte auch das Gefühl von Sicherheit, das sie ihm gegeben hatten. Seine Krallen waren seit dem letzten Mal schneiden wieder gewachsen, doch sie waren immer noch stumpf und er hatte sie nicht spitz kauen dürfen. Und außerdem war er allein...
Es war keine Zeit gewesen sich um den Drachen zu kümmern, das wusste er. Die Hexe Roselynn brauchte diese Zeit dringender.
Doch jetzt weinte die Hexe in seinem Innern. Sie ließ ihn Gefühle spüren, die er nicht verstand, aber trotzdem empfinden musste. Die sie ihm nicht erklären konnte, weil ihre Kraft nachließ.
Sie wollte nach Hause, verbat ihm jedoch los zu fliegen. Er hatte Hunger, sie jedoch ließ ihn nicht fressen. Sie war traurig, was er nicht verstand. Er war müde, durfte jedoch nicht schlafen. Und während die Menschen sprachen, wurde auch der Drache immer schwächer. 
„Mehr weiß ich auch nicht“, sagte Gibson leise, „Aber was du da vorschlägst, Arthur, gefällt mir nicht“
Die anderen Auroren hatten sich, nicht ohne eine gewisse Erleichterung, zurück gezogen, damit die beiden Männer in Ruhe verhandeln konnten.
Gibson selbst hatte sich geweigert näher zu kommen, auch wenn er selbst zugeben musste, dass der Drache vor ihm auf den zweiten Blick nicht annähernd so gefährlich aussah, wie jene, denen er schon begegnet war.
Als Leiter des Aurorenbüros hatte er schon einige dieser Kreaturen gesehen, er und die fähigsten seiner Auroren hatten der Abteilung zur Pflege und Aufsicht magischer Geschöpfe zur Seite gestanden, wenn es darum ging ein solches Tierwesen aus einer muggel-nahen Region zu entfernen. Sie alle waren groß und prächtig gewesen, mit schillernden Schuppen wie Libellenflügel und Klauen und Zähnen wie Ritterschwerter.
Dieser Drache wirkte wie ein vernachlässigter Hund, dünn und räudig. Die Schuppen waren schroff wie Felsgestein und hatten ihr glänzendes weiß fast verloren. Stattdessen schienen sie ebenso grau. Und selbst die Regenbogenaugen des Tieres hatten einen müden und stumpfen Glanz.
Andererseits würde er niemals den Anblick und die Geräusche vergessen, mit denen sich der erstarrte Körper jenes kleinen Mädchens vor ihm in dieses Untier verwandelt hatte. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, den Drachen klein zu halten. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie einmal die Kontrolle verlor. Sie hatte die Schockzauber gebrochen.
Zugegeben, einem Menschen hätten all diese Zauber erheblichen Schaden zugefügt. Und eigentlich hatten sie ja garnicht auf sie gezielt. Schwer auszumachen, wer als erster gezaubert hatte, doch alle Auroren hatten daraufhin ebenfalls reagiert. Es ein Kampfreflex, der sie schon das eine oder andere Mal am Leben gehalten hatte. Und so gesehen war hier ja sogar ein Verbrechen geschehen.
Arthur Weasley hatte ihm berichtet, dass Roselynn May nicht anwesend war, als Dr. Daniel Imre in seiner Küche Tee getrunken hatte. Der Gesuchte hatte die Weihnachtsgeschenke des Mädchens für das Reservat abgeholt und weder einen Brief noch eine persönliche Nachricht hinterlassen, so Arthur. Gibson wusste nicht alles, da war er sich sicher. Doch ihm war eingeschärft worden, dass, wenn er einen weißen Drachen an einem seltsamen Ort vorfand, dieser sofort eingefangen oder, bei Gefahr, sogar getötet werden sollte. Genauso alles, in das er sich eventuell verwandelte.
An dieser Stelle hatte Gibson nachgehakt, jedoch keine befriedigende Antwort erhalten. Doch der Hogwartsschülerin Roselynn May war der Aufenthalt in England nur so lange gestatte, wie sie die Hogwartsschülerin Roselynn May blieb. Und das vor ihm war ganz sicher keine Schülerin mehr.
Er hätte also alles ganz sauber abwickeln können.
Wäre da nicht der Todeszauber gewesen, den einer der Auroren gewirkt hatte. Er und Arthur hatten ihn ebenfalls gesehen und der Beweis dafür war sogar an der Schulter des Drachen sichtbar. Natürlich hatte es ihn nicht getötet. Doch bevor sich das Mädchen verwandelt hatte, war da Arthur Weasleys gerade einmal zwei Wochen alter Sohn in ihren Armen gewesen!
Gibson zweifelte stark daran, ob er seinen Neugeborenen einem solchen Mädchen anvertraut hätte, doch das war jetzt nicht das Problem. Auch Arthurs älterer Sohn war in der Nähe gewesen und das Mädchen hatte beide mit ihrem Körper abgeschirmt. Andernfalls hätten die Zauber sie getroffen.
Nicht auszudenken, was ein Schockzauber für eine Wirkung auf ein Kleinkind haben konnte, von einem Baby gar nicht erst anzufangen. Und Arthur drohte ihm nun mit einer Anzeige, falls er bestimmte Teile dieses Vorfalls in seinen Bericht aufnahm.
„Es kann dir ziemlich herzlich sein, ob dir mein Vorschlag gefällt, Thomas“, erwiderte Mr. Weasley, der mittlerweile fast so müde aussah wie der Drache, an dessen Brust er immer noch lehnte, „Wenn du sagst, dass es Roselynn nicht gestattet ist sich zu verwandeln, dann glaub ich dir das gerne. Doch die Jungs meinen, es gab noch keinen Zwischenfall dieser Art in Hogwarts und ich glaube nicht, dass dieses Mädchen ihren Platz in dort einfach so aufs Spiel setzen würde. Aber heute hat sie meine Söhne beschützt. Und wenn du oder einer deiner Leute auch nur ein Wort darüber verlieren, dass heute ein Drache in meiner Küche gesessen hat, dann werde ich Anzeige erstatte, die den Mord an meinem zwei Wochen alten Sohn einschließt“ 
„Ist das eine Drohung?“, knurrte Gibson, in einem Versuch sein letztes bisschen Würde zu bewahren.
„Nein“, antwortete Mr. Weasley und richtete gelassen seine Brille, „Eine Prophezeiung. Und ich kann dir versichern, dass sie ganz sicher eintritt. Du hast keine Wahl, Thomas. Geh nach Hause“ Er hatte verloren. 
Mit einem Seufzen ließ er den Blick noch einmal über die Szenerie schweifen und hakte die Daumen hinter den Gürtel.
„Und was machst du jetzt mit dem Drachen, der ganz sicher nicht in deiner Küche sitzt?“
„Keine Sorge“, Mr. Weasley tätschelte die riesige Pranke zu seiner Linken, „Damit kommen wir schon klar“ 
„Das will ich für dich hoffen“, antwortete Gibson und wandte sich dann an seine Auroren. Er erklärte ihnen die Situation und wiegelte jeden Protest ab. Dann dissapparierten sie. Ein Stein brach aus der Decke und landete im Schutt der Küche. 
Es war dieser Moment, in dem Fabian seine flache Hand auf meinen Hals legte.
Mr. und Mrs. Weasley saßen immer noch am Bauch des Drachen, erschöpft und von Schmutz bedeckt. Bill und Charlie waren in den Armen ihrer Mutter friedlich eingeschlafen.
Doch die Zwillinge waren aufgestanden, sobald die Auroren dissappariert waren. Gideon half Mr. Weasley auf die Beine, der wiederum seiner Frau seinen Ältesten abnahm.
Doch Fabian... er stand immer noch an meiner Seite, fast so, als wäre er daran gewöhnt. Die flache Hand an meinem Hals umfuhren die Fingerspitzen seiner freien Linken die schwarzen Schuppen an meiner Schulter und strichen das geronnene Blut fort. Dann streckte er sich und lugte über mich hinweg auf meinen Rücken, um auch den restlichen Schaden zu begutachten.
Es war dieser Moment, als dem Drachen May und der Hexe Roselynn gleichzeitig bewusst wurde, dass er sich Sorgen machte, dieser Moment, da der Drache die Kontrolle wieder der Hexe Roselynn überließ.
Als Mr. und Mr.s Weasley sich entfernt hatte, erhob sich der Drache mit einem Winseln. Eigentlich hatte ich gar keine Kraft mehr dazu, doch ich schleppte mich ins Wohnzimmer und dort vorsichtig hinter das Sofa. Fabian versuchte mit mir Schritt zu halten, doch es war sein Bruder, der ihn am Arm fasste und zurück hielt.
Es knirschte wie einstürzendes Mauerwerk, als meine Knochen sich verdichteten. Was sich vorher in die Länge und Breite gezogen hatte wie heißes Glas, schmolz nun wieder zusammen wie glühendes Eisen in einer Presse. Es war nicht unangenehm, ich fühlte mich nie schlecht bei einer Verwandlung. Doch dieses Taubheitsgefühl, dass sich nun auf fast all meine Glieder ausgebreitet hatte und die Müdigkeit, die mich schwindeln ließ, machten mir Sorgen...
Mit bebenden Finger zerrte ich eine Decke von der Lehne des Sofas und schlang sie so eng wie möglich um mich. Auf den Knien keuchte ich für einige Sekunden, dann packte ich die Sofalehne und zog mich auf meine zitternden Beine.
Und da stand ich nun. Vollkommen nackt, blutend, bis auf die Knochen erschöpft, in einem ramponierten Wohnzimmer, mit Blick auf die Weasleys und die Zwillinge, die in der demolierten Küche standen, wo Schnee durch ein großes Loch in der Mauer auf das zersplitterte Mobiliar hinab sank.
Ich wollte etwas sagen, doch sofort schnürte es mir die Kehle zu. Es gab nichts, was ich hätte sagen können. Nichts, was ich hätte tun können. 
Es stellte sich heraus, dass ich auch absolut nichts sagen brauchte. Bevor überhaupt irgendjemand von uns sich rühren oder auch nur ein Wort sagen konnte, knallte er mehrmals laut, alle Weasleys, die Zwillinge und ich machten synchron einen gewaltigen Hüpfer, Arthur und Molly hielten sofort ihre Zauberstäbe in den Händen und ich duckte mich, mit einem kleinen Aufschrei, tiefer hinter das Sofa. 
„Arthur!“, tönte es durch das riesige Loch in der Küchenwand, „Was, bei Merlin, ist denn hier passiert? Was ist mit eurer Küche passiert? Wir haben es von unserem Haus ordentlich krachen hören bei euch. Aber Xenophilius und Pandora wollten einfach nicht daheim bleiben. Ihr seht aus wie die Gespenster! Molly, Liebes, setz dich hin. Arthur, tu doch etwas! Jungs, holt einen Stuhl für eure Schwester!“ 
Die Stimme kam mir überhaupt nicht bekannt vor und es kostete mich einige Kraft, über den Rand des Sofas zu lugen um zu sehen, wer hier erneut zum Angriff auf meine bereits reichlich strapazierten Nerven blies.
Ich erblickte eine Frau Mitte vierzig, klein und rund und eindeutig sehr aufgebracht, die gerade über die Trümmer hinweg ins Haus stapfte. Sie war außerordentlich blass, hatte schneeweißes Haar und violette Augen und ich erkannte an ihr die typischen Merkmale von Albinismus. Genauso an dem hageren, hoch gewachsenen Mann an ihrer Seite, dessen Augen jedoch einen deutlich Rotstich aufwiesen. Irgendwie sahen die beiden ein wenig aus wie Mr. und Mrs. Weasley, nur etwas älter und ordentlich gebleicht. 
Neben den beiden standen noch zwei Neuankömmlinge, ein Junge, eindeutig der Sohn der schreienden Frau, denn er war ebenso blass und weißhaarig, groß gewachsen wie sein Vater, hatte jedoch silbrig-graue Augen und ich schätzte ihn auf ungefähr sechzehn. Er wiederum hielt die Hand einer schmalen Person, eines Mädchens, das nur einige Jahre älter sein konnte als ich. Gerade half er ihr über den Schutt hinweg und sie bewegte sich dabei so elfengleich, als wäre jede ihrer Bewegungen aus Seide. Dieses Mädchen hatte strahlend blaue Augen, ein schmales Gesicht mit spitzer Nase und auf ihrem Kopf türmte sich ein Wust aus blonden Locken. 
Alle vier hielten ihre Zauberstäbe in den Händen, selbst der Junge und das Mädchen. Während seine Mutter weiter auf Arthur einschrie und sein Vater in aller Seelenruhe mit den Zauberstab winkte, woraufhin Staub und Gestein sich langsam vom Boden der Küche erhoben und sich wieder zu einer Wand zusammen setzten, ging der Junge auf die Zwillinge zu und sie klopften sich unbeholfen auf die Schultern. Das Mädchen jedoch folgte ihm nicht. 
Während Gideon und Fabian ab und zu verstohlene Blicke zum Sofa warfen und Fabian mehrmals versuchte, sich der Aufmerksamkeit des Jungen zu entziehen, schlich die junge Frau langsam ins Wohnzimmer.
Sofort zog ich den Kopf ein. Meine feinen Ohren teilten mir jedoch mit, dass sie sich auf die Sitzfläche kniete und schon schob sich, vorsichtig, die blonde Lockenpracht über die Lehne. 
„Hi“
„Hi...“, brachte ich schwach hervor.
Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit einem völlig entspannten, verträumten >>Hi<<.
Auch zeigte sich keinerlei Erstaunen im Gesicht des Mädchens, als sie auf meine zusammen gekauerte, fast nackte und blutende Gestalt hinab blickte.
„Du bist ein Drache“, stellte sie mit weicher Stimme fest und streckte dann ihre Hand zu mir hinab, „Ich bin Pandora“
„Roselynn...“, piepste ich und ergriff ihre schmalen, blassen Finger.
„Du bist wunderschön!“, erklärte mir Pandora, verschränkte die Arme auf der Lehne des Sofas, bettete ihr Kinn darauf und starrte mich verzückt aus ihren riesigen, blauen Augen an, „Deine Augen sind toll. Hat dein Blut auch die magischen Fähigkeiten eines Drachen? Weißt du, ich arbeite momentan an einem Trank, dafür bräuchte ich etwas Drachen-Magie. Eine Schuppe würde auch reichen...“, überlegte sie dann und richtete den Blick dabei abwesend in die Ferne, „Weil manche Leute mögen ja keine Nadeln. Ich auf jeden Fall mag keine Nadeln. Sag Mal, ist dir nicht kalt?“
„Doch...“, gab ich zu, „Etwas...“
„Du wurdest von einem Fluch getroffen!“, hob Pandora plötzlich das Gesicht wieder von den Armen und dieses Mal zeigte sich echte Sorge in ihrem Blick.
Hastig zog ich die Decke enger um meine Schultern, doch sie hatte das Fluchmal natürlich schon längst gesehen.
„Es ist nichts“, versuchte ich sie abzuwimmeln, doch Pandora war bereits elfengleich vom Sofa gehüpft, darum herum geeilt und bot mir nun beide Hände an, um mir beim Aufstehen zu helfen. „Komm. Während die anderen beschäftigt sind schau ich mir das Mal an“
„Hast du denn Ahnung davon?“, fragte ich und war erstaunt wie kräftig sie war, als sie mich auf die Beine zog.
„Nein...“, gab sie zu, „Aber ich würde es mir sehr gern einmal ansehen und du könntest wirklich etwas zum Anziehen gebrauchen“, dann wandte sie sich an den Jungen bei den Zwillingen und ein Strahlen ergriff Besitz von ihrem Gesicht, wie ich es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte. Sie schien regelrecht zu leuchten.
„Xen? Darf ich dir Roselynn vorstellen? Sie ist ein Drache!“
Mein Äußeres und die Tatsache, dass ich nur eine Decke trug, schien den Jungen ebenso wenig zu irritieren wie seine Freundin, die mich nun zu ihm heran zog. Er streckte mir eine Hand entgegen.
„Hat Pan mal wieder eine neue Freundin gefunden“, schmunzelte er, während die Zwillinge alarmiert zu mir hinüber starrten, „Sie hat wirklich eine ganz außergewöhnliche Gabe, weißt du. Bist du der einzige menschliche Drache, oder gibt es noch mehr von deiner Art?“
„Ich bin die Einzige...“, brachte ich hervor und warf den Zwillingen einen nervösen Blick zu. „Vielleicht erlaubst du mir dann ja später, die ein paar Fragen zu stellen“, begeisterte er sich, „Du musst wissen, seltene Wesen sind ein Steckenpferd von mir. Vielleicht hast du die Abhandlung von Delarius Quibber über-...“, setzte er an, doch Pandora unterbrach ihn liebevoll.
„Sie sollte sich erst einmal etwas anziehen, Xen“, lächelte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich wieder an mich wandte, „Dein Koffer ist oben? Wunderbar!“
Als sie mich die Treppe nach oben zog, hörte ich noch, wie sich auch der letzte Stuhl in der Küche wieder reparierte und Mrs. Weasleys Ausruf.
„Verlobt? Xenophilius Lovegood, seit ihr dafür nicht etwas jung?“
„Ich würde keine andere wollen als meine Pandora“, antwortete der junge Mann am Fuß der Treppe und Pandora vor mir begann erneut zu leuchten.

69. Kapitel
Intermezzo mit geliebten Menschen
Die Lovegoods wohnten nur einige Hügel weiter und Mrs. Lovegood hatte bei ihren Vorbereitungen für Heiligabend aus dem Wohnzimmerfenster die Auroren gesehen, die zu diesem Zeitpunkt die Küche des Fuchsbaus in die Luft gesprengt hatten. Sie war sofort zu Mr. Lovegood geeilt, um mit ihm den Weasleys zu Hilfe zu eilen. Die Tatsache, dass dabei jedoch auch ihr Sohn und seine junge Verlobte von der drohenden Gefahr erfahren hatten und sie unbedingt begleiten wollten, hatte die Rettungsaktion leider verzögert, da Mr. und vor allem Mrs. Lovegood strikt dagegen waren, Xenophilius und Pandora jedoch nicht klein bei geben wollten. Schließlich waren sie doch mitgekommen. 
Während sie mir mit einem feuchten Waschlappen das Blut vom Rücken und den Schultern wusch, erklärte mir Pandora, dass sie früher einmal gar nicht Pandora geheißen hatte. Doch als sie noch ein kleines Kind gewesen war, hatte ihr Vater, der im Ministerium gearbeitet hatte, eine seltsame Schatulle mit nach Hause gebracht, um sie näher zu untersuchen. Pandora war neugierig gewesen und hatte sie geöffnet. Was auch immer der Schatulle entflohen war, hatte sowohl ihrer Mutter als auch ihrem Vater das Leben genommen. Seitdem sah sie alle Dinge so, wie sie wirklich waren. 
„Es ist teilweise ziemlich schrecklich, ja...“, gab sie in ihrer weichen Singsang-Stimme zu, „Menschen sehen teilweise überhaupt nicht mehr aus wie Menschen“
„Wie meinst du das?“, fragte ich vorsichtig.
„Manche Menschen sehen aus wie-... die Monster aus deinen Albträumen. Andere sind viel schöner, fast wie Engel. Es ist natürlich praktisch bei Animagi und in Hogwarts habe ich einen siebten Sinn für Geheimtüren entwickelt“ 
„Du bist in Hogwarts?“, platzte ich heraus und drehte mich entsetzt zu ihr um.
„Ich habe dich vorher schon gesehen“, lächelte Pandora, „Deine Präsenz ist sehr groß und ich habe zugesehen, wie du über die letzten Monate gewachsen bist. Aber du solltest dich besser um dich kümmern, du siehst furchtbar aus“
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, also drehte ich mich wieder um und biss die Zähne zusammen, während Pandora mir vorsichtig einige Holzsplitter aus der Schulter zupfte. „Ich habe mir schon gedacht, dass du es keinem erzählst. Das wäre ja sonst in aller Munde gewesen. Aber ich glaube, du machst dir zu viele Sorgen. Als Xen mir kurz vor den Ferien einen Antrag gemacht hat, haben auch einige ganz komisch reagiert, aber er wollte nunmal, dass ich weiß, dass ich eine Familie habe und nicht allein bin. Also ist es mir einfach egal. Und einige haben sich auch richtig mit uns gefreut! Er ist so toll...“
„In welchen Häusern seid ihr?“, fragte ich, da ich mich weder an Xenophilius noch an Pandoras Gesicht aus dem Gemeinschaftsraum erinnerte.
„Ich bin in Gryffindor und in meinem vierten Jahr. Xen ist im Sechsten und ein Ravenclaw. Aber wir finden beide, dass das Haus-System überholt ist“
Es war erstaunlich, wie Pandora einfach eine Weisheit nach der anderen ausspuckte, fast wie der Brunnen des Wissens, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen. Außerdem roch sie nach Schafwolle, Salbei, Glockenblumen und ein wenig nach Schwarzpulver.
Nachdenklich kaute ich auf meiner Unterlippe.
„Du machst dir schon wieder Sorgen“, singsangte Pandora, „Mr. und Mrs. Weasley sind nicht wir andere Zauberer. Und Gideon und Fabian sind nett. Xen lädt mich seit dem ersten Schuljahr immer wieder zu sich ein, ich kenne die beiden, seit sie laufen können. Sie sind sehr erwachsen für ihr Alter und haben keine Vorbehalte“
Wenn jemand das sagte, der eine solche Gabe besaß, dann musste es wohl stimmen.
„Haben sie dich jemals nach mir gefragt?“, hakte ich vorsichtig nach.
„Sie haben mir einmal gesagt, ich soll es ihnen bitte nicht verraten. Du würdest es ihnen schon 
sagen, wenn du so weit wärst“ 
Ich war viel zu müde, um ihre Fragen nicht zu beantworten. Und nach allem, was sie gesehen hatte und was sie wusste, hatte es ohnehin keinen Sinn.
Ich war nun einmal Roselynn May.
Roselynn - die Hexe. 
May - der Drache.
Ich war auch zu müde, um Pandora und Xenophilius fort zu schicken. Und vielleicht nicht nur das.
Nachdem Pandora mir etwas zum anziehen heraus gelegt hatte und mich dann freudestrahlend wieder hinab in die Küche begleitet hatte, entstand eine wilde Diskussion über fehlende Mäntel und die Winterkälte, die beide erwarten würde, wenn sie später zu Fuß Heim kehren würden. Und Xenophilius einzige Antwort war, sein Hemd aufzuknöpfen und es Pandora liebevoll über die Schultern zu legen.
„Du bist ein Schelm“, schimpfte seine Mutter mit ihn und gab ihm einen Klaps gegen die Schulter, „Und jetzt zieh dein Hemd wieder an. Ach, Molly, sag deinen Eltern doch bitte, dass sie im neuen Jahr gerne zum Tee vorbei kommen sollen. Vielleicht, wenn die Kinder wieder weg ist, dann ist es im Haus etwas ordentlicher“
Mr. Weasley kochte den Tee und Molly hielt ihre beiden Söhne eng an sich gepresst, wandte sich jedoch mit einem schwachen Lächeln an mich, als Fabian mir einen Stuhl unter dem reparierten Tisch hervor zog.
Und ich beantwortete alle Fragen für sie.
Unter welchen Umständen ich und meine Brüder geboren worden waren. Wann ich mich das erste Mal verwandelt hatte. Dass sie meinen Vater fort geschickt und meine Mutter getötet hatten. Dass sie versucht hatten mich zu töten und allein die Tatsache, dass ich eine Hexe war, sie davon abgehalten hatte. Dass Dr. Imre und Kristóf alles für mich aufs Spiel gesetzt hatten.
„Er hat nur das Denkarium genommen“, endete ich, während meine Hände weiterhin die Tasse mit dem mittlerweile kalten Tee umklammerten.
„Er meinte, jemand anderes käme, um den Anzug abzuholen“, nickte Mr. Weasley nachdenklich, „Hätte ich geahnt, dass etwas nicht stimmt-...“
„Er ist kein Todesser!“, begehrte ich auf, doch sofort wurde mir schwindelig und ich sackte wieder in mich zusammen.
Alle am Tisch sahen mich aus traurigen Augen an.
„Roselynn, Süße, manchmal irrt man sich in Menschen“, seufzte Pandora und löste eine meiner Hände von der Tasse.
„Nicht er...“, flüsterte ich, „Du kennst ihn nicht. Niemand kennt ihn so, wie ich ihn kenne. Er hat alles getan, damit ich leben darf“
Darauf sagte niemand mehr etwas.
„Na gut“, war es Mrs. Weasley, die das Ganze auflöste.
Sie übergab Bill an Gideon und Charles, zu meiner großen Überraschung, an mich und stand auf. „Pandora, Xenophilius, wenn ihr zum Essen bleiben möchtet, vielleicht wärt ihr dann so nett mir zu helfen? Ich glaube, wir sollten Roselynn noch ein wenig Ruhe gönnen“
„Sehr gern!“, sprang Pandora auf und auch Xenophilius erhob sich.
Er sprach nicht viel, doch jede seiner Bewegungen... er war wie eine Kompassnadel und Pandora war sein Norden. Er richtete sich immer nach ihr aus, seine Blicke, sein Lächeln.
Pandora hatte eine angsteinflößende Gabe. Doch er liebte sie mehr als alles andere auf der Welt. Mit einem Seufzer vergrub ich mein Gesicht an Charles winziger Schulter und der Kleine fasste jauchzend meine Haare.
„So ist er nicht...“, flüsterte ich noch einmal.
Nicht dieser Mann.
Nicht dieser Mann, der ein kleines Mädchen, das plötzlich im Gehege der Vipern stand, mit seinem Körper beschützt hatte, um sie vor den Drachen zu retten. Nicht dieser Mann, der mir das Sprechen beigebracht hatte, mich geduldig jeden Laut gelehrt und mich für jedes neue Wort mit einem strahlenden Lächeln belohnt hatte. Nicht dieser Mann, der mir geholfen hatte zu sortieren, was durcheinander geraten war, sodass mich die Balgereien mit meinen Brüdern bald nicht mehr verletzten und ich mich als Mensch frei bewegen konnte. Nicht dieser Mann, der sich den Ministeriumszauberern wieder und immer wieder in den Weg gestellt hatte. Nicht dieser Mann, den sie zu fünft hatten verfluchen müssen, damit sie an meine Mutter heran kamen. Der daraufhin wochenlang hinkend und voller Schmerzen das Reservat durchstreift hatte, unglücklich und verletzt, doch immer mit einem munteren Wort, wenn er merkte, dass ich ihn beobachtete. Nicht dieser Mann, der daraufhin beschloss, Vater und Mutter für mich zu sein, mich das Lesen und Schreiben und Rechnen lehrte. Der mir zeigte, wie ich mir die Schuhe band und der mich badete, wenn ich voller Schlamm in meine Hütte zurück kehrte. Der mir an Weihnachten jedes Jahr aufs Neue eine Tanne aufstellte, die immer wieder in Brand geriet, und zu Ostern für mich Schokoladen-Eier versteckte, die mehr als nur einmal versehentlich schmolzen. Nicht dieser Mann, der hatte wissen wollen, wie ich die Welt sah und Nacht um Nacht mit mir die Sterne beobachtet hatte. Nicht dieser Mann, der mir meine Rosen geschenkt hatte, damit mein Gehege weniger nach einem Gefängnis aussah. Nicht dieser Mann, der an meiner Seite gewacht hatte, wenn meine Albträume mich nicht schlafen ließen.
Nicht dieser Mann, der mich kis sárkány nannte.
Nicht Daniel Imre... 
Die beiden folgenden Tage waren seltsam. Seltsam, weil sie völlig normal abliefen.
Weder Mr. noch Mrs. Weasley noch die Zwillinge behandelten mich irgendwie anders als zuvor. Ich half Mrs. Weasley in der Küche und fütterte morgens mit den Zwillingen die Hühner. Zu dritt spielten wir Quidditch über dem Gemüsegarten, und natürlich stach ich die beiden mit meinem Rennbesen immer wieder aus. Abends dann saßen alle zusammen im Wohnzimmer und ich las in meinem Verwandlungsbuch und brütete über dem Zettel, den ich darin gefunden hatte.
Es war die Nacht vor Weihnachten, in der Mrs. Weasley mich fragte, ob ich nicht Lust hätte Charles Patentante zu werden.
Da wusste ich, dass ich etwas tun musste.
Noch am Morgen hatte ich sie dabei ertappt, wie sie das übrige Geld nach den Einkäufen fürs Weihnachtsessen gezählt hatte. Und ich wusste, dass sie sich den Braten nicht hatte leisten können. Und dass sie nervös war, denn es war das erste Weihnachtsessen, dass sie ausrichtete und nicht ihre Mutter.
Und mit all dem im Hinterkopf war es leicht, die Geister von Drache und Hexe friedlich beisammen zu halten. Ich öffnete das Fenster und flog hinaus in die Nacht. 
Erst der nächste Morgen und die Gesichter, die sich mir aus dem Küchenfenster und der Hintertür entgegen reckten, die voller Schrecken und Sorge und Staunen und auch Belustigung waren, zeigten mir, dass ich es mit dem Hirsch vielleicht etwas übertrieben hatte.
Doch ich wollte etwas zurück geben für all das, was diese Menschen in so wenigen Tagen für mich getan hatten. 
Ich hatte Dr. Imre nicht oft genug gesagt, wie sehr ich ihn liebte. 
Doch es wurde ein großartiges Weihnachten. 

70. Kapitel
Frohe Weihnachten
Mrs. Weasley stopfte mich erst einmal in die Badewanne.
Um bei der Jagd meine ganze Beweglichkeit zu behalten, hatte ich mir nur ein kleines Kleiderbündel geschnürt und im Maul mit mir herum getragen, bis meine Jagd erfolgreich gewesen war. Ohne meine Fangzähne konnte ich damit ja ohnehin nichts ausrichten. Allerdings war ich dadurch ziemlich blau gefroren, was einen starken Kontrast zu dem leuchtenden Rot setzte, das sich überall auf mir verteilt zu haben schien. Der Drache May hatte eindeutig Spaß gehabt.
Immer noch schimpfend verschwand Molly mit ihren Söhnen in die Küche, während ich Mr. Weasley beschrieb, wie er den Hirsch auszuweiden hatte. Als Drache war es mir natürlich egal, ob mein Fleisch ordentlich zerlegt war, als Mensch jedoch war das eine andere Sache und so hatte Dr. Imre mir ganz genau gezeigt, was ich zu tun hatte. Allerdings erkannte ich an den entsetzten Blicken der Zwillinge, dass es jetzt vielleicht keine so gute Idee gewesen wäre, selbst ein Messer zur Hand zu nehmen. Und Mr. Weasley schaffte das alles sowieso sehr viel schneller, da er ja zaubern durfte.
„Eigentlich wollte ich mich ja bei dir beschweren“, meldete Gideon an, der immer noch ein wenig blass um die Nase war, „Dass uns Molly nicht an die Geschenke gelassen hat, bis du zurück bist. Aber nach dem, was ich gerade gesehen habe-…“
„Du hättest nicht zuschauen müssen“, wedelte ich mit meinem Löffel vor seiner Nase herum, von dem ich gerade genüsslich die letzten Reste Porridge geleckt hatte, „Besonders hilfreich ward ihr beiden ja ohnehin nicht“, warf ich auch seinem Bruder einen strengen Blick zu.
Molly hatte beschlossen, dass wir die Geschenke auf nach dem Frühstück verschieben sollten. Ihrer Meinung nach war ich immer noch viel zu dünn und deshalb hatte ich auch eine extra Schüssel Porridge zu meinem englischen Frühstück serviert bekommen, großzügig bekleckert mit Brombeermarmelade und gehackten Nüssen aus Mrs. Weasleys Garten.
„Ich weiß schon, warum ich lieber hierbei bleibe“, stöhne Fabian, der sogar noch um ein paar Nuancen blasser war und pikte eine karamellisierte Tomate mit seiner Gabel auf, „Entschuldige meinen exorbitanten Mangel an Wissen über die Zerlegung von Beutetieren, aber die Tomate gehört meines Wissens auch nicht in die Kategorie des Fluchtgemüses“
Ich war als Erste mit Essen fertig un nutzte die Gelegenheit, um schnell noch meine Geschenke aus meinem Zimmer zu holen und unter dem Weihnachtsbaum zu platzieren.
Es war wirklich eine schöne Tanne und es hatte große Spaß gemacht zuzusehen, wie Mr. Weasley und Bill zusammen die roten und goldenen Kugeln aufgehängt hatten, auch wenn dabei ein paar von ihnen zu Bruch gegangen waren. In einem Zaubererhaushalt natürlich kein Problem.
Bill hatte trotzdem geweint, doch Gideon hatte ihn sofort unter den Armen gepackt, ihn über seinen Kopf gehoben und sich dabei mit ihm im Kreis gedreht. Sofort war aus dem Weinen ein jauchzendes Lachen geworden, das in ein Quietschen wechselte, als Gideon sich aufs Sofa fallen ließ und Bill auf seinem Bauch landete.
Ich hatte mit Charlie in den Armen lachend auf dem Hocker gesessen, in dessen Sessel Mrs. Weasley gerade ein wenig ausruhte. Trotz der lauten Stimmen hatte sie geschlafen wie ein Stein, denn im Haus herrschte Frieden.
„Eigentlich müsste ich ja sauer auf dich sein“, war da plötzlich Fabian hinter mir gewesen und befreite zum dutzendsten Mal an diesem Tag eine meiner Haarsträhnen aus Charlies kleinen Fingern.
Sofort hatte ich ihn erschrocken angesehen, doch er hatte nur gelacht.
„Schau nicht so, als wäre grade jemand gestorben. Ich meinte nur, weil eigentlich ich dran gewesen wäre mit Patenonkel sein“, hatte er gekichert
„Bist du wirklich nicht sauer deshalb?“, hatte ich nachgesetzt, doch er hatte nur die Augen verdreht.
„Was genau soll ich diesem Knirps denn cooleres Wünschen, als einen echten Drachen als Patentante?“
Jetzt sprangen die Zwillinge vom Frühstückstisch auf mich zu, rannten mich fast über den Haufen wie zwei Junge Hunde und tanzten dann um mich herum, als wäre ich ein Maibaum.
„Geschenke! Geschenke!“, jubilierte Fabian beim auf und ab Hüpfen.
„Los jetzt, Rose, welches ist für mich?“, studierte Gideon über meine Schulter die Pakete in meinen Armen.
„Jungs!“, tadelte Mr. Weasley, der gerade mit einem Schlenker seines Zauberstabs den Tisch abräume, „Benehmt euch!“
„Hier“, lachte ich und drückte Gideon ein großes, rappelndes Packet in die Arme.
Er stieß einen laut der Freude aus, rannte dann zum Baum und kehrte sofort mit einem etwas schlampig eingepackten Geschenk zurück, nur um festzustellen, dass in meinen Armen gar kein Platz dafür war.
„Leg es Roselynn doch aufs Sofa“, schlug Mrs. Weasley milde vor, während Mr. Weasley es ihr gerade in ihrem Sessel bequem machte.
Sie gab ihm einen tiefen, liebevollen Kuss, was mir ein gerührtes Lächeln entlockte, sowie zweistimmige Laute des Ekels von Gideon und Fabian.
Ich überreichte auch Fabian sein Päckchen und reichte die vier Letzten dann an Mr. und Mrs. Weasley, Bill und nochmal an Mr. Weasley weiter, da Charlie sein Geschenk partout nicht festhalten wollte.
Und schließlich, als ich keine Geschenke mehr zu verteilen hatte, wandte ich mich selbst dem Weihnachtsbaum zu.
Da ich mich all die Jahre geweigert hatte Weihnachtsgeschenke anzunehmen, war das, was mich erwartete ein Schock. Noch während Gideon sich lautstark über sein Geschenk freute und sich quer durch den Raum bei mir bedankte, es war ein nagelneuer, lederner Rucksack, mit einem großen >>G<< darauf geprägt, Gideon und Fabian verwechselten nämlich nur allzu gern ihre Rucksäcke und tauchten dann mit den falschen Hausaufgaben und Büchern bei ihren Klassen auf, musste mir Mrs. Weasley versichern, dass wirklich all diese Geschenke für mich waren. Auch Fabian ließ mehrmals ein lautstarkes Danke hören, sein Rucksack war zusätzlich auch noch aus braunem Leder und nicht aus schwarzem, und Mr. Weasley geriet in helle Begeisterung, als er den Bausatz für ein echtes Modellflugzeug aus seinem Geschenkpapier auswickelte. 
Mrs. Weasley musste wieder mit mir schimpfen, doch ich sah die Tränen in ihren Augen, als sie die Premium-Schallplatte der berühmten Hexe Celestina Warbeck auspackte, Gideon und Fabian hatten mir beide verraten, dass sie ein großer Fan der Sängerin war.
Bill hatte mittlerweile ebenfalls das Papier von seinem Geschenk ab gerissen und darin eine sehr flauschigen Plüsch-Eule gefunden, die er nun so sehr herzte, dass ich wieder einmal ein leises Dankgebet an den Erfinder des Reparo-Zaubers sandte.
Schließlich packte Mr. Weasley noch Charlies Geschenk aus und offenbarte ein filigranes Mobile aus kleinen, fliegenden Besen, einem goldenen Schnatz, einem Quaffel und zwei Klatschern, eben allem, was man bei einem Quidditch-Spiel so fand.
„Das ist wirklich außergewöhnlich hübsch“, lächelte Mrs. Weasley und befestigte das Mobile mit einem sanften Schwund ihres Zauberstabes über Charlies Wiege in der Küche.
Während sich die Zwillinge daraufhin freudig durch die Geschenke ihrer Verwandte gruben und Mr. Weasley seiner Frau erst einmal einen Tee kochte, war es nun an mir, mein erstes Geschenk auszupacken.
Ich griff nach Gideons Päckchen, da es praktischerweise direkt neben mir lag.
„Das ist von uns beiden!“, schaffte der es noch mir zu zu rufen, bevor er herzhaft in einen Schoko-Frosch biss und sich sein nächstes Geschenk vornahm.
Heraus kam ein kleiner, glänzender Lack-Koffer, auf den in goldenen Lettern drei Worte geprägt waren.
Besen-Pflege-Set.
„Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“, lachte ich und öffnete den Koffer, um seinen Inhalt zu untersuchen.
„Kann schon sein“, zuckte Fabian nur mit den Schultern und angelte sich noch eine Bohne aus seiner Packung Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen, um dann angeekelt das Gesicht zu verziehen.
Und obwohl ich wusste, dass ich mir viel Mühe gegeben hatte, die Geschenke für meine Freunde auszusuchen, war ich doch fast schon entsetzt, wie viel Mühe sie selbst sich gegeben hatten. Und das nach all den Wochen des Schweigens zwischen uns.
Sue schenkte mir einen kleinen, roten Kaste, der genau die zwölf Grundtöne an Aquarell-Farben enthielt, dass ich alle anderen Farben zusammen mischen konnte.
Roux schickte mir seine besten Grüße und eine kleine Sammlung an Reclam Heften von Shakespeares besten Werken.
Marlene hatte natürlich ein Buch für mich ausgesucht und ich musste lachen, als ich feststellte, dass es genau jedes Buch über Verwandlung war, dass ich mir grade vor den Ferien ausgeliehen hatte.
Lily schenkte mir ein tolles Set aus einem Rabenfederkiel und einem kleinen Fässchen voll Tinte, die die Farbe wechselte.
Alan schoss den Vogel gänzlich ab, denn in dem kleinen Kästchen, das er mir schenkte, erwartete mich ein Paar gold-verzierter Rubinohrringe. Die Karte dazu war eigentlich noch das Beste, denn sein Vater hatte ihm geholfen, das Geschenk für mich auszusuchen und der war sich ganz sicher gewesen, dass eine junge Dame mit Klasse, so wie ich offenbar eine war, solche Ohrringe gern zu feierlichen Anlässen wie der Slug-Party tragen würde. Angehängt war ein Gutschein für eine auf Knien vorgetragene Entschuldigung, einzulösen das nächste Mal, wenn ich ihn sah.
Hagrid sandte mir allerbeste Weihnachtsgrüße und ein ganzes Blech seiner neues Kreation aus Felsenkeksen. Fabian stibitzte sich einen, als ich nicht hinsah, und biss sich fast einen Zahn daran aus, während dich glückselig an meinem Keks mümmelte.
Felix, Annabell, Emily und Elster hatten mir Karten geschickt, genauso wie Pandora und Xenophilius, deren Karte eindeutig selbst gebastelt, besonders bunt und mit einem Drachen verziert war, dessen Schuppen aus Glitter bestanden, und James und Sirius, der sogar noch ein kleines Geschenk angehängt hatte, einen kleinen Plüsch-Knuddelmuff mit einem Schild daran gepinnt: >>Danke fürs Suchen helfen<<
Eine Karte von Remus jedoch war nicht dabei. Genauso wenig von Elias. Beides versuchte ich so schnell wie möglich mit der Freude über die beiden verbliebenen Geschenke zu vergessen, was ganz hervorragend klappte, als ich plötzlich einen rotbraunen Pullover in Händen hielt, mit einem Kunstvoll eingestrickten >>R<< an der Vorderseite.
„Es ist nur eine Kleinigkeit-…“, wollte Mrs. Weasley dazwischen werfen, dann sah sie, dass ich bereits zu weinen begonnen hatte.
Das allgemeine Geschenke auspacken musste unterbrochen werden, denn ich löste eine wahre Hexenflut aus. Nichts schien mich beruhigen zu wollen, während ich den Pullover an meine Brust presste.
Schließlich ließen sich Gideon und Fabian zu meiner Linken und Rechten nieder, beide in ihren smaragdgrünen Pullovern, jeweils mit einem >>G<< und einem >>F<< versehen, und überredeten mich nach einer gefühlten halben Stunde zu einem warmen Kakao.
Somit öffnete ich das letzte Päckchen erst um einiges später.
Es kam aus dem Reservat und enthielt Karten von allen Wärtern und noch mehr Fotos. Wie mir jedoch auffiel war auf keinem davon Schnee zu sehen. Dr. Imre musste aufgehört haben welche zu machen, bevor es angefangen hatte zu schneien. 
Wie lange war er wohl schon fort? Die Weihnachtskarte von Kristóf enthielt keine Hinweise, so auch keine der anderen Karten. Er versprach mir zwar eine Erklärung und ich verstand, dass er mir Weihnachten nicht hatte verderben wollen, er konnte ja nicht ahnen, dass das Ministerium mich noch viel früher über die Zustände im Reservat informieren würde, doch seine Verschwiegenheit machte mir fast noch mehr Sorgen.
Der Ministeriums-Zauberer hatte behauptet, Dr. Imre hätte diesem verrückten Zauberer, vor dem sich alle so fürchteten, zwei Drachen zugespielt. Doch das konnte und wollte ich nicht glauben. Dr. Imre liebte die Drachen zu sehr, um sie an irgend einen Unhold zu verscherbeln wie Tand von der Straße.
Trotzdem enthielt das Päckchen keine Karte von ihm. Und auch kein Geschenk. Ich blätterte auch jede Seite des Buches um, das Kristóf mir geschenkt hatte, ein Lehrbuch über Drachen. Ich suchte nach einem Zettel, einer Notiz-… doch nichts.
Dr. Imre war fort.
Ein lautes Knallen ließ mich zusammen fahren. Dann öffnete sich die Hintertür und ein großer Mann mit leicht ergrautem Feuerhaar streckte seinen Kopf hindurch, begleitet von einer kleinen Schneewehe.
„Frohe Weihnachten!“, rief er aus und sofort waren Gideon und Fabian auf den Beinen.
Ich stellte mich brav Mr. und Mrs. Prewett vor, die beide lächelten, als sie mich in Pyjama-Hose und einem selbst gestrickten Pulli ihrer Tochter vor sich stehen sahen. Die Person, die hinter ihnen das Haus betrat und mit einem ärgerlichen Knurren die Tür hinter sich zuschlug, machte mir vom ersten Moment an Angst.
„Hättet ihr nicht Mal besseres Wetter bestellen können?“, fauchte sie in den Raum und schüttelte sich den Schnee vom Umhang, „Verflucht kalt da draußen! Und was habt ihr eigentlich auf eurem Hof angerichtet? Sieht ja aus wie ein Schlachtfeld!“
„Der Jäger hat den Wildbraten heute ganz frisch gebracht“, lächelte Mrs. Weasley verhalten und legte ihr Strickzeug bei Seite.
„Na, ich hoffe, er hat nicht mit Schrot geschossen, sowas hasse ich!“, brummte die Hexe und drückte Mr. Weasley ohne jedes Hallo ihren Umhang in die Hand.
Mr. und Mrs. Weasley warfen mir einen verstohlenen Blick zu, lächelten jedoch weiter.
„ich glaube, darüber brauchst du dir keine Sorgen machen“, entgegnete Mrs. Weasley und erhob sich zu einer Begrüßung aus ihrem Sessel.
Aus irgend einem Grund war ich jedoch die Einzige die verblüfft schien, als sich die Hexe stattdessen an ihr vorbei schob und sich selbst in den Sessel fallen ließ.
„Wo bleiben eure Manieren, Jung?“, schalt sie die Zwillinge und ich hatte fast das Gefühl, dass beide sich in diesem Moment gern hinter meinem Rücken versteckt hätten, „Wo bleibt das Weihnachts-Hallo für eure Tante?“
„Hallo, Tante Muriel“, antworteten die beiden wie aus einem Mund, doch es klang nicht halb so fröhlich, wie es wahrscheinlich gesollt hätte.
Ich wurde zum Glück geflissentlich ignoriert, doch Fabian beugte sich verschwörerisch zu mir hinüber, während Mr. Weasley nun auch seinen Schwiegereltern die Umhänge abnahm und Mrs. Weasley Charlie aus Tante Muriels Reichweite in seine Wiege in der Küche rettete.
„Könntest du nicht nochmal die Küche zerlegen?“
„Das war ich garnicht!“, schnappte ich leise.
71. Kapitel
Die Wunden ihrer Zeit
„Sue! Sue, wir sind hier drüben!“
Voller Begeisterung hüpfte ich auf meinem Sitz auf und ab. Fabian streckte schnell einen Arm aus und Gideon lachte, als meine glatten Stiefelsohlen vom Polster rutschten und ich fast in den Fußraum zwischen den Sitzen polterte.
„Langsam!“, kicherte er und stellte mich wieder sicher auf meine eigenen Füße, und rückte mir kurz die Brille zu Recht, „Charlie will seine Patentante im Sommer sicher wiedersehen“
Ich konnte ihm garnicht antworten, gab ihm nur einen kurzen Klaps und flitzte dann aus dem Abteil, hinaus auf den Bahnsteig, wo mir Sue in die Arme fiel.
Da waren sie wieder alle, meine Freunde, mit verschneiten Mänteln und Mützen, roten Wangen und kalten Nasen. Felix und Emily und Annabell, Frank und Marlene und Lily, auch wenn sie natürlich nur kurz Hallo sagte, weil Severus schon auf sie wartete. Alan ging sofort auf die Knie und holte zu einer ausufernden Entschuldigungsrede an, doch Gideon bewarf ihn aus dem Fenster unseres Abteils mit einer Schokofrosch-Verpackung und erklärte ihm, dass man sie nie für Juwelen bei einer Dame entschuldigen sollte. Ich wusste, dass er diesen Satz aus einem Buch geklaut hatte und kicherte, doch Alan kratzte sich nur verlegen hinterm Ohr und stand dann endlich auf, um mich zu umarmen und mir ein frohes neues Jahr zu wünschen.
„Schöner Pullover, Roselynn“, lächelte Monsieur Malkins und wuchtete den Koffer seiner Tochter in den Gepäckwagen.
„Danke ihnen!“, strahlte ich, dann landete eine Hand auf meinem Kopf und zerwühlte mir das Haar.
„Hey Schatz!“, rief eine mir wohl bekannte Stimme, „Weihnachten hat dir ja echt gut getan! Hübscher Pulli“
Ich zuckte ein wenig zusammen. Die Fluch-Narbe war immer noch nicht verheilt und brannte, wenn ich mich zu schnell bewegte.
„Danke“, wiederholte ich und wandte mich um.
Dann verblasste mein Lächeln.
„Sirius…“
„Is nich so schlimm“, winkte der Dunkelhaarige gelassen ab, „Weißt du, machmal bin auch ich schusselig“
„Alter!“, rief Frank aus und schob mich ein Stück bei Seite, „Schusselig? Junge, hast du dich mit nem Erumpent angelegt?“
„Es war eine Seeschlange, aber nett, dass du fragst“, antwortete Sirius gönnerhaft.
Sue zog nur beide Augenbrauen hoch, wandte sich dann jedoch wieder ihren Eltern zu um sich zu verabschieden.
Vorsichtig schob ich mich wieder näher an Sirius heran.
„Vielleicht war es auch ein Knuddelmuff?“, fragte ich vorsichtig und strich eine dunkle Locke bei Seite, um die Flecken aus langsam abklingenden blau und violett besser zu begutachten, die Sirius Schläfe und linke Wange zierten.
„Sei nich albern, Schatz“, antwortete er leise, doch sein Lächeln hatte seine Tiefe verloren.
Stattdessen erkannte ich eine zitternde Wärme in seinem Blick, ein Flämmchen im kalten Wind. 
Ich griff nach seiner Hand und drückte seine Finger.
„Danke für deine Karte. Ich hab mich sehr gefreut“, wechselte ich das Thema.
„Ich mich auch über deine“, war das Grinsen genauso schnell wieder zurück, wie es verschwunden war, „Du hättest Mal Regulus sehen sollen, er liebt deine Zeichnung von dem chinesischen Feuerball, die du mir geschenkt hast. Ich musste sie mit meinem Leben verteidigen!“, warf er sich in die Brust, ließ meine Hand dabei jedoch nicht los.
Auf den ganzen Gleis konnte ich weder seine Eltern noch seinen Bruder ausmachen.
„Ich zeichne ihm einen“, erwiderte ich mit einem Schmunzeln, „Im Sommer, wenn ich sie wieder alle vor der Nase habe“
Da hob ich die Nase ein wenig und dieses Mal war es mein Lächeln, das bitter wurde.
„Da wartet jemand auf dich“, sagte sich leise.
„Du wolltest mit ihm reden“, erinnerte Sirius mich, „Nach Weihnachten hast du gesagt. Das war letztes Jahr!“
Ich boxte ihm gegen den Arm, wenn auch nur ganz leicht.
„Tu nich so! Letztes Jahr war vor drei Tagen!“, rief ich aus.
„Drei Tage zu viel?“, fragte er und grinste endlich wieder sein ach so charmantes Lächeln.
Ich jedoch zögerte.
„In Hogwarts“, antwortete ich dann, „Nicht hier. Er ist aufgeregt und wird nicht her kommen, solange ich bei dir stehe. Und James ist auch grade angekommen“
„Wie machst du das bloß?“, lächelte er, dann erst entzog er mir langsam seine Hand, „Na gut. Wir sehn uns, Rose“

Während der Fahrt erzählte ich den anderen begeistert von der Taufe meines Patenkindes. Ich musste Frank schwören, dass ich Fabian nicht gedroht hatte ihn zu ermorden, um Patentante des kleine Charlie zu werden., obwohl er doch an der Reihe gewesen wäre. Gideon berichtete ohne rot zu werden von dem Unfall in der Küche, bei dem ich praktisch Charlies Leben gerettet hatte und wie unzertrennlich der Kleine und ich waren. Ich versicherte Sue auch drei Mal, dass ich eines meiner schönsten Kleider der Slug-Partys zu dem feierlichen Anlass getragen hatte und, da ich ja eine junge Dame mit Klasse war, auch die Rubinohrringe, was Alan zum Strahlen brachte.
„Sag Mal“, ergriff da Frank das Wort, der seine Beine über Marlenes verlassenen Platz ausgestreckt hatte - sie war losgezogen um Elias zu suchen und ihm ein frohes neues Jahr zu wünschen, „Was bist du eigentlich nicht bei deinen Leuten aus deinem Haus?“
Alan wurde plötzlich ein wenig blass um die Nase und spürte auch, wie seine Haltung sich versteifte.
„Tad wird von seinen Eltern direkt nach Hogwarts gebracht“, antwortete er trocken, „Sie finden, der Hogwartsexpress ist nicht sicher genug. Und Sophies Eltern haben sie von Hogwarts abgemeldet“
„Von Hogwarts abgemeldet?“, riefen Sue und ich wie aus einem Mund.
„Das ist doch idiotisch!“, begehrte Gideon auf.
„Hogwarts ist der sicherste Ort der Welt!“, setzte Fabian nach.
„Und das alles wegen so einem verrückten Zauberer?“, fragte Felix.
Eine Pause entstand.
„Habt ihr's nich gehört?“, fragte Frank.
„Was gehört?“, hakte ich nach.
„Vorher hieß es ja immer, dass schlimme Dinge passieren“, murmelte Frank und legte seinen Kesselkuchen bei Seite, „Aber dieser Weihnachten hab selbst ich was mitbekommen. Meine Mum hat nicht gemerkt, dass ich in die Küche kam und hat das Radio nicht schnell genug aus gemacht. Leute verschwinden, sagen sie. Es soll sogar Tote geben“
„Stimmt…“, murmelte da Fabian und warf dann seinem Bruder einen langen Blick zu, „Molly hört doch sonst immer Radio“
Und mir fiel auf, dass ich die ganzen Ferien kein Exemplar des Tagespropheten zu Gesicht bekommen hatte, außer morgens, wenn die Posteule kam. Mr. Weasley hatte die Zeitung immer eilig an sich genommen, doch ich hatte mir nichts dabei gedacht. Als Mitarbeiter des Ministeriums musste er eben auf dem neuesten Stand sein.
Ruckartig hob ich den Kopf und warf Emily, Annabell und Felix einen Blick zu.
„Wo ist Elster?“
„Ich dachte, sie wäre bei ihren Freunden aus Ravenclaw“, antwortete Annabell, doch auch sie setzte sich etwas gerader auf.
Und ich hatte das Gefühl, dass der ganze Zug ein wenig den Atem anhielt. Auf dem gang draußen waren noch mehr Schritte zu hören als sonst und das fröhliche Summen und Vibrieren, das eingesetzt hatte, als der Hogwartsexpress Kings Cross verließ war einem unterschwellig besorgten Brummen gewichen, wie ein Bienenschwarm, der sich noch unsicher war, ob er angreifen sollte.
„Die hat doch bestimmt nur den Zug verpasst“, versuchte Felix die Stimmung aufzuhellen.
„Oder sie hatte keine Lust mehr auf Professor Binns ewige Aufsätze über die Kobold-Aufstände“, scherzte Emily.
„Die hab ich auch nicht vermisst“, gab Alan zu.
Da öffnete sich die Abteiltür und Marlene streckte hastig den Kopf in unser Abteil. Dann wurde ihr Blick trübe und Frank zog eilig seine Beine von ihrem Sitz, als sie sich in die Polster fallen ließ. Die Tür knallte wieder zu.
„Er ist nicht hier“, nuschelte sie und hob erst nach einigen Sekunden den Kopf, „Elias. Ich kann ihn nicht finden“

So sehr wir uns auch bemühten, die gute Laune war dahin. Lustlos kaute ich auf einem Schoko-Frosch herum und ging im Geiste die Gerüche durch, die ich am Morgen am Bahnhof aufgeschnappt hatte. Remus und James waren eindeutig dabei gewesen und Roux. Peter war vorhin an unserem Abteil vorbei gelaufen und Pandora war mit einem elfenhaften Winken und mit Xenophilius an der Hand noch auf dem Bahnsteig an mir vorbei geschwebt.
Doch Elster? Elias? Bildete ich mir vielleicht nur ein ihre Gerüche nicht wahr genommen zu haben, weil ich mir Sorgen um sie machte?
Als es dunkel wurde schlüpften wir in unsere Umhänge und in Hogsmead folgten wir den älteren Schülern zu den Kutschen.
Ich sah die Thestrale damit bewusst zum zweiten Mal, bei unserer Abreise hatte ich sie garnicht beachtet. Sie sahen aus wie der Tod und das behagte mir gerade heute ganz und garnicht.
„Rose?“, fragte Fabian vorsichtig, der mir gegenüber auf der schaukelnden Bank saß.
„Alles okay“, antwortete ich leise, doch auch er wusste, dass es nicht so war.
Hogwarts hatte sich kein bisschen verändert. Es lag immer noch Schnee, nur die Weihnachtsbäume waren verschwunden, doch die Winter-Dekorationen waren immer noch da un die Feen spendeten sanftes Licht in den Korridoren.
Ich hatte keinen Hunger mehr und entschied mich daher gegen ein Abendessen.
Der Gemeinschaftsraum und unser Schlafsaal sahen immer noch genauso aus wie vor Weihnachten, doch vor Elsters Bett stand kein Koffer.
Eilig öffnete ich den Deckel meines Eigenen und kramte den Rabenfederkiel von Lily und ein Fass normale Tinte hervor. Ich öffnete das Fenster, doch ich brauchte ihn garnicht rufen.
Der goldene Uhu hüpfte erhaben aus dem Schnee auf meinen Nachttisch und wartete dort, während ich hastig einige Zeilen auf ein Blatt Pergament kritzelte.
Ich versicherte ihm, dass ich dem Ministerium nicht glaubte und dass ich hoffte, es ginge ihm gut. Dann rollte ich das Papier ganz klein zusammen und band es dem Uhu ans Bein.
„Du findest ihn, ja?“, flüsterte ich.
Der Uhu schuhute leise, dann erhob er sich mit glänzenden Schwingen hinaus in die Nacht.

„Komm schon, Rose“, gähnte Sue und zog die Vorhänge meines Bettes zurück, „Wir kommen noch zu spät zum Frühstück“
Verschlafen angelte ich meine Brille von meinem Nachttisch und bemerkte dabei die Tintenflecken an meinen Fingern, Überbleibsel einer hastig gekritzelten Nachricht. Elsters Bett war immer noch leer und an diesem Morgen im neuen Jahr umkreisten wir es wie fremdes Territorium.
Auch war es irgendwie stille als sonst.
„Sagt Mal, hat Dumbledore gestern Abend-…“, setzte ich an, wurde jedoch von Annabell unterbrochen.
„Dumbledore war gestern gar nicht da. Es gab keine Rede“
„Oh…“, murmelte ich.
Und mehr fiel mir dazu nicht ein.
Alle meine Instinkte teilten mir mit, dass etwas stimmte. Und irgendwie hatte das ungute Gefühl, dass bald etwas passieren würde, auf das keiner von uns vorbereitet war.
Im Gemeinschaftsraum trafen wir auf Roux, dem ich ein frohes neues Jahr wünschte. ich hatte sehr darauf geachtet, dass niemand das Fluchmal zu Gesicht bekam und biss die Zähne zusammen, als Roux mir freundschaftlich eine Hand auf die Schulter legte.
Auf dem Weg nach oben trafen wir auf Alan und Tad, der Mal wieder großspurigen von irgendwelchen Ministeriums-Angeleheiten seines Vaters erzählte. Ich hörte nicht hin, war aber froh über den vertrauten Tonus, auch wenn es mir fehlte, dass Sophie Tad irgendwann zum Schweigen brachte. Alan schien keinerlei Unternehmungen in dieser Richtung im Sinn zu haben und so quasselte Tad den ganzen Weg hinauf, bis in die Eingangshalle.
Dort trafen wir auf die Zwillinge, die vor dem Frühstück auf uns gewartet hatten und endlich beruhigte sich mein aufgeregtes Herz. Die beiden hatten mich nun fast zwei Wochen täglich aus dem Bett geworfen und ihre Gesichter an diesem Morgen zu sehen tat gut. Und ich schien nicht die Einzige zu sein, der es so ging.
Ich sah auch Sirius und James auf der anderen Seite der Halle im Vorbeigehen winken. Selbst Peter hob schüchtern die Hand. Remus jedoch zog eilig den Kopf zwischen die Schultern und eilte ihnen voraus in die große Halle.
„Du solltest wirklich mit ihm reden“, murmelte Sue.
„Ja doch…“, gab ich unwillig zurück, „Als ob das so leicht wäre“
„Ist es aber“, entgegnete Sue unnachgiebig, „Geh einfach hin und sag ihm, dass es dir Leid tut, was auch immer du da verbrochen hast“
Geboren zu sein? 
Ein leises Schmerz zuckte durch meine unverletzte Schulter. Es war Gideon, der mir einen strengen Blick zuwarf und seine Faust zurück zog.
„Den Blick kenn ich“, flüsterte er mir leise zu, „Du machst dir schon wieder Sorgen um Dinge, die du nicht ändern kannst. Also lass es“
„Ihr geht mir heute Morgen alle überhaupt nicht auf den Keks!“, beschwerte ich mich laut.
„Na dann is ja gut“, war alles, was Fabian darauf antwortete, bevor er mit seinem Bruder zum Gryffindor-Tisch entschwand.
„Deine Laune is ja heute morgen wirklich zum Sterne pflücken, Rose“, entgegnete Emily mit zusammen gezogenen Augenbrauen.
„Lasst mich…“, quengelte ich und ließ mich auf meinen Platz fallen.
„Hausaufgaben vergessen?“, fragte Felix.
„Darauf hat Mrs. Weasley als erstes geachtet“, musste ich nun doch lachen.
Direkt nach Weihnachten hatte sie den Zwillingen die Hölle heiß gemacht und da ich sie nicht enttäuschen wollte, hatte ich mich ebenfalls an die Arbeit gemacht. Auch genauso wenig Lust darauf gehabt hatte, mich mit den Kobold-Aufständen auseinander zu setzen.
„Für dich ist das heute doch ein geritzter Morgen“, seufzte Sue, „Verwandlung. Mal sehn, was McGonagall dich dieses Mal machen lässt. Du bist uns allen meilenweit voraus! Hast du eigentlich was von deinem Reservat gehört? Wie geht´s deinen Brüdern?“
„Gut, hoffe ich…“, gab ich zu und hob den Kopf, als meine Ohren das Rascheln vieler Flügel aufschnappten.
„Ich weiß wirklich nicht wie du das machst“, gab Felix zu, „Du bist besser als jeder Wachhund“
„Wuff…“, war meine Antwort, auch wenn es ein wenig schwach klang.
Waren das nicht mehr Eulen als sonst?
„Das sind echt viele Eulen“, staunte auch Sue und damit war ich mir sicher, dass ich mir das nicht bloß einbildete.
Der goldene Uhu schälte sich aus der Menge an Federn, begleitet von einer mir nur allzu bekannten Sperbereule.
„Dass Kristóf ihm die Reise immer noch antut!“, fluchte ich, doch konnte nichts dagegen tun, dass Odin wie ein Geschoss in die nächste Schüssel mit Bratkartoffeln stürzte.
Mit einem Seufzen angelte ich ihn heraus und setzte ihn vor meinen Kelch, in den ich Quellwasser einschenkte.
Während er trank warf ich hastig einen Blick auf das Bein meines goldenen Uhus. Es war dieser Morgen, da mir auffiel, dass ich ihm über all die Monate keinen Namen gegeben hatte. Und der Zettel an seinem Bein war meiner. Er hatte Dr. Imre entweder nicht gefunden oder der hatte nicht geantwortet.
Unsicher friemelte ich die Pergamentrolle von Odins Bein.
Kristóf hatte sehr ordentlich und klein auf dünnes Pergament geschrieben, um Odins Last so gering wie möglich zu halten. Doch seine Schrift, die ich so gut kannte, war etwas unsicher, was mich irritierte.
Ich las.

Liebe May,
Vielleicht haben dich die Nachrichten schon erreicht. Unser Zuhause hat erneut einen heftigen Schlag einstecken müssen. Und dieses Mal kam der Feind aus unseren eigenen Reihen.
Ich verstehe, wenn du mir nicht glaubst, was ich dir nun schreibe und vielleicht möchtest du zum Lesen einen ruhigen Ort aufsuchen. Doch ich versichere dir, dass ich alles, was ich dir schreibe, mit eigenen Augen bezeugt habe.
Daniel Imre ist fort. Und mit ihm zwei Dracheneier aus unserer jüngsten Brut. Er hat das Reservat mit ihnen verlassen, um sich jenem Zauberer anzuschließen, der es schon einmal auf unsere Drachen abgesehen hatte. Zu unser alle Unglück war ich nicht der Erste, der ihn bei seinem Diebstahl ertappte. Mary ist tot, May, und hätte ich nicht selbst gesehen, wie er es tat, ich schwöre dir, ich hätte es niemals geglaubt.
Sein Versuch mir das Gleiche Schicksal zukommen zu lassen scheiterte, wenn auch nur knapp. Zwei weitere Wärter und ein Drache wurden verletzt.
Es dauert zu lange, dies in allen Einzelheiten zu erklären, doch es sah nicht so aus, als wäre er verflucht worden diese Taten zu begehen. Und auch die Worte, die er an mich richtete, bevor er mir fast den Schädel spaltete, ließen nicht darauf schließen, dass er sein Tun bereute. Das Ministeriums ist ebenfalls dieser Meinung.
Ich weiß, wie sehr du ihn liebst. Doch er ist nicht der Mann, für den wir ihn gehalten haben. Sollte er mit dir Kontakt aufnehmen, ich bitte dich inständig, teile dies sofort Professor Dumbledore mit! Versuche nicht den Helden zu spielen und schreibe keine Nachrichten mehr an diesen Mann. Dunkle Zeiten erwarten uns, doch in Hogwarts bist du sicher.
Ich melde mich wieder so bald ich kann.
Dein Kristóf

Ein Schrei zerfetzte sie plötzliche Stille in der großen Halle. Und voller Entsetzen stellte ich fest, dass es nicht mein Eigener war, obwohl alle Blicke der Menschen um mich herum an mir hafteten . An mir und an den goldenen Federn, die um mich herum zu Boden segelten und dort zu winzigen Flocken aus Asche verbrannten.
Pandora war an den Tisch der Ravenclaws geeilt, zu ihrem weinenden, zitternden Verlobten. Aus ihren Händen segelte nun ein einzelnes Blatt Pergament zu Boden.
Sie hatte die Arme um Xenophilius geschlungen und der Ton, der ihrer Kehle entwich, erinnerte mich an den gequälten Schrei eines tödlich verwundeten Tieres. Xenophilius selbst wippte panisch schluchzend auf seiner Bank vor und zurück, die leeren Hände vor sich ausgestreckt, als hielte er immer noch den Brief.
Und die beiden waren nicht die Einzigen.
Ich war die Erste, die Fabian erreichte. Sue schlang ihre Arme um Gideon und versuchte ihn mit Franks Hilfe zu bändigen, während er schrie und um sich schlug.
Fabian saß einfach nur da und ich ging vor ihm auf die Knie, fasste sein Gesicht mit beiden Händen und zog ihn zu mir heran, während der Brief in seinen Händen bebte.
„Sie waren doch nur zum Tee dort-…“, brach es aus ihm heraus, dann immer wieder, leiser, atemlos zwischen Wellen aus Tränen und Schmerz, „…nur zum Tee… zum Tee… nur zum… nur zum Tee-…“
Ich zog mich auf die Bank hinauf und er brach weinend an meiner Schulter zusammen.
Gideon war zu Boden gegangen. Den Kopf in Sues Schoß vergraben schrie er in ihren Umhang und schrie und schrie, während Pandoras Wehklagen die Halle füllte und ich das Gefühl hatte jede von Xenophilius Tränen, gleich einem fallenden Stein auf Schieferplatten, auf seinen Knien aufschlagen zu hören. Und sie waren nicht die einzigen. Die ganze Halle war erfüllt von Schmerz.
Ich erkannte Mrs. Weasleys Handschrift auf dem Brief in Fabians Fingern, die zitterte, wie er selbst auch.
Vorsichtig löste ich das zerknüllte Blatt aus seiner Hand und Sirius, der plötzlich hinter mir stand und mit aschfahlem Gesicht über meine Schulter mitlas, entwich ein leiser Ton, etwas zwischen einem letzten Seufzen und einem erstickten Schrei.
Mr. und Mrs. Prewett waren bei Mr. und Mrs. Lovegood zum Tee eingeladen gewesen, gestern, als wir uns im Hogwartsexpress Sorgen um unsere vermissten Mitschüler gemacht hatten.
Mr. und Mrs. Weasley, Bill und Charlie waren unversehrt. Sie waren bei Tante Muriel gewesen, die ihre Großenkel ihren Freundinnen hatte vorstellen wollen. Davon hatte ich gewusst. 
Der Fuchsbau stand noch. Die Bewohner waren nicht dort gewesen
Von dem Haus der Lovegoods jedoch war nichts mehr übrig.
Mr. und Mrs. Prewett, genauso wie Mr. und Mrs. Lovegood, waren tot in den Trümmern gefunden worden.
72. Kapitel
Leere Tage
Einem kleinen Teil von mir war bewusst, dass der Unterricht bereits begonnen hatte. Doch der Rest von mir rührte sich nicht von der Stelle.
„Rose, bitte!“
Ich hob den Kopf und sah direkt in Sues tränenüberströmtes Gesicht.
Sie hatte Mr. und Mrs. Prewett nicht gekannt, hatte kein vergnügliches Weihnachten mit ihnen am Tisch verbracht. Sie hatte nicht mit den Zwillingen einen Haken nach dem anderen geschlagen, um Fragen nach ihrer Vergangenheit oder dem köstlich frischen Wildbraten auszuweichen.
Trotzdem weinte sie.
Weinte ich?
Meine Wangen fühlten sich kalt an, meine Augen trocken.
„Rose…“, diesmal ging Sue vor mir in die Knie und strich mir eine Strähne meines zerwühlten Haares aus der Stirn, „Bitte… Fabian fragt nach dir. Und Pandora“
Ich nickte, eine kurze, kaum wahrnehmbare Bewegung.
Ein kleiner Teil von mir wollte aufstehen. Doch der Rest von mir rührte sich nicht von der Stelle. Und jenem kleinen Teil von mir ging langsam die Kraft aus.

Heilloses Chaos war in der großen Halle ausgebrochen. Fast jeder Schüler hatte an diesem Morgen einen Brief von zu Hause erhalten und fast alle weinten. Weinten, weil ihre Lieben noch am Leben waren, weinten, weil es sie nicht getroffen hatte.
Doch während Fabian sich an mir fest krallte, eine Hand in meinem Umhang, eine schmerzhaft in mein langes Haar gekrallt, sah ich auch andere Gesichter.
Am Hufflepuff-Tisch war jemand in Ohnmacht gefallen und eine kleine Gruppe hatte sich eilig um die betreffende Schülerin geschart. Ich sah Roux, der sein Bestes gab, doch so verzweifelt aussah. Dies war ein Horror, gegen den er nichts ausrichten konnte.
Gideon war nicht der Einzige, der auf seinen Schmerz mit Zorn reagierte.
Ein Junge am Slytherin-Tisch schrie unter Tränen seine Freunde an und fegte dann mit nur einer Handbewegung drei Schüsseln und das Besteck mehrerer seiner Mitschüler vom Tisch.
Um Pandora und Xenophilius schien sich eine Blase der Stille ausgebreitet zu haben, in deren Zentrum die beiden weinten.
Ich sah auch einige ältere Schüler in Ausgaben des Tagespropheten blättern. Reißerische Überschriften und entsetzliche Bilder zeigten einen Schrecken, auf den keiner vorbereitet gewesen war.
Plötzlich legte sich von hinten ein Arm um mich.
„Es tut mir so leid, Rose…“, krächzte Sirius.
Was dachte er? Dass ich jemanden verloren hatte?
Ich registrierte seine Berührung kaum noch.
Ich hatte niemanden verloren. Nicht so wie die anderen.
Die Anhänger jenes Zauberers, dessen Namen niemand nannte, hatte ihre Familien zerstört. Ich hatte keine Familie, doch der Mensch, der dem am nächsten gekommen war, hatte beschlossen sich genau jenem Zauberer anzuschließen. Hatte beschlossen mich und meine Art zu hassen.
Dr. Imre war in England gewesen, noch vor ein paar Wochen. War er an den Angriffen beteiligt gewesen? Hatte er noch mehr Leben beendet, nachdem er Marys Tochter ihre Mutter genommen hatte? Nachdem er versucht hatte, seinen besten Freund zu töten?
Eiskaltes Wasser schwappte von von meinem Scheitel hinab durch meinen Körper, sackte in meine Arme und gefror meine Fingerspitzen, umspülte meine Brust in einem tödlichen Wirbel, rauschte durch meine Beine und machte meine Füße schwer. Und dann schloss sich der Mahlstrom um mein Herz und ließ nichts als Leere zurück.
All die Schüler, die an diesem Morgen jemanden verloren hatten, wurden in den Krankenflügel gebracht. Sue musste sie begleiten, denn Gideon weigerte sich ihren Umhang los zu lassen.
Fabian wurde fort geführt, stolperte dann auf seinen Bruder zu und hing an ihm wie ein Klammeräffchen.
Dann verfiel das Schloss in eine seltsame Stille.

Ich saß auf der Treppe in der Eingangshalle.
Mehrere meiner Freunde hatten schon versucht mich von dort fort zu bewegen. Man hatte mir Essen und heiße Getränke und eine Decke angeboten.
Als ob das helfen konnte.
Ich konnte fühlen, wie jeder ihrer Versuche, mir Gutes zu tun, irgendwo in meinem Innern versickerte, fast so, als wäre da plötzlich ein schwarzes Loch, unendlich tief und hungrig fraß es sich durch alles, was Roselynn May ausmachte. Und selbst der Drache schwieg.
Ich war das erste Mal in meinem Leben allein in meinem Kopf. 
Er war geflohen.
Ich nahm wahr, wie Sue an meiner Schulter weinte.
Doch der kleine Teil von mir, der mich vorher noch auf all die Dinge aufmerksam gemacht hatte, die um mich herum vor gingen, war verstummt.
Ich war allein. Eingesperrt in meinem eigenen Kopf.

Ich konnte später nicht sagen, wann mein Gedächtnis wieder einsetzte. 
Die Wochen nach dem Eintreffen der Eulen waren fort, gänzlich ausgelöscht. Es blieben nur Schnipsel übrig, zusammengesetzt aus dem, was Andere mir erzählten. Und tief in meinem Innern ängstigte mich das.
Ich war fort gewesen, gänzlich. Und ich war noch immer nicht ganz zurück. Als wäre ich in einen Zug gestiegen, doch die Tür hatte sich geschlossen, als ich erst zur Hälfte hindurch war und hatte einen Großteil von mir am Bahnhof zurück gelassen. Inklusive des Gepäcks.
Es gab Beweise, dass ich etwas getan hatte. 
Ich funktionierte, also hatte ich geschlafen. Doch ich träumte und erinnerte mich nicht an das Gefühl von Erholung.
Ich war wieder dünner, ich hatte keinen Hunger, doch ich funktionierte, also hatte ich gegessen.
Sue berichtete mir später davon, wie sie und einige der Anderen mir meine liebsten Speisen aufgedrängt hatten. Doch ich erinnerte mich daran.
Mein Nachttisch im Schlafsaal war überladen mit Pergament, meine Finger dauerhaft voller Tinte.
Ich hatte Briefe geschrieben und auch Antworten erhalten, von Kristóf, den anderen Wärter des Reservates, von Mr. und Mrs. Weasley. Doch ich erinnerte mich nicht an die Worte. Nur an das Bild, das Mrs. Weasley mir mitschickte. Eine Aufnahme von mir selbst, mit Charlie in den Armen, kurz nach der Taufe. Nur wenige Tage vor dem Tod ihrer Eltern. Es lag tief begraben unter all den unbeantworteten Briefen an Dr. Imre.
Ich schrieb diese Briefe jeden Tag und überall. Im Unterricht, in den Pause, nachts im Bett. Nachmittags rannte ich fast zur Eulerei, der einzige Moment des Tages, an dem ich mich nicht wie schlafwandelnd fort bewegte. Der Turm war dieser Tage fast komplett leer, denn ich war nicht die Einzige, die Briefe schrieb. Dutzende Schüler jagten jede freie Sekunde zu den Eulen und warteten am nächsten Morgen atemlos auf ihre Rückkehr.
Sue hatte mir berichtet, das der goldene Uhu sich vor mir einfach in Luft aufgelöst hatte. Der Zauber war erloschen, in dem Moment als ich von Dr. Imres Verrat laß.
Ich konnte auch darüber keine Trauer empfinden, geschweige denn weinen. Mein treuer Begleiter, dem ich nicht einmal die Ehre eines Namens erwiesen hatte, war fort. Und während die anderen Schüler zu Beerdigungen und Andenkensfeiern aufbrachen, gab es bei mir nichts, das ich hätte beweinen können. Keinen toten Körper, keine Trauerfeier. Da war nichts.
Ich fand später den Brief, in dem ich auf die Beisetzung von Mr. und Mrs. Prewett eingeladen worden war. Doch ich war ganz offensichtlich nicht hin gegangen. Zumindest erinnerte ich mich nicht daran und niemand erzählte mir davon, dass ich die Schule verlassen hatte.
Mitte Januar kehrte Elster zu uns zurück und wurde tränenreich im Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs Willkommen geheißen. Ihre Eltern waren sich nicht einig gewesen, ob Hogwarts sicher genug war, dann jedoch waren sie nach den Angriffen geflohen und hatten ihre Tochter schließlich, auf deren Drängen, zurück zur Schule gebracht. Doch ich konnte nicht sagen, dass ich mich irgendwie daran erinnerte ihr Hallo gesagt zu haben oder ihr gestanden zu haben, wie sehr ich mich darüber freute sie heil wieder zu sehen. Da war nur Leere.
Das, woran ich mich erinnerte, war das Gelände von Hogwarts und wie es sich veränderte, als langsam der Schnee schmolz.
Meine Leistungen gingen, wie die vieler anderer, ziemlich auf null zurück, doch das störte mich nicht. Und die Lehrer von Hogwarts hatten Gnade mit uns, sodass ich die meiste Zeit nicht einmal am Unterricht Teil nahm, sondern irgendwo im Schloss an einem Fenster stand und nach draußen blickte, ohne wirklich etwas zu sehen. 
Ich erinnerte mich auch an den sanften Druck des Fotos, das ich ab einem gewissen Zeitpunkt, von dem ich nichts mehr wusste, immer mit mir herum trug. Das Foto von Dr. Imre, das Kristóf geschossen hatte. Ich holte es fast nie hervor, sah es mir nicht an, geriet jedoch einen kurzen Moment in Panik, wenn mich das Gefühl überfiel es könnte fort sein. Alle anderen Fotos hatte ich abgehängt und in die unterste Schublade meines Nachttisches verbannt.
Meine Rettung kam in Form eines großen, bärtiges Mannes, irgendwann Anfang Februar.
Hagrid stellte keine Fragen, versuchte nicht mit mir zu reden.
Ich erinnerte mich vage, dass er mir einmal vom Tod seines Vaters berichtet hatte.
Doch ich durchlebte keinen Verlust, so wie die anderen! Derjenige, um den ich trauerte, war noch am Leben!
Ich hätte am liebsten hinaus geschrien, dass sie mich in Ruhe lassen und ihre Kräfte lieber auf diejenigen verwenden sollten, die wirklich einen Verlust erlitten hatten. Ich wünschte mir, jemand würde mit mir schimpfen, weil ich selten zum Unterricht ging, weil ich das Quidditch-Training schwänzte und wenn ich denn Mal da war, schreckliche Leistungen erbrachte.
Doch niemand tat es. Sie alle hatten Verständnis für etwas, von dem sie nichts wussten.
Und ich schwieg.
Bei Hagrid in der Hütte war Schweigen leichter. Hier roch es nach Wald und Tierwesen und noch etwas war da, etwas Neues, das ich mehr als alles andere zu schätzen wusste.
Ich hatte sofort gespürt, dass der nicht allzu kleine Welpe, der mir freudig entgegen kam, als Hagrid mich irgendwo im Schloss wortlos eingesammelt und hinab in seine Hütte gebracht hatte, etwas magisches an sich hatte. Doch wirklich magisch verhielt er sich eigentlich nicht. Es war das Einzige, was ich im Gedächtnis behielt. 
Hagrid hatte ihn von einem Straßenhändler, wo der Welpe zusammengekauert unterm Wagen in einem winzigen Korb eingesperrt gewesen war. Hagrid hatte, so gab er zu, als der Mann ihm alles andrehen wollte, nur nicht diesen langweiligen Welpen, fast der Arm gebrochen und schließlich tatsächlich der Zauberstab des Mannes. Der hatte schließlich seine Tierwesen zurück gelassen und war geflohen. Hagrid gestand mir, dass er am liebsten all die Tiere behalten hätte, doch das Ministerium hatte aufgeräumt und Hagrid hatte nur den Welpen behalten.
Er hatte riesige Füße und Schlappohren und kein Koordinations-Vermögen, fürchtete sich vor praktisch allem und er sabberte mir glückselig in den Schoß, wenn ich sein eisengraues, seidiges Fell streichelte, während ich irgendwo in der Hütte auf dem Boden saß und nichts tat.
Er hieß Fang. Wenn er Glück hatte, würde die Magie in seinem Blut gerade ausreichen, dass er ziemlich alt werden würde. Und ich wünschte es mir. 
Hagrid versorgte mich in diesen Stunden mit Unmengen an Tee und Keksen, vermutlich der einzige Grund, warum ich nicht einfach verhungerte. Alle paar Tage schlich ich daraufhin über die Ländereien in seine Hütte. Fast wie ein Dieb, der dabei war sich Freundlichkeit und Liebe zu stehlen, die er nicht verdiente.

Den ersten klaren Gedanken fasste ich wieder Mitte Februar im Krankenflügel.
Ich war, auf Hagrids Drängen hin, zum Quidditch-Training gegangen und ein Klatscher hatte mich übel an der Schulter erwischt. Ausgerechnet der Schulter mit dem Fluchmal.
Es war immer noch da, kaum kleiner geworden. Nur die Ränder fransten langsam aus, in einem gefährlichen, schmerzenden scharlachrot.
Als Madame Pomfrey das sah, umgeben von neuen Hämatomen in prächtigem königsblau und veilchenviolett, schimpfte sie so sehr, das eigentlich die Lüster von der Decke hätten fallen müssen. Sie experimentierte stundenlang an mir herum, während ich mit baren Schulter auf einem der Betten saß. Bald war die Verletzung durch den Klatscher abgeheilt, doch das Fluchmal blieb.
Und zwischen all ihrem Gezeter war da plötzlich ein leiser Ton, den meine Ohren ganz deutlich aufschnappten.
Als ich mich umwandte stand Marlene in der großen Flügeltür. Sie sah furchtbar aus. Und mir fiel auf, dass wir uns in gewisser Weise ähnlich sahen. Auch sie war dünner und blasser. Und ein kleiner Teil in mir, der wieder zu sprechen begann, teilte mir mit, dass auch sie in den vergangenen Wochen keine einzige Träne vergossen hatte.
Sie kam zu mir und setzte sich, während ich die Behandlungen von Madame Pomfrey über mich ergehen ließ, trank einen Stärkungstrank, den ihr die Krankenschwester unter noch mehr Flüchen aushändigte, und betrachtete das Fluchmal an meiner Schulter.
Sie fragte nicht, was geschehen war, erzählte mir aber, dass Elias immer noch nicht zurück gekehrt war. Dass sie Unmengen an Briefen geschrieben hatte, um in Erfahrung zu bringen, was mit ihm und seiner Familie geschehen war. Doch niemand wusste etwas, nicht mal das Ministerium. Offiziell galten die Ainthworth als vermisst.
„Was machst du eigentlich hier?“, fragte ich schließlich, nachdem wir eine halbe Ewigkeit dort nebeneinander gesessen und ekelhafte Tränke unsere Kehlen hinunter gezwungen hatten.
Ich hatte das Gefühl das erste Mal in Monaten meine Stimmbänder zu benutzen und genauso klang meine Stimme auch. Irgendwie eingestaubt.
Ein winziges Lächeln huschte für eine Millisekunde über Marlenes Gesicht.
„Ich gehe Madame Pomfrey auf die Nerven“, gab sie zu, „Ich glaube, sie lässt das nur zu, weil ich dann regelmäßig vorbei komme uns sie mir einen Stärkungstrank einflößen kann“
„Aber was bezweckst du damit?“, fragte ich und kam mir im nächsten Moment dumm vor.
Was bezweckte ich damit, dass ich mich ständig in Hagrids Hütte verkroch?
Doch Marlene schien tatsächlich einen Sinn in ihren Handlungen zu haben.
„Ich hab Albträume, weißt du“, kam es leise über ihre Lippen, „Dass er zurück kommt und ganz furchtbar aussieht. Weil sie ihn gejagt haben… Ich-… will so viel wie möglich lernen. Damit ich ihm helfen kann, weißt du?“
Und das war der Moment.
Ganz egal, was alle sagten. Dr. Imre, der mir nicht antwortete, der getötet und verletzt hatte… das war nicht der Mann, den ich mein Leben lang gekannt hatte. Und vielleicht konnte ich diesen Mann noch retten.
„Könntest-…“, setzte ich an und musste mich räuspern, um den Mut aufzubringen, die Frage zu Ende zu stellen, „Könntest du dabei etwas Gesellschaft vertragen? Es-… gäbe da jemandem dem ich-… dem ich auch gern helfen würde… Wenn ich ihn finde… irgendwann…“
Es flossen keine Tränen. Dafür fehlte uns beiden die Kraft.
Doch in dieser Stille schmiedeten wir etwas, das so stark und alt war, wie der Himmel selbst. 
Denn der Drache May, der immer noch nicht zu mir zurück gekehrt war, eine Kreatur aus Feuer und Magie, war machtlos gegenüber jenem Schrecken. Er konnte nichts tun, war verloren, wie wir alle.
Doch die Hexe Roselynn, die sich ohne ihn so einsam fühlte, konnte vielleicht etwas tun.
73. Kapitel
Morsmordre
Diese seltsame Form des Erwachens kam kaum einen Tag zu früh.
Ich nahm wieder am Unterricht und am Training teil, büffelte sogar in den Pausen mit Marlene in der Bibliothek. Wir suchten nach allem, was wir verstanden und für nützlich befanden. Manchmal schlichen wir uns sogar in leere Klassenräume und übten.
Marlene begleitete mich sogar zum Quidditch-Training und saß dann dort dick eingepackt auf den Tribünen und las bibbernd in einem der Bücher, die sie sich ausgeliehen hatte.
Keiha war begeistert, dass ich wieder bei mir war und überlegte sogar, mich beim Spiel Hufflepuff gegen Slytherin Ende des Monats nicht bloß als Ersatzmann einzuspannen, war sich jedoch noch nicht ganz sicher. So trainierte er mich weiterhin als Bank-Hüter, doch immerhin bekam ich die Strategien und Taktiken, die er entwarf, jetzt wieder mit. Ich war noch nicht wieder so gut, wie zu Anfang meiner spektakulär abgestürzten Karriere, doch immerhin konnte ich fliegen.
Ich registrierte auch endlich wieder meine Mitschüler.
Sue fing hemmungslos an zu weinen, als ich ihr beim Frühstück am nächsten Tag eine Antwort auf eine allgemein gestellte Frage gab.
Elster klopfte mir am Abend vorm Schlafen gehen auf die Schulter. Und mehr war nicht nötig.
Das Veilchen in Sirius Gesicht war abgeheilt, doch er sah immer noch ein wenig angeknackst aus. Als er bemerkte, dass hinter den Fenstern in meinem Haus wieder Licht brannte, traute er sich irgendwann mich bei Seite zu nehmen. Wir unternahmen einen langen Spaziergang um den See, fütterten den Riesenkraken mit Toast und schließlich fing er zu weinen an. 
Er weinte um all die zerstörten Familien. Um seine zerstörte Familie. Denn einen Brief, wie Gideon und Fabian ihn erhalten hatten, hatte er nicht zu erwarten. Seine Eltern hießen gut, was geschehen war, zumindest seine Mutter. Sie waren nicht in Gefahr. Und er traute sich überhaupt nur deshalb mir davon zu erzählen, und dabei wurde er etwas blass, weil er an jenem Morgen Kristófs Brief aufgehoben, eingesteckt und später gelesen hatte. Ich hatte mich schon gefragt, wo der abgeblieben war. Es tat ihm fürchterlich leid, doch es fiel mir nicht schwer ihm zu verzeihen. Vor allem, weil es hieß, dass nicht einfach irgendwer den Brief eingesteckt hatte.
Die Zwillinge hingen dieser Tage noch mehr aneinander, was nicht verwunderlich war. Ihre Scherze waren matt, ihr Lächeln stumpf, doch sie hatten einander und das schien ihnen Kraft zu geben. Wo immer es ging zeigten sie Fotos von Bill und Charlie herum. Und ab und zu saßen wir sogar beisammen und schwiegen. Es war jenes Schweigen, wie ich es auch in Hagrids Hütte erlebte. Es war tiefer und leichter zu ertragen.
Pandoras Lächeln war aufrichtig, als ich mich schließlich zu ihr und Xenophilius an den Ravenclaw-Tisch setzte. Beide erzählten mir von einer wunderschönen Beerdigung und ich sprach ihnen mein Beileid aus, was mir beide mit einer Umarmung dankten.
Zwei Vollmonde waren mittlerweile vergangen und Remus sah furchtbar aus.
James, Sirius und Peter erzählten mir von seiner kranken Mutter, die er nun schon zwei Mal mitten in der Schulzeit hatte besuchen müssen, weil es so schlecht um sie aussah. 
Als ich die Jungs zu ihm schickte, dass ich gern mit ihm sprechen wollte, lehnte er jedoch ab.

Der Valentinstag kam. Und ganz davon abgesehen, dass der vierzehnte Februar für mich nie etwas Besonderes dargestellt hatte, sorgte ich wenigstens für ein paar dringend benötigte Lacher, als mir meine Freunde erst einmal erklären mussten, was denn so besonders an diesem Tag war.
Die Lehrer zumindest gaben sich Mühe, wieder etwas mehr Freude in die Flure von Hogwarts zu zaubern. Alles war mit Rosen und Bändern geschmückt und in der großen Halle schwebten einige übel gelaunte Gnome mit aufgeklebten Flügelchen bei den Mahlzeiten über den Tischen, gerade hoch genug, dass sie nichts zu fassen bekamen. Als ich einem von ihnen beim Frühstück einen Toast nach oben reichte, machte er sich einen Spaß darauf mich mit Krümeln zu bewerfen, bis mein Haar aussah wie ein Streußelkuchen.
Einige Schüler, das bekam ich über den Tag mit, tauschten sogar Karten und Schokolade aus und die Älteren durften am Nachmittag nach Hogsmead.
In den Unterrichtsstunden hatte Remus mittlerweile die Plätze mit Sirius getauscht, um bloß nicht in meine Nähe zu kommen. Seine Freunde schüttelten über seine Sturheit und mein daraus resultierendes Unglück nur den Kopf.
Am Ende von Verwandlung dann steckte Sirius mir eine Karte zu und zwinkerte schelmisch, bevor er James rettete, der fast von Lily verprügelt wurde. Der hatte ihr wohl mehrere dutzend Karten geschrieben und sie anscheinend überall versteckt, sodass Lily andauernd welche verlor, wo sie ging und stand. Das schien sie schon nach der kurzen Zeit ziemlich zu nerven und ihr Haar stand bereits jetzt in Flammen.
In Zauberkunst traf ich auf Alan, der mir mit einem schüchternen Lächeln die zweite Karte dieses Tages überreichte. Und langsam kam ich mir blöd vor, weil ich überhaupt nichts für keinen von ihnen hatte. Daher nutzte ich die Zauberkunst-Stunde und zeichnete Karten mit Tinte und Feder, anstatt etwas in Brand zu setzten. Sie waren nicht die Schönsten, aber selbst gemacht. Und ich war nicht die Einzige, die unaufmerksam vor sich hin kritzelte. Auch Sue zeichnete und wir lachten beide, als wir uns am Ende der Stunde je eine Karte überreichten.
Ich hatte noch Karten für Sirius und Alan und auch eine für Hagrid. Und noch eine, von der ich mir nicht sicher war, ob es gut wäre sie zu überreichen. Sie war für Fabian.
Als ich Sue mein Dilemma gestand, wurde sie rot und verriet mir, dass sie eine Karte für Frank, natürlich, aber auch eine für Gideon hatte. Und mir fiel auf, dass die Zwillinge, wenn sie mit uns unterwegs waren, immer so standen, dass Gideon neben ihr lief.
Wir rangen schwer mit uns, waren uns jedoch auch sicher, dass es richtig und gut war, was wir vor hatten. Also rafften wir uns beim Mittagessen auf und überreichten unsere Karten. Und mir ging das Herz auf, als ich das Strahlen in Gideons Augen sah und das warme Lächeln von Fabian.
Außerdem brachte es mir meine dritte und Sue ihre zweite Karte ein. Die erste war von Frank, natürlich.
Später am Tag bekam ich mit, wie Elster ein wenig verwirrt auf dem Schulhof stand. Als ich sie ansprach zeigte sie mir eine Karte, die Felix ihr gerade in die Hände gedrückt und dann Hals über Kopf die Flucht ergriffen hatte. Und ich sah Roux und Maya gemeinsam nach Hogsmead aufbrechen.
Zumindest hatten unsere Wunden aufgehört zu bluten, auch wenn von Heilung noch keine Rede sein konnte.

Doch für mich kam Ende Februar dieser eine Moment, der meine Wunden wieder aufriss. So brutal und so weit, dass es dem Gefühl einer Häutung bei lebendigem Leibe gleich kam.
Es war der Morgen Quidditch-Matches gegen Slytherin und um meiner Nervosität entgegen zu halten, hatte ich Professor Sprout schon vor dem Frühstück um meinen Besen gebeten, um auf dem Feld einige Aufwärm-Runden zu drehen.
Ich war viel zu früh, es war noch neblig und kalt. Und ich fühlte mich an den Morgen vor den Übungs-Spielen erinnert.
Keiha hatte noch nicht Preis gegeben, ob ich nun als Ersatzmann oder als Spieler an diesem Spiel Teil nehmen würde und obwohl es mir etwas besser ging, konnte ich ihm bei dieser Entscheidung mit einer eigenen Meinung nicht helfen. Wahrscheinlich war es dann besser weiter Ersatzmann zu bleiben. Ein Quidditch-Spieler sollte gewinnen wollen, für sein Haus, sein Team und den Pokal. Wir war das immer noch alles halbwegs gleichgültig. Doch das Training schulte meine Flugkünste und ließ mich dem Himmel nahe sein.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung war und obwohl bereits Schüler aus dem Schloss drängten, zog ich einen weiten Bogen, zögerte nur kurz und schoss dann aus dem Stadion.
Jemand war gerade in den verbotenen Wald gegangen. Und es war ganz sicher nicht Hagrid.
Sein Haar war nicht lang und silberblond.
Was machte Lucius Malfoy im verbotenen Wald?

Ein Glück war mein Nimbus so leise und das Astwerk der Bäume so dicht.
Ich setzte lautlos auf einem dicken Ast auf und dankte Merlin, dass ich mich noch nicht umgezogen hatte. Das Schwarz meines Schul-Umhangs war eindeutig unauffälliger als das leuchtende Gelb meiner Quidditch-Schutzausrüstung.
Ich musste garnicht näher heran, ging nur eilig in die Hocke und setzte die Brille ab, um besser zu sehen.
Malfoy und ein halbes Dutzend andere Schüler drängten sich einige Bäume entfernt auf einer kleinen Lichtung zwischen kahlen Büschen zusammen. Das sah ihnen garnicht ähnlich, sich so heimlichtuerisch zu verhalten. Sonst prahlten sie immer alles direkt hinaus und genau deshalb machte ich mir Sorgen.
„Halt schon still“, seufzte Malfoy gerade in seinem typisch gelangweilten Ton.
Vor ihm stand Antonin, an den ich mich noch sehr gut erinnerte. Er hatte den linken Ärmel seines Umhangs hoch gerollt und die Hand zur Faust geballt unter den Schmerzen, mit denen Lucius Malfoy ihm dicke, schwarze Linien mit seinem Zauberstab in die nackte Haut brannte.
„Nun halt schon still!“, wiederholte Malfoy, diesmal tatsächlich etwas genervt, „Du hast dich als würdig erwiesen, also darfst du Dashier tragen. Es ist eine Ehre! Wenn er etwas von uns will, dann werden wir es dadurch erfahren“
Antonin antwortete nicht, doch die anderen Slytherins um sie herum nickte nur einig und ich sah, wie einige verstohlen ihre linken Unterarme berührten.
Ich sah eine Weile zu, während sie alle schwiegen, dann schien der Schmerz für Antonin zu groß zu werden.
„Sag schon“, keuchte er, „Wie hast du ihm deine Loyalität bewiesen?“
„Das geht dich nichts an“, murmelte Malfoy konzentriert.
„Ach, komm schon, Lucius“, lachte eine Slytherin zu ihrer Rechten auf, „Als ob du die Geschichte nicht gern erzählst“
Ein leises Lächeln legte sich auf Malfoys Lippen, doch er schwieg, bis er seine Arbeit an Antonins Unterarm beendet hatte.
Ich konnte nicht genau erkennen, was die schwarzen Linien darstellen sollten, doch ich bildete mir ein eine Schlange zu erkennen. 
Dann richtete Malfoy ein letztes Mal seinen Zauberstab auf Antonins Unterarm.
„Morsmordre“
Helles, weiß-grünes Licht blendete für einen Moment alle Augen, dann es auch schon vorbei.
Doch die Linien auf Antonins Unterarm bewegten sich, als wären sie lebendig.
Auch wenn er immer noch die Zähne zusammen biss, lächelte er, dann sackte Antonin am Stamm des Baumes in seinem Rücken zusammen.
„Scheiße…“, knurrte er.
„Da mussten wir alle durch“, kommentierte ein Ravenclaw, der deutlich aus der Gruppe heraus stach und sich nun an Malfoy wandte, „Aber jetzt wirklich. Du hast sie erwischt?“
„Natürlich habe ich sie erwischt“, schnarrte Malfoy und steckte seinen Zauberstab zurück in den Knauf seines Gehstocks, „Sie haben uns nichts mehr genützt und grade der Junge wurde langsam lästig“
„Ich dachte, er war dein Informant über dieses Mädchen“, murrte Antonin und nahm noch einmal genau seinen Unterarm in Augenschein.
Mir jedoch lief es kalt den Rücken hinab.
Sie sprachen über Elias. Und über mich
„Das war doch für die Katz, seien wir Mal ehrlich“, knurrte Malfoy und warf demonstrativ sein langes Haar zurück - ich konnte in jedem einzelnen Gesicht erkennen, wie sehr sie ihn anhimmelten, „Sie hat komische Augen, sie erzählt so gut wie nichts über sich, sie schläft in Astronomie ein… meine Güte, nur um zu schlafen muss man nicht extra auf diesen Turm klettern!“
Der Witz war nicht gut gewesen, trotzdem lachten sie alle und Malfoy wirkte zufrieden.
„Hat geschrien wie ein kleines Mädchen. Seine Eltern waren auch nicht unbedingt hilfreich. Alles Schlammblüter, einer wie der andere. Muggel-Freunde und Abschaum-Liebhaber“
Einige der anderen spukten aus, auch der Ravenclaw.
„Wo habt ihr die Leichen hin?“, fragte er dann weiter, „Bei uns im Gemeinschaftsraum heißt es immer noch, die Ainthworth werden vermisst“
Malfoy schnaubte.
„Als ob von ihnen genug übrig geblieben ist. Er hat die klassische Taktik angewandt, erst ein bisschen Folter, um sie gar zu kochen, dann die Mutter, damit der Vater auspackt und dem Sohn hat er sogar noch angeboten sich uns anzuschließen, könnt ihr euch das vorstellen? Welch großzügiges Angebot…“
„Warum sollte der sich uns anschließen?“, blaffte die Slytherin und half Antonin auf die Beine, „Was will er mit Kindern?“
„Die nächste Generation“, zuckte Malfoy mit den Achseln, „Außerdem stand er immer noch diesem Mädchen sehr nah. Er hat Interesse an ihr. Aber-… er hat die Güte in diesem Angebot eben nicht erkannt. Hat uns Lügen aufgetischt. Einer seiner neuesten Anhänger kennt sie, komischer Kerl, ziemlich schweigsam, ist nicht von hier. Naja…“, Malfoy seufzte, „Aber wer wollte sowas auch bei uns haben. Er fand meine Zauberkünste sehr gelungen und war beeindruckt, dass ich nicht gezögert habe. Deshalb hab ich mir Dashier“, und dabei tätschelte er liebevoll seinen linken Unterarm mit der Rechten, „mehr als verdient“
Allgemein zustimmendes Murmeln erhob sich in der Gruppe, dann rollte Antonin seinen Ärmel wieder hinab und die Gruppe löste sich unter leisem Schwatzen auf.
Ich jedoch hockte starr in meinem Baum, bevor ich ein Bein über meinen Nimbus schwang und mit Höchstgeschwindigkeit davon schoss.

„Professor Dumbledore! Wo ist Professor Dumbledore?“
Der Stil meines Besen bohrte sich fast in den Schlamm, so stark bremste ich vor Professor Sprout ab.
Die Schüler von Hogwarts hatten sich bereits alle auf den Tribünen nieder gelassen, doch noch hatte das Spiel nicht begonnen. Ich hatte einige Lehrer und Schüler Ausschau halten sehen, vermutlich weil der Hufflepuff-Ersatzmann aus irgend einem Grund noch nicht erschienen war, obwohl man sie heute morgen noch gesehen hatte.
Professor Sprout hatte vor dem Zugang zu den Umkleiden gewartet, wo sich sonst niemand mehr aufhielt und sie wirkte nicht gerade glücklich.
„Miss May!“, polterte sie los, ohne auf meine Frage einzugehen, „Ich habe ihnen ihren Besen ganz sicher nicht ausgehändigt, damit sie kleine Flugübungen im verbotenen Wald machen können! Strafarbeiten! Und nun ab mit ihnen und ziehen sie sich um!“
„Sie haben ihn umgebracht, Professor!“, platze es aus mir heraus, „Malfoy! Er hat Elias umgebracht!“
Ein Moment der Stille folgte.
„Woher wissen sie das?“
„Ich hab es gehört, Professor, aus seinem Mund! Bitte, wir-…“
Doch sie unterbrach mich mit einer knappen Handbewegung.
„Habe sie noch andere Beweise für ihre Aussage?“
„Sie tragen alle so ein komischen Zeichen auf den Unterarm“, brachte ich aufgewühlt hervor.
„Eine Tätowierung wird als Beweis nicht ausreichen, Miss May“
„Aber er hat es getan!“, schrie ich in den kalten Februar, „Er hat ihn umgebracht! Sie haben seine ganze Familie ermordet! Sie meinten, dass von ihnen nicht Mal genug übrig wäre, dass man es eine Leiche nennen könnte!“, wurde mein Schrei zu einem tränenlosen, erstickten Schluchzen, „Bitte, wir müssen Professor Dumbledore Bescheid sagen! Das Ministerium-…“
„Das wird nicht nötig sein“, unterbrach mich Professor Sprout sanft und schob mit bitterer Miene die Hänge in die Ärmel ihres Umhangs.
„Aber Professor-…!“
„Miss May, an dieser Stelle gibt es nichts, was wir tun könnten“, schüttelte sie leicht den Kopf, „Ihr Wort würde gegen Seines stehen und wir wissen beide, wie das enden würde. Beglückwünschen sie sich, dass sie nun wenigstens Gewissheit haben. Und ich nun auch“
„Was ist mit den Anderen? Alle hoffen, dass es ihm gut geht!“
Und bei diesem Gedanken wurde mir schlecht.
„Wenn sie möchten teilen sie es ihrer Freundin Miss Malkins mit“, antwortete Professor Sprout in einer Ruhe, die mich fast zerriss, „Ich selbst werde es an Professor Dumbledore und das Kollegium weiter leiten“
„Aber was ist mit Marlene? Sie wartet seit Wochen auf seine Rückkehr!“
„Wie wir alle. Wollen sie ihr wirklich diese Schmerzen zufügen?“
„Aber sie hat ein Recht es zu erfahren!“, begehrte ich auf, „Ihr ganzer Lebenssinn besteht doch nur noch daraus auf ihn zu warten!“
„Unterschätzen sie ihre Mitschüler nicht, Miss May“, Professor Sprout streckte ein Hand aus, die sie sanft auf meine zitternde Schulter legte, „Ich bin mir sehr sicher, dass Miss McKinnon es tief in ihrem Innern bereits weiß“
So wie ich es gewusst hatte. Doch ich hatte gehofft, dass ich mich irrte.
„Es ist meine Schuld“
„Versuchen sie nicht, sich das einzureden. Sie waren sehr mutig, Miss May“
„Aber er sollte mir für sie nachspionieren…“, wimmerte ich und wünschte mir mehr als alles andere, dass endlich die Tränen kommen und diesen Schmerz fort spülen würden, „Doch er hat nichts gesagt! Der Idiot-… der Idiot hat ihnen nichts gesagt! Er hat gelogen! Für mich!“
Da packte Professor Sprout mich an den Armen, so fest, dass es fast weh tat.
„Dann halten sie sein Opfer in Ehren, Miss May!“, donnerte sie mir ins Gesicht, „Erinnern sie sich jeden Tag daran! Nehmen sie wieder am Unterricht Teil! Geben sie ihr Bestes um anderen zu helfen und passen sie auf sich auf, damit sein Tod nicht vergebens war. Vergessen sie niemals seinen Namen. Und seien sie stolz, hier in Hogwarts so gute Freunde gefunden zu haben“
Mit schwerem Atem ließ Professor Sprout mich los und trat einen Schritt zurück.
„Ich weiß, wie schwer das ist, Miss May. Ich weiß es nur zu gut. Doch diesen Kampf können sie jetzt noch nicht führen. Auch wenn sie zu Dingen fähig sind, wie keine erwachsene Hexe auf dieser Welt, hier sind sie machtlos. Ihre Schuppen mögen sie retten, doch nicht ihre Freunde. Sie sind zu jung und, bei Merlin, ich wünschte so sehr, dass ihnen das alles erspart bliebe. Doch dunkle Zeiten brechen über uns hinein und ich kann nicht versprechen, dass sie abgeklungen sind, wenn sie eines Tages Hogwarts verlassen und diese Mauern sie nicht mehr schützen können. Lernen sie daraus, Miss May. Tragen sie ihre kleinen Kämpfe jeden Tag mit gutem Gewissen aus und sehen sie zu, dass sie gewinnen!“
Und damit ging sie und ließ mich allein zurück.
74. Kapitel
Der Kampf dieses Tages
Erst Jahre später kam es mir in den Sinn, dass ich ernsthaft in Gefahr gewesen wäre, hätte ich meinen Freunden von Elias Tod berichtet. Mit jedem Recht hätten sie es weiter erzählt und irgendwann hätte es Lucius Malfoys Ohren erreicht.
Einige Tage später war Dumbledore wieder in der Schule. Es gab eine Trauerfeier für all jene, die verstorben waren. Und unter den Toten wurde auch Elias Ainthworth genannt.

Auf steifen Beinen betrat ich den Umkleideraum, wo ich mein Team vorfand, die gerade einem blassen Keiha bei seiner Rede zuhörten.
Wir alle wussten, dass Slytherin uns höchst wahrscheinlich in Grund und Boden stampfen würde. Sie hatten die besseren Besen und waren, wenn es ums Gewinnen ging, zu jedem Opfer bereit. Keihas Strategien basierten auf ehrlichen Zügen und damit kam man gegen schmutzige Trick nicht an.
„Roselynn!“, unterbrach er seine Rede, die ohnehin nicht besonders gut gewesen zu sein schien, denn das Team wirkte nicht im geringsten ermutigt sich diesem Feind zu stellen, „Wo warst du?“
„Spielt keine Rolle“, murmelte ich und schlüpfte aus meinem Umhang.
Mit jedem Griff wurden meine Bewegungen zielsicherer und schneller. Innerhalb von wenigen Minuten trug ich meine gesamte Schutzausrüstung. Mir war durchaus bewusst, dass mich mein ganzes Team beobachtete.
Eilig flocht ich mir die Haare zu einem Zopf, dann klemmte ich mir meinen Besen unter den Arm.
„Sorry, Rubick“, legte ich meinem Kameraden kurz die Hand auf die Schulter, „Aber heute spiele ich“
„Roselynn…“, setzte Keiha beschwichtigend an, „Wir wissen alle, dass du einiges durchgemacht hast und vielleicht wäre es besser noch zu warten-…“
Doch ich hob die Hand und er verstummte.
„Ich werde nicht mehr warten“, blickte ich meinem Kapitän direkt in die Augen, „Und wenn das Spiel vorbei ist, dann werde ich mir endlich die Zeit nehmen zu trauern. Und vielleicht werde ich dann sogar weinen können. Aber jetzt geht es darum diese Mistkerle in den Dreck zu treten. Ich hab eine Scheiß-Wut im Bauch. Und ich glaube, wenn ich sie nicht hier und jetzt los werde, dann hau ich dem nächsten eine rein, der mir auf die Nerven geht“
Keiha öffnete gerade den Mund, besann sich und schloss ihn wieder.
Ich sah ihn an, dann den Rest des Teams. Sie wirkten zerknirscht und ließen die Schultern hängen. Wenige begegneten meinem Blick.
„Wir sind Hufflepuffs!“, sprudelte es aus mir hervor, „Und wir alle wissen, was das heißt! Es bedeutet nicht nur loyal und fleißig zu sein, sondern auch stark! Weil alle uns für Nieten halten, seien wir mal ehrlich! Unser Haus gilt nicht als mutig oder weise oder ambitioniert. Wir sind die Netten. Und deshalb beißen uns immer die Hunde. Und das ist-… irgendwie okay… ich meine, ich komme damit klar. Wir sind füreinander da und für unsere Freunde und wenn man genau hinsieht, halten wir alles irgendwie ein bisschen zusammen. Aber jetzt ist da draußen jemand, der genau das Gegenteil von uns ist. Voldemort“, und dabei zuckten alle ein bisschen zusammen, „hetzt alle gegeneinander auf und er tut unsern Freunden weh. Und wie können wir uns Hufflepuffs nennen, wenn wir das zulassen?“
„Roselynn, Süße“, schüttelte Julia Solair, die Sucherin, den Kopf, „Du bist wirklich zu jung für solche Reden. Und was sollen wir schon ausrichten?“
„Keine Ahnung“, gab ich zu, „Aber ich glaube es geht darum, erstmal nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Die Slytherins sind gut, ja. Aber sie sind bereit einander zu opfern für den Sieg. Jeder von uns kennt den andern wie seine Westentasche. Dafür haben wir trainiert! Wir kennen unsere Stärken und Schwächen und verstehen uns ohne Worte. Das ist etwas, das sie nicht haben und so schnell auch nicht lernen werden“
Ich wandte mich wieder an Keiha.
„Bitte. Lass mich spielen“

Madame Hooch stand in der Mitte des Feldes, zu ihren Füßen die Kiste, den Quaffel unterm Arm.
Als die Mannschaften die Kabinen verließen, dröhnten die Fanfaren durchs Stadion und die Schüler von Hogwarts brüllten sich die Seelen aus dem Leib. Darauf hatten sie gewartet. Bei einem guten Match konnte man alles um sich herum vergessen.
Während ich mit meinen Team-Kameraden Aufstellung um Madame Hooch bezog, konnte ich sehen, dass viele der Hufflepuffs und auch einige Gryffindors große Banner in den Hausfarben der Hufflepuffs schwangen. Ich erkannte sogar einen Pappmaché-Dachs, der von drei Stangen gehalten werden musste und so verzaubert war, dass er seine Beine und auch seinen Kopf bewegen konnte. Er blinzelte sogar! Und sein Fell sah erstaunlich echt aus. Bildete ich mir das nur ein oder war das Pandora, die eine der Stangen hielt und wie wild mit dem freien Arm ruderte? Und war das Xenophilius weißes Haar da an der Zweiten, der beide Hände nutzen musste, um die wilden Bewegungen seiner Verlobten abzufangen? Und wenn ich ganz genau hinsah, war das nicht James, der da, das ganze Gesicht voller gelber und schwarzer Farbe, die dritte Stange hielt?
Neben ihm stand auf jeden Fall Peter, auch er das Gesicht voll bemalt, mit einem großen Plakat von dem Remus die andere Seite festhielt.
>>Our roses are not red, violets perhaps are blue, but someone today will loose - Slytherin, that will be you<<
Und die Reime waren so grauenhaft, dass ich lachen musste.
Und als Letzter Sirius, der sich sogar das Haar zur Hälfte gelb gezaubert hatte und der mit seinem Schild regelmäßig fast jemanden erschlug, so groß war es und so groß waren auch seine Schwierigkeiten es auszubalancieren.
>>May the force be with you<<
„Aufgepasst!“, lenkte Madame Hooch meine Aufmerksamkeit wieder aufs Spielfeld, „Ich will ein faires, gutes Match, habt ihr verstanden? Und nun, besteigt eure Besen!“
Vom Spielfeldrand gab mir Rubick ein Daumen hoch. Auch wenn er heute wohl nicht flog, konnte ich seine Wangen von hier aus vor Aufregung glühen sehen.
Dann zerriss der Pfiff von Madame Hooch meine Trommelfelle, ein Tritt ihres Stiefels gegen die Kiste ließ die Klatscher und den Schnatz davon schnellen, der Quaffel wurde in die Luft geschleudert und fünfzehn Besen schossen in die Höhe.
„Und ab geht´s heute Mal wieder an einem wunderschönen, wenn auch kalten Tag im Februar!“
Ich erkannte die Stimme, doch ich hatte keine Zeit um nachzusehen, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag.
Es hatte sich eindeutig ausgezahlt mich mit Flugübungen auf dem Weg zum Fuchsbau warm zu halten, denn die Finger des gegnerischen Jägers June streiften den Quaffel gerade einmal, bevor ich mich mit einer Faultier-Rolle unter ihm weg duckte und den roten Ball mit nur einer Hand an mich riss.
„Und da fliegt sie, unser jüngstes Mitglied aus dem Hause Hufflepuff, Roselynn May! Dieses Mädchen hat mehr als nur eine Dreigang-Schaltung, das kann ich ihnen versichern!“, konnte ich Luisa Orchids Stimme durchs Stadion dröhnen hören, „Was für eine Geschwindigkeit und fast könnte man meinen das Team der Hufflepuffs hätte einige Hellseher unter sich, so strategisch wie die sich auf dem Feld verteilt haben - May gibt ab an O´Brian - oh, da war knapp für O´Brian, der Klatscher von Treiber Ethan Tremblay war zugegeben wirklich gut - wieder an May und - autsch! Das hat weh getan und war ganz bestimmt ein Foul - nur leider hat es anscheinend keiner gesehn, weil Slytherins Treiber Norwick grade den Sucher von Hufflepuff aufs Korn genommen hat! - Norwick, das ist kein Klatscher! Bevor du solche Tricks anwendest, lass dir lieber ein paar Eier wachsen! - ´Tschuldigung, Professor - Quaffel in Besitz von Slytherin, Emma Vanity gibt ab an Jacob June - Mensch, der Junge ist ein Bär, dass der Besen den überhaupt oben hält! - wieder an Vanity - Vanity holt aus und - nein! - Abgewehrt von Hufflepuffs Hüter Thomas Eefje! - Den würde hier wirklich keine von der Bettkante schupsen - und der Quaffel wird aufgefangen von niemand anderem als Roselynn May und May hat freies Feld! - Klatscher abgewehrt von Hufflepuffs Treiber Ava Windthrice - Und - bei Merlin, das war ein weiter Wurf und O´Brian fängt und - TOR! TOR! - ZEHN PUNKTE FÜR HUFFLEPUFF!“
Keuchend ließ ich mich ein wenig zurück fallen. 
Kurz bevor ich wieder an Keiha hatte abgeben können, hatte June mich von hinten mit dem Fuß an der Schulter mit dem Fluchmal erwischt. Morgan le Fay wusste, wer ihnen das erzählt hatte.
Doch Keihas Wurf war erstklassig gewesen und nun deckte er die erste Hälfte des Feldes, während ich weiter hinten bei unseren eigenen Ringen blieb. 
Da sah ich den Klatscher.
„Und Vanity schießt übers Feld - zugegeben, O´Brians Besen macht ihr da keine Konkurrenz und - OH! - Der hat gesessen! - Ein Klatscher, elegant umgeleitet vom Besenstil Mays trifft Vanity mitten im Gesicht - das war ein Schönheits-OP der anderen Art - O´Brian im Besitz des Quaffels und May schießt wie ein Pfeil übers Fels - für dieses Mädchen gelten keine Naturgesetze - O´Brian gibt ab an May und - TOR! NOCHMAL ZEHN PUNKTE FÜR HUFFLEPUFF!“
Gerade zog ich eine enge Kurve, um mich wieder dem Spielfeld zu zu wenden, da traf mich den eichene Knüppel von Treiber Joanne Norton mitten in die Magengrube.
Dem Schock war es zu verdanken, dass sich meine Hände direkt fester um meinen Besenstil krallten, anstatt los zu lassen, doch sie hatte gut getroffen. Das Stadion brach in laute Buh-Rufe und auch Jubel aus und dieses Mal ertönte auch ein Pfiff von Madame Hooch.
Sie winkte mich und Slytherins Kapitänin und Jägerin Emma Vanity zu sich heran.
Meine Schulter schmerzte und ich hatte das dringende Bedürfnis mein nicht gegessenes Frühstück der Öffentlichkeit zu präsentieren, doch ich hielt mich auf dem Besen und nicht mal zehn geflügelte Pferde hätten mich in diesem Moment von dort loseisen können. Emma Vanitys Nase war gebrochen und Blut kleckerte großzügig über ihr Kinn auf ihren Umhang, doch auch Madame Hooch sah, dass man sie nicht vom Besen hinunter überreden konnte.
„Freiwurf für Hufflepuff!“, rief sie und stieß dann noch einmal in ihre Pfeife.
Ich überließ den Wurf Keiha, was keine schlechte Entscheidung war, wie sich heraus stellte, um wieder zu Atem zu kommen. 
Doch mit ihren beiden Schlägen gegen mich hatten die Slytherins eindeutig Wirkung erzielt.
Die nächsten zehn Punkte gingen an sie, bevor ein Klatscher Keiha hart in der Seite traf und ihn fast vom Besen riss. Er konnte sich gerade wieder hochziehen, doch damit war Slytherin wieder in Quaffel-Besitz und nun stand es zwanzig zu dreißig.
Bei unserm nächsten Versuch konzentrierte ich mich zu sehr auf Slytherins Treiber Tremblay, der alles gab um die Klatscher in meine Richtung zu drängen und verlor so den Quaffel an June, der für Gleichstand sorgte.
Dieses Match war kein Quidditch-Spiel mehr - dashier war Krieg.
Nach nur einer halben Stunde hatten die Sucher den Schnatz drei Mal gesichtet und nicht gefangen, Keiha hatte, nach einem zweiten Klatscher, eindeutig einige gebrochene Rippen und er bewegte seinen linken Arm nur sehr vorsichtig, was mir Sorgen machte. Mich hatte Emma Vanity geblockt und dabei hatten die scharfen Borsten ihres Besens mich voll im Gesicht getroffen. Ich spürte, dass es mir die Wange aufgerissen hatte und die Hitze des Blutes tropfte an meinem Kinn hinab in meinen Umhang-Kragen. Wir hatten nur noch einen Treiber, da Tremblay und Norton unseren Treiber Connor Noia in die Zange genommen und auf einen Turm der Tribüne zu gedrängt hatte. Er hatte keine Chance mehr gehabt auszuweichen und wurde nun, bewusstlos, wie er war, von Madame Pomfrey versorgt. Rubick war kein Treiber und konnte ihn nicht ersetzen. Keiha und ich waren uns einig gewesen, dass wir ihn erst einmal nicht einwechselten, sondern warten wollten, bis entweder der Schnatz gefangen wurde, oder einer von uns vom Besen fiel.
Ava gab sich alle Mühe unseren Hüter Thomas Eefje zu verteidigen, der nun neues Lieblings-Ziel der Slytherin-Treiber geworden war. Merlin sein Dank war Julia eine begnadete Fliegerin und hatte bis jetzt nichts abbekommen.
Doch auch Slytherin hatte einstecken müssen.
Neben Emmy Vanitys gebrochener Nase hatte auch Jacob June sein Fett weg bekommen. Keiha hatte ihn so elegant geblockt, dass er, Gesicht voran, gegen einen seiner eigenen Torpfosten geknallt war und nun zierte eine anschwellende Beule und einiges an Farbe sein linkes Auge, was ihn Genauigkeit kostete.
Slytherin erhielt ebenfalls einen Freiwurf, als Ava nicht aufpasste und beim Ausholen mit dem Schläger Slytherins Sucher Olivia Norwick am Ohr traf. Später war ich mir sicher, dass das Ganze doch nicht so unabsichtlich gewesen war. Und Thomas bewies einmal mehr, was für ein grandioser Hüter er war, sodass der Freiwurf für Slytherin erfolglos ausging.
Schließlich benutzte ich den Quaffel als Wurf-Geschoss, donnerte ihn June gegen die Stirn, fing ihn wieder auf und schoss über das Feld davon.
Und trotzdem.
Mittlerweile stand es einhundertdreißig zu einhundertzehn. Slytherin führte.
Ohne einen zweiten Treiber wurde es für Ava schwierig auf uns alle aufzupassen. Und schließlich kam es genau zu dem Fall, den Keiha und ich voraus gesehen hatten.
Ein Klatscher traf Keiha am Hinterkopf und während Julia und ich unsern vom Besen kippenden Kapitän gerade noch rechtzeitig auffingen, warf Slytherin ihr nächstes Tor.
Einhundertvierzig zu einhundertzehn. 
„Rubick!“, brüllte Julia, doch Jonathan war bereits auf seinem Besen und half uns noch Keiha zum Boden zu bringen. 
Dann pfiff Madame Hooch zu neuer Aufstellung.
„Jonathan“, keuchte ich, während wir unsere Besen wieder zur Spielfeld-Mitte lenkten, „Erinnerst du dich noch an das Trainings-Spiel?“

„Und neuer Anpfiff - Leute was für ein Spiel, das ist doch kein normales Match mehr! - Und - was war das?“, rief Luisa Orchid nur wenige Minuten später über das Toben der Menge hinweg, „Rubick schießt davon wie von der Sehne geschnellt - und May - May steigt auf ihren Besen, springt nach oben, bekommt den Quaffel zu fassen, lässt sich fallen und schwingt sich an einer Hand wieder auf ihr Fluggerät wie an einem Leichtathletik-Barren! - Und als ob das nicht genug wäre wirft sie dabei den Quaffel übers halbe Feld, während Slytherins Spieler noch dabei sind ihre Milchzähne auszuspucken! Das nenn´ ich Quidditch! - Rubick in Quaffel-Besitz und - Klatscher von Ava Windthrice - dass das Mädchen so viel Kraft hat - sie trifft Slytherins Hüter Richard Lam in der Brust und -TOR!“

Und genau in dem Moment sah ich sie.
Julia und Slytherins Sucherin Olivia Norwick schossen beide wie die Falken dem Boden entgegen und da war der Schnatz! Nur einen halben Meter von den beiden entfernt schnellte er auf den Erdboden zu! 
Und ich sah Ethan Tremblay, der mit seinem Schläger ausholte. Ich schoss nach vorn.
Beide Sucher im Sturzflug streckte Olivia Norwick, die in Führung lag, den Arm aus. Dann realisierte sie, wie nah sie dem Boden bereits war.
Drei Meter von der Erde entfernt riss sie ihren Besen nach oben, doch Julia hatte mit mir trainiert.
Während der Klatscher, mit dem Tremblay auf sie gezielt hatte, mich vom Besen riss, bewies sie den längeren Atem. Und sie hatte einen guten Besen.
Julias Umhang streifte das taufeuchte Gras, als sie ihren Besen nach oben zog. In der Hand, die sie weit nach oben reckte, glänzte der Schnatz.
Dann schlug ich mit dem Rücken auf dem Erdboden auf.

„Mir geht´s gut“, beteuert ich bestimmt zum dritten Mal Madame Pomfrey.
Der Klatscher war schlimmer gewesen als der Aufprall, ich war nicht mehr besonders hoch gewesen und hat mich mehrmals überschlagen, doch ich behauptete einfach, dass ich mir nichts gebrochen hatte. Auch wenn mein Körper etwas anderes signalisierte.
Connor war mittlerweile wieder wach und presste sich eine getränkte Kühlkompresse auf die Stirn. Der Zaubertrank ran ihm übers halbe Gesicht und er war noch etwas benommen, doch das hinderte ihn nicht daran Julia fast die Schulter zu zertrümmern, so begeistert drosch er auf sie ein.
Überhaupt schwappten nun alle Schüler von den Tribünen aufs Feld und wer von unserem Team noch stehen konnte, der wurde umring, umarmt, angeschrien und beglückwünscht.
Mehrere Hände trafen mein Fluchmal und irgendwann hatte ich das Gefühl, dass allein die schiere Menge an Menschen mich noch aufrecht hielt, denn meine Beine waren schmerzender Wackelpudding.
Ich sah in die farbverschmierten Gesichter meiner Freunde, die sich schließlich zu mir durch gekämpft hatten und es schafften, mich aus dem Zentrum der Menge zu befreien.
Sue war wieder am weinen, doch sie wischte die Tränen eilig fort. Doch sie war nicht die einzige. 
„Das - war -großartig!“, brüllte mir Gideon ins Gesicht und ich sah die Spuren in der schwarzen und gelben Farbe auf ihren Wangen, bevor er und Fabian mir um den Hals fielen.
Ich dankte ihnen allen und ließ mich umarmen, auch wenn es weh tat. Selbst Peter traute sich. Sein Kopf leuchtete selbst unter der Schminke, sodass sein gelb fast ein orange wurde.
Doch einer fehlte, wie schon die letzten Monate.
„Wo ist Remus?“, wandte ich mich an Sirius, der James gerade eine mit seinem >>May the force be with you<<-Schild verpasst hatte.
Er jedoch rollte nur mit den Augen.
„Hat sich verkrümelt, wie immer“, brummte er.
Ich zögerte nur einen Moment.
„Rose!“, rief Sue erschrocken aus, als ich die paar Meter zu meinem Besen hinüber wankte, „Das darfst du nicht!“
„Ich hab ohnehin schon Strafarbeiten“, war alles, was ich antwortete, dann stieß ich mich vom Boden ab.

Ich sah seine Gestalt, wie er langsam und mit hängenden Schulter über den Weg zurück zum Schloss wanderte.
Sein Kopf ruckte erschrocken nach oben, als ich einige Meter vor ihm auf dem Schotter landete.
Sein Haar klebte verschwitzt an seiner Stirn, die Schminke war an seinem Hals hinab gelaufen und hatte seinen Hemdkragen gelb und schwarz gefärbt. An seinem Kinn erkannte ich das Rot einer frisch verheilten Narbe.
Ich stieg vom Besen und wusste plötzlich nicht mehr, was ich tun oder sagen sollte.
Es kitzelte leicht, als ein Blutstropfen sich auf meiner Wange einen neuen Weg suchte, sich dann löste und auf den kleinen Steinchen zu meinen Füßen aufschlug.
Kurz zuckte mein Blick zum Stadion. Die ersten Schüler drängten bereits daraus hervor.
„Es tut mir leid!“
Das war ein blöder Start, doch etwas Besseres fiel mir nicht ein. Und es tat mir ja wirklich leid, dass ich so geboren war. Auch wenn ich nichts daran ändern konnte.
„Ich weiß, dass-… dass du vermutlich nichts mit jemandem wie mir zu tun haben willst… aber-… ich kann nunmal nichts dafür! Und ich hatte gehofft, dass du es vielleicht verstehst, weil du auch-… weil du auch anders bist!“
Leider zeigte Remus keinerlei Reaktion auf meine Worte. Wie gebannt starrte er immer noch mein Gesicht an und die Stille wurde langsam unangenehm.
„Du musst nichts mit mir zu tun haben, wirklich nicht!“, platze ich heraus, „Ich meine, ich vermisse es mit euch unterwegs zu sein-… also, ich meine-… ich vermisse dich, aber das soll nicht heißen, dass ich dich drängen möchte-…“
„Jemandem wie dir…?“
Dieser leise Satz ließ mich verstummen. Remus starrte immer noch, doch der Schrecken in seiner Miene wich langsam absoluter Verblüffung.
„Was soll das heißen, mit jemandem wie dir?“
„Aber ich-… ich dachte-…“
Ja. Ich hatte gedacht. Und ich hatte anscheinend falsch gedacht.
„Aber-… du redest seit Monaten nicht mit mir! Du gehst mir aus dem Weg, wo du nur kannst!“, blubberte ich verständnislos.
„Weil ich mir sicher war, dass du-… dass du lieber Abstand halten möchtest…“, antwortete er leise.
Er wirkte so verloren, wie da stand, die Hände halb erhoben.
Der Wind fasste nach seinem Umhang, zerrte daran und wehte mir seinen unverwechselbaren Duft ins Gesicht. Süßholz und Kalkstein. Bienenwachs und Frühlingssonne. Und dieses bisschen an kalter Nachtluft und Eisen.
„Du weißt es“, brachte er hervor und sein Gesicht verzerrte sich, wie unter Schmerzen, „Du weißt, was ich bin“
„Und du hast keine Ahnung, was ich bin“, sprach ich das Offensichtliche aus.
„Kein Werwolf, soviel ist sicher“, schüttelte Remus mit zusammen gezogenen Augenbrauen den Kopf, während er mich musterte, „Das hättest du so einfach nicht verstecken können. Es sei denn natürlich, du kennst da bessere Tricks als ich“
„Kein Werwolf“, lächelte ich matt und trat vorsichtig einen Schritt auf ihn zu - fast sang ich das Halleluja, als er stehen blieb und nicht vor mir zurück wich, „Aber wenn ich es dir sagen würde, würdest du es mir sowieso nicht glauben. Ich dachte nur-… weil du plötzlich so abweisend warst-…“
„Ich hab dich gesehn“, unterbrach er mich und wandte eilig das Gesicht von mir ab und vergrub die Hände in den Hosentaschen, „In der Bibliothek. Vor Weihnachten. Wie du über Werwölfe gelesen hast. Du bist viel zu aufmerksam“
„Tut mir leid…“, murmelte ich, „Ist so ein Tick von mir…“
„Ein Tick?“, japste er, „Dieser Tick hat mich die letzten Monate mehr Nerven gekostet als Sirius, James und Peter zusammen! Du wusstest immer, wenn ich dich angelogen habe oder wenn es mir schlecht ging! Ich hatte viel früher damit gerechnet, dass du es rausfindest!“
„Ich gebe zu, ich hab ein bisschen auf dem Schlauch gestanden“, huschte ein kleines Lächeln über mein Gesicht, „Und dann habt ihr immer die Bibliothek blockiert und ich konnte nichts nachlesen“
„Du hast also höflicherweise gewartet bis ich nicht da war, um nachzuschlagen, ob ich ein Werwolf bin?“, fragte er und nun hob er doch wieder den Blick.
Irgendwie sah er aus, als wollte er gleichzeitig lachen und weinen.
„Ja!“, kicherte ich tatsächlich los und wischte mir Blut vom Kinn, „Das hab ich wohl. Und wenn du als Drache aufgewachsen bist, dann nimmst du Dinge anders wahr…“
Wieder folgte ein Moment der Stille.
„Das würde einiges erklären, auch wenn es sich wie ein Märchen anhört“, gab Remus nachdenklich zu und diesmal lächelte er sogar, „Sagst du mir irgendwann die Wahrheit?“
„Wenn du Glück hast, wirst du es sogar irgendwann sehen!“, gab ich bitter zu, „Es gab Gründe, warum ich Anfang des Jahres in den See gesprungen bin. Einer davon wahr, dass ich mich nicht in eine feuerspeiende, klauenbewehrte Riesen-Echse verwandeln wollte“
„Du bist verrückt!“, lachte Remus los.
„Ein bisschen“, gab ich zu.
So standen wir voreinander, während die Schüler von Hogwarts langsam auf uns zu kamen.
„Du siehst furchtbar aus“
„Weiß ich“
„Soll ich dich in den Krankenflügel bringen?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Was ist passiert?“
Ich schwieg. Dann jedoch drängte ein Schluchzen nach vorn.
„Elias wird nicht zurück kommen“
„Ich weiß“, flüsterte er.
„Und-… und was wäre gewesen, wenn du auch nicht zurück gekommen wärst!“, heiße Tränen suchten sich ihren Weg durch Erde und Blut und brannten in den Schnitten auf meiner Wange, „Ich hab dich wirklich gern und ich hab die Vorstellung so gehasst, dass du mich nicht leiden kannst!“
Da schloss er mit nur einem Schritt die Lücke zwischen uns, schlang seine Arme um mich und zog mein Gesicht an seine Schulter.
„Ich kann dich sehr gut leiden, Roselynn“, schniefte er irgendwo über meinem linken Ohr, „Ich hab dich wirklich gern! Und ich hatte solche Angst-… du kannst dir garnicht vorstellen, wie sehr ich mich gefürchtet habe…!“
„Doch…“, brachte ich leise hervor und vergrub meine Nase in seinem bunten, schweißnassen Hemd, „Doch, das kann ich“
75. Kapitel
Im Schutz des Phönix
Und dann fühlte es sich plötzlich so an, als hätte der Zug unseres Lebens wieder Schienen unter den Rädern.
Nach der Trauerfeier wurde Elias Name nur noch mit einer gewissen Ehrfurcht unter uns Freunden ausgesprochen und schon gar nicht, wenn Marlene in der Nähe war. Sie arbeitete weiter wie besessen und wir alle lernten oft mit ihr, um den verpassten Stoff wieder nach zu holen. Es half ihr.
Ich schrieb weiter Briefe an Dr. Imre, wobei ich durchaus darauf achtete, was ich ihm erzählte. Es waren kleine Belanglosigkeiten aus meinem Leben und jede Menge Fragen. Manche Briefe kamen zurück. Manche nicht. Kein einziger wurde beantwortet.
Anfang März, nachdem wir uns gerade wieder etwas eingependelt hatten, kam beim Mittagessen Professor Sprout zu uns an den Tisch und bat mich freundlich, sie zu begleiten.
Meine Freunde warfen mir verwirrte Blicke zu, doch ich zuckte nur mit den Schultern, warf mir meine Tasche über und verließ mit meiner Hausleitung die große Halle.
„Darf ich fragen, was los ist, Professor?“
„Sie dürfen, Miss May“, antwortete Professor Sprout, während sie in ihrem typisch zackigen Schritt die Treppen erklomm, „Ich befürchte, die Standpauke, die ich ihnen vor dem Quidditch-Spiel gegen Slytherin gehalten habe war-… vielleicht für erwachsenere Ohren gedacht. Seien sie versichert, dass ich nur das Beste für sie alle im Sinn habe und ihre Worte nicht auf taube Ohren gestoßen sind, ganz egal, wie alt und verknöchert ich ihnen erscheinen mag. Doch ganz davon abgesehen, dass ich ohnehin der Meinung war ein Gespräch mit Professor Dumbledore würde ihnen gut tun, ist der Professor der Ansicht, dass es Menschen gibt, die ihnen noch besser helfen können“
Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte, also schwieg ich.
Wir liefen ein ganzes Stück, bis hinaus in eine Ecke des Schlosses, gar nicht weit vom Lehrerzimmer entfernt, die ich bisher nur wenig erkundet hatte. Wenn ich hätte raten müssen, hätte ich behauptet mich irgendwo zwischen dem zweiten und dritten Stock zu befinden.
Vor einer breiten, völlig runden Nische hielt Professor Sprout dann an. Darin saß, auf einem hohen Sockel, ein Wasserspeier, die Flügel um sich herum ausgebreitet.
Professor Sprout schob mich wortlos in die Nische, unter den stechenden Blick der Skulptur, trat dann einen Schritt zurück und verschränkte die Finger.
„Kandierter Ingwer“
Ich blinzelte überrascht, musste dann jedoch an mich halten, nicht los zu schreien. Der Boden unter mir hatte sich in Bewegung gesetzt und wie sich heraus stellte, stand ich mit jedem Fuß auf einer anderen Stufe, die sich langsam nach oben schraubten.
Ich sah noch, wie Professor Sprout sich mit einem Nicken abwandte, dann verschluckte mich die Nische.
„Kandierter Ingwer?“, fragte ich leise, „Was ist das denn für ein Passwort?“
Zugegeben, eines, dass zu unserem Schulleiter passte, wenn ich genauer darüber nachdachte.
Mit einem leisen Ruck kam die Treppe zum Stehen und ich stand direkt vor einer großen, eichenen Tür, die von einem stilisierten Greifen als Türklopfer geschmückt wurde.
Ich zögerte kurz, dann klopfte ich.
„Herein“
Die Stimme erkannte ich, doch meine Ohren verrieten mir, schon als ich die Tür nur einen Spalt geöffnet hatte, dass da noch jemand in dem Raum war. Und kaum eine Millisekunde später, verriet mir meine Nase, wer es war.
Drachenmist blieb sehr hartnäckig an Stiefeln hängen, das Eau de Cologne war das Gleiche, wie schon zu meiner Geburt und dem Anzug hafteten immer noch winzige Spuren von Hogwarts, dem Fuchsbau und mir an.
Ich nahm meine Umgebung kaum wahr, die Tasche rutschte mir von den Schultern und ich hörte nur nebenbei ein Tintenfass zerbrechen, als sie auf dem harten Steinboden aufschlug.
Ich rannte durch den runden Raum, doch er kam mir die zwei Stufen bereits entgegen, fiel auf die Knie, dass es weh tun musste, und schloss mich in seine Arme. 
Es schmerzte. Die Verletzungen vom Quidditch und das Fluchmal waren immer noch nicht abgeheilt. Und auch er musste Schmerzen haben, denn er sah fürchterlich zerbeult aus und ein tiefer Riss zog sich quer durch sein Gesicht. Trotzdem vergrub er die Nase in meinem Haar und ich an seiner Schulter.
Ich nahm vage wahr, dass um uns herum geklatscht wurde und Stimme laut ihren Zuspruch kund taten, auch wenn meine restlichen Sinne mir mitteilten, dass außer einer weiteren Person niemand da war. Doch eigentlich war es mir egal. Hier, in den Armen von Kristóf Zoltán konnte mir ohnehin nichts passieren.

Das Büro von Professor Dumbledore war ein guter Ort zum Reden. Die vielen, kleinen Apparaturen auf ihren hauchdünnen Schienen tickten und summten rhythmisch, was meinem Kopf auf seltsame Weise Frieden brachte. Und es war irgendwie lustig, wie die ganzen ehemaligen Schulleiter aus ihren Portraits herab mit uns spekulierten, was denn nun wirklich geschehen war.
Schlussendlich mussten wir uns doch einig werden, dass wir gar nichts wussten.
Kristóf erlaubte mir sogar die Erinnerung von jenem Abend anzusehen, an dem er mit Dr. Imre gekämpft hatte. Wie er um das Gehege herum gerannt war und schließlich die tote Mary zu Dr. Imres Füßen gefunden hatte. Sein Gestammel und der heftige Schlagabtausch zwischen den beiden. Flüche, die in alle Richtungen davon schossen. Seine hektische Flucht und wie er plötzlich die Grenzen des Reservates erreicht hatte und disapparierte.
Professor Dumbledore nahm sich die Zeit und erklärte mir jeden seiner Schritte, seit den Anschlägen zu Beginn des neuen Jahres. Er erzählte mir auch, dass Professor Sprout sofort zu ihm geeilt war und das Quidditch-Spiel verpasst hatte. Dass sie vorher jeden Lehrer auf mich angesetzt hatte, in der Furcht ich könnte etwas Dummes tun. Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte. Also erklärte er es mir.
Man konnte dieser Tage nicht einfach dem Ministerium melden, dass man eventuell einen Zauberer bei einer Tat ertappt hatte, die man mit Voldemort in Verbindung bringen konnte. Denn Voldemort war bereits im Ministerium. Und auch in Hogwarts, wie Professor Dumbledore zugeben musste. Die Tätowierung, die Lucius Malfoy Antonin eingebrannt hatte, stand im Verdacht Voldemorts Zeichen zu sein. Doch bisher hatte man keine Beweise dafür. Und Gruppierungen von Zauberern mit ähnlichen Einstellungen und Symbole ihrer Zusammengehörigkeit hatte es schon immer gegeben und gab es auch jetzt noch zu Hauf. Keine Chance jemandem deshalb etwas vorzuwerfen.
Doch wenn es in Hogwarts wirklich Schüler gab, die bereit waren das in die Tat umzusetzen, was Voldemort predigte, dann saßen wir auf einem Pulverfass. Und so, wie es aussah, war ich eine Zündschnur.
„Verstehen sie mich nicht falsch, Miss May. Ihre Einzigartigkeit ist wundervoll“, sprach Professor Dumbledore, nachdem er mir eine Schale mit kandiertem Ingwer und Kristóf eine Tasse Kaffe gereicht hatte, „Doch genau diese Einzigartigkeit bringt sie derzeit in höchste Gefahr. Professor Sprout hat versucht ihnen klar zu machen, dass sie, nur weil sie ein Drache sind, im Alter von elf noch nicht über die nötigen Mittel verfügen all jene zu beschützen, die sie lieben. Dass sie erst wachsen und lernen müssen. Denn wir steuern auf einen Krieg zu. Und ich befürchte, er wird auf den Schultern ihrer Generation ausgetragen. Doch für Voldemort wären sie perfekt. Ein Drache mit Vernunft, dem er seine Ideale einflößen kann. Sie brauchen nicht protestieren, dieser Mann kennt Mittel und Wege zu überzeugen, Manche davon sind sehr unschön und sie sind definitiv zu jung, um ihm zu widerstehen. Für ihn wären sie jetzt schon die perfekte Waffe. Stellen sie sich das einmal vor, sie, mit all ihren Fähigkeiten. Er würde sie hegen und pflegen, sie würden wieder gesund und stark werden. Er würde ihnen ihre Zähne und ihr Gift wieder geben und sie dann auf die Menschheit loslassen. Ein Drache ist in erster Linie kein Wesen, das verteidigt. Ein Drache greift an. Dazu wären sie jetzt sehr wohl in der Lage. Und mit jedem Jahr, das kommt, würden sie stärker. Unbesiegbar, durch ihre Schuppen, unaufhaltsam mit ihrem Feuer, tödlich mit ihrem Gift. Lucius Malfoy und die Seinen haben noch keine Ahnung davon, wer sie sind. Und wir bemühen uns nach Kräften, dafür zu sorgen, das dies so bleibt. Elias Ainthworth ist ein Held, auch wenn wir ihm das niemals mehr sagen können. Wenn alles glatt geht beenden diese Schüler Hogwarts und verschwinden in der breiten Masse. Wir wissen, nach wem wir Ausschau halten müssen und ihnen ist nichts zugestoßen. Und Voldemort wird diese Informationen sicher nicht an jeden weiter geben. Man wird sie beobachten, jeden ihrer Schritte. Doch daran sind sie ja schon gewöhnt. Und wir alle werden ihnen helfen. Wenn sie volljährig sind und mir mitteilen, dass sie Voldemorts Ideale teilen, dann werde ich sie nicht aufhalten, denn das könnte ich ohnehin nicht. Und ich will sie nicht als Waffe in diesem Krieg einsetzen. Doch vielleicht können wir ihnen hier, in Hogwarts, genug beibringen, damit sie und ihre Freunde das, was da kommt, überleben“
„Das ist kein Gespräch für eine Elfjährige“, knurrte Kristóf und strich mir sanft über den Rücken.
„Das ist keine Zeit für eine Elfjährige“, erwiderte Dumbledore, während es aus dem Fenster sah, „Es war nicht die Zeit für Elias Ainthworth. Und trotzdem werden Kinder geboren, überall auf der Welt“
Ruckartig drehte der große Zauberer sich zu uns um und sah mir direkt ins Gesicht.
„Sie haben die Wahl, Miss May. Entweder sie verstecken sich, kehren zurück nach Ungarn, in ihr Reservat und bleiben dort, in trügerischer Sicherheit, wie wir mittlerweile wissen. In der Hoffnung, dass er das Interesse an ihnen verliert. Dass die Welt das Interesse an ihnen verliert! Denn glauben sie nicht, dass das Ministerium, egal, was es ihnen angetan hat, nicht auch schon darüber nachdenkt, sich diese Waffe zu eigen zu machen. Oder sie bleiben. Und ich werde sie vor beiden beschützen. Aber dann ist ihr Weg bestimmt, Miss May. Sie werden eine der größten Hexen ihrer Zeit werden müssen. Sie sind kein Mensch, dem alle egal sind. Sie werden beschützen wollen. Und genau dafür werde ich sie trainieren“
„Ich werde sie nicht allein lassen“, warf Kristóf mit finsterer Miene ein, „Ich habe sie aufgezogen und beschützt“
„Ja, aber jetzt können sie sie nicht mehr beschützen“, war Dumbledores Antwort.
Dann seufzte der große Zauberer, wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu und ließ sich auf dem großen Stuhl dahinter nieder.
„Kristóf Zoltan. Roselynn May. Ich lade sie beide ein Teil des Ordens des Phönix zu werden“

Ich stieß während des Abendessens wieder zu meinen Freunden. Professor Dumbledore hatte mit nur einem Schlenker seines Zauberstabes das Tintenfass repariert und meine Aufzeichnungen gerettet. Und ich hatte verlangt, dass Reparo der erste Zauber sein würde, den er mich lehrte. Vor allem, wenn ich an Weihnachten und Bills Weihnachtskugel-Desaster zurück dachte. Schon nächstes Jahr war Charlie auch dem Alter.
Leise schob ich mich neben Sue auf die Bank und warf einen Blick den Tisch hinunter, wo James, Sirius, Peter und Remus die Köpfe über einem großen, mehrfach gefalteten Blatt Pergament zusammen steckten.
„Und?“, fragte Sue sofort, „Was wollte Sprout?“
„Sie hat mich zu Dumbledore gebracht“, antwortete ich mit einem tiefen Atemzug.
„Zu Dumbledore?“, platzte es aus Elster heraus, „Was hast du angestellt?“
„Er war sehr freundlich“, berichtete ich in beschwichtigendem Tonfall, „Hat mir-… geholfen, wenn du so willst. Aber wenn ich nicht nach Ungarn zurück will, dann muss ich jetzt wohl ein bisschen Gas geben“
„Er hat dir einen Tadel erteilt?“, fragte Felix verblüfft, „Außer in Zauberkunst bist du doch gut! In Verwandlung und Zaubertränke sogar besser als gut!“
„Auf jeden Fall gibt es jetzt Nachhilfe“, murmelte ich mit zerknirschter Miene
„Nachhilfe?“, prusteten meine Freunde fast gleichzeitig los, „Bei Dumbledore?“
Ich nickte. Und während meine Haus-Kollegen sich darüber aufregten, wie unfair das alles war, beugte Sue sich zu mir hinüber.
„Fällt das auch wieder in die Kategorie von Dingen, die du uns nicht einfach so erzählen kannst?“, fragte sie spitz.
Ich nickte.
„Na gut“, hob sie die Stimme und warf den anderen fast schon böse Blicke zu, „Es ist unfair und wir können nichts daran ändern“
Ich musste fast lachen.
„Wenn er dir was Cooles beibringt, dann gibst du das gefälligst an uns weiter“, polterte Annabell und ich versprach es.

Danach verstrichen Wochen wie Tage.
Ich sprach mit Remus, der mir beteuerte, dass ich bei seinen Verwandlungen jeden Monat nichts für ihn tun konnte und dass ich mich bitte fern halten sollte. Ich tat es, wenn auch nur wiederstrebend. Doch es schien schon zu helfen, dass er sich seine Lügen ab da nicht mehr allein ausdenken musste. Wir hielten uns den Rücken frei. Ich dem Werwolf, er dem Drachen. Auch wenn er mir immer noch nicht ganz glaubte.
Zu Unterricht, Hausaufgaben, Quidditch-Training und Slug-Partys kamen nun einmal die Woche Stunden bei Professor Dumbledore hinzu.
Ich berichtete ihm, was ich im Schloss aufgeschnappt hatte. Er erklärte mir die Welt außerhalb von Hogwarts schützenden Mauern und was ich den Zeitungen glauben konnte und wo ich besser kritisch hinterfragte. Es waren anstrengende Gespräche, doch ich hatte immerhin nicht mehr das Gefühl außen vor zu bleiben. Und da ich die Informationen mit meinen Freunden teilte, musste ich das Wissen nicht allein tragen.
Ich war nur froh, dass ansonsten nichts bemerkenswertes mehr geschah. Nur in einer Sache war ich bitter enttäuscht.
Fast jede nacht setzte ich meine Brille ab und hockte unter dem Fenster auf meinem Koffer. Manchmal zog ich mich sogar hinauf und hinaus in das mondkalte Gras, um die Sterne zu beobachten. Ich wartete, dass sie mit mir sprechend würde. Vielleicht vergaß ich wieder, was sie mir gezeigt hatten, doch meist hinterließen die Visionen wenigstens eine Spur, der ich folgen konnte. Und ich hatte so viele Fragen.
Doch sie blieben unbeantwortet, wie die Briefe an Dr. Imre.

Meinen Geburtstag am ersten Mai feierten wir in kleiner Runde. Ich hatte meine Freunde darum gebeten mir nicht zu schenken, oder wenn, dann eine Geburtstagskarte. Ich hatte nie welche erhalten und wurde praktisch von ihnen überschüttet. Es war ein Tag, an dem ich mich sehr geliebt fühlte und das bewahrte ich mir.
Die Prüfungen zum Schuljahres-Ende kündigten sich an und bald waren alle mit Büffeln beschäftig. Alle, abgesehen von meinen vier Lieblings-Löwen, natürlich.
„Die nerven“, grummelte Sue Ende Mai.
In der Bibliothek war kein Platz mehr und draußen war es Sue zu windig, im Gemeinschaftsraum herrschte Aufregung wegen des anstehenden Turniers in Kobold-Stein und so hatten wir uns in die große Halle zurück gezogen, wo einige Lehrer Aufsicht über lernende Schüler führten.
„Sie nerven immer noch“, wiederholte sie, kaum eine Minute später.
„Lass es“, erwiderte ich nun schon zum vierten Mal, „McGonagall erträgt das auch nicht lang, wir müssen nur den längeren Atem haben. Wenn du jetzt die Halle zusammen brüllst bringt uns das auch nichts“
„Aber sie nerven!“, zischte Sue, dieses Mal etwas lauter.
Meine Ohren zuckten.
Sie wusste ja garnicht, wie gut sie es hatte. Sie verstand den Unsinn wenigstens nicht, den die vier da von sich gaben! Und sie saßen schon wieder über diesem komischen Blatt, mit dem sie vor Weihnachten schon aus der Bibliothek abgehauen waren. Damals, als Sirius mich das erste Mal Schatz genannt hatte. Es schien sie mittlerweile überall hin zu begleiten, als wäre es das fünfte Mitglied ihrer Bande geworden.
„Bei Merlin, Peter!“, zischte Remus gerade, „Wir nennen uns nicht Selbstmord-Kommando!“
„Immer noch besser als James und die Potters“, quiekte der kleine Junge, auch wenn sein Kopf schon wieder hoch rot anlief.
Er vertrat nicht gern eine andere Meinung als James oder Sirius, das wusste ich.
„Wie wäre es denn mit Meme-Team-…“, warf Sirius begeistert ein, doch Remus unterbrach ihn mit einem Stöhnen.
„Ich werde mich nicht als Mitglied des Meme-Teams bezeichnen!“
„Wie wäre es mit Banter-Band?“, jubilierte James.
„James, bitte…“, seufzte Sirius theatralisch.
Sie hatten mittlerweile eine gewisse Lautstärke erreicht und nicht nur Schüler drehten sich zu ihnen um. Anscheinend wurde es Professor McGonagall an dieser Stelle endlich zu viel.
James, der mit seinem Stuhl gekippelt hatte, ließ sich eilig zurück fallen und boxte Sirius gegen die Schulter, der hastig mit dem Zauberstab gegen das Pergament tippte.
„Unheil angerichtet“
Da hatte sie die vier auch schon erreicht.
„Was für einen verbotenen Ausflug planen die Herrn Rumtreiber denn dieses Mal?“, fragte sie schnippisch.
„Wir planen gar nichts, Professor!“, beteuerte Sirius mit einem Blick, wie ein Hundewelpe, „Wirklich! Wir zerbrechen uns nur den Kopf über die verschiedenen Anwedungsmöglichkeiten von Mandragura“
Man sah Professor McGonagall an, dass sie ihm nicht glaubte. Und ihr fiel eindeutig das Leuchten in James Augen auf, das bei ihren Worten darin aufgegangen war wie ein Stern. Doch sie sagte nichts mehr und ließ die vier in Ruhe.
„Entschuldige mich kurz“
„Hast du nicht grad noch gesagt, das bringt nichts?“, wunderte sich Sue, doch ich war bereits aus der Bank geschlüpft.
Die Jungs waren sofort wieder in ihre heftige Diskussion zurück gefallen, wobei das Wort Rumtreiber eine wichtige Rolle zu spielen schien. Dann fiel ihnen auf, dass jemand erneut ihre Richtung einschlug und vergruben hastig die Nasen in ihren Büchern.
„Oh, hey Schatz!“, rief Sirius ganz überrascht aus.
An dem Zucken in seinen Fingerspitzen erkannte ich, dass James darüber nachgedacht hatte, das Pergament eilig in seine Tasche verschwinden zu lassen. Doch ich beugte mich vor und legte meine rechte Hand auf das Papier.
„Wisst ihr eigentlich, dass ihr ganz schön unvorsichtig seid?“
„Wie kommst du darauf?“, blökte James, „Um unvorsichtig zu sein, müsste man was planen!“
„Du bist schon genauso paranoid wie Minnie“, entsetzte sich Sirius.
„Stimmt…“, murmelte ich und betrachtete das Pergament genauer.
Man sah nichts darauf, kein bisschen Tinte. Doch ich bemerkte das schwache Zucken von Remus Mundwinkeln.
Ich zückte meinen Zauberstab.
„Hey!“, schnellte Sirius nach oben und sackte dann wieder in sich zusammen, als er bemerkte, wie viel Aufmerksamkeit er auf sich zog, „Is ja gut, wir sind ja schon leise!“
Ich jedoch tippte das Pergament an.
„Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin“
Sofort breiteten sich tausende hauchfeine Linien auf dem Blatt aus. Kleine Punkte bewegten sich, begleitet von Namen, durch Korridore aus Tinte, Treppen aus Wörtern hinauf und hinab, durch Hallen, Korridore und winzige Flure und verschwanden an Stellen, wo das Pergament noch nicht ausgefüllt war.
„Ihr seid nicht mehr ganz dicht…“, hauchte ich, dann blickte ich mit strahlenden Augen zu Sirius, „Du hast sie ernst genommen! Du hast das ernst genommen, was Professor McGonagall in ihrer ersten Stunde zu dir gesagt hat!“
„Nein“, antwortete Sirius schwach, doch Remus starb bereits an einem vollkommen stummen Lachanfall.
Ich knickte das Pergament vorsichtig, um es genauer zu betrachten. Einige Seiten waren noch leer, andere bis auf den letzten Millimeter ausgefüllt, so zum Beispiel der Turm, von dem ich wusste, dass dort der Gryffindor-Gemeinschaftsraum untergebracht war.
„Kein Wunder, dass ihr bei allen Tests so schlecht abschneidet. Ihr habt ja wirklich Besseres zu tun“
„Und es nervt ihre Eltern“, kicherte Remus, woraufhin sowohl James als auch Sirius nach ihm ausholten und er, beim Versuch ihnen auszuweichen, rückwärts von der Bank kippte.
Mit einem Lächeln richtete ich mich wieder auf.
„Rumtreiber klingt übrigens wirklich besser als Banter-Band. Und da das ja jetzt geklärt ist…“
Ich legte einen Finger an meine Lippen, dann kehrte ich an meinen Platz zurück.
76. Kapitel
Die Warnung der Sterne
Marlenes und mein Eifer, um einen Freund zu retten, der keine Rettung mehr brauchte, zahlte sich zumindest in den Prüfungen aus. Wir teilten uns den ersten Platz mit fast genau der gleichen Punktzahl. Den Unterschied machten natürlich Verwandlung und Zauberkunst aus. Und es war kein Geheimnis, in welchem davon ich besser war.
Das ganze Schloss geriet langsam in Aufruhr. Der Frühling war dem Sommer gewichen, in Hogwarts waren alle Fenster offen, Bienen summten, der Riesenkrake im See faulenzte dicht unter der Oberfläche, jeder Wandteppich und jedes Laken wurde gelüftet, Unterrichtsstunden nach draußen verlegt und die Lehrer beluden uns mit Hausaufgaben für die Ferien.
Es war Juni. Und in wenigen Tagen würden wir die Rückreise nach Hause antreten.
An einem Mittwoch, ich hatte es schon Geruch erkannt, erwartete Remus der letzte Vollmond dieses Schuljahres.
Wir hatten uns viel unterhalten und er hatte mir das Geheimnis der peitschenden Weide anvertraut, unter dem Schwur, niemals dorthin zu kommen.
Doch etwas war anders an diesem Tag. Remus war schweigsamer als jemals zuvor. Ich überredete ihn zu einem Spaziergang und als ich ihn darauf ansprach, sah ich Tränen in seinen Augen glitzern.
„Die Lügen und all das-… sind furchtbar anstrengend. Aber wenigstens warte ich hier in Hogwarts nicht nach jedem Vollmond auf den nächsten. Hier passiert so viel und da sind all die Menschen, die ich jetzt so gern habe. Ihr werdet mir fehlen“
Er zögerte einen Moment, dann griff er meine Hand.
„Du wirst mir fehlen“
„Du wirst mir auch fehlen“, drückte ich seine Finger.
„Und kannst nach Hause?“, fragte er und wischte sich mit dem Ärmel der freien Hand über die Augen, „Ins Reservat?“
„Ich vermisse sie“, gestand ich mit einem Nicken, „Meine Brüder. Und das Fliegen. Auch wenn wohl einiges nicht mehr so ist wie früher…“
„Ich kann das immer noch nicht glauben“
„Ich weiß“, kicherte ich, dann kam mir eine Idee.
„Wie viel Uhr bringt dich Madame Pomfrey zur Weide?“
„Warum?“, fragte Remus mit unverhohlenem Misstrauen.
„Hab dich nich so, ich komm schon nich mit“, versuchte ich ihn in neckischem Tonfall zum Lachen zu bringen, „Aber du wirst schon sehen. Also?“
„So gegen sieben“, seufzte Remus, „Aber-… Rose… ich will niemanden verletzten. Du bist in Gefahr in meiner Nähe“
„Keine Sorge“, lächelte ich und genoss das leise Kitzeln in meinem Bauch, das jetzt anhob, wo ich mir sicher war, dass ich etwas Verbotenes tun würde.

Als Remus Lupin in dieser Nacht mit einem Ast den Knoten am Fuß des um sich peitschenden Baumes berührte, verschwand er zwischen die Wurzeln, zögerte jedoch einen Moment.
Kurz hob er den Kopf aus dem Loch und sah, dass Madame Pomfrey sich bereits umgedreht hatte.
Und noch etwas sah er.
Eine riesige Gestalt, die sich, schlangengleich, aus dem nächsten Baum auf den Erdboden hinab ließ. Und als sie aus dem Schatten ins dämmrige Licht der letzten Sonnenstrahlen trat, wusste er genau, wer es war. Trotz der Schuppen, der Flügel und pupillenlosen Augen. Das Wesen trat unter den Baum an das Loch heran und senkte sein riesiges Haupt und er blickte in diese beiden strahlenden, schimmernden Opale und erkannte darin seine beste Freundin.
Vorsichtig streckte er die Hand aus. Kurz zuckten die Lefzen des Drachen und seine Brust grollte, doch Remus nahm sich die Zeit, auch wenn seine Muskeln sich langsam verkrampften, und wartete einen Moment, bis sie seine Berührung zuließ.
„Passt du auf? Auf mich?“, fragte er heiser und legte seine zitternde Hand auf die warme Schnauze, „Dass ich nicht zurück komme, bevor ich nicht wieder auf zwei Beinen laufe?“
Der Drache nickte.
Dann ließ er sich eilig in den Tunnel hinab fallen und stolperte mehr, als dass er rannte, bis in die Hütte am Ende des Tunnels.

Ich streifte die Rinde der Weide mit den Nüstern.
Der Baum hatte gewartet, bis ich mich verabschiedet hatte, wofür ich ihm sehr dankbar war.
Dann kroch ich zurück in die Schatten des nahen Waldes, legte mich auf den Bauch, die Ohren gespitzt und wartete.
Ich konnte seine Schreie hören, unter denen ich zusammen zuckte, die langsam in ein Jaulen übergingen. So nah war ich noch nie gewesen und so deutlich hatte ich es bisher nicht gehört.
Meine Verwandlungen waren angenehm. Seine klangen schmerzhaft.
Und so wartete ich, den Blick auf die Sterne gerichtet, dass der Morgen kam und ihn mir zurück gab.

Und dann, waren es nicht mehr meine Augen, durch die ich blickte. Und war auch nicht mehr Hogwarts, wo ich mich befand.
Ich stand in einer ramponierten, alten Küche, die keine Fenster besaß, doch feierlich mit Krepp-Papier und einem Banner geschmückt war.
>>Herzlichen Glückwunsch den neuen Schulsprechern Ron und Hermine<<
An meiner Seite stand ein Mann, ich konnte nur vermuten, dass es ein Mann war, denn von seinem Gesicht war nicht mehr fiel übrig, und schielte zu mir hinüber. Ich kannte auch plötzlich seinen Namen, obwohl ich ihm nie begegnet war. Mad-Eye Moody. Und er war ein ehemaliger Auror.
Das war nicht mein Wissen, das bemerkte ich sofort. Und dies war nicht der Körper von Roselynn May. Was tat ich also hier? Doch meine Gedanke wurden quälend langsam und schließlich lösten sie sich auf.
Die Sterne hatten endlich geantwortet.

Moody nahm einen Schluck aus seinem Flachmann, während sein strahlend blaues Auge Harry von der Seite her anstarrte. 
„Schau mal, ich hab was, das dich vielleicht interessieren wird“, sagte er. 
Aus einer Innentasche seines Umhangs zog Moody ein sehr zerknittertes, altes Zaubererfoto. 
„Original der Orden des Phönix“, knurrte er, „Hab ́s gestern Nacht gefunden, als ich nach meinem zweiten Tarnumhang gesucht hab... dachte, die Leute würden es gern sehen“
Harry nahm das Foto in die Hand. Eine kleine Gruppe von Menschen schaute zu ihm hoch, manche winkten, andere hoben ihre Gläser. 
„Das bin ich“, sagte Moody und deutete überflüssigerweise auf sich selbst. 
Der Moody im Bild war nicht zu verwechseln, auch wenn sein Haar nicht ganz so grau uns seine Nase heil war. 
„Und das neben mir ist Dumbledore! Auf der anderen Seite Marlene McKinnon, schlauste Hexe ihrer Zeit. Wurde zwei Wochen nach dieser Aufnahme umgebracht, die haben die ganze Familie ausgelöscht. Das sind Frank und Alice Longbottom-“ 
Harrys Magen, ohnehin schon flau, verkrampfte sich, als er Alice Longbottom ansah; er kannte ihr rundes, freundliches Gesicht sehr gut, obwohl er sie nie getroffen hatte und auch das Lächeln von Frank Longbottom war ihm schmerzhaft vertraut. 
„-arme Teufel“, knurrte Moody, „Besser der Tod als das was mit ihnen geschehen ist... daneben Gideon und Fabian Prewett... Mollys Brüder, musst du wissen. Sind Fred und George nich ganz unähnlich, hab sie noch kennen gelernt. Fünf Todesser waren nötig um sie umzubringen, sie haben gekämpft wie die Helden…“ 
Harry blickte in die ihm fremden Gesichter, auf das schüchterne Winken von Marlene McKinnon und das vollkommen identische Grinsen der beiden Brüder. Moody hatte Recht, die roten Haare und die Sommersprossen machten sie unverkennbar zum Teil von Rons Familie. 
„Rückt mal auf hier“, Moody stupste gegen das Bild. 
Die kleinen Leute in dem Foto drängelten und schubsten ein wenig und die bislang ganz hinten Verborgenen erschienen vorn im Bild. 
„Hagrid sieht natürlich aus wie immer... neben ihm, das ist Sue Malkins, hatte das Herz am rechten Fleck, hat die Schneiderei ihrer Mutter übernommen, nachdem es ihren Mann erwischt hat, du kennst sie sicher... Sirius, als er noch kurze Haare hatte. Und dashier ist natürlich Lupin... und... da sind sie, ich dachte, das würde dich interessieren!“ 
Harry blieb das Herz stehen. Seine Mutter und sein Vater strahlten zu ihm hoch. Sie saßen neben einer weißhaarigen Frau mit kupferfarbener Haut, deren Augen ohne Pupille oder Iris aus der Fotografie strahlten. Sie lächelte und offenbarte dabei zwei extrem lange und scharfe Fangzähne. Und neben ihnen stand ein kleiner Mann mit wässrigen Augen, den Harry sofort als Wurmschwanz erkannte, der den Aufenthaltsort seiner Eltern an Voldemort verraten und so ihren Tod mit herbei geführt hatte. 
„Wer ist das in der Mitte“, brachte er mit trockener Kehle heraus und hoffte, dass Moody nichts davon bemerkte. 
„Roselynn May“, Moodys magisches Auge richtete sich starr auf Harrys Gesicht, offensichtlich zufrieden in der Annahme, er hätte Harry soeben einen Gefallen getan, „War eine gute Freundin deiner Eltern und von Lupin und Sirius natürlich auch. Ganz besonderes Mädchen war das, Nachfahrin Echidnas, irgend so einer Drachengöttin aus dem alten Griechenland. Hatte schwer zu kämpfen, ihr Leben lang, doch irgendwann hat sie das Versteckspiel aufgegeben. Hat bei Olivander gelernt und war grade dabei eine Familie aufzubauen. Umbridges neue Regelungen für Halbblüter hat sie fast aus dem Land vertrieben. War eine der Letzten, die´s erwischt hat, bevor alles vorbei war“ 
Harry blickte in Moodys tief vernarbtes und zerfurchtes Gesicht. 

Den Drachen weckten Stimmen und der Duft nach Panik.
„-nur mal kurz gucken“, schnappte die Hexe auf.
Als er verschlafen den Kopf hob, standen drei Menschen vor ihm.
Sofort signalisierte die Hexe Roselynn, dass es Freunde waren. Doch gleichzeitig drang ihre Verwirrung zu ihm durch. Es war dunkel und diese drei hätten nicht hier sein dürfen!
Mit erleuchtetem Zauberstab beugte sich ein Junge mit zerwühltem Haar über ein großes Blatt Pergament, daneben war ein Kleinerer zur Salzsäule erstarrt. Von ihm ging der Panik-Geruch aus.
Direkt vor ihm stand ein Junge mit dunklen Locken, der ihn aus riesigen Augen voller Faszination anstarrte.
„Dass Dumbledore die im Wald versteckt! Ich meine-… kommt schon!“, wandte er sich an seine Freunde und zeigte keinerlei Angst vor dem riesigen Tierwesen, „Das ist ein echter Drache!“
Der Kleine wimmerte nur. Er brachte keinen Ton hervor.
Langsam übernahm die Hexe Roselynn wieder das Denken.
Sie trugen Schlafanzüge. Und das Wort Rumtreiber geisterte durch ihr Hirn.
Plötzlich erhob sich der Drache.
Die Vision war verschwunden. Wenn die drei nur etwas gewartet hätten sie zu stören! Vielleicht hätte sie sich dieses Mal erinnert!
Mit einigen hastigen Bewegungen verschwand er im nächsten Baum.
„Peter! Jetzt hast du ihn verscheucht!“, rief der dunkel gelockte.
„Sirius…“, murmelte der Wuschelkopf und beugte sich so dicht über das Pergament, dass er es fast mit der Nase berührte, „Die Karte spinnt schon wieder“
„Was heißt sie spinnt?“, maulte der Schönling und trat an seinen Freund heran, „Die spinnt nicht! Nicht mehr…“, lenkte er ein.
„Dann erklär mir, warum der Drache mit dem Wort May beschriftet war und jetzt an diesem Baum der Name Roselynn May zu lesen ist!“, verlangte James.
Sirius beugte sich über das Pergament, während ich spürte, wie meine Knochen langsam schrumpften.
„Dann muss sie doch spinnen…“, gab er übellaunig zu.
„Toll!“, warf James die Arme in die Luft und versetzte Peter damit einen gehörigen Schrecken, „Dann können wir nicht sicher sein, dass Remus hier verschwunden ist!“
„Aber wir können auch sicher sein, dass er sich nicht wieder den Magen verdorben hat“, hielt Sirius dagegen, „Oder meinst du Madame Pomfrey hat ihn die Heilkräuter selber suchen geschickt und der Drache hat ihn gefressen?“
Bei der Vorstellung gab Peter erneut ein Wimmern von sich.
„Habt ihr sie noch alle?“
Endlich war auch mein Kiefer wieder klein genug, das meine Zunge gegen meinen Gaumen artikulierte Laute von sich geben konnte.
Der Hexe gefiel es garnicht so nah an der Weide zu sein. Sie wäre lieber ein Drache geblieben.
Hastig kletterte ich die Zweige des Baumes hinab. Ich hatte mein Nachthemd und einen Umhang dort oben gelassen, was wenigstens etwas war.
„Oh“, machte Sirius, packte James Handgelenk, blickte auf die Karte und schnippte dann halbwegs elegant vor der Nase seines Freundes herum, „Siehst du? Spinnt doch nicht“
„Roselynn“, piepste Peter, der immer noch steif wie ein Brett da stand, „Was machst du denn hier?“
„Was macht ihr hier?“, schimpfte ich, als ich endlich den Boden erreichte.
Sirius trat an mich heran und bot mir seine Hand an, doch ich schlug sie energisch bei Seite.
„Es ist gefährlich hier!“
In James Gesicht jedoch sah ich, dass ein Groschen gefallen war. Wie eine Sonne stieg die Begeisterung darin auf.
„Du bist der Drache!“, platze er heraus.
„Sei nicht albern James!“, tadelte Sirius schulmeisterlich, „Rose ist ein-…“
Er verstummte.
„Aufgewachsen im Drachenreservat, jede Menge Dinge, die sie uns nich sagen kannst, drei Brüder, über die sie nie was erzählt…“, James lachte laut auf.
„Sie sind keine Squibs!“, platze Sirius heraus und schnellte zu mir herum, „Sie sind Drachen!“
„Meinetwegen!“, zischte ich, „Aber ihr müsst hier weg!“
„So leicht entkommst du uns nicht“, grinste Sirius, „Ich will alles wissen!“
„Nicht! Jetzt!“, fauchte ich, packte ihn an der Schulter und schleifte ihn Richtung Schloss.
Dann erklang das Heulen.
„Was war das?“, fragte James und das Lächeln auf seinem Gesicht verblasste.
„Etwas, das noch viel gefährlicher ist als ich“, drängte ich auf ihn ein, „Wir müssen verschwinden!“
Und ausnahmsweise hörten die Jungs auf mich.
Wir rannten die Wege empor und erreichten schließlich die Wiese vor dem Fenster meines Schlafsaals. Erst dort genehmigte ich uns eine Pause. Sollte der Werwolf, in den Remus sich verwandelt hatte, uns bis hierher folgen, hatten wir vielleicht noch eine Chance durch das Fenster zu entkommen.
„Das ist-… ein Witz-… oder?“, keuchte Sirius, der anscheinend nur halb so sportlich war, wie er aussah.
„Was genau?“, fragte ich scheinheilig und wischte mir das Haar aus der Stirn.
Verdammt. Ich hatte meine Brille im Schlafsaal gelassen und die Jungs hatten meine Augen natürlich längst gesehen.
„Du kannst kein Drache sein!“, schnappte James nach Luft, „Das ist unmöglich!“
„Ist es nicht…“, seufzte ich und ließ mich ins Gras fallen, „Aber manchmal wünschte ich, es wäre unmöglich. Ihr dürft keiner Seele was davon erzählen!“
„Hand aufs Herz!“, beteuerte Sirius und klatschte sich eine Hand auf die Brust.
James tat es ihm gleich und Peter folgte eilig ihrem Beispiel.
„Aber dann weißt du, was mit Remus los ist, oder?“, hakte James nach.
„Was soll mit ihm sein?“, versuchte ich so überzeugend wie möglich zu klingen.
„Er ist ein Werwolf“, antwortete Sirius, als wäre es das normalste der Welt, dass sich Freunde in Werwölfe und Drachen verwandelten.
Mit einem Stöhnen ließ ich mich auf den Rücken fallen.
„Komm schon!“, lachte er und setzte sich neben mich, „Ganz blöd sind wir auch nicht“
„Es macht euch nichts?“, fragte ich, als James und Peter sich ebenfalls setzten.
„Was soll es uns schon machen?“, fragte James und löschte seinen Zauberstab, „Er ist unser Freund. Und scheiße, der Junge macht sich jeden Monat in die Hose! Und seine Ausreden sind auch nicht grad die Besten. Vermutlich glauben die anderen seinen Unsinn nur deshalb, weil wir immer fröhlich ja und Amen zu all dem sagen“
„Wie lange wisst ihr's schon?“
„So um Weihnachten haben wir langsam was mitgekriegt“, zuckte Sirius mit den Schultern.
Peter keuchte immer noch mit pfeifendem Atem vor sich hin und schien froh, sich nicht an dem Gespräch beteiligen zu müssen.
„Die Karte hat geholfen“, wedelte James damit herum, „Wir warn schon letzten Monat draußen. Er verschwindet halt einfach. Da hinten haben wir noch nichts aufgezeichnet und er war auffällig an anderen Dingen interessiert, immer, wenn wir es vorgeschlagen haben“
„Seid ihr eigentlich lebensmüde?“, setzte ich mich langsam wieder auf, „Nur, weil er euer Freund ist, heißt das nicht, dass er das als Werwolf noch weiß! Und dann weckt ihr einen schlafenden Drachen, der direkt da rum liegt, wo euer Freund verschwunden ist!“
„Draco dormiens nunquam titillandus“, zitierte James mit einem Lächeln und ich stöhnte laut auf.
„Seit wann weißt du es?“, fragte Sirius.
„Weihnachten“, knurrte ich.
„Verdammt“, stieß er hervor, lächelte jedoch, „Warst wieder mal schneller“
„Das ist kein Spiel!“, begehrte ich auf, „Wir sind gefährlich, er und ich! Als Werwolf hast du keine Kontrolle über dich! Ich habe jahrelang geübt, damit ich als Drache wenigstens unterscheiden kann zwischen >>Freund, nicht fressen<< und >>Jemand, auch nicht fressen<<! Und da waren zur Sicherheit Gitter dazwischen!“
„Wenn du noch lauter schreist ist bald das halbe Schloss wach“, lächelte Sirius auf eine Weise, die mich wohl beruhigen sollte, was mich nur noch zorniger machte.
„Wenn einer von euch durch uns stirbt-…“, fauchte ich und kam dann ins Stottern, weil mir die Worte fehlten, „Es würde unser Leben zerstören! Ich käme schon nicht damit klar, jemanden zu verletzten! Aber einen meiner Freunde zu töten-…“
„Aber er braucht uns!“
Das war Peter. Er war anscheinend wieder zu Atem gekommen und seine wässrigen Augen leuchteten flehend im Zwielicht des Vollmonds.
„Peter hat Recht“, nickte James, „Er ist unser Freund, Roselynn. Und er sieht furchtbar aus, wenn er zurück kommt. Jedes Mal hat er neue Verletzungen und überall ist Blut er stinkt nach Angst. Wir können ihn nicht im Stich lassen!“
Ich hatte nicht erwartet, dass ein Mensch Remus Zustand nach dem Vollmond so genau erfassen konnte. Es erschreckte mich fast und deshalb blieb ich still.
„Wir überlegen jetzt schon seit Monaten, was wir tun könnten, um ihm zu helfen. Du hattest ja anscheinend eine Idee“, wandte Sirius sich direkt an mich.
„Ich bewache den Eingang“, gab ich leise zu, „Tierwesen reagieren auf andere Tierwesen oder überhaupt auf Tiere anders als auf Menschen. Vielleicht würde er mich sogar verstehen. Aber er will nicht, dass ich mitkomme. Und deshalb-… als Drache kann ich ihn wenigstens aufhalten, sollte er jemals einen Weg raus finden, wo auch immer dieser Tunnel hin führt“
Die drei Jungs nickte.
Und in der Ferne hörten wir ein gequältes Heulen.
Epilog
Es war merkwürdig Hogwarts so leer zu erleben.
Die anderen Schüler waren unten beim frühstück, genossen das Festmahl, bevor der Zug sie von Hogsmead nach London brachte.
Sue hatte mir versprochen mir ein Brot zu schmieren und wie ich meine Freunden kannte würde das Ganze völlig ausarten und sie das halbe Buffet plündern.
Die Schlafsäle waren leer. Ebenso der Gemeinschaftsraum.
In der Küche herrschte noch die übliche Aktivität der Elfen, die wohl niemals abklingen würde. Doch die Kerker langen verlassen da.
ich schlich mich durch die Eingangshalle zur Treppe, hinauf in die Korridore, blickte noch einmal durch jedes Fenster, an dem ich vorbei kam.
Am Vortag hatte ich mich von Hagrid und Fang verabschiedet und ihnen versprochen zu schreiben.
Überhaupt hatte ich allen versprochen zu schreiben. Selbst Professor Slughorn hatte angeboten, jederzeit für mich erreichbar zu sein. Obwohl wir sein Haus vernichtend geschlagen hatten und dieses Spiel Slytherin wohl den Pokal gekostet hatte, war ich durch meine Leistungen wieder zu einem seiner absoluten Lieblinge mutiert.
Den Quidditch-Pokal gewonnen hatte Gryffindor, den Hauspokal hatte Ravenclaw abgeräumt.
Die Hufflepuffs lagen überall im guten Mittelfeld, beim Quidditch durch tatsächliches Können, beim Hauspokal wohl, weil niemand, der James, Sirius, Remus und Peter im Haus hatte, wirklich hatte glauben können eine Chance auf den Sieg zu haben.
Die Jungs und ich hatten Remus nicht verraten, dass wir sein Geheimnis teilten. Sie waren sich sehr sicher gewesen, dass ihn das nur in Panik versetzen würde und ich konnte ihnen da nicht einmal widersprechen. Stattdessen hatten sie sich fest vorgenommen sich etwas einfallen zu lassen, um ihm zu helfen und ich hatte mich bereit erklärt den Schiedsrichter zu spielen und zu bewerten, ob die Ideen, die sie hatten, hirnrissig oder völlig bescheuert waren.
Dann hörte ich, wie die ersten Schüler in die Eingangshalle drängten.
Es ging nach Hause.

Im Zug wechselte diesmal ich die Abteile.
Ich verbrachte einige Zeit bei Sue, Frank und den Zwillingen, besuchte dann Lily und Marlene, wo Severus in einer Ecke schmollte, wurde bei den Slytherins nur von Alan herzlich begrüßt, womit ich klar kam, und wartete auch einen Moment, bis Maya, die ich an der Wagon-Tür zu den Abteilen der Vertrauensschüler abgepasst hatte, mir Roux nach draußen schickte, um ihm Auf Wiedersehen zu sagen.
Dann arbeitete ich mich wieder zu den Gryffindors vor und entdeckte die Rumtreiber in einem der letzten Abteile.
„Und wie verbringst du deinen Sommer, Rose?“, stichelte James.
Er wusste ganz genau, dass Remus nicht im Bilde darüber war, dass seine Freunde auch mein Geheimnis kannten.
„Ich freu mich auf meine Brüder“, gab ich schlicht zu, „Und ansonsten… Hausaufgaben. Es gibt da was ziemlich wichtiges, wo ich mir was einfallen lassen möchte“
Die Jungs lächelten.
Schließlich zog James los um sich von Lily zu verabschieden und nahm Peter mit, weil Lily meistens Mitleid für ihn zeigte. Sirius, Remus und ich waren nicht so lebensmüde uns in die Schusslinie zu manövrieren und schließlich streckte Remus sich auf der Bank uns gegenüber aus und schlief ein.
„Und was machst du so?“, fragte ich Sirius und bot ihm die andere Hälfte meines Kesselkuchens an.
„Was schon…“, murrte der leise, nahm jedoch den Kuchen, „Meiner Mutter ausweichen, vielleicht Mal ein, zwei Takte mit meinem Vater über Belanglosigkeiten reden, mir anhören, wie enttäuscht er über meine Noten ist… und Regulus damit beeindrucken, wie toll ich doch schon zaubern kann. Er kommt nächstes nach Hogwarts, weißt du?“
Ich jedoch hatte mich fast an meinem Kürbissaft verschluckt.
„Ich hab ja was für dich!“
Damit angelte ich vorsichtig in die Seitentasche meines Rucksacks, den Remus als Kissen benutzte. Doch er wachte nicht auf und so drückte ich Sirius das zusammen gerollte Pergament in die Hand.
„Damit du angeben kannst“, lächelte ich.
Sirius entrollte das Papier. Die Zeichnung der peruanischen Viper war mir gut gelungen und ich war ziemlich stolz darauf.
Da beugte Sirius sich zu mir hinüber und drückte seine Lippen auf meine Wange. Es war nur ein kurzer Moment, in dem mich sein Duft völlig einhüllte und Wärme durch mich hindurch strömte wie Wasser.
„Danke, Schatz“, grinste er und rollte das Pergament wieder zusammen.
„Was is denn hier los?“, platzte da James wieder ins Abteil.
Auf seiner Wange brannte der Abdruck einer Hand mit weit gespreizten Fingern. An seinem Umhangsaum hing Peter wie ein verängstigtes Kaninchen.
Sofort verfielen Sirius und ich in einen Lachanfall, der uns der Atemnot nah brachte und Remus wachte erschrocken auf, nur um sich dann mit einem Lächeln aufzusetzen und sich den Schlaf aus den Augen zu reiben.
„Alles wie immer“, gähnte er und machte Platz für seine Freunde.

Am Bahnsteig herrschte natürlich das übliche Chaos. Sue und die anderen verabschiedeten sich noch am Gleis von mir und sie, Lily und ich konnten uns ein paar Tränen nicht verkneifen. Alans Vater machte mir seine Aufwartung und irgendwie hatte ich ein seltsames Gefühl dabei. Fast so als hegte er die Hoffnung, wir würden uns beim nächsten Mal als Schwiegervater und Schwiegertochter wiedersehen. Zum Glück wartete Kristóf draußen. Alan war es auf jeden Fall schon peinlich genug.
Mein schick gekleideter Wärter und Ersatz-Vater stand nicht weit vom Durchgang entfernt und obwohl sein neuer Anzug noch keine Brandlöcher aufwies und ihm wirklich hervorragend stand, fiel er zwischen den anderen Eltern und Muggeln doch sehr auf. Allein schon, wie er da stand, als hätte er die glühenden Nüstern eines walisischen Grünlings unterm Hintern.
Doch seine Züge wirkten heute, trotz der Narbe, die sich quer durch sein Gesicht zog, nicht ganz so streng. Denn neben ihm stand eine runde, rothaarige Frau, an ihrer Seite ihren Mann, auf dessen Schultern ein Kleinkind mit den Füßen wippte und das Baby in ihren Armen streckte immer wieder seine kleinen Hände nach Kristóf aus und fast glaubte ich ihn schmunzeln zu sehen.
„Roselynn, meine Liebe!“, begrüßte mich Mrs. Weasley stürmisch und schloss mich in eine Umarmung, wie ich noch nie eine erhalten hatte. Ich kam mir vor wie ein Junges im Nest.
Charlie quietschte voll Freude.
„Rosa!“, rief Bill über die Menge hinweg, „Gide! Fabi! Rosa!“
Vor Schuljahresbeginn im September sollte ich zwei Wochen im Fuchsbau zu Besuch sein. Es war alles schon abgesprochen.
Kristóf und Mr. Weasley schenkten sich einen festen Händedruck und Mrs. Weasley umarmte Kristóf sogar flüchtig, was ihn eindeutig überraschte.
„Dann bis August?“, wandte ich mich ein letztes Mal an die Zwillinge.
„Auf jeden Fall“, lächelte Fabian.
Einen Moment standen wir so da, dann prustete Gideon los.
„Jetzt habt euch nich so!“, blökte er, packte seinen Bruder und mich an den Schultern und zog uns in eine Rippen-brechende Umarmung.
„Bis dann, kis sárkány“, lächelte er und Kristóf wandte erstaunt den Kopf.
„Bis dann, szemtelen majom“, kicherte ich.
„Du weißt, dass ich das nachschlagen werde!“, drohte er mir, gespielt streng den Finger erhoben.
„Nur zu!“, rief ich ihm hinterher.
„Und wer bin dann ich?“, begehrte Fabian auf.
„Du bist pojáca“, antwortete ich ohne mit der Wimper zu zucken.
Er verdrehte nur die Augen, dann waren sie in der Menge verschwunden.
Kristóf nahm mir den Wagen ab und schob ihn auf einen der Ausgänge zu.
„Gute Freunde hast du da“
„Ich weiß“

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